Interview mit Sabine Hess

Der Begriff „Leitkultur“ ist Quatsch

Was bedeutet überhaupt Integration und was will sie erreichen? Im Interview mit der Kulturaanthropologin, Prof. Dr. Sabine Hess, bewerten wir den aktuellen „Integrationshype“ in Deutschland und den damit einhergehenden Forderungen nach einer Leitkultur.

28
01
2018
Prof. Dr. Sabine Hees im Gespräch über Integration © youtube screenshot/ Universität Göttingen
Prof. Dr. Sabine Hess im Gespräch über Integration © youtube screenshot/ Universität Göttingen

IslamiQ: Sie fordern einen „Abschied vom Container-Modell“ und bezeichnen das neue Modell als „Migrations-Mainstreaming“. Was meinen Sie damit?

Hess: Wir WissenschaftlerInnen, die wir uns in kritnet, dem Netzwerk für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung zusammengetan haben – sind der Meinung, dass sich alle Forschungen, alle Wissenschaftsgebiete oder alle politischen Teilbereiche mit Fragen von Migration auseinandersetzen müssen. Es geht nicht darum, irgendeine insulare Migrationsforschung aufzubauen, sondern Migration als Querschnittsthema aller Sparten, also Sozialpolitik, Arbeitsmarkpolitik, Bildungspolitik, Genderpolitik, zu etablieren. Und umgekehrt müsste sich eine Migrationsforschung als eine Einwanderungsgesellschaftsforschung verstehen und sich eher mit der Einwanderungsgesellschaft als Ganzes auseinandersetzen.

IslamiQ: Ist es in Angesicht der Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahlen nicht utopisch, den Migrationsbegriff neu zu überdenken?

Hess: Wenn wir keine Utopie mehr haben, können wir uns gleich einäschern lassen. Ich weiß, dass Gesellschaft kein statisches monolithisches Gebilde ist. Es hat sich viel bewegt in diesem Land, auch gerade auf dem Gebiet der Migration hat sich wahnsinnig viel bewegt von ein „wir sind kein Einwanderungsland“ bis hin zu einer Frau Merkel, die eine Integration kritisch begutachtet und die 2015 die Grenzen nicht verschlossen hat. Das ist meiner Meinung nach eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und da müssen wir gerade in der Tat ringen. Die AfD usw., das sind sehr Besorgnis erregende Entwicklungen, aber wenn ich nicht daran glauben sollte, dass eine andere Gesellschaft möglich ist, dann müsste ich das nicht tun, was ich tue.

IslamiQ: „Leitkultur“, das Unwort des Jahres 2000. Die Leitkultur-Debatte scheint alt zu sein, reicht aber bis zu den heutigen Diskussionen. Schon im April diesen Jahres hat De Maiziere in seinem Gastbeitrag die Grundsätze für eine „deutsche Leitkultur“ vorgelegt. Was halten Sie von der sogenannten „Leitkultur“? 

Hess: Nichts. Ich meine, allein der Begriff ist schon Quatsch. Als sozialwissenschaftlich ausgebildete Menschen, auch Herr Maizière hat im Studium und in der Schule Gesellschaftskunde gehabt, wissen wir, dass die Gesellschaft aus Klassen, Geschlechtern, Milieus, Subkulturen besteht und insofern ist ganz abgesehen vom Migrations- und Einwanderungsthema die Frage einer Leitkultur absoluter Humbug. Wenn man die Frage nach der Leitkultur positiv wendet und davon ausgeht, dass es eine Wertedebatte ist, dann ist es ja eher das Problem, dass 17% unserer Bürger die AfD und damit rechts und faschistoide Ideen wählen und anscheinend nicht gut integriert sind in diesem demokratischen Gebilde. Von daher ist diese Debatte total absurd.

Gerade aus der Sozial- und Gesellschaftswissenschaft, Erziehungswissenschaft und Pädagogik, gibt es unzählige Bücher, die sich kritisch mit der Integrationsthematik auseinandergesetzt haben. Von daher denke ich schon, dass die Stimmen, die die Leitkulturdebatte für absurd halten, nicht seltsam oder nicht marginal sind auch wenn gerade die Gesellschaft im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise wieder in den Integrationshype verfallen.

IslamiQ: Sie sind optimistisch…

Hess: Ich bin politisch. Ich weiß, dass es darum geht, dass der Diskurs dynamisch ist und dass man seine eigene Stimme kraftvoll in diesen Diskurs einbringen muss.

Es ist total spannend, dass das Thema Integration wieder aufgeholt wird und dass es jetzt wieder die Notwendigkeit gibt diese ganze Kritik, die wir schon vor 7-10 Jahren formuliert haben, wieder neu zu formulieren. Aber das ist eher einer absurden Vergesslichkeit in dieser Debatte gutzuschreiben, diese ganze Kritik gab es schon mal und zwar sehr flächendeckend und breit.

IslamiQ: Was ist ihr Appell an die Politik?

Hess: Es geht um einen sicheren Aufenthalt, sichere Lebensperspektive und um ein klares Bekenntnis zu „Wir schaffen das“. Das heißt, man muss den Menschen rechtlich und sozial die Bedingungen stellen. Nicht wie durch die Verweigerung des Familiennachzugs erschweren, was massiv integrationshemmend wirkt, sondern man muss alle gesetzlichen Signale darauf stellen, dass die Menschen, die hier ankommen, sicher und geschützt partizipieren können.

Leserkommentare

Frederic Voss sagt:
Beim Thema Familiennachzug hat die kluge Forscherin auch die Lösung parat, wie mit dem Nachzug von Zweitrauen, Drittfrauen und Viertfrauen mit zugehörigen Kindern zu verfahren ist? Angesichts von Gleichberechtigung müßte dann auch Frauen gestattet sein, bis zu 4 Ehemänner heiraten zu können. Und natürlich dürfen dann ja auch gleichgeschlechtliche Ehepaare weitere Ehemänner und/oder Ehefrauen in ihren Familienkreis aufnehmen. Der Islam stellt hier alles auf den Kopf bzw. möchte das gerne tun. D.h. die Gesellschaft langsam umgestalten. Dann kommt natürlich auch die Forderung nach Einführung der Scharia und vieles mehr. Islamische Gepflogenheiten passen einfach nicht in nichtislamische Kulturen.
28.01.18
22:31
Johannes Disch sagt:
Sorry, aber vor allem erzählt Frau Hess Quatsch. Vor allem ihre Ausführungen über den Begriff "Leitkultur" zeigt, dass Sie sich nicht wirklich damit beschäftigt hat. Es ist das eine, was Friedrich Merz im Jahre 2000 und dann vergangenes Jahr Lothar de Maiziere mit dem Begriff gemacht haben. Seine Bedeutung ist aber von seinem Schöpfer Bassam Tibi klar und unmissverständlich definiert. Mit "Leitkultur" sind für alle verbindliche unverhandelbare Werte gemeint, damit ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft gelingen kann. Und diese Werte sind die der sogenannten "kulturellen Moderne" (Jürgen Habermas). Die wichtigsten sind: -- Säkulare Demokratie -- Trennung von Religion und Politik. -- (Individuelle) Menschenrechte Dass wir über diesen recht einfach zu verstehenden Begriff noch immer diskutieren-- 20 Jahre nach seiner Einführung-- zeigt, dass Deutschland einfach nichts dazu lernt und dass Leute wie die "Kulturanthropologin" Sabine Hess Diskussionen im Elfenbeinturm führt. Und dass der Dame die elementaren sozialwissenschaftlichen Grundlagen zum Thema "Islam/Migration/Integration" fehlen. "Kulturanthropologin"-- offenbar ein neumodischer Studiengang....
29.01.18
8:31
Johannes Disch sagt:
Hinzufügen sollte man noch, dass Bassam Tibi den Begriff "Leitkultur" nie deutsch, sondern immer europäisch definiert hat. Es ist nicht zu fassen, was manche Leute für pseudointellektuelle Pirouetten drehen um klar definierte Begriffe wie "Leitkultur" und "Integration." Die "Kulturanthropologin" Sabine Hess ist dafür ein gutes Beispiel. Da glaubt eine, das (Integrations)Rad müsste neu erfunden werden. Richtschnur für die Dinge in unserem Land sind unsere Verfassung und unsere Gesetze. Der demokratische Rechtsstaat legt den Rahmen und die Grenzen fest, innerhalb dessen Religionsfreiheit gelebt werden darf. Maßgebend dafür sind Art. 4 GG ("Religionsfreiheit") und das Religionsverfassungsgesetz. Wenn man in ein fremdes Land kommt, dann orientiert man sich an den Gesetzen, Sitten und Gebräuchen des Landes, um schnell akzeptiert und integriert zu sein. Dazu braucht es kein soziologisches oder "kulturanthropologisches" Seminar. Da genügt der gesunde Menschenverstand. Hinzukommen muss noch die Bereitschaft des Aufnahmelandes, die Neuankömmlinge zu akzeptieren. Und fertig ist die Integration! So einfach ist das im Grunde genommen.
29.01.18
12:10
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Vollkommen Ihrer Meinung!
02.02.18
18:16
Johannes Disch sagt:
@Manuel. Danke. Freut mich sehr.
06.02.18
13:40
Dennis sagt:
Das Grundgesetz bietet einen guten Rahmen für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen. Wozu Herr Disch die Begiffskrücke von der "Leitkultur" zu brauchen meint, wenn er damit doch nur die Werte des Grundgesetzes meint, bleibt rätselhaft. Vielleicht sollte er da mal reinschauen, statt den pauschalisierenden und banalen Quatsch eine Bassam Tibi über "den" Islam nachzuplappern.
12.02.18
10:21
Johannes Disch sagt:
@Dennis (Ihr Post vom12.02.18, 10:21) Keine Bange, ich kenne unser Grundgesetz. Ich mache Migranten und Flüchtlinge damit vertraut. Das gehört seit nun gut über anderthalb Jahrzehnten zu meinem Job.
13.02.18
13:08
Prinzessin Rosa sagt:
@Disch: Es ist eine Frechheit wie sie Frau Professor Hess abkanzeln nur wei sie scheints ihren Ausführungen nicht folgen können. Sie beschreibt den Diskurs um Integration sehr differenziert. Wenn sie nicht ihrer Meinung sind ist das kein Grund so unhöflich zu werden. Ein wichtiger Punkt den sie angesprochen hat ist der dass die Gesellschaft auch willig sein muss die sich zu Integrierenden aufzunehmen. Einfach formuliert: Viele rennen gegen die geschlossene Tür. Und das hat nichts mit Gesetzen zu tun sondern ist ein Mangel an Menschlichkeit.
09.03.18
9:39
Manuel sagt:
@Prinzessin Rosa : Erklären Sie mir mal, wieso wir uns tiefreaktionären, mittelalterlichen Dogmen des Islams unterwerfen sollen, damit es einigen Moslems ja passt?
11.03.18
20:48
Manuel sagt:
@Prinzessin Rosa: Und was Menschlichkeit betrifft, sollten Sie sich mal die islamischen Länder genau ansehen, dann wissen Sie wie der Islam Menschlichkeit definiert.
11.03.18
20:49
1 2