Die österreichische Regierung wurde angelobt. Demonstrationen mit Tausenden zeigen, dass die Unzufriedenheit in der Zivilgesellschaft groß ist. Kein Wunder, schränkt die Regierung die Grundrechte von Flüchtlingen ein und fördert Armut und Rassismus im Land. Ein kritischer Beitrag von der Österreicherin Sevde Özdemir.
„Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“. Die nächsten fünf Jahre werden sich die Österreicher/innen an Norbert Hofers Aussage wohl des Öfteren erinnern, die er vor der Bundespräsidentschaftswahl tätigte. Noch bevor die Regierung steht, machen sich mittlerweile auch unter den ÖVP und FPÖ Wähler/innen enttäuschte Stimmen laut, da ihnen das versprochene Blaue vom Himmel verwehrt bleibt. Denn was für eine Überraschung: Nicht nur auf die „bösen“ Ausländer wird im neuen Regierungsprogramm getreten, sondern die „Partei des kleinen Mannes“ wird auch dafür sorgen, dass eben diese die Gürtel in Zukunft enger schnallen müssen.
Am Montag war es in Österreich auch soweit und die neue Regierung wurde angelobt. Entgegen der kargen Hoffnung, der Bundespräsident Alexander Van der Bellen würde einzelne Minister ablehnen, aufgrund seiner 2015 getätigte Aussage, er würde eine „FPÖ-geführte Regierung nicht angeloben“, verlief die Zeremonie feierlich und unaufgeregt.
Am Montagmorgen ab acht Uhr in der Früh bis spät in die Nacht demonstrierten jedoch rund 6.000 Österreicher/innen gegen die neue Schwarz-Blaue Regierung. Ein Blick in die Besetzung der neuen Regierung und ihr Parteiprogramm verrät uns den Grund für die Formierung eines so großen Widerstands.
An der Spitze steht Sebastian Kurz als Bundeskanzler und der FPÖ-Chef Heinz Christian Strache als Vizekanzler. Wer sich an die berühmt berüchtigten „Daham statt Islam“ Plakate der Freiheitlichen erinnert: Der Dichter und Mastermind der FPÖ, der hinter diesen Plakaten steht, ist kein anderer als der neue Innenminister Herbert Kickl. Somit wird der Generalsekretär der FPÖ Herr über eines der sensibelsten Ministerien der Republik. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist nämlich auch im Innenministerium angesiedelt. Der Posten wird jetzt von einer Person besetzt, die dafür bekannt ist, seit Jahren ein enges Verhältnis zu rechtsextremen und sogar verfassungsfeindlichen Kreisen zu pflegen und zugleich in Korruptionsskandale verwickelt ist.
Das Außenamt übernimmt die „Nahostexpertin“ Karin Kneissl, die mit Pauschalurteilen und Ressentiments gegen Minderheiten hetzt und für die FPÖ das Amt kleiden wird. In der Vergangenheit griff sie mehrfach Partei für das syrische Regime und behauptete unlängst, dass es im Arabischen kein Futur gäbe und zog dies als Begründung heran, weshalb arabischstämmige Menschen so wenig zukunftsorientiert seien und eine gott- und schicksalsergebene Mentalität besäßen.
Mit Mario Kunasek als Verteidigungsminister und Anneliese Kitzmüller als Dritte Nationalratspräsidentin steigen weitere FPÖ-Politiker mit Kontakten zu den rechtsextremen Identitären und antisemitischem Gedankengut auf. Laut dem ÖVP-Mandatar Martin Engelberg jedoch kein Problem. So verteidigt er „als erster aktiver jüdischer österreichischer Abgeordneter der Nachkriegszeit“ in der israelischen Zeitung „Ha’aretz“ die Koalition seiner Partei mit der FPÖ mit den Worten „In Österreich kommt die wahre antisemitische Bedrohung von den Muslimen, nicht den Nazis.“ Der Antisemitismusbericht 2016 der israelischen Kultusgemeinde widerlegt diese Aussage, hier werden 68% der ideologisch bestimmbaren Antisemitismusvorfälle dem rechten Spektrum zugeordnet.
Werfen wir nun einen Blick in das Regierungsprogramm, in welchem ÖVP und FPÖ ihre Vorhaben unter dem Titel „Zusammen. Für unser Österreich“ präsentieren. Demnach solle „Österreich als historische Drehscheibe zwischen Ost und West ein aktiver Ort des Dialogs sein.“ Das ÖVP-FPÖ’sche Verständnis von Dialog fasst ein Unterpunkt direkt unter diesem Satz präzise zusammen: „Beitrag für einen effizienten EU-Außengrenzschutz und Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich durch Grenzraumkontrollen.“ Mauern, Drahtzäune und Frontex für einen effizienteren Dialog also.
Das Regierungsprogramm spricht sich auch für eine legale Migration nach den Bedürfnissen Österreichs, Bekämpfung von Fluchtursachen und Forcierung einer effektiveren Rückkehrpolitik aus. Der Noch-Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus tritt zudem für Asylquartiere am Stadtrand Wiens ein, „um den Migranten zu zeigen, dass es in Österreich doch nicht so gemütlich ist, wie alle glauben.“
Unter dem Punkt Integration wird festgehalten, dass „islamischen Kindergärten“ und „islamischen Privatschulen“ eine stärkere Kontrolle und in letzter Konsequenz die Schließung bei Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen drohe.
Weiter planen ÖVP und FPÖ eine standardisierte Koran-Ausgabe sowie eine „umfassende Kontrolle der Darstellung der Lehre.“ Das Verbot der Auslandsfinanzierung soll nicht nur auf Moscheevereine beschränkt bleiben, sondern auch im Bildungsbereich verankert sein.
Auch für die Doppelstaatsbürgerschaft setzt sich die neue Regierung ein: Aber nur für die Südtiroler deutscher und ladinischer Muttersprache. Die österreichische Staatsbürgerschaft kann man ab jetzt später erhalten als bisher: Hier ist von Aufenthaltsdauern von 10, 20 und 30 Jahren die Rede, als wie bisher von sechs Jahren.
Die Grundrechte von Flüchtlingen werden massiv beschnitten werden. So sollen alle zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung ihr gesamtes Bargeld abgeben, dieses soll die Verfahrenskosten decken und zudem ihre Handys den Asylbehörden zur Verfügung stellen, damit diese anhand von persönlichen Daten und Social-Media-Accounts auf Reiseroute und Identität schließen können. Die Mindestsicherung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sollen weiter gekürzt und Asylsuchende „nur Sachleistungen“ erhalten. Kinder von Flüchtlingsfamilien sollen vor dem regulären Schulbesuch in „Brückenklassen“ in Flüchtlingsunterkünften unterrichtet werden. Diese Unterkünfte sind jedoch meist dezentral angesiedelt und zu klein, weshalb ein gesonderter Unterricht kaum umsetzbar ist. Es wird vermutet, dass man somit lokalen Protesten von Schulkollegen und Eltern aus dem Weg gehen will, da aufgrund ihres Einsatzes viele Schulkinder in letzter Instanz doch nicht abgeschoben wurden.
Während in Schweden der sechs-Stunden-Arbeitstag eingeführt wird, gibt es in der Alpenrepublik künftig den 12-Stunden-Arbeitstag „um mehr Flexibilität zu garantieren.“ HC Strache selbst kritisierte 2013 noch in einem Interview ein solches Vorhaben und bezeichnete dies als eine „asoziale leistungsfeindliche Idee, da dies für alle Arbeitnehmer Nettolohnverluste bedeuten würde.“
Auch sollen Studienbeiträge folgen, Ziffernnoten an Volksschulen wiedereingeführt werden und auch das ab Mai 2016 geplante absolute Rauchverbot in der Gastronomie wurde von Schwarz-Blau gekippt.
Der ehemalige Bundeskanzler und SPÖ-Parteichef Christian Kern fasste die Vorhaben der neuen Regierung gekonnt zusammen: „Die Politik von Schwarz-Blau richtet sich gegen Arme und nicht gegen Armut“. In Österreich endete übrigens jede FPÖ-Regierungsbeteiligung vor Ablauf der Regierungsperiode und keine schaffte mehr als drei Jahre. Wir drücken uns die Daumen.