Das Urteil des OVG Münster hat weitreichende Konsequenzen für die islamischen Religionsgemeinschaften und den IRU in NRW, erklärt der ehemalige Islamratsvorsitzende Ali Kızılkaya im Interview.
IslamiQ: Herr Kızılkaya. Sie waren lange Vorsitzender des Islamrates. Was empfanden Sie nach der Verkündung des Urteils?
Ali Kızılkaya: Große Enttäuschung. Die Urteilsbegründung liegt uns noch nicht vor, deshalb kann ich mich nur unter Vorbehalt äußern. Doch ich meine, dass das Gericht viel strengere Maßstäbe angelegt hat, die weit über das hinausgehen, was notwendig ist. Die Richter hätten meiner Überzeugung nach auch zu einer anderen Entscheidung kommen können.
IslamiQ: In den Pressemitteilungen der Kläger und auch des KRM wird moniert, dass durch das Urteil des OVG Münster die Chance vertan wurde, die Institutionalisierung des Islams in Deutschland auf eine nächste Stufe zu heben. Was genau meinen Sie damit? Was wird durch das Urteil des OVG verhindert?
Kızılkaya: Muslime werden durch dieses Urteil weiter in der religionsverfassungsrechtlichen Grauzone gelassen. Dort sind sie von der politischen Großwetterlage abhängig. Jahrzehntelang wurde die “Anerkennung” der islamischen Religionsgemeinschaften durch die Politik verschleppt. Traurig genug, dass Muslime für dieses Recht überhaupt klagen mussten. Es wurde nach unserem Teilerfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht deutlich, dass die Politik in vielen Punkten falsch gelegen hat. Die OVG hätte diesen Umstand stärker würdigen können. Im Ergebnis wurde die Chance vertan, die islamischen und nichtislamischen Religionsgemeinschaften gleich zu behandeln und Muslimen das Gefühl der “Zugehörigkeit” zu geben.
IslamiQ: Vereinzelt wird den islamischen Religionsgemeinschaften vorgeworfen, nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. Wie sehen Sie das?
Kızılkaya: Während der Verhandlung hat das Gericht mehrfach betont, dass die beiden Gemeinschaften zahlreiche Unterlagen zu den relevanten Fragen vorgelegt haben. Wie das Gericht diese letztendlich bewertet hat, werden wir erst der Urteilsbegründung entnehmen können. Es wäre aber befremdlich, wenn das Gericht von den Gemeinschaften erwarten würde, die islamischen Gemeinschaften müssten eine den Kirchen ähnliche Struktur aufweisen. Eine abschließende Beurteilung werden wir jedoch erst nach der Urteilsbegründung vorlegen können.
IslamiQ: Für Kritiker ist dieses Urteil richtig, da ansonsten mit „Unannehmlichkeiten“ zu rechnen sei, wenn der Islamrat und der ZMD die Ausrichtung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen allein bestimmen. Wie bewerten Sie diese Kritik?
Kızılkaya: Es geht darum, dass Muslime ein Recht in Anspruch nehmen wollen, das ihnen schon von der Verfassung her zusteht. Das ist nicht nur legitim, sondern auch erforderlich. Die Kritik ist weder begründet noch plausibel dargelegt. Der Islamrat hat sich in diesem Bereich bereits bewährt und verfügt über eine solide und jahrzehntelange Expertise. Ich sehe da keine Probleme. Außerdem hätte der islamische Religionsunterricht – so wie jeder andere Religionsunterricht – auch im Fall einer positiven Entscheidung unter staatlicher Aufsicht stattgefunden. Die Verantwortung für den islamischen Religionsunterricht zu bekommen, heißt nicht, dass man im rechtsfreien Raum wirken würde. Es ist höchste Zeit, frei von unbegründeten Ängsten und Vorurteilen zu diskutieren.
IslamiQ: Der Islamrat ist bereits im Beirat für den Islamischen Religionsunterricht in NRW vertreten. Warum wurde das Verfahren trotz des juristischen Risikos erneut aufgerollt?
Kızılkaya: Ein Verfahren war aus unserer Sicht deshalb erforderlich, weil die Politik in dieser Angelegenheit nicht vorangekommen ist und auch die aktuelle Landesregierung in NRW zu erkennen gegeben hat, dass keine großen Fortschritte zu erwarten sind.
Der Beirat ist ein Konstrukt, das sich in einer juristischen und verfassungsmäßigen Grauzone befindet und deshalb auch von Anfang an als Modell und Zwischenlösung gedacht ist. Allein diese Zwischenlösung war ein bedenklicher Kompromiss, doch war es eine Möglichkeit, die Angelegenheit voranzubringen. Dieser Kompromiss war schon immer weit unterhalb von dem, was Muslimen von Verfassungswegen zusteht.
Das Hauptproblem ist, dass im Beirat zur Hälfte auch vom Land ernannte Personen sitzen und dadurch das verfassungsrechtliche Prinzip der Trennung von Staat und Religion und das Neutralitätsgebot nicht verfassungsgemäß umgesetzt werden. Der Staat greift also in das Selbstbestimmungsrecht der islamischen Religionsgemeinschaften ein, oder anders gesagt: Der vermeintlich neutrale Staat macht über den Beirat Religion. Das ist ein Zustand, der bei jedem Staatsrechtler Bedenken auslöst, weil diese Zwischenlösung immer mehr zum Türöffner für die Aushöhlung des Grundgesetzes wird.
IslamiQ: Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) stellte nach dem Urteil klar, dass die Landesregierung das Fach auch künftig anbieten wolle, doch den Beirat erweitern möchte. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß?
Kızılkaya: Ich beobachte aufmerksam und mit großer Sorge die weitere Entwicklung. Die Vorgaben des Grundgesetzes sind klar und Muslime haben ein berechtigtes Interesse daran, dass der islamische Religionsunterricht von Religionsgemeinschaften angeboten wird, die von Moscheegemeinden getragen werden und nicht von Jedermann.
IslamiQ: Welche Optionen hat der Islamrat nach diesem Urteil?
Kızılkaya: Ich meine, es gibt da mehrere Optionen. Zunächst einmal gilt es aber, die Urteilsbegründung abzuwarten. Anschließend wird man sich über die Möglichkeiten beraten.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.