Viktor Orban darf sich als starker Mann fühlen. Seinen harten Kurs gegen eine vermeintliche Überfremdung will er sich bei den Wahlen am 8. April bestätigen lassen. Islamfeindlichkeit hat in Ungarn eine gewisse Tradition.
Im Juni 1989 zerschnitten die Außenminister Ungarns und Österreichs einen Grenzzaun zwischen ihren Ländern: das erste Loch im Eisernen Vorhang. Im Mai 2004 durfte Ungarn in eine erweiterte EU eintreten – und feierte es stolz als „Rückkehr in die europäische Völkerfamilie“. Seitdem ist viel geschehen. „Brüssel“ wird als neuer Fremdherrscher in Ungarns an Fremdherrschaften langen Geschichte verfemt. Seit 2010 hat Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner nationalkonservativen Fidesz-Partei die verfassungsmäßigen Strukturen des Staates grenzwertig umgebaut.
Am 8. April will sich der Populist bei den Parlamentswahlen seine stabile Mehrheit verlängern lassen und weiter durchregieren. Nur wenig spricht dafür, dass das nicht gelingt. Die Opposition präsentiert sich zersplittert, zerstritten, handlungsunfähig. Allein die einst rechtsradikale Jobbik-Partei, die sich nun mitte-rechts präsentiert, kann noch mit zweistelligen Werten rechnen. Mögliche Wahlbündnisse werden durch das geänderte Wahlrecht benachteiligt.
Orbans Rede von der Überfremdung durch „Merkels Migranten“ verfängt – obwohl Ungarn selbst gar keine aufnimmt. Das Land, das einst den Eisernen Vorhang zerschnitt, baut heute neue Zäune. Zum damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), inzwischen Bundesinnenminister, sagte Orban zu Jahresbeginn im Kloster Seeon: „Betrachten Sie mich nach wie vor als Ihren Grenzschutzkapitän.“
Die Islamfeindlichkeit kommt nicht von ungefähr. Sie hat in Ungarn eine lange Tradition. Die „Katastrophe von Mohacs“ 1526 ist ein kollektives Trauma – wie auch die Beschneidung des einstigen Königreichs Ungarn im Vertrag von Trianon 1920 auf ein Drittel seiner einstigen Fläche; die anderen zwei Drittel fielen damals den neu gegründeten Nachbar- und Nachfolgestaaten zu: Rumänien, der Tschechoslowakei, Kroatien.
In Mohacs hatte das ungarische Heer 1526 gegen die osmanischen Truppen unter Süleyman I. eine vernichtende Niederlage bezogen. Die Muslime konnten große Teile Ungarns unterwerfen. Durch den Tod des Ungarnkönigs Ludwig II. fielen Böhmen und Ungarn an den späteren Habsburgerkaiser Ferdinand I. Vor den Jahrestagen dieser größten nationalen Niederlagen – Mohacs und Trianon – kann Orban mit Angst vor einer islamischen Bedrohung und mit Nationalstolz auf sicheren Stimmenfang gehen.
Dementsprechend spricht und agiert er. Ungarn vertritt eine strikte Flüchtlingspolitik. Orban verkündet, mit einer Masseneinwanderung aus Afrika könnten „die schlimmsten Albträume“ wahr werden. „Wenn die Dinge so weitergehen, wird unsere Kultur, unsere Identität und unsere Nationen, so wie wir sie kennen, aufhören zu bestehen.“ Der Westen werde durch die schiere Masse der Einwanderer fallen – „während Europa nicht einmal bemerkt, dass es überrannt wird“.
Am vergangenen Wochenende wurde der Regierungschef bei einer Rede vor Zehntausenden Zuhörern noch martialischer: „Wenn Europa nichts unternimmt, dann werden sie unsere Tür mit den Füßen eintreten. Und Brüssel schützt Europa nicht, es will die Einwanderung nicht aufhalten, sondern unterstützen und organisieren.“ Das Christentum, meint Orban, sei „Europas letzte Hoffnung.“ Und ein Großteil der zehn Millionen Ungarn und auch der ungarischen Kirche steht hinter dieser Haltung.
Doch was für ein Christentum meint er, das keinen Unterschied macht zwischen Notleidenden und böswilliger islamischer Überfremdung? Am deutlichsten in der ungarischen Kirche setzt sich der Bischof von Vac (dt. Waitzen), Miklos Beer, für Flüchtlinge ein. Das Evangelium verpflichte Christen zu Hilfe für Menschen in Not, betont er. Wer bloß sage, Flüchtlinge sollten lieber zu Hause bleiben, statt nach Europa zu kommen, mache es sich zu einfach. Wenn man auf Ungarisch ausdrücken möchte, dass es auch schlimmer hätte kommen können – etwa bei einem Blechschaden oder einem falschen Schritt auf dem Börsenparkett -, lautet bis heute ein gängiges Sprichwort: „Bei Mohacs ist mehr verloren gegangen!“ Hoffentlich lässt sich das auch nach den Wahlen vom 8. April sagen. (KNA, iQ)