US-Psychologe sieht in der Gesellschaft generelle Tendenz zur Radikalisierung. Wirtschaftliche Krisen, soziale Unsicherheit und die Psychologie des Einzelnen trügen dazu bei.
Die weltweite Offenheit für radikale Positionen war nach Einschätzung des US-Psychologen Arie Kruglanski noch nie so groß wie momentan. „Viele Menschen sind anfällig, und Extremisten nutzen das aus“, sagte der Professor der Universität Maryland am Mittwoch in Bonn. Um dieser Radikalisierung zu begegnen, brauche es eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Kruglanski äußerte sich bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung und des US-Generalkonsulats Düsseldorf.
Wirtschaftliche Krisen und soziale Unsicherheit trügen zur Polarisierung bei, sagte der Wissenschaftler, der Mitbegründer des „National Center for the Study of Terrorism and the Response to Terrorism“ ist. Die Wurzel des Problems liege jedoch beim Individuum. Daher gelte es, Erkenntnisse aus der Psychologie zu berücksichtigen. Dabei gehe es nur selten um klinische Erkrankungen: Der Anteil von psychisch Erkrankten sei unter Terroristen nicht größer als in der Gesamtbevölkerung, so Kruglanski.
Vielmehr gehe es darum, insbesondere jungen Menschen Alternativen aufzuzeigen. Sie litten heute vielfach unter einem Gefühl der Bedeutungslosigkeit, sagte der Forscher. Auch brauche es breite Allianzen gegen Gewalt. Bei bereits radikalisierten Personen könne es beispielsweise helfen, deren Familien einzubeziehen.
Wer nicht auf die Bedürfnisse der Menschen reagiere, dessen Ansprache drohe ins Leere zu gehen, warnte der Experte. Man erreiche Betroffene oft nicht auf argumentativer Ebene. Dies werde anschaulich bei Fällen, in denen sich scheinbar erfolgreiche, gut situierte Personen radikalisierten. „Auch Menschen, denen es materiell gut geht, können sich in ihrer sozialen Gruppe benachteiligt fühlen.“
Zudem könne die Aussicht, schnell und einfach zu einem vermeintlichen Helden zu werden, verlockender sein als ein durchschnittlicher Alltag, in dem man sich „okay“ fühle. So gäben extreme Positionen in der Politik vielen Menschen das Gefühl, dass sie selbst stärker berücksichtigt würden. Populisten jeglicher Couleur versprächen zudem einfache Lösungen, etwa durch „wir gegen sie“-Denkmuster. Sie vermittelten das Gefühl: „Du musst nicht mehr tun, als dich uns anzuschließen und die anderen zu bekämpfen“, so Kruglanski. Diese schlichte Botschaft steigere die Bereitschaft der Anhänger, sich zu engagieren. „Extremes Auftreten macht offenbar mehr Eindruck als moderate Töne.“
Nicht jeder persönliche Rückschlag lasse sich verhindern, erklärte Kruglanski weiter. Junge Menschen bräuchten daher das Rüstzeug, um mit Erfahrungen des Scheiterns fertig zu werden. Zugleich könne die Psychologie die aktuellen Probleme nicht allein lösen, denn Leid in Krisengebieten, Diskriminierung oder Arbeitslosigkeit seien reale Probleme. „Die ganze Gesellschaft ist gefragt“, so der Experte. Angesichts der Weltlage sei es nicht leicht, optimistisch zu sein. „Aber es gibt keine andere Möglichkeit, als zu lernen, dieser Entwicklung entgegenzutreten.“ (KNA/iQ)