Ungarn

„Christentum ist Europas letzte Hoffnung“

Viktor Orban darf sich als starker Mann fühlen. Seinen harten Kurs gegen eine vermeintliche Überfremdung will er sich bei den Wahlen am 8. April bestätigen lassen. Islamfeindlichkeit hat in Ungarn eine gewisse Tradition.

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03
2018
Viktor Orban © Facebook, bearbeitet by iQ.
Viktor Orban © Facebook, bearbeitet by iQ.

Im Juni 1989 zerschnitten die Außenminister Ungarns und Österreichs einen Grenzzaun zwischen ihren Ländern: das erste Loch im Eisernen Vorhang. Im Mai 2004 durfte Ungarn in eine erweiterte EU eintreten – und feierte es stolz als „Rückkehr in die europäische Völkerfamilie“. Seitdem ist viel geschehen. „Brüssel“ wird als neuer Fremdherrscher in Ungarns an Fremdherrschaften langen Geschichte verfemt. Seit 2010 hat Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner nationalkonservativen Fidesz-Partei die verfassungsmäßigen Strukturen des Staates grenzwertig umgebaut.

Am 8. April will sich der Populist bei den Parlamentswahlen seine stabile Mehrheit verlängern lassen und weiter durchregieren. Nur wenig spricht dafür, dass das nicht gelingt. Die Opposition präsentiert sich zersplittert, zerstritten, handlungsunfähig. Allein die einst rechtsradikale Jobbik-Partei, die sich nun mitte-rechts präsentiert, kann noch mit zweistelligen Werten rechnen. Mögliche Wahlbündnisse werden durch das geänderte Wahlrecht benachteiligt.

Orbans Rede von der Überfremdung durch „Merkels Migranten“ verfängt – obwohl Ungarn selbst gar keine aufnimmt. Das Land, das einst den Eisernen Vorhang zerschnitt, baut heute neue Zäune. Zum damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), inzwischen Bundesinnenminister, sagte Orban zu Jahresbeginn im Kloster Seeon: „Betrachten Sie mich nach wie vor als Ihren Grenzschutzkapitän.“

Islamfeindlichkeit in Ungarn

Die Islamfeindlichkeit kommt nicht von ungefähr. Sie hat in Ungarn eine lange Tradition. Die „Katastrophe von Mohacs“ 1526 ist ein kollektives Trauma – wie auch die Beschneidung des einstigen Königreichs Ungarn im Vertrag von Trianon 1920 auf ein Drittel seiner einstigen Fläche; die anderen zwei Drittel fielen damals den neu gegründeten Nachbar- und Nachfolgestaaten zu: Rumänien, der Tschechoslowakei, Kroatien.

In Mohacs hatte das ungarische Heer 1526 gegen die osmanischen Truppen unter Süleyman I. eine vernichtende Niederlage bezogen. Die Muslime konnten große Teile Ungarns unterwerfen. Durch den Tod des Ungarnkönigs Ludwig II. fielen Böhmen und Ungarn an den späteren Habsburgerkaiser Ferdinand I. Vor den Jahrestagen dieser größten nationalen Niederlagen – Mohacs und Trianon – kann Orban mit Angst vor einer islamischen Bedrohung und mit Nationalstolz auf sicheren Stimmenfang gehen.

Dementsprechend spricht und agiert er. Ungarn vertritt eine strikte Flüchtlingspolitik. Orban verkündet, mit einer Masseneinwanderung aus Afrika könnten „die schlimmsten Albträume“ wahr werden. „Wenn die Dinge so weitergehen, wird unsere Kultur, unsere Identität und unsere Nationen, so wie wir sie kennen, aufhören zu bestehen.“ Der Westen werde durch die schiere Masse der Einwanderer fallen – „während Europa nicht einmal bemerkt, dass es überrannt wird“.

„Christentum ist Europas letzte Hoffnung“

Am vergangenen Wochenende wurde der Regierungschef bei einer Rede vor Zehntausenden Zuhörern noch martialischer: „Wenn Europa nichts unternimmt, dann werden sie unsere Tür mit den Füßen eintreten. Und Brüssel schützt Europa nicht, es will die Einwanderung nicht aufhalten, sondern unterstützen und organisieren.“ Das Christentum, meint Orban, sei „Europas letzte Hoffnung.“ Und ein Großteil der zehn Millionen Ungarn und auch der ungarischen Kirche steht hinter dieser Haltung.

Doch was für ein Christentum meint er, das keinen Unterschied macht zwischen Notleidenden und böswilliger islamischer Überfremdung? Am deutlichsten in der ungarischen Kirche setzt sich der Bischof von Vac (dt. Waitzen), Miklos Beer, für Flüchtlinge ein. Das Evangelium verpflichte Christen zu Hilfe für Menschen in Not, betont er. Wer bloß sage, Flüchtlinge sollten lieber zu Hause bleiben, statt nach Europa zu kommen, mache es sich zu einfach. Wenn man auf Ungarisch ausdrücken möchte, dass es auch schlimmer hätte kommen können – etwa bei einem Blechschaden oder einem falschen Schritt auf dem Börsenparkett -, lautet bis heute ein gängiges Sprichwort: „Bei Mohacs ist mehr verloren gegangen!“ Hoffentlich lässt sich das auch nach den Wahlen vom 8. April sagen. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Orbans Auffassung vom Christentum ist recht unchristlich.
28.03.18
11:04
Manuel sagt:
Atheismus ist Europas letzte Hoffnung, Europa sollte der Welt zeigen, dass es keiner Religion bedarf, besonders nicht Staat.
28.03.18
20:02
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch. "Orbans Auffassung vom Christentum ist recht unchristlich." Europa sollte auf aufgeklärtes Gedankengut und die Verteidigung und den Ausbau der Emanzipation des Staates von Religionen setzen. Damit bewegt sich unser Kontinent wohl am besten in die Zukunft. Es ist zwar löblich, dass sich Bischof Miklos Beer die Hilfe für Menschen in Not als die zentrale christliche Botschaft aus den Evangelien herauspickt. Allerdings ist das intellektuell nicht ganz redlich. Die Evangelien transportieren klar einen absoluten Wahrheitsanspruch und damit unmissverständlich auch Intoleranz und Geringschätzung gegenüber Andersdenkenden: Markus 16:16: Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. Johannes 14:6: Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Mit diesen Bibelversen steht die Sichtweise des Christentums von Herrn Orban gut in Einklang.
29.03.18
11:29
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post 29.03.18, 11:29) Würde sich die Menschheit nach der Bergpredigt richten, dann wäre diese Welt wohl eine bessere. Und auch im Koran finden sich Passagen, die ethisch dasselbe Niveau haben wie die Bergpredigt.
30.03.18
14:18
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: Halten Sie die Jesusworte in der Bergpredigt zum Ehebruch, an die sich ein nicht näher bekannter Matthäus wahrscheinlich um das Jahr 85 unserer Zeitrechnung zu erinnern glaubt, ernsthaft für eine zivilisierte ethische Richtschnur, welche die die Menschheit in eine bessere Welt geführt hat? Vom Ehebruch Mt 5,27 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Mt 5,28 Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. Mt 5,29 Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Mt 5,30 Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt. Aber wahrscheinlich habe ich das jetzt wieder alles ganz falsch ausgelegt! "Theologen" werden in diesen Bibelversen einfach nur eine etwas temperamentvollere Spielart der unendlichen Liebe und Barmherzigkeit des Gottessohns erkennen.
30.03.18
18:53
Frederic Voss sagt:
Die Bibeltexte und die Korantexte bieten ein umfassendes Sammelsurium an Vorlagen, Empfehlungen und Anleitungen für alle Belange und Vorstellungen. Wie in einem Selbstbedienungsladen kann man sich hierbei bedienen. Nicht umsonst gibt es eine ausführliche, faktenreiche "Kriminalgeschichte des Christentums". Wann wird eine "Kriminalgeschichte des Islams" zusammengestellt und dokumentiert?
01.04.18
12:35
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 30.03.18, 18:53) Natürlich haben sich gewisse Dinge seit der Bergpredigt verändert, so beispielsweise die Sexualmoral. Aber der Kern des Christentums ist zutiefst humanistisch. -- "Ihr habt gehört, Auge um Auge, Zahn um Zahn: Ich aber sage euch: Wer euch auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die linke hin." (Jesus) Der Kern des Christentums ist Barmherzigkeit und Verzeihung. Inhaltlich ähnliche Aussagen finden sich auch im Koran: "Wer einen Menschen umbringt, das ist, als hätte er die ganze Menschheit getötet." Und dass nicht nur Ketzer die Menschheit vorangebracht haben, sondern auch gläubige Menschen, dafür gibt es viele Beispiele. Nehmen wir den großen russischen Romancier Leo Tolstoi. Dessen Auseinandersetzung mit dem Christentum ist bis heute vorbildlich und kann als Richtschnur dienen.
02.04.18
19:58
Emanuel Schaub sagt:
Hallo Ute Fabel, den Hinweis auf die ach so ethische "Bergpredikt" (wo warenresp.sind da Berge?) erinnert mich an den Philosophen Dr.Kurt Port (Bücher sind nur noch antquarisch erhältlich) wo er diese mithillfe seiner Wertidealischen Methode gereaderückt sprich :blosslegt... NUR ,wenn tatsächlich alle Religionen resp. die Sekten genannten Gruppierungen wegfallen... würden ...wie gross wäre dann der Verbrauch von Ersatz... Hilfsmitteln .. dieses Leben hienieden zu ertragen?? mfg emanuel schaub
03.04.18
12:27
Johannes Disch sagt:
@Kurt Port Das ist der mit der "Sexdiktatur", nicht? Der Philosoph Kurt Port ist so bedeutsam, dass er noch nicht einmal einen Eintrag bei "Wikipedia" hat.
05.04.18
22:13
Prinzessin Rosa sagt:
...um der sache mal etwas substanz zu geben, seit dem zweiten vatikanischen konzil hat die katholische kirche offiziel ihren alleinigen anspruch auf heil und eingang ins paradies aufgegeben...
19.04.18
11:21
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