Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen der Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Juniorprofessorin Dr. Fahimah Ulfat über die Selbstrelationierung muslimischer Kinder zu Gott.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Fahimah Ulfat: Ich bin Grundschullehrerin, Religionspädagogin und Juniorprofessorin für islamische Religionspädagogik an der Universität Tübingen. An der Universität Duisburg-Essen habe ich Lehramt für Primarstufe studiert. Nach meinem ersten und zweiten Staatsexamen habe ich einige Jahre als Lehrerin in verschiedenen Schulen in Essen gearbeitet, bevor ich dann islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück studiert habe. Ende 2011 habe ich mit meiner Promotion begonnen.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Arbeit kurz vorstellen?
Ulfat: In meiner Arbeit habe ich untersucht, ob muslimische Kinder Gotteskonzepte haben, die für sie handlungsleitend sind. Daher habe ich die emotionale Dimension des Gottesglaubens untersucht und nicht die kognitive Dimension. Ich habe mit den Methoden der empirischen Sozialforschung gearbeitet und eine qualitative Studie durchgeführt. Besonders wichtig war mir dabei, Kinder nicht nach Gott zu fragen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, aus eigenen Antrieb Gott in ihre Erzählungen einzubringen oder auch nicht. Sie haben die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu thematisieren, die für ihr Alltagsleben und ihre Biographie Relevanz haben. So konnte ich drei verschiedene Typen von Gottesbezügen rekonstruieren und zeigen, dass muslimische Kinder bereits im Alter von ca. 10 Jahren differenzierte und heterogene Gottesbezüge aufweisen.
Die Gottesbeziehungen der interviewten muslimischen Kinder weisen ein breites Spektrum auf, das von einem erfahrungsbasierten, nahen Bezug zu Gott über einen moralisierenden Bezug zur Tradition bis hin zu einer Distanz zu beiden Größen und einem Bezug zu immanenten Größen reicht.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Ulfat: Das Thema hat mich sehr interessiert, weil ich als Grundschullehrerin und auch als Mutter von zwei Kindern immer wieder mit den faszinierenden Äußerungen von Kindern über Gott konfrontiert wurde. In ihren Äußerungen steckt nicht nur eine Vorstellung von Gott, sondern sie zeigen, wie Kinder Welt und Wirklichkeit konstruieren und wie sie sich mit Gott in Beziehung setzen. Wie sie über ihn, von ihm und mit ihm sprechen. In ihren Äußerungen sind also auch ihre Erfahrungen enthalten. Diese wollte ich besser verstehen. Beispielsweise fragte mich mein Sohn, ob Gott Fußballspielen würde. Oder ob er Gott duzen oder siezen soll, wenn er ihn trifft.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Ulfat: In der Zeit meiner Promotion habe ich sehr viele positive Erfahrungen gemacht. Ich habe mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über meine Arbeit gesprochen und viele wertvolle Anregungen von ihnen bekommen. Das war für mich eine segensreiche Zeit. Sie war auch eine sehr lehrreiche Zeit. Was mich voran treibt sind die neuen Ideen und Erkenntnisse, die sich gerade im Gespräch mit anderen und durch die Forschung ergeben. Das ist alles sehr spannend und ich freue mich sehr über mein neues Forschungsprojekt.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimische Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Ulfat: Der muslimischen Gemeinschaft kann meine Arbeit insoweit nützlich sein, als dass sie deutlich macht, dass wir unsere reichhaltige Tradition wiederbeleben, bewahren und beforschen müssen, aber sie auch mit unserem heutigen Lebenskontext ins Gespräch bringen müssen, um Antworten auf unsere Fragen im hier und jetzt zu erhalten. Meine Arbeit hat beispielsweise gezeigt, dass nicht nur Kenntnisse über Gott für die Kinder wichtig sind, sondern auch eine lebendige und individuelle Gottesbeziehung, die sie in guten und schwierigen Zeiten trägt und ihnen halt gibt. Aber auch das reflexive Verhältnis zur eigenen Religion ist wichtig, um eine Beweglichkeit im Denken zu fördern.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.