Der Islam unter der „schwarz-blauen“ Regierung in Österreich wird mit Integration und der Bedrohung der inneren Sicherheit assoziiert. Dr. Farid Hafez hat mit uns über die neue österreichische Regierung, die Bedeutung von Integration und über die Zukunft der Muslime in Österreich gesprochen.
IslamiQ: „Integration“ ist ein umstrittener Begriff. Was halten Sie von der andauernden Integrationsdebatte über die Muslime in Europa?
Dr. Farid Hafez: Aus einer rassismuskritischen Perspektive halte ich die Integrationsdebatte für eine Projektionsfläche der dominanten Gesellschaft, mithilfe derer einer marginalisierten Minderheit regelmäßig ihre Unzulänglichkeiten vor Augen geführt werden sollen.
IslamiQ: Würden Sie den Begriff „Integration“ neudefinieren? Wenn ja, wie?
Hafez: Nein. Ich halte ihn schlicht für unbrauchbar.
IslamiQ: Welchen neuen Begriff würden Sie anstelle von „Integration“ vorschlagen?
Hafez: Aufgrund der semantischen Belastung des Begriffs sprechen andere von Inklusion, womit sie eine Teilhabe signalisieren wollen und die assimilatorische Nuance von Integration zu übergehen trachten. Andere sprechen als Alternative von Partizipation, um die Teilhabe an Machtpositionen mit hineinzunehmen. Die Frage von sozio-ökonomischer Beteiligung und Chancengleichheit sollte hier weitaus mehr in den Vordergrund gerückt werden.
IslamiQ: Selbst in Österreich/Frankreich/Deutschland geborene, dort aufgewachsene Muslime werden immer noch im Zusammenhang mit der „Integrationsdebatte“ genannt. Welche Art von „Integrationsleistung“ wird denn von dieser Gruppe genau erwartet?
Hafez: Eine nie einzuholende Integrationsleistung. Bei diesem Begriff stellt sich erstmals die Frage, wer wen integrieren soll und wer dieses ‚wir‘ ist. All diese Konstruktionen erlauben es, die Elastizität der Grenze ständig fließend zu halten und damit die Machtposition der Dominanzgesellschaft unangetastet zu lassen, indem die Integrationsdebatte auf kulturell-symbolischer Ebene gehalten wird, ohne die sozio-ökonomischen Machtkonstellationen in Frage zu stellen.
IslamiQ: Die antimuslimische Straftaten, Kopftuchverbote und Diskriminierungserfahrungen im Schul- und Arbeitswesen nehmen zu, gleichzeitig aber auch die Forderungen nach mehr „Integration“. Ist das nicht widersprüchlich?
Hafez: Wenn wir das Schlagwort ‚Integration‘ als ein Mittel des Machterhalts sehen, nein. Wenn wir Integration als einen Versuch der tatsächlichen Teilhabe sehen, dann ja.
IslamiQ: Häufig wird betont, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Inwiefern wird diese Aufgabe in Österreich gemeistert?
Hafez: Das Sozialsystem ist in Österreich gut ausgebildet und hier kann durchaus von einer Integration in die Gesellschaft gesprochen werden. Hingegen ist das Bildungssystem weniger durchlässig. Wenn es im Sinne von positive Diskriminierung darum geht, dass marginalisierte Gruppen der Gesellschaft strukturell gefördert werden, dann sind wir von dort sehr weit entfernt.
IslamiQ: Wie ist „Integration“ in einem Kontext zu verstehen, in dem soziale Phänomene „religionisiert“ werden?
Hafez: Es bringt für die Dominanzgesellschaft mit, dass diese die Religion nicht nur für die Markierung der vermeintlich ‚Anderen‘ verwendet, sondern auch für die Markierung von sich selbst und dem Rest, dem sogenannten ‚Wir‘.
IslamiQ: Im letzten Jahr wurde die Schließung der islamischen Kitas in Österreich zum Thema, mit der Begründung, sie führen zu Integrationsproblemen. Was halten Sie davon?
Hafez: Ein rassistischer Diskurs, der, wie der nunmehrige Bundeskanzler damals deklarierte, auf der Begründung fußt, dass islamische Kitas eine Parallel- und Gegengesellschaft symbolisieren würden. Darin zeigt sich, welches Integrationsverständnis hier vorliegt. Nämlich jenes, das Autonomie und Selbstständigkeit von Minderheiten nicht duldet und diese unter Kontrolle des Staates stellen will, während sie gleichzeitig den gleichen Strukturen auf Seiten der starken Kirchen durchaus positiv bewertet.
IslamiQ: Zum dritten Mal wird eine Koalition von Konservativen und Rechtspopulisten in Österreich regieren, wobei die Konservativen stark nach rechts gerückt sind. Was bedeutet dies für die Zukunft der Muslime in Österreich?
Hafez: Nichts Gutes, glaubt man etwa dem Regierungsprogramm, wo ja kein unbeachtlicher Teil dem sogenannten ‚politischen Islam‘ gewidmet wurde, wobei darunter Maßnahmen alle Muslime betreffend angeführt wurden. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass eine rechts-rechte Regierung den Zustand der Muslime verbessern bzw. nicht antasten würde.
IslamiQ: Künftig wird die rechte FPÖ das Innen- und Verteidigungsministerium leiten. D.h., dass eine rechtspopulistische Partei für die gesamte Sicherheitspolitik samt Verfassungsschutz zuständig sein wird. Was heißt das konkret für die Muslime, die in Österreich sowieso aus einer Sicherheitsperspektive betrachtet werden?
Hafez: Muslime wurden in der Vergangenheit in Österreich eigentlich nicht – im Unterschied zu Deutschland – aus der Perspektive der Inneren Sicherheit behandelt. Blickt man auf die Sicherheitsapparate, sieht man, dass im Unterschied zu Deutschland etwa Einrichtungen wie die IGMG, ATIB und andere als Vertraute in den Repräsentationsgremien der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich beheimatet sind und mit dem Staat relativ gute Kontakte gepflegt hatten. Dieses Bild ist mit dem neuen Islamgesetz von 2015 etwas getrübt, aber nicht verändert worden. Es wird sich nun zeigen, was es mit sich bringt, wenn zwei Minister jenen Sicherheitseinrichtungen überstehen, die eigentlich den Rechtsextremismus – zu dem sich im Regierungsprogramm wenig verwunderlich kein einziges Wort findet – beobachten sollen, hier am Werk sind.