MUSLIMISCHE AKADEMIKER

“Anwendung der Intentionen der Scharia im Islamic Banking“

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen der Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Dr. Souheil Thabti über Islamic Banking in Deutschland.

04
02
2018
Souhail Thabti
Dr. Souheil Thabti © Adena Photography, bearbeitet iQ

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Souheil Thabti: Mein Name ist Souheil Thabti, ich bin 33 Jahre alt, gebürtiger Wolfsburger, verheiratet und Vater zweier Kinder. Meine Eltern kommen aus Tunesien. Studiert habe ich Islamwissenschaften/Arabistik und Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Nach Abschluss meines Studiums ließ ich mich in Bahrain zum Certified Sharia Advisor and Auditor bei der Accounting & Auditing Organization for Islamic Financial Institutions (AAOIFI) und zum Certified Islamic Finance Expert bei Ethica Insitute (Dubai) zertifizieren. Am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück habe ich 2012 bis 2014 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Islamisches Recht und Glaubenspraxis gearbeitet. Danach war ich bis Juni 2017 bei der neugegründeten KT-Bank als Ethik Manager für Islamic Compliance verantwortlich.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Doktorarbeit kurz vorstellen?

Thabti: Meine Dissertation setzte sich mit der Frage auseinander, wie man das, was die Scharia will, im Bankwesen umsetzen kann. Es ging darum, herauszufinden, was die Intentionen der Scharia sind und wie man diese Intentionen im Banking-Bereich anwenden kann. Der Titel der Dissertation lautete daher: „Die Anwendung der Intentionen der Scharia (maqāṣid aš-šarīʿa) im Islamic Banking in Deutschland“.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Thabti: Ich habe anfangs gedacht, dass eine Doktorarbeit lediglich eine wissenschaftliche Arbeit ist, mit einem gewissen Umfang und einer gewissen inhaltlichen Tiefe, die ein bestimmtes Thema beleuchtet, die der Doktorand dann abgibt und im Gegenzug einen Titel verliehen wird. Diesen Titel, den er mit Stolz trägt, verleiht ihm einen höheren gesellschaftlichen Status und ermöglicht ihm in nicht seltenen Fällen einen höheren Gehalt. Das ist zwar einerseits richtig und sicherlich nicht allzu abwegig, aber andererseits ist das reine Nebensache! Ich merkte im Denk- und Schreibprozess, dass die Anfertigung einer Doktorarbeit eine Reise ist; in meinem Fall eine Reise zu sich selbst. Das war auch der Grund, weshalb ich die Doktorarbeit so gesehen zweimal geschrieben habe.

Als ich meine Anmeldung für die Promotion beim Prüfungsamt einreichte, lautete das Thema der Doktorarbeit: Die muḍāraba im Einlagengeschäft islamischer Banken in Deutschland. Ich war relativ weit gekommen und erfreute mich daran, nach der Literaturrecherche innerhalb von wenigen Monaten thematisch fast abgeschlossen zu haben. Man sagt ja: Der Teufel steckt im Detail. Als ich mich dann im letzten Kapitel den Detailfragen im Zusammenhang mit der muḍāraba widmete und den unterschiedlichen Bestimmungen und Ausnahmeregelungen in den verschiedenen Rechtschulen, stellte ich mir die Frage: Warum? Warum all diese unterschiedlichsten Regelungen? Worum geht es überhaupt? Das war für mich das erste Schlüsselerlebnis, das mich veranlasste, weiter zu recherchieren und einen Richtungswechsel in Betracht zu ziehen.

Das zweite Schlüsselerlebnis, das dann auch der Grund war, das Thema der Doktorarbeit endgültig zu ändern und inhaltlich einen anderen Ansatz zu wählen, war meine Tätigkeit bei der ersten islamischen Bank in Deutschland. Ich hatte die Gelegenheit, bereits in der Projektphase – also vor der Gründung der Bank – mitgewirkt zu haben. Die vielen aufregenden und sehr spannenden und zum Teil kontroversen Diskussionen in der Projektphase waren sehr lehrreich für mich. Mir waren aus der Literatur die vielen sowohl aufsichtsrechtlichen und ökonomischen Hürden bekannt. Der Fokus lag in der Theorie immer nur darauf. Wenn diese gemeistert sind, dann ist Islamic Banking kein Problem.

Jedoch ist nach meiner praktischen Erfahrung der wichtigste und entscheidendste Faktor in der gesamten Thematik sowohl in der Theorie als auch in der Praxis bei fast allen Diskussionen völlig untergeblieben, nämlich der Mensch. Was ist es, was er will? Was sind seine Intentionen? Und bezogen auf Islamic Banking: Was ist sein Verständnis von Islam und was für ein Islamic will er? Daraufhin änderte ich das Thema und fokussierte mich auf die Frage, wie kann man die Intentionen der Scharia im Islamic Banking umsetzen. Um diese Frage ernsthaft beantworten zu können, kann man nicht allein über die rechtlichen Bedingungen und Voraussetzungen allein sprechen; diese Punkte sind in dem Zusammenhang von nachrangiger Bedeutung. Vielmehr sollte die grundsätzliche Frage gestellt werden: Was will derjenige, der behauptet, die Scharia umsetzen zu wollen und vor allem was versteht er darunter? Entspricht seine Intention der Intention der Scharia?

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Thabti: Mich treiben, bezogen auf Islam, grundsätzliche Fragen voran: Was will die Scharia? Was heißt es, Muslim zu sein? Ist Muslim sein eine Identität, die man trägt oder steckt mehr dahinter? Wieso bleibt der transformative Effekt, den wir aus der Zeit des Gesandten Muhammad (s) kennen, in unserer Zeit aus? Wie kann aus einer islamischen Perspektive ein wirtschaftliches Miteinander gelingen? Reicht für eine Überzeugung vom sog. Islamic Finance & Banking tatsächlich die Einhaltung der Form alleine aus?

Bezogen auf die gemachten Erfahrungen kann ich auch hinsichtlich negativer Erfahrungen aufgrund ihres erkenntnisreichen Gehalts nur von positiven berichten. Meine ersten Berührungen mit dem Thema Wirtschaft und Islam machte ich im Rahmen meiner Magisterarbeit, die sich mit dem Anlegerschutz im Islamic Finance befasste und die mein Interesse, weiter in dieser Richtung zu forschen, weckte. Mir eröffnete sich ein ganzheitliches Verständnis von Wirtschaft, das den Menschen und seine Umwelt berücksichtigt und nicht alleine darauf abstellt, wie Wirtschaft im von der Realität losgekoppelten Modell funktionieren sollte, um es dann auf die gelebte Realität anzuwenden; die weitreichenden Folgen sind uns spätestens seit der Finanz- und anschließenden Wirtschafts- und nunmehr auch Währungskrise bekannt.

Während meiner Zeit am Institut für Islamische Theologie habe ich dann die Möglichkeit bekommen, mich tiefer mit Islamic Banking aus islamrechtlicher Sicht auseinander zu setzen und war erstaunt über die Fülle an rechtlichem und historischem Material, das in der islamischen Tradition zu finden ist.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimische Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Thabti: Die Ergebnisse meiner Doktorarbeit können der muslimischen Gemeinschaft insofern nützlich sein, als dass sie grundsätzliche Fragen aufwerfen: Was verstehen wir Muslime unter Islam? Wie wollen wir in Bezug auf das wirtschaftliche Miteinander leben? Sind uns islamische Werte wirklich wichtig oder begnügen wir uns mit inhaltsleeren Begrifflichkeiten? Dafür müssten wir uns allerdings von vermeintlich islamischen Verständnissen lösen und outside the box denken. Eine zumindest für mich persönlich weitreichende Erkenntnis aus meiner Doktorarbeit ist die Einsicht, dass man dem Anschein nach einen nahezu rein formalistisch verstandenen Islam lebt und weniger einen werteorientierten. Das offenbart sich meiner Meinung nach beispielsweise in unserem Konsumverhalten, unserer Geringschätzung von Qualität und Fairness und sehr deutlich in der Halal-Fleisch-Frage und der Umsetzung von Islamic Banking.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Unabhängig vom Thema "Islamic Banking" stellt Herr Thabti wichtige Fragen, die auch Nicht-Muslime interessieren sollten: - -- "Wie wollen wir in Bezug auf das wirtschaftliche Miteinander leben??" Diese Frage stellt sich auch den Bürgern der EU. Die Kosten der Bankenkrise 2008 wurden von der Wirtschaft auf die Menschen übertragen, besonders auf die Griechen. Und das gilt nicht nur für die Bankenkrise, sondern generell für die Währungsunion, die vor allem der Wirtschaft nutzt. Es gibt sicher legitime Einwände gegen "Islamic Banking." Aber unser Wirtschaftssystem ist auch nicht grade der Hort der Gerechtigkeit.
12.02.18
13:52
Ute Fabel sagt:
Wenn Herr Thabti sich die Freiheit nimmt, mündigen Bürgern solche Bankprodukte zu empfehlen, nehme ich mir auch die Freiheit mündigen Bürger zu veranschaulichen, dass damit die Banken noch mehr auf ihre Kosten verdienen.
12.02.18
14:39
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch:"Herr Thabti stellt wichtige Fragen, die auch Nicht-Muslime interessieren sollten" Das tut er nicht! Der Titel seiner Arbeit lautet „Die Anwendung der Intentionen der Scharia im Islamic Banking in Deutschland". Das braucht Nichtmuslime beim besten Willen nicht zu interessieren. Auch Muslime sollten bei sich wirtschaftspolitischen Fragen an Experten mit einer einschlägigen Fachausbildung und praktischen Erfahrung orientieren und nicht an Theologen. Schuster bleibt bei deinen Leisten! Die "Dissertation" von Herrn Thabti ist ähnlich irrelevant für die sinnvolle Lösung brennender wirtschafts- und sozialpolitischer Fragen im 21. Jahrhundert als es eine Abhandlung über die „Allgemeinen Ermahnung“ von Karl dem Großen aus dem März 789 wäre, mit welcher das kirchliche Zinsverbot zum weltlichen Verbot wurde.
13.02.18
14:18
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 13.02.18, 14:18) Ich finde durchaus, dass Herr Thabti Fragen stellt, die sich auch Nicht-Muslime stellen müssten. Ich habe die Frage in meinem Post vom 12.02.18, 13:52 ja zitiert: -- "Wie wollen wir in Bezug auf das wirtschaftliche Miteinander leben?" (Souheil Thabti) Und kein Mensch, der die Finanzkrise 2008 und die Griechenlandkrise noch in Erinnerung hat und wer sich mit dem aktuellen desaströsen Zustand des internationalen Finanzsystems und dem trostlosen Zustand der EU befasst, kann ernsthaft bestreiten, dass wir uns diese Frage stellen müssen. Man beachte auch die interessanten und kenntnisreichen Ausführungen von Frau Müller bei dieser Diskussion.
13.02.18
22:44
Johannes Disch sagt:
Ich meine den Post von Frau "Karin Müller" vom 06.02.18, 19:48, hier auf Seite 1 zu finden.
13.02.18
22:46
grege sagt:
"Die Kosten der Bankenkrise 2008 wurden von der Wirtschaft auf die Menschen übertragen, besonders auf die Griechen" Das Wort "Griechen" sollte man hier getrost streichen. Für die Misere in Griechenland sind strukturelle Gründe speziell in diesem Land sowie das überbrodelnde Konsumverhalten dieses Landes im Vergleich zu seiner Wirtschaftskraft maßgebend, aber das ist ein anderes Thema.
15.02.18
13:01
Johannes Disch sagt:
Die Griechen haben sicher eine Menge Fehler gemacht und machen sie noch immer. (Kein funktionierendes Steuersystem, etc.) Aber auch die EU muss sich an die eigene Nase fassen: Man hat Warnungen, dass die griechischen Bilanzen, mit denen sich Griechenland in die EU schummelte, schlicht ignoriert, weil man eine Ausweitung der Eurozone um jeden Preis wollte. Das Problem geht aber tiefer als Griechenland. Es liegt in der Verfasstheit der EU. Das System ist zwar legal, aber nicht demokratisch. Eine Währungsunion ohne Fiskal-und Sozialunion kann nicht funktionieren. Allen Fachleuten war das von Anfang an klar. Die Kosten der Währungsunion werden vor allem den Bürgern aufgelastet. Das Kapital ist flexibel und kann fliehen. Die Bürger müssen bleiben. Insofern stellt sich tatsächlich die grundlegende Frage, die Herr Thabti stellt: Wie wollen wir wirtschaftlich Miteinander leben? Eine EU in ihrer jetzigen Form kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin nicht gegen die EU und nicht gegen ein vereinigtes Europa. Aber ich bin gegen diese EU! Die EU in ihrer aktuellen Verfassung und Verfasstheit braucht kein Mensch mehr! Und sie ist auch nicht mehr reformfähig.
16.02.18
21:34
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