Die Sozialdemokraten haben abgestimmt. Der Koalitionsvertrag wurde von den Genossen mehrheitlich angenommen und der Großen Koalition zugestimmt. Was bedeutet das nun für die Muslime im Land? Nurefşan Şereflican hat den Vertrag unter die Lupe genommen.
Die SPD-Mitglieder haben abgestimmt. Rund 66% der Sozialdemokraten stimmten mit einem „Ja“ und ebnen jetzt den Weg für die Großkoalition. Der Weg war jedoch steinig. Nach einer monatelangen Phase der Koalitionsverhandlungen hatten sich CDU, CSU und SPD am 07. Februar 2018 auf einen Koalitionsvertrag einigen können.
Zuvor hatten CDU und CSU versucht sich mit den Grünen und Liberalen zu einer Koalition zu einigen, bis die Liberalen die Koalitionsverhandlungen platzen ließen. Es sei besser, so Christian Lindner von der FDP, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Nach diesem Gesprächsaus zeigte die SPD wieder Gesprächsbereitschaft, obwohl sie nach der Wahl lieber Opposition bleiben wollte. Alternativen wie Neuwahlen oder Minderheitsregierung wurden nicht wirklich in Betracht gezogen, sodass CDU, CSU und SPD sich dann doch zu einem Koalitionsvertrag einigen konnten.
In dem Koalitionsvertrag mit dem ambitionierten Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ versuchen CDU, CSU und SPD trotz großer Kritik noch einmal für eine Große Koalition zu werben. In den nächsten vier Jahren soll Deutschland noch gerechter, wirtschaftlich stärker, sicherer und lebenswerter in allen Regionen werden.
Nun können unterschiedliche Aspekte des Vertrages näher betrachtet werden, seien es umwelt-, arbeits- oder genderpolitische Aspekte. Als in Deutschland lebende muslimische Staatsbürgerin mit Migrationshintergrund verdienen für mich migrations- und religionspolitische Maßnahmen Aufmerksamkeit. Für viele andere muslimische BürgerInnen und Menschen mit Migrationshintergrund stellt sich die Frage, in wieweit sich die drei potenziellen Koalitionspartner sich genau zu diesen Themen verhalten und welche politischen Versprechen sie an ihre Bürger für die nächsten Regierungsjahre geben.
Zunächst ist es erfreulich, dass sich die Koalitionspartner zu Beginn des Vertrages für eine europafreundliche Politik und sich klar gegen Protektionismus, Isolationismus und Nationalismus aussprechen. Diese Haltung kann man durchaus als Reaktion zu den nationalistischen Parolen der rechtspopulistischen Partei AfD verstehen.
Diese Haltung ändert aber nichts daran, dass in den migrationspolitischen Aussagen und Maßnahmen problematische Äußerungen vorhanden sind. Die Koalitionspartner bekennen sich zum vom Grundgesetz geschützten Asylrecht. Dennoch scheinen sie darüber einig zu sein, die Zuwanderung von Menschen, die primär keinen wirtschaftlichen Nutzen haben, zu begrenzen und zu reduzieren. Man spricht davon, auch im europäischen Kontext, die Migration zu steuern und zu ordnen.
Der Grund dafür macht sich durch eine auffällige Begrifflichkeit bemerkbar: die Integrationsfähigkeit. Die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft dürfe nicht überfordert werden. Integrationsfähigkeit bemesse sich dabei nicht nur daran, wie die Aufnahme und Integration zugewanderter Menschen in die Gesellschaft gelingt, vielmehr beinhalte sie auch den Anspruch, die Lebensbedingungen der hier lebenden Menschen gerade angesichts der zu bewältigenden Zuwanderung zu berücksichtigen. Trotz sorgfältig ausgewählter Wortwahl, hört man die allzu bekannte Argumentation der rechtspopulistischen Seiten heraus: Die Zuwanderung beeinträchtige das Leben der in Deutschland lebenden (deutschen) Einheimischen nachteilig. Auch wenn im Koalitionsvertrag bewusst keine wertenden Begriffe benutzt werden, ist mit dem Begriff der Integrationsfähigkeit nichts Positives zu erwarten.
Deshalb wolle man die Migrationsbewegungen nach der „Integrationsfähigkeit“ steuern und begrenzen, damit sich „eine Situation wie 2015 nicht wiederholt“. Sehen wir mal davon ab, dass völlig unreflektiert ein sehr ominöser Begriff wie die der Integrationsfähigkeit als Maß zukünftiger Migrationspolitik benutzt wird. Die „Wir schaffen das“ – Parolen der Bundeskanzlerin Merkel scheinen völlig vergessen, ihre vielleicht humanste Entscheidung, die Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, werden nun als Fehler quittiert. Auch diese Aussage eine Reaktion auf die AfD, aber eine, die auf ihre Wählerschaft abzielt. Das hindert aber nicht an Eigenlob: Die Bunderepublik habe sich in den vergangenen Jahren in einzigartiger Weise humanitär engagiert. Menschen, die von Krieg und Verfolgung betroffen seien, biete man Schutz. Man habe das Recht zu wissen, wer im Land leben will, dazu würden besondere Mitwirkungspflichten durch die Ankommenden bestehen. Zudem strebe man an, nur diejenigen auf die Kommunen zu verteilen, bei denen eine positive Bleibeprognose bestehe. Alle anderen sollen aus den Einrichtungen in die Heimatländer zurückgeführt werden. Sei es nun Abschiebung, Rückführung oder freiwillige Rückkehr. Die Betonung liegt auf Reduzierung der
Einwanderung.
Neben der Flüchtlingspolitik wird die Erwerbsmigration erwähnt. Zu berücksichtigen für den Zuzug nach Deutschland seien der Bedarf der Volkswirtschaft, Qualifikation, Alter, Sprache sowie der konkrete Nachweis eines Arbeitsplatzes und die Sicherung des Lebensunterhalts.
Mit einer „klug gesteuerten Einwanderungspolitik für Fachkräfte“ unterstütze man die Schaffung von Arbeitsplätzen und verringere spürbar die Attraktivität illegaler und ungesteuerter Einwanderung. Man bekenne sich zur Integration derjenigen mit dauerhafter Bleibeperspektive. Willkommen sind also nur Fachkräfte, die der nationalen Wirtschaft zugutekommen. Dass Bildungs-, Weiterbildungs- und Anerkennungsmaßnahmen für Flüchtlinge dem Fachkräftemangel zugutekommen würden, scheint den Koalitionspartnern entgangen zu sein. Ob schon in Deutschland angekommene Menschen abzuschieben, anstatt in diese zu investieren, sich vorteilig auswirkt, ist zu bezweifeln.
Neben migrationspolitischen Aussagen, werden die religions- und islampolitische Aussagen unter dem Unterkapitel „Kunst, Kultur und Medien“ zusammengefasst. Einige dieser, die insbesondere die Muslime in Deutschland betreffen, sind wie folgt:
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften seien identitätsstiftend und wertevermittelnd und würden einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft in Deutschland und Europa leisten. Man wolle den Dialog und die Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verstärken. Dies gelte insbesondere auch mit Blick auf die Integration der Muslime in Deutschland.
Die kulturelle und religiöse Vielfalt Deutschlands wäre bereichernd, sei aber nicht frei von Spannungen. Gemeinsame Werte, Respekt vor dem Anderen und die Bereitschaft, Widersprüche auszuhalten, seien Voraussetzungen für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander.
Das Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften würdige man. Sie seien wichtiger Teil der Zivilgesellschaft und Partner des Staates. Auf Basis der christlichen Prägung des Landes setze man sich für ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander in Vielfalt ein. Man suche das Gespräch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften und ermutige sie zum interreligiösen Dialog. Man werde Antisemitismus entschieden bekämpfen und ebenso anti-islamischen Stimmungen entgegentreten.
Beim Betrachten dieser Passagen fallen bestimmte Dinge auf: Zum einen ist es befremdlich, dass die Religions- und Islampolitik unter den Aspekt der Kulturpolitik zusammengefasst wird. Zumal die großen Parteien schon in ihren Wahlprogrammen oftmals eigene Abschnitte zur Religionspolitik haben. Auch wenn das nicht nur Muslime betrifft stellt sich die Frage, warum die Koalitionspartner so eine Entscheidung getroffen haben. Zum anderen fallen dem Leser die unterschiedlichen religionspolitischen Auffassungen der Koalitionspartner auf. Der Islam bzw. die islamischen Religionsgemeinschaften werden explizit nicht genannt. Die Rede ist nur von „Muslimen in Deutschland“. Zudem werden Muslime nur im Kontext eines Integrationsbedarfs erwähnt, den die Koalitionspartner wörtlich festhalten. Die muslimische Gemeinschaft wird mit dieser Entscheidung der Koalitionspartner wieder einmal nur als eine integrationsbedürftige Gruppe beschrieben.
Gewürdigt werden die etablierten Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es ist leider nie die Rede von muslimischen Religionsgemeinschaften, nicht einmal von muslimischen Verbänden. Obwohl gerade die Moscheegemeinschaften sehr viel in der Flüchtlingshilfe geleistet haben und noch immer leisten.
Dennoch merkt man, dass nicht nur CSU und CDU am Tisch der Koalitionsverhandlungen saßen. Die Islamfeindlichkeit und die immer wieder stattfindenden Moscheeangriffe werden zwar nicht erwähnt, aber immerhin wird von anti-islamischen Stimmungen gesprochen, denen man entgegentreten möchte. Wobei diese Wortwahl sehr verharmlosend klingt, wenn man in Betracht zieht, dass Gewalt gegen Muslime und ihre Moscheegemeinden ausgeübt werden.
Wenn es hingegen um den „Islamismus“ geht, werden sehr wohl Begriffe zur Beschreibung gefunden. Mal ist die Rede von islamistischem Extremismus und Terrorismus, mal vom radikalen Islam. Die Aussagen und Erwartungen werden hier ungewöhnlich konkret:
Das Nationale Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus wolle man über das Jahr 2018 hinaus fortführen. Zur Verbesserung der Sicherheit werde das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Bereich der zentralen Auswertung und Analyse in Angelegenheiten des islamistischen Terrorismus sowie bei länderübergreifenden extremistischen Phänomenen von bundesweiter Bedeutung seine Steuerungsfunktion verstärkt wahrnehmen, auch bei solchen, die zunächst keinen unmittelbaren Gewaltbezug aufweisen. Gerade im weiterwachsenden Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus wolle man Prävention und Deradikalisierung weiter stärken, national und auf EU-Ebene.
Man werde den radikalen Islam in Deutschland zurückdrängen. Man erwarte, dass Imame aus dem Ausland Deutsch sprechen. Radikalisierte Moscheen werde man beobachten und gegebenenfalls schließen. Man stelle sicher, dass öffentliche Gelder des Bundes nicht an Einrichtungen und Initiativen vergeben werden, die verfassungsfeindliche Tendenzen aufweisen. Man werde die Deutsche Islam Konferenz fortsetzen. Es ist schon auffällig, dass die Fortsetzung der Deutschen Islam Konferenz nicht am Anfang der religionspolitischen Aussagen Platz findet, sondern bei der Islamismusprävention.
Leider orientiert sich das Versprechen einer Großen Koalition mit nicht mehr großen Volksparteien an einer wachsenden Wählerschaft. Diese Wählerschaft überzeugt man mit begrenzter Integrationsfähigkeit, steuernder und ordnender Migrationspolitik, die sich klug am Nutzen der Menschen für die Nationalwirtschaft orientiert und konsequent Abschiebungen ausführt. Diese Wählerschaft scheint den radikalen Islam ganz genau im Blick haben zu wollen, während sie ihre Mitmenschen islamischen Glaubens schlichtweg übersieht.