Dass der Einzug der AfD die Atmosphäre im Bundestag nachhaltig verändert, überrascht nicht. Jetzt, wo die AfD mit einem zweiten Kandidaten für einen wichtigen Posten abgeblitzt ist, hat sich der Ton noch einmal verschärft.
Die AfD-Bundestagsfraktion befindet sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Alexander Gauland im „Krieg“. Ihr Gegner: die Abgeordneten aller anderen Parteien. Casus Belli ist für Gauland die Weigerung vieler Abgeordneter, den AfD-Abgeordneten Roman Reusch in das Gremium zu wählen, das die Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament sicherstellen soll.
Die AfD ist auch sauer, weil der Ältestenrat keinen vierten Wahlgang mit Albrecht Glaser zulassen will. Glaser ist ihr Kandidat für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. Er war im Oktober in drei Wahlgängen durchgefallen. Abgeordnete anderer Parteien werfen dem 76-Jährigen vor, er habe die Religionsfreiheit der in Deutschland lebenden Muslime in Abrede gestellt. Glaser weist diesen Vorwurf zurück.
Die Fraktionsspitze tritt, nachdem Reusch abgelehnt wurde, vor die Fernsehkameras. Gauland sagt, die AfD habe keine Lust ständig „einen Tritt in den Hintern zu bekommen und dann zu den anderen nett zu sein“. Gauland schiebt lieber noch eine kernige Metapher hinterher: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“
Welche Geschütze die AfD unter der Reichstagskuppel in Stellung bringen will, um sich für Reuschs Niederlage zu rächen, zeigt sich bereits wenige Stunden später. Donnerstagnacht, die Debatte über einen Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ist beendet, jetzt geht es um Tiertransporte. Die Reihen im Plenarsaal leeren sich. Da verlangt die AfD überraschend eine Nachzählung zur Feststellung der Beschlussfähigkeit – der sogenannte Hammelsprung. Das Ergebnis: Es sind zu wenige Abgeordnete im Saal, nämlich weniger als die Hälfte der Mitglieder. Die Sitzung muss abgebrochen werden. Gauland sagt hinterher, das sei die „Revanche für die Nicht-Wahl von Roman Reusch“ gewesen.
Dabei ist Reusch keineswegs der erste Abgeordnete, dem man den Weg in das Kontrollgremiums versperrt hat. Auch der Grüne Hans-Christian Ströbele war mit seiner ersten Kandidatur gescheitert. Später wurde er dann doch noch aufgenommen.
Der ehemalige Bundespolizist Armin Schuster (CDU) gehört dem Parlamentarischen Kontrollgremium schon länger an. Er hegt keine Sympathien für die AfD. Glasers Kommentare zum Islam findet er inakzeptabel. Gegen den ehemaligen Berliner Oberstaatsanwalt Reusch im Geheim-Gremium hätte er aber keine Bedenken gehabt. Schuster sagt, Reusch sei kein AfD-Abgeordneter, der sich für „symbolische Entscheidungen“ eigne. Er warnt: „Die AfD in ihrer Opferrolle zu stärken, das halte ich für einen Fehler.“ Zwischenfragen der AfD beantworte er auch dann sachlich, wenn er sie unmöglich finde.
Das handhabt nicht jeder so. Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka reagiert am Freitag genervt. Nein, er will, als er am Rednerpult vom Schicksal einer getrennten syrischen Flüchtlingsfamilie berichtet, keine Intervention aus den Reihen der AfD zulassen. Er sagt: „Ich finde inzwischen ihre Zwischenfragen genauso originell wie die immer gleiche Krawatte ihres Fraktionsvorsitzenden“. „Polemisch, stümperhaft, rassistisch“ – die Adjektive, mit denen die anderen Parteien Abgeordnete und Anträge der AfD-Bundestagsfraktion charakterisieren, sind wenig schmeichelhaft.
Die AfD setzt „Frauenrechte“ auf die Tagesordnung, um dann ausschließlich über muslimische Flüchtlinge und die von ihnen ausgehende „Bedrohung“ zu sprechen. „Pauschalierung, Hetze, Diffamierung“, wirft ihnen die CDU-Abgeordnete Nadine Schön daraufhin vor. Als die AfD statt eines Gesetzentwurfs zur Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen nur einen Antrag einbringt, ätzt Norbert Müller von der Linksfraktion: „Großspurig wollen sie andere zum Jagen tragen – und dann scheitern sie an den simpelsten Regeln. Das ist ein Trauerspiel.“
Michael Frieser (CSU) spricht kurze Zeit später. Er hält den Frontalangriff für die falsche Strategie. Frieser bittet die Abgeordneten, „dass man dieser Aufgeregtheit, die hier durch einen Antrag der AfD inszeniert wird, nicht auf den Leim geht“.