Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Amani Abuzahra und ihr Buch „Mehr Kopf als Tuch“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Mehr Kopf als Tuch“ gerne schenken und warum?
Amani Abuzahra: Das ist einfach: prinzipiell allen. Wenn ich die Personen konkreter nennen soll, dann jene, die offen sind für Neues, sich näher einlesen wollen in die muslimisch-weiblichen Lebensrealitäten. Aber auch jenen, die an gesellschaftskritischen Analysen sowie an (Selbst-)Kritik, Feminismus, Rassismus und Diversität interessiert sind. Dadurch, dass es sich um ein Sammelband handelt, kommen viele unterschiedliche Frauen zu Wort. Das Buch würde ich auch gerne jungen muslimischen Frauen schenken, die sich darüber freuen, dass ein Buch publiziert wurde, das ihre Vielfalt aufzeigt, von dem ich hoffe, dass es bereits am Cover zu erkennen ist.
Ich würde es aber auch den Menschen gerne schenken, die sonst nicht auf die Idee kämen sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Für jene, die mit diesem Perspektivwechsel sich eine neue Welt eröffnen würde.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Abuzahra: Begibt man sich auf die Suche nach Literatur über muslimische Frauen, so wird man schnell fündig: Zahlreiche Bücher wurden über sie verfasst, wenige von ihnen. Die Darstellungen und Erzählungen über die muslimischen Frauen variieren, jedoch liegt eine Tendenz zur Vereinheitlichung vor – nämlich das Bild der Frau als Objekt der Unterdrückung, die es zu befreien gilt aus der Zwangsehe, Gewaltbeziehung, Unmündigkeit. Die Frage, die unbeantwortet bleibt: wie sehen muslimisch–weibliche Lebenswelten aus? Gibt es nur eine? Und vor allem: Wie wollen denn muslimische Frauen eigentlich gesehen werden? Daher war es mir wichtig, dass Geschichten aus erster Hand erzählt werden, die die Vielfalt der muslimischen Frauen sichtbar macht. Das Buch ist also als ein Projekt der breiten „Sichtbarmachung“ dieser Diversität des muslimisch-weiblichen Lebens in Deutschland und Österreich zu verstehen.
Wir brauchen mehr Bilder und Stimmen, die von den vielfältigen Frauenrollen in dieser multikulturellen, -ethnischen und -religiösen Gesellschaft erzählen. Insofern soll dieses Buch durch ein Aufzeigen der Realitäten der deutschen sowie österreichischen Musliminnen ein Stück weit zum Dialog und Versachlichung der emotionsgeladenen Debatten dienen.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Abuzahra: Ein sehr treffendes Zitat über die Welt der guten Bücher und die Bedeutung für unsere Seelen. Auch unsere Seelen bedürfen Nahrung und Literatur kann dies gewährleisten. Literatur hat das Potential uns neue Perspektiven zu eröffnen und das ist mit dem vorliegenden Buch „Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort“ meiner Meinung nach auch möglich. Es bringt uns Menschen näher, indem wir selbstbestimmte Literatur von muslimischen Frauen lesen und nicht über sie.
IslamiQ: Ihr Buch „Mehr Kopf als Tuch“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Ich versuche es mal so: Empowernde (Selbst-)kritische Horizonterweiterung
IslamiQ: Eine spezielle Frage an Sie: Was raten Sie muslimischen Frauen, die selbst aktiv werden wollen?
Abuzahra: Mein Rat ist zunächst innehalten um darüber nachzudenken, wer bin ich und wer will ich sein? Wie ist die Welt und wie wünsche ich sie mir? Was sind Momente und Personen, die mich fördern oder mich hindern? Denn wir leben in einer schnelllebigen Zeit, in einer Zeit, in der viele Vor-Urteile kursieren. Es gilt sich loszusagen von der Fremdbestimmung und den Klischees oder FürsprecherInnen, die selbstbestimmte Lebenspraxis als Zwang deuten.
Es ist an der Zeit, die eigene Schmiedin des Glücks zu werden und aus dem Vollen zu schöpfen. Hier erachte ich es als wichtig sich zu solidarisieren und gegenseitig zu unterstützen um voran zu kommen, um das Potential zu entfalten. Und der Antwort auf „Wer will ich sein?“ näher zu kommen, in Gemeinschaft. Sich zu vernetzen mit Menschen, mit Frauen, die fördern und einem Kraft geben. Aktivismus gibt viel, verlangt aber auch einiges ab. Insofern ist es nur sinnvoll auf seinen Energiehaushalt zu achten und hier sich mit weiteren zu vernetzen, die einen motivieren. Wenn es das in unmittelbarer Umgebung nicht gibt, dann sollen die Frauen jene sein, die solche Runden ins Leben rufen, die Menschen für das Gute zusammenbringen und Plattformen schaffen.