Das islamische Gebet

„Durch das Gebet den geistigen Atem spüren“

Das islamische Gebet ist für den iranischen Dichter Kaveh Akbar eine besondere Kindheitserinnerung. In seinem jüngst erschienen Erstlingswerk „Calling a Wolf a Wolf“ hat er seine Liebesbeziehung zum Gebet verarbeitet. Erstmalig auf Deutsch könnt Ihr aus den Federn des Dichters selbst seine Motivation zum Buch nachlesen.

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2017
Dichter Kaveh Akbar über das islamische Gebet.
Dichter Kaveh Akbar über das islamische Gebet. © By Birbiglebug - Own work, CC BY-SA 4.0, http://bit.ly/2ALyzRP, bearbeitet by IslamiQ.

Die allerersten Gedichte, die ich kannte und liebte, waren in einer Sprache verfasst, die ich nicht verstand. Jeden Abend verkündete mein Vater, es sei nun Zeit für das Gebet – „namaz“ – und er, meine Mutter, mein älterer Bruder und wuschen uns gemeinsam Gesicht, Haar, Kopf, Arme und Füße. Dann versammelten wir uns in der Küche, im Wohnzimmer oder in einem der Schlafzimmer und rollten unsere Teppiche aus. Während wir die verschiedenen, Ergebenheit ausdrückenden Haltungen einnahmen, murmelten wir, jeder für sich, die Gebete leise vor uns hin.

Als kleines Kind beobachtete ich meine Familie und ahmte ihre Bewegungen nach so gut ich konnte. Meistens waren ihre Worte kaum hörbar. Statt wie sie zu klingen konzentrierte ich mich also darauf, mich wie sie zu bewegen. Vor dem Gesicht eine hohle Hand formen wie um Wasser zu schöpfen, die Hände an die Ohren heben, mich bücken, knien, mit der Stirn meinen „janamaz“ berühren – meinen eignen kleinen, bestickten Gebetsteppich.

Kaveh Akbar, geboren in Teheran/Iran und aufgewachsen in den USA, ist ein mehrfach preisgekrönter Dichter. Seine Werke erscheinen regelmäßig u. a. in der New York Times, The Nation und dem American Poetry Review. Im September 2017 erschien sein erster Gedichtband „Calling a Wolf a Wolf“. Er lehrt an der renommierten Purdue University, Indiana, und am Randolph College, Virginia. www.kavehakbar.com

Die Gebetstexte waren auf Arabisch, einer Sprache, die keiner von uns beherrschte. Das Persische, unsere Muttersprache, verwendet zwar dasselbe Alphabet, als indo-europäische Sprache ist es aber näher mit dem Portugiesischen oder Französischen verwandt. Jeden Tag also versammelte sich unsere Familie, um in einer Sprache zu beten, die wir nicht verstanden. Doch diese wunderschönen, herzzerreißenden Lautfolgen schufen eine direkte Verbindung zu Gott.

Die meiste Zeit meiner frühen Kindheit folgte ich nur den verschiedenen Haltungen, die meine Familie einnahm, lauschte ihren geflüsterten Worten. Staunend und fasziniert sah ich zu, wie sich hinknieten, ihre Hände in Anbetung falteten. Besonders mein Vater, der einzige von uns, der durchgehend im Iran aufgewachsen war, schien in diesen Augenblicken herausgehoben, gelöst, ja beinahe heilig. Noch bevor ich den eigentlichen Sinn des Gebets verstand, wusste ich, dass ich so sein wollte wie er. Um diese Idee dreht sich auch eines der Gedichte aus meinem ersten Buch.

Beten lernen 

Als ich sechs oder sieben Jahre alt, entschied mein Vater, dass es nun an der Zeit sei, mich das Gebet zu lehren. In bunten Farben schrieb er die arabischen Worte in Lautschrift auf Karten, laminierte sie, und dann saßen wir jeden Tag eine Stunde lang auf dem Sofa und lernten. In einer Zeile stand: „Alhamdulillahi rabbil alamin, arrahma nirrahim.“ Langsam formten wir die Laute, und ich hing an den stoppelbärtigen Lippen meines Vaters, erfreute mich an der zauberhaften Musik, die von ihnen kam. Wir übten, den ganzen Text in einem Rutsch aufzusagen, gingen die Haltungen durch, genau dort, auf dem alten Sofa. Wir lachten über meine Vergesslichkeit, wurden müde und schließlich hungrig.

Es dauerte nicht lange, dann beherrschte ich es, konnte fünfzehn Minuten lang in dieser wunderschönen, geheimnisvollen Sprache beten – der gleichen Sprache, die der Prophet selbst gesprochen hatte. Ich war so stolz auf mich, und mein Vater war es auch. Der Dichter Kazim Ali schreibt: „Wenn Gebete einen Ort heiligen können, so heißt das notwendig, dass es eine göttliche Energie gibt, die durch den menschlichen Körper fließt.“ Von Kazim erfuhr ich, dass das arabische Wort „Ruh“ sowohl „Atem“ als auch „Geist“ bedeutet. Für mein Verständnis des Gebets ist das ganz wesentlich: Das Gebet als ein Weg, den geistigen Atem durch eine Form konzentrierter Musik hindurch zu führen und zu lenken.

Diese Musik, diese Art, Gott selbst zu preisen, war mein erstes bewusstes Erleben einer lyrisch aufgeladenen Sprache. Sie bildet das Fundament meines Verständnisses von Poesie als Handwerk und meditativer Übung. Meine Arbeit als Schriftsteller ist untrennbar mit meiner Spiritualität verbunden. Welche Gottheit auch immer ich heute in meinen Gedichten besinge – Liebe, Angst, den Tod, die Familie, Gott oder irgendetwas anderes – sie muss zuerst umworben werden. Bereits in ganz jungen Jahren habe ich gelernt, dass Sprache ein Weg ist, das Unbegreifliche fassbar zu machen – vorausgesetzt unser Werben ist inbrünstig, ernsthaft und wahrhaftig. Es ist nicht von Belang, ob wir das, was wir sagen, im Wortlaut verstehen. Wir müssen es mit Verlangen sagen, mit der Schönheit des Geistes und des Atems, dann erhaschen wir einen winzigen Augenblick von Gottes Aufmerksamkeit.

Übersetzt aus dem Englischen von Katharina Ben El Adel. 

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Beten ist der Daseinsgrund des Menschen und der Sinn des Lebens schlechthin. Danke für diesen erhellenden Aufsatz.
17.12.17
17:03
Frederic Voss sagt:
Wenn hier in der Überschrift-Beschreibung "Das islamische Gebet" durch "Das Gebet" ausgetauscht würde, hätten wir eine richtigere und zutreffendere Beschreibung. Eine Liebesbeziehung zum Gebet benötigt keine religiösen Autoritäten oder Machthaber. Diese Beziehung ist völlig unabhängig von weltlichen Machtstrukturen angesiedelt und macht wirklich frei und selbstbestimmt. Eine wunderschöne Vorstellung.
17.12.17
17:16
Ute Fabel sagt:
Beten an irgendwelche erfundenen Götter ist unproduktive Zeiverschwendung. Leider werden je nach Zeit und Ort bereits Kleinkinder darauf indoktriniert, verschiedene nicht existierende fiktive Freunde zu verehren. Das ist das fragwürdige Erfolgsrezept von Religionen. Wenn Mitdiskutant Dilaver Celik zufällig in eine indische Familie geboren worden wäre, würde er wahrscheinlich Visnu und nicht Allah verehren. Hätte er vor 2.500 Jahren in Griechenland gelebt, dann wahrscheinlich Zeus. Religionen sind kleingeistig und provinziell! Der Daseinsgrund und Sinn des Lebens ist für mich für andere Menschen Gutes zu tun und nicht Selbstgespräche in Form von Beten. Ich verehre keine Götter, sondern unterstütze lieber syrische Flüchtlinge materiell (Zahlung von Studiengebühren) um immateriell (Konversation auf Deutsch, Unterstützung bei Behördengängen) in Wien Fuß zu fassen.
18.12.17
17:10
Suleiman sagt:
Frau Fabel, alle ihre Ausführungen basieren seit je her auf der einzelnen Prämisse, dass Gott eine Erfindung sei. Das können sie ja auch denken, wie es ihnen lieb ist, und ich würde ihnen auch zustimmen, dass die Anbetung von erfundenem jeder Art sinnlos ist. Solange sie aber ihre einfach so behauptete Prämisse nicht beweisen können, ist sie aber auch nichts weiter als ihre Erfindung, und alles, was sie daraus ableiten, auch.
19.12.17
15:36
Kritika sagt:
L.S. Bereits sehr junge Kinder fühlen sich wohl und sicher, wenn sie ein, was - Niederländische - Kinder 'Knuffeltje' nennen bei sich haben. Ohne können Kinder nicht einschlafen; Knuffeltje muss stets bei ihnen sein. Etwas ältere Kinder reden mit ihr Knufeltje, wie einsame Erwachsene mit ihrem Hund reden. Religiös eingestellte Eltern sorgen dafür, dass ein Gott gleitend die Funktion des Knuffeltjes übernimmt. Mit diesem Knuffeltje reden nun auch Erwachsene, einige sogar 5 x am Tag. Als positiver Effekt kann der Gott eine PlaceboFunktion einnehmen. Der Glaube an einem der Gott stimuliert die Selbstheilungskräfte; er kann aber die Risikobereitschaft förden. Die enorme Weltweite wirtschaftliche Bedeutung der Religion, trägt massgeblich zu seinen Erhaltung und Stabilisierung bei; die religiöse Vorbildfunktion von VIP's: Putin über Merkel bis Trump ebenfalls. Bedenken Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wieviel hart verdientes Steuergeld durch Förderung religiöser Nonsense an Unies zum Fenster hinaus geworfen wird und wie IslamGurus alles tun, einen möglichst grossen Brocken dieser unseligen Förderrgelder zu ergattern. Ab einer kritischen Masse, hält sich so das System von sich aus. Erstaunlicherweise ohne dass irgendjemand (der Gläubigen ) nach einem stichhaltigen Beweis fragt. Auch 'Gottlose Staaten', wie zB China huldigen paranormale Gestalten. Die Kritika's erhielten einmal von einer Chinesischen Freundin einige Furchteinflössende Gestallten, die wir bitte direkt neben der Haustüre plazieren sollten. Diese schrecken bereits seit Jahren alle böse Geister (die sonst zur Tür hinein gekommen wären) sehr erfolgreich ab. Der 12jährige TierJahrCyclus sorgt in China Taiwan Japan in Jahren mit einem positiv besetzten Tier zu erheblich mehr Babies. Möglicherweise war der GottesGlaube ein positives SelektionsMerkmal, in Zeiten als unsere Vorfahren noch auf den Bäumen wohnten und es wohnt es noch immer in uns. Alle obigen Geschichten lassen nicht den geringsten Schluss zu, dass Götter real existieren; sie erklären nur (teilweise) weswegen Religion sich auch heute noch und wider aller Vernunft dermassen hardneckig hällt. Grüss Gott, Kritika
20.12.17
0:43
grege sagt:
Wenn einem das Gebet Kraft für gute Taten gegenüber seinem Mitmenschen verleiht, kann Beten sinnstiftend sein. Das Gegenteil tritt ein, wenn Menschen aus dem Gebet ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Andersgläubigen ableiten.
22.12.17
15:23