Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen der Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute Ibrahim Yazıcı über islamische Sakralbauten und deren Einfluss auf urbane Entwicklungen.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Ibrahim Yazıcı: Mein Name ist Ibrahim Yazıcı. Ich bin 1982 in Rendsburg geboren und habe Rechtswissenschaften, Europäische Ethnologie/Volkskunde im Hauptfach und in den Nebenfächern Neue Deutsche Literatur/Medien, Islamwissenschaften und Neueste Geschichte an der Christian-Albrechts Universität studiert. Meine Magisterarbeit trägt den Titel „Ins Kino gehen. Eine kulturelle Praxis der 50er und 60er Jahren“. Während meines Studiums habe ich zwei Jahre im Archiv der Kulturwissenschaftlichen Fakultät in Kiel gearbeitet. Seit dem WS 2012/2013 bin ich Promotionsstudent am Lehrstuhl von Prof. Werner Schiffauer (Vergleichende Kultur-und Sozialanthropologie) an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Arbeit kurz vorstellen?
Yazıcı: In meiner Dissertation erforsche ich den Moscheebau, genauer gesagt die Entstehung, den Bau und dessen Folgen in meiner Geburtsstadt Rendsburg. Die Gemeinde hat es mit Eigeninitiative geschafft, aus ihrer Außenseiterrolle heraus zu gehen. Diese Initiative ist für mich der erste Schritt einer Etablierung in der Gesellschaft. Die vorerst inversierte „Hinterhofmoschee“ exversiert, macht sich als religiöser Raum erkenntlich. Muslime haben für ihre religiösen Bedürfnisse einen anschaulichen Raum geschaffen, der nicht nur das Stadtbild verändert. Eingestiegen bin ich mit dem Titel „Islamische Sakralbauten und deren Einfluss auf urbane Entwicklungen, soziale Erfahrungen und Infrastruktur. Eine kulturelle Bewusstseinsanalyse der Rendsburger Moschee“. Meine bisherigen Forschungsergebnisse haben meinen Blickpunkt erweitert, so dass sehr interessante Zusammenhänge deutlich geworden sind. Meine Forschung ist nicht im Bereich der Konfliktforschung angesiedelt. Vielmehr versuche ich Religiosität als etwas Normales zu betrachten und die reale, islamisch motivierte Kultur nachzuzeichnen. Wenn es Tempel und Friedhöfe sind, die einen Menschen beheimaten, dann erforsche ich die kulturelle Praxis des In-die-Moschee-Gehens in Deutschland, als religiösen Akt innerhalb der Zugehörigkeit zur Stadt und zum Land, in dem sich diese Moscheebesucher befinden.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Yazıcı: Ja, es gibt ein Schlüsselergebnis. 2009 habe ich am 37. Kongress der Deutschen Volkskunde in Freiburg teilgenommen. Hier hat mein jetziger Doktorvater Prof. Werner Schiffauer seine ersten Forschungsergebnisse zu seinem später erschienenen Buch: „Nach dem Islamismus: Eine Ethnografie der Islamischen Gemeinde Millî Görüş“ vorgestellt. Der Titel seines Vortrages lautet „Religion in Bewegung – Der Islam in Europa als transnationales Phänomen“. Bei seinem Vortrag habe ich mich und meine Gemeinde selbst als Forschungsobjekt erkannt. Im Anschluss fragte ich Herrn Schiffauer, ob er über Muslime in Deutschland oder „deutsche Muslime“ spricht. Diese Frage konnte oder wollte er nicht sofort beantworten. So haben wir nach dem Vortrag ein Gespräch geführt und uns auf ein Wiedersehen geeinigt.
Mittlerweile bin ich seit fast fünf Jahren im Kolloquium von Prof. Schiffauer. Neben all den Studien über den Islam und die Muslime habe ich mich für eine Geschichte „über uns – von uns“ entschieden. In der Vergleichenden Kultur- und Sozialanthropologie ist meine emotionale Nähe zum Thema kein Problem, sondern eine Bereicherung, denn ich habe einen direkten Einblick und viele Erinnerungen und Beobachtungen aus der Vergangenheit.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?
Yazıcı: Ich habe keine positiven oder negativen Erfahrungen gemacht. Interessant ist für mich, dass aktuelle politische Debatten Meinungen und Ansichten von Akteuren beeinflussen und es in meinem Forschungsfeld bereits Menschen gibt, die in die Türkei emigriert sind. Auf der anderen Seite gibt es Akteure, die sagen: „Jetzt bleibe ich erst recht hier, weil ich eine Verantwortung für die Aufklärung der Menschen habe“.
Mich treiben die Geschichten der Akteure an. Jeder Einzelne hat eine besondere und eigene Geschichte, dessen Zentrum die Moschee ist. Diese Geschichte des Otto-Normal-Muslims, der sich für das Wohl seines unmittelbaren Lebensumfeldes einsetzt, muss auch erzählt werden.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimische Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Yazıcı: In erster Linie soll in meiner Arbeit die islamische Religiosität als etwas Normales und nicht im Zusammenhang mit Konflikten des Moscheebaus oder der vermeintlichen Nichtintegrierbarkeit von Muslimen behandelt werden. Meine Forschung ist lediglich ein Versuch, Muslime als einen Teil der Bundesrepublik zu verorten. Sie haben aus dem Bedarf nach religiöser Dienstleistung diese Verantwortung übernommen und für ihre Glaubensgeschwister und deren Kinder Moscheen in Deutschland gebaut. Ihnen gebührt großer Dank. Des Weiteren zeigen die Forschungsergebnisse, dass islamische Kultur in Deutschland gelebt wird und Muslime sich ihren festen Platz in der Gesellschaft erarbeitet haben, auch wenn es manche Populisten nicht wahrhaben möchten.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.