Interview mit Dr. Farid Hafez

Der Begriff „Integration“ ist unbrauchbar

Der Islam unter der „schwarz-blauen“ Regierung in Österreich wird mit Integration und der Bedrohung der inneren Sicherheit assoziiert. Dr. Farid Hafez hat mit uns über die neue österreichische Regierung, die Bedeutung von Integration und über die Zukunft der Muslime in Österreich gesprochen.

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01
2018
Dr. Farid Hafez über Integration, Islam und die österreichische Regierung. © perspektif.eu
Dr. Farid Hafez © Samuel Colombo, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: „Integration“ ist ein umstrittener Begriff. Was halten Sie von der andauernden Integrationsdebatte über die Muslime in Europa?

Dr. Farid Hafez: Aus einer rassismuskritischen Perspektive halte ich die Integrationsdebatte für eine Projektionsfläche der dominanten Gesellschaft, mithilfe derer einer marginalisierten Minderheit regelmäßig ihre Unzulänglichkeiten vor Augen geführt werden sollen.

IslamiQ: Würden Sie den Begriff „Integration“ neudefinieren? Wenn ja, wie?

Hafez: Nein. Ich halte ihn schlicht für unbrauchbar.

IslamiQ: Welchen neuen Begriff würden Sie anstelle von „Integration“ vorschlagen?

Hafez: Aufgrund der semantischen Belastung des Begriffs sprechen andere von Inklusion, womit sie eine Teilhabe signalisieren wollen und die assimilatorische Nuance von Integration zu übergehen trachten. Andere sprechen als Alternative von Partizipation, um die Teilhabe an Machtpositionen mit hineinzunehmen. Die Frage von sozio-ökonomischer Beteiligung und Chancengleichheit sollte hier weitaus mehr in den Vordergrund gerückt werden.

IslamiQ: Selbst in Österreich/Frankreich/Deutschland geborene, dort aufgewachsene Muslime werden immer noch im Zusammenhang mit der „Integrationsdebatte“ genannt. Welche Art von „Integrationsleistung“ wird denn von dieser Gruppe genau erwartet?

Hafez: Eine nie einzuholende Integrationsleistung. Bei diesem Begriff stellt sich erstmals die Frage, wer wen integrieren soll und wer dieses ‚wir‘ ist. All diese Konstruktionen erlauben es, die Elastizität der Grenze ständig fließend zu halten und damit die Machtposition der Dominanzgesellschaft unangetastet zu lassen, indem die Integrationsdebatte auf kulturell-symbolischer Ebene gehalten wird, ohne die sozio-ökonomischen Machtkonstellationen in Frage zu stellen.

IslamiQ: Die antimuslimische Straftaten, Kopftuchverbote und Diskriminierungserfahrungen im Schul- und Arbeitswesen nehmen zu, gleichzeitig aber auch die Forderungen nach mehr „Integration“. Ist das nicht widersprüchlich?

Hafez: Wenn wir das Schlagwort ‚Integration‘ als ein Mittel des Machterhalts sehen, nein. Wenn wir Integration als einen Versuch der tatsächlichen Teilhabe sehen, dann ja.

IslamiQ: Häufig wird betont, dass Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Inwiefern wird diese Aufgabe in Österreich gemeistert?

Hafez: Das Sozialsystem ist in Österreich gut ausgebildet und hier kann durchaus von einer Integration in die Gesellschaft gesprochen werden. Hingegen ist das Bildungssystem weniger durchlässig. Wenn es im Sinne von positive Diskriminierung darum geht, dass marginalisierte Gruppen der Gesellschaft strukturell gefördert werden, dann sind wir von dort sehr weit entfernt.

IslamiQ: Wie ist „Integration“ in einem Kontext zu verstehen, in dem soziale Phänomene „religionisiert“ werden?

Hafez: Es bringt für die Dominanzgesellschaft mit, dass diese die Religion nicht nur für die Markierung der vermeintlich ‚Anderen‘ verwendet, sondern auch für die Markierung von sich selbst und dem Rest, dem sogenannten ‚Wir‘.

IslamiQ: Im letzten Jahr wurde die Schließung der islamischen Kitas in Österreich zum Thema, mit der Begründung, sie führen zu Integrationsproblemen. Was halten Sie davon?

Hafez: Ein rassistischer Diskurs, der, wie der nunmehrige Bundeskanzler damals deklarierte, auf der Begründung fußt, dass islamische Kitas eine Parallel- und Gegengesellschaft symbolisieren würden. Darin zeigt sich, welches Integrationsverständnis hier vorliegt. Nämlich jenes, das Autonomie und Selbstständigkeit von Minderheiten nicht duldet und diese unter Kontrolle des Staates stellen will, während sie gleichzeitig den gleichen Strukturen auf Seiten der starken Kirchen durchaus positiv bewertet.

IslamiQ: Zum dritten Mal wird eine Koalition von Konservativen und Rechtspopulisten in Österreich regieren, wobei die Konservativen stark nach rechts gerückt sind. Was bedeutet dies für die Zukunft der Muslime in Österreich?

Hafez: Nichts Gutes, glaubt man etwa dem Regierungsprogramm, wo ja kein unbeachtlicher Teil dem sogenannten ‚politischen Islam‘ gewidmet wurde, wobei darunter Maßnahmen alle Muslime betreffend angeführt wurden. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass eine rechts-rechte Regierung den Zustand der Muslime verbessern bzw. nicht antasten würde.

IslamiQ: Künftig wird die rechte FPÖ das Innen- und Verteidigungsministerium leiten. D.h., dass eine rechtspopulistische Partei für die gesamte Sicherheitspolitik samt Verfassungsschutz zuständig sein wird. Was heißt das konkret für die Muslime, die in Österreich sowieso aus einer Sicherheitsperspektive betrachtet werden?

Hafez: Muslime wurden in der Vergangenheit in Österreich eigentlich nicht – im Unterschied zu Deutschland – aus der Perspektive der Inneren Sicherheit behandelt. Blickt man auf die Sicherheitsapparate, sieht man, dass im Unterschied zu Deutschland etwa Einrichtungen wie die IGMG, ATIB und andere als Vertraute in den Repräsentationsgremien der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich beheimatet sind und mit dem Staat relativ gute Kontakte gepflegt hatten. Dieses Bild ist mit dem neuen Islamgesetz von 2015 etwas getrübt, aber nicht verändert worden. Es wird sich nun zeigen, was es mit sich bringt, wenn zwei Minister jenen Sicherheitseinrichtungen überstehen, die eigentlich den Rechtsextremismus – zu dem sich im Regierungsprogramm wenig verwunderlich kein einziges Wort findet – beobachten sollen, hier am Werk sind. 

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Von wegen "verwässerter Islam" und man würde sich nur die süßen Früchte-- also die friedlichen Suren-- herauspicken. Sie machen es genau umgekehrt: Sie suchen sich nur die negativen Suren aus, um zu belegen, was Ihnen in den Kram passt. Ich hab es schon öfters erläutert: Man kann den Koran nicht auf diese Art lesen! Man muss ein bisschen etwas wissen über seine Struktur, seinen Aufbau, seine Entstehung, über den Kontext der Suren, etc. "Harousch" (27.01.18, 13:22) erläutert das prima an einem Beispiel. Mit Koransuren kommen sie dem Problem des islamistischen Extremismus/Terrorismus nicht bei.
03.02.18
21:02
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 01.2.18, 8:50) -- "Warum soll man dann Moslems nicht mit den barbarischen Textstellen ihrer ach so heiligen Schrift konfrontieren?" (Ute Fabel) Weil das nichts erklärt! Davon abgesehen, muss man das gar nicht unbedingt. Die meisten Muslime kennen sich aus, was die Widersprüche in ihrem heiligen Buch betrifft. Man kann den Koran nicht so lesen wie ein Kochbuch oder die Bauanleitung für ein IKEA-Regal. Man muss etwas wissen über Aufbau, Struktur und Entstehungsgeschichte des Koran.
03.02.18
21:19
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: "Man muss etwas wissen über Aufbau, Struktur und Entstehungsgeschichte des Koran". Meinen Sie, dass man auch mehr über Aufbau, Struktur und Entstehung des Buch des Mormon wissen müsste, das dem Propheten Joseph Smith im 19.Jahrhundert verkündet wurde, um dessen möglicherweise fundamentale Bedeutung für die Menschheit erst richtig verstehen zu können? Was ist mit den Ergüssen von Ellen G. White (1827–1915), der Boten der Siebenten-Tags-Adventisten?Von Bahaullah, dem Religionsstifter des Bahaitums, gibt es auch eine Manifestation Gottes. Koran und Bibel sind die wohl meist überschätzten Bücher der Weltgeschichte. Die älteren griechischen Epen von Homer sind weit vielschichtiger, die Metamorphosen des Ovid viel poetischer, der Dekameron von Boccacio viel menschlicher, Shakespeares Literatur unvergleichbar tiefschürfender. Die längst überfällige Entzauberung von Koran und Bibel ist für mich ein wichtiges Anliegen, weil die Bücher vor allem einen grotesken Personenkult propagieren, der der Menschheit schon so viel Unglück gebracht hat.
06.02.18
13:33
Harousch sagt:
Wenn mit dem Begriff der Integration semantisch von einer Zwangs-Assimilation ausgegangen wird, dann ist dieser Begriff bzw. alle Tendenzen in diesem Sinne klar abzulehnen. Wenn damit allerdings eine doppelseitige oder beidseitige Integration beabsichtigt ist, dann sollte man diese Idee unbedingt vor den Klauen der Alt- sowie Neurassisten unbedingt verteidigen. Historisch gesehen taucht dieser Begriff mit dem Anwerbestopp der Gastarbeiter in den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts auf und beabsichtigte ordnungspolitisch gesehen eine Orientierungshilfe für die Migranten hier zu Lande. Die Integration impliziert eine strukturelle Asymmetrie, welche auf die Absicht des Sich-Hineinfindens eines Subjekts in eine vorherrschende soziale Ordnung abzielt. Eine Ordnung, die von vorne herein und samt ansässiger Bevölkerung als gegenwärtig existent und homogen gesetzt wird. Hierbei werden soziale Phänomene wie Klassenkonflikte, religiöse Konflikte, genderspezifische Konflikte, politische Konflikte, ...., sowie sexistische Geschlechterverhältnisse als auch patriarchalische Strukturen innerhalb derselbigen Majoritätsgesellschaft, ganz im Sinne der Homogenität auf allen Ebenen des sozialen Lebens unexistent erklärt. Insofern und gerade vor dem Hintergrund dieser Ambivalenz zwischen der Definition bzw. Beabsichtigung und der sozialen Realität ist der Begriff der Integration unbrauchbar, wenn wir damit im Grunde genommen eine reine Assimilation meinten. Ganz nüchtern gesehen, hat der türkische Präsident Erdogan in seiner Rede 2011 bereits vor dieser Misere ermahnt, trotz aller Zweifel an seinen politischen Methoden... Wenn man ganz nüchtern gesehen die heutige plurale deutsche Gesellschaft anschaut und mit derjenigen vor den 1960-er Jahren vergleicht, sieht man bereits viele Beispiel für eine gelungene beidseitige Integration, welche widersinnig zur Assimilation sich positionierend, auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens, Kultur, Religion, Literatur, Mode, Philosophie, Wissenschaft, Mathematik, Politik usw.positiv auswirkt. (Die Übersetzungswelle in der islamisch geprägten Welt, während die westliche Welt sich im Blutbad des Mittelalters befand, konservierten die Muslime fremdsprachige Literatur, überwiegend aus der griechischen Antike, indem man diese zuerst ins Arabische übersetzte und die eigenen Forschungsergebnisse, Sichtweisen und Erkenntnisse von mehreren Jahrhunderten beigemischt an die vom Mittelalter erholten Abendländer aushändigte, falls diese von barbarischen Kreuzzüglern nicht bereits gewalttätig aus den Händen gerissen und die übrigen verbrannt wurden...) Ein Beispiel aus der kulinarischen Welt. Die Frage nach der Suche nach Zucchini's, Auberginen in den 60-er Jahren war stets von hoher Enttäuschung geprägt, denn diese heute in jedem kleinen Supermarkt als Selbstverständlichkeit geltenden Gemüsesorten gab es in den Supermarkttheken einfach und schlichtweg nicht. Erst mit der Eröffnung der ersten türkischen Supermärkte bahnte sich die bunte Vielfalt in die bisdato tristen Läden an. Jeder Blick auf die Speisekarte eines gutbürgerlichen Restaurants heute würde sonst einem tiefgründigen Trauma gleichkommen. Nichtmal die Curryworscht, ihres Zeichens des Deutschen Lieblingsgericht, wäre unvorstellbar ohne die Gewürze aus der orientalisch-indischen Küche.
09.02.18
14:04
Harousch sagt:
Nachtrag: Die Curryworscht ist das „lebende“ Beispiel für die gelungene beidseitige Integration, frei nach dem Motto: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Orient meets Occident!
09.02.18
14:12
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 06.02.18, 13:33) Es geht nicht um theologische Fragen, sondern um soziologische. Es geht um Religion als "soziale Tatsache" Emile Durkheim. Es geh nicht um (islamische) Theologie, sondern um Religionssoziologie im Sinne von Emile Durkheim und Max Weber. 1,5 Milliarden Muslime sind ein kultureller, religiöser, ökonomischer und politischer Machtfaktor, den man nicht einfach beiseite schieben oder ignorieren kann. Von den Mormonen oder den Adventisten kann man das nicht behaupten.
10.02.18
22:19
Der Schuldige ist immer der andere sagt:
Die Muslime unterstellen hin und wieder Assimilation bei der Frage der Integration, weil sie sich nicht integrieren wollen! Sie wollen nach eigenen Regeln in der neuen Gesellschaft leben und die Rechte der neuen Gesellschaft genießen - daher sind sie auch hier. Wenn es um Pflichten geht, dann hört die Akzeptanz der aufgenommen Gesellschaft auf und man spricht wie Herr Dr. Hafez, über Dominanzgesellschaft, was schon alleine der Wortwahls wegen eine Abneigung darstellt. Eine Gesellschaft hat ihre Regeln, eine für funktionierende auch. Wenn man in eine bisher gut funktionierende Gesellschaft aus einer nicht gut funktionierenden Gesellschaft kommt, dann ist es der gesunde Menschenverstand, der einem sagt, ich muss mich anpassen, damit diese Gesellschaft in der Form Fortbestand hat. Alles andere ist Faulheit und Ignoranz.
14.06.18
23:51
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