Hinz und Kunst

“Kunst als Loslösung von meinem muslimischen Selbst“

„Die Kunst ist frei“. Frei von Grenzen und Debatten. Muslimische Künstler nutzen die Freiheit und zeigen deutlich: Wir gehören zu Europa. Heute mit dem Sprachkünstler Muhammet Ali Baş.

08
12
2017
Hinz und Kunst: Muhammet Ali Baş © privat
Hinz und Kunst: Muhammet Ali Baş © privat

IslamiQ: Kannst Du Dich vorstellen?

Muhammet Ali Baş: Ich bin vor 27 Jahren in Österreich mit dem Namen Muhammet Ali Baş geboren. Ich habe erfolgreich mein Germanistik- und Geschichtsstudium zugunsten eines Kunststudiums abgebrochen: Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sprache war für mich immer etwas, wonach ich streben musste, sie hat sich mir nie gefügt, ich musste lernen, Sprache zu bändigen, also zu verstehen, zu verwenden. Und die Sprache, die mich immer verlockt hat, ist die deutsche Sprache: Sie kann viel Kluges in klaren Worten sagen und wenn man irgendwann ein Vertrauen zu ihr aufgebaut hat, dann kann sie blumiger sein als die türkische. Ich versuche die deutsche Sprache klar zu machen.

IslamiQ: Was möchtest Du mit deiner Arbeit bewirken?

Baş: Eine Auseinandersetzung mit meinem Ich, in erster Linie. Wenn ich schreibe, kommt immer etwas von mir selbst auf das Blatt und da merke ich oft, wie ich teilweise Worte, Sätze und Gedanken reflexartig aufs Papier werfe, um sie mir sichtbar zu machen, denn oft sind es Dinge, die ich nicht aussprechen würde. Es befähigt mich, meiner eigenen Widersprüchlichkeiten bewusst zu werden, und dann versuche ich literarisch ehrlich mit diesen Widersprüchlichkeiten umzugehen.

Dadurch, dass mein Ich aber kein Geschöpf ist, das von seinen Mitmenschen isoliert funktioniert, hilft es vielleicht in zweiter Linie eben auch anderen Menschen darin, sich mit ihren Widersprüchlichkeiten auseinanderzusetzen. Im Idealfall konfrontiert meine Arbeit eine Gesellschaft mit ihrer postmigrantischen Wirklichkeit.

IslamiQ: Ist Dir Dein kultureller und/oder religiöser Background wichtig?

Baş: Als Individuum vor Gott ist mir meine religiöse Überzeugung wichtig. Als Künstler in einer postmigrantischen Gesellschaft jedoch ist mir mein Background wurscht. So würde ich das gerne stehenlassen können. Jedoch strahlt Ersteres natürlich in Letzteres hinein und eigentlich ist meine künstlerische Bestrebung die Loslösung meines künstlerischen Selbst von meinem muslimischen Selbst. Das ist ein harter Brocken. Literatur ist immer eine Suche und eine Überzeugung führt da zum Stillstand; außer man möchte eine „Message rüberbringen“, weil man ja eh alles verstanden hat, aber wer bin ich schon in diesem Universum?

IslamiQ: Wie stark beeinflusst Dein Background Dein künstlerisches Schaffen?

Baş: Die meisten Anfragen sind folgender Natur: ein Stück über Migration, warum fragen wir nicht Ali? Eine Performance bei einer Integrationsveranstaltung: warum fragen wir nicht Ali?

Also für meinen Geschmack beeinflusst mein Background mein künstlerisches Schaffen zu stark. Die Erwartung ein Künstler mit Migrationshintergrund oder ein Künstler, der Muslim ist, müsste die Themen Migration, Flucht und Islam bearbeiten, kotzt mich an. Ganz ehrlich muss ich aber auch zugeben, dass ich mich selbst oft auf diese Themen begrenzt habe.

Ich wollte aufklären, Brücken schlagen etc. Mittlerweile denke ich mir, dass das unfair mir gegenüber ist, weil ich weit mehr als mein Background bin. Die Grenzen, die mir mein Background in einem bestimmten Diskurs der heutigen Zeit setzt, sind Grenzen, die ich nicht einhalten möchte. Und deswegen ist mein künstlerisches Schaffen eben auch eine Loslösung. Ganz pragmatisch denk ich mir: „Brudi, da musste durch, und irgendwann schreibst ein Buch über einen Mann, der als Käfer aufwacht.“

IslamiQ: Studien attestieren eine steigende antiislamische Stimmung in Europa. Bist Du persönlich Diskriminierungen dieser Art ausgesetzt?

Baş: Als Künstler sehe ich mich eher positiver Diskriminierung ausgesetzt bzw. nenne ich den Migrantenbonus. Ich stell mir oft die Frage: Bin ich jetzt in diesem Projekt dabei, weil ich gut schreibe, oder weil ich Ali heiße? Ich bin oft sehr sensibel in solchen Sachen. Ich versuche damit selbstbewusster und pragmatischer umzugehen. Gesellschaftlich merke ich aber, dass die antiislamische Stimmung immer mehr Anklang findet. In Österreich führt die ÖVP gerade Koalitionsgespräche mit der FPÖ. Beide Parteien sind nicht unbedingt das Blaue vom Himmel, sondern das Blaue vom Schimmel. Der „neue Stil“ führt in Österreich zum Alten, und da muss man wachsam bleiben.

IslamiQ: Denkst Du, dass der Islam zu Europa gehört? Wieso?

Baş: Zu dieser (aus meiner Sicht von wichtigen Aspekten ablenkender) Frage kamen bisher viele Stimmen zu Wort. Ich würde hier gerne dazu anregen, sich eine alternative Geschichte Europas vor die Augen zu holen: Stellen Sie sich vor, liebe Lesende, die Reconquista wäre nie passiert, die iberische Halbinsel wäre heute noch teils muslimisch und diese große Zivilisation hätte sich fortgesetzt. Welches Feindbild gibt es wohl in jenem Paralleluniversum, in dem die Geschichte so geschrieben ist?

Leserkommentare

Manuel sagt:
Man macht es schon etwas zu einfach, was war da für ein Aufstand, als es die Mohammed-Karikatur gab. Zur Freiheit der Kunst gehört auch, dass man sich über religiöse Dogmen hinwegsetzen kann.
09.12.17
11:35
Ute Fabel sagt:
Der Islam ist für mich kein Feindbild, sondern wie das Christentum ein unwahrer Aberglaube, der weit mehr Schaden als Nutzen für die Menschheit mit sich gebracht hat und bringt. Mehr Islam in der Politik hat in der Türkei, dem Land der Vorfahren von Herrn Bas, in den letzten eine autoritärere Gesellschaft gebracht.
12.12.17
12:57