Constantin Schreiber veröffentlichte letztes Jahr sein Buch „Inside Islam“ und seinen „Moscheereport“ auf ARD. Weitere Folgen sind demnächst geplant. Ozan Z. Keskinkılıç hat das Buch für IslamiQ rassismuskritisch rezensiert und ist auf typische Muster des antimuslimischen Rassismus gestoßen.
„Es ist eine Schwelle, die die wenigsten Deutschen überschreiten: die in eine der zahlreichen Moscheen in unserem Land.“ Der erste Satz in Constantin Schreibers Buch mit dem bescheidenen Titel „Inside Islam“ steht geradezu exemplarisch für die Eigenart hiesiger Islamdebatten und fasst die Rhetorik der gesamten Reportage in wenigen Worten zusammen. Das Motto: „Wir“ werden von „den Muslimen“ in „unserem“ Land bedroht, überfremdet und hinters Licht geführt.
8 Monate lang reiste der Journalist und Tagesthemen-Reporter durch das Land und besuchte dreizehn Moscheen zum Freitagsgebet mit vielen Fragen im Reisegepäck: „Sind die Moscheen Räume eines persönlichen Glaubens oder politische Zonen? Was wird dort wirklich gepredigt, und wie sprechen die Imame über Deutschland? Wie radikal sind die Moscheen in Deutschland? Und: Welchen Beitrag leisten sie zur Integration?“ (S. 233)
Wie Alice im Wunderland wagt der Protagonist die Reise durch das vermeintlich Mysteriöse. Er betritt Welten, die nur Wenige zu Gesicht bekämen und bewegt sich somit zwischen Exotisierung und Dämonisierung. Moscheen entwirft er als „unbekannte Orte“ (S. 14), die scheinbar gar nicht deutsch sein könnten. Konsequent bemüht der Journalist einen starren Dualismus, der die Trennung zwischen „Norm“ und „Abweichung“, „gut“ und „böse“, zwischen „hier“ und „dort“, „deutsch“ und „muslimisch“ entlang von Kultur, Religion und Herkunft kartografisch an Körpern sortiert. Dabei legt er ein außergewöhnliches Talent an den Tag, Religion, Migrationsbiografien, ja sogar Staatsbürgerschaft, am Gesicht seines Gegenübers abzulesen: „Einige der Besucher sind Schwarzafrikaner. Sie wirken arm. Vielleicht sind sie Flüchtlinge.“ (S. 120) oder „Zum ersten Mal sehe ich Deutsche: drei blonde junge Männer“ (S. 121), berichtet der Journalist von einem Moscheebesuch.
Der Prozess, Menschen entlang von Aussehen und zugeschriebener Herkunft, Kultur und Religion in ein Fremdkollektiv zu subsumieren, von „uns“ zu trennen und ihre Ungleichheit zu rechtfertigen, wird in der Rassismusforschung als Rassifizierung bezeichnet. Die Konstruktion ist darauf angewiesen, zu dichotomisieren („wir“ und „die Anderen“) und zu homogenisieren („alle gleich“), um Identitätsgrenzen aufrechtzuerhalten und damit einhergehende Privilegien zu verteidigen.
Denn nicht ohne Grund zeigt sich Schreiber verwundert, als sich der Blick umkehrt: „Als ich eintrete, sprechen mich gleich mehrere der Männer auf Türkisch an, was mich sehr wundert, bin ich doch, wie ich denke, recht offensichtlich nicht türkischer Abstammung.“ (S. 117) Doch Schreiber lässt sich in seinem stereotypen Weltbild nicht irritieren. Er versucht die Kontrolle über das Rollenspiel zurückzuerlangen. „Spricht jemand von Ihnen Deutsch?“, kontert der Autor und markiert damit das Revier. Wer „hier“ bei „uns“ Fragen stellen darf, und wer „uns“ Antworten schuldig ist, das entscheide „ich“.
Schreiber gefällt sich in der Rolle des Beobachters, des „gutmütigen“ Lehrers und Erziehers. Regelmäßig fragt er „die Fremden“, ob sie „unserer“ Sprache mächtig sind, weil sie so aussehen, wie sie aussehen. Ungeniert und paternalistisch bewertet er seine „Studienobjekte“: „Scheich Khodar kann einfache Sätze auf Deutsch bilden, macht aber viele Fehler und wechselt immer wieder ins Arabische.“ (S. 141) Systematisch unterwirft der Autor „die Anderen“ einem prüfenden Maßstab, bewertet und beurteilt nach „unseren“ Erwartungen. Muslim*innen sollen Auskunft über eine imaginierte Großgruppe geben. Sie erscheinen als passive, unmündige Masse, die gefährlichen, „religiösen Regeln“ blind Folge leiste und „unsere“ Ordnung in Frage stelle.
Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zur Verschwörungstheorie der „Islamisierung“, den Vorwürfen der Integrationsunwilligkeit, der Illoyalität und Täuschung. Ob gewollt oder nicht weckt Schreiber das Misstrauen seiner Leserschaft. Vielleicht wollen Muslim*innen Weihnachten in Deutschland ja wirklich abschaffen (S. 197, 208ff.) und zielen womöglich darauf ab, die ganze Welt zu übernehmen (S. 25), oder?
Insgesamt folgt „Inside Islam“ kulturalistischen Deutungsmustern und stigmatisiert. Muslim*innen stehen unter Generalverdacht, ihrer Kultur und Religion nach frauenfeindlich, antisemitisch, gewalttätig und antidemokratisch zu sein.
Während Angehörige „unserer“ Mehrheitsgesellschaft quasi per Geburt das Privileg der Unschuldsvermutung und Zugehörigkeit genießen, steht „der Rest“ in der Schuld, ihr Existenzrecht „hier“, ihre Loyalität und Demokratiefähigkeit unter Beweis zu stellen.
Nicht nur sprachlich, sondern auch methodologisch ist Schreibers Projekt kritisch zu bewerten. So wichtig die Frage nach dem Inhalt und der Ausrichtung von religiösen Predigten auch sein mag, so liegt das Problem in Schreibers unreflektiertem Abstraktions- und Projektionsdrang. Kurz gefasst, Freitagspredigten sagen etwas über Einstellungen des Predigers aus, der sie schreibt und vorträgt, nicht mehr und nicht weniger. Doch das Sprechen und Handeln der einen zum religiösen und kulturellen Prinzip aller zu erklären, ihr Sein zu essentialisieren und zu kulturalisieren, um damit Privilegien und Ausschlüsse zu rechtfertigen, ist ein wesentlicher Aspekt des antimuslimischen Rassismus.
„Ich würde gerne ein positives Beispiel anführen, eine Predigt, die Weltoffenheit ausstrahlt, eine Brücke baut zum Leben in Deutschland. Leider haben meine Moscheebesuche ein solches Beispiel nicht ergeben“ (S. 245), schließt Schreiber die Reportage enttäuscht ab. Gegen diese verzerrte Bilanz protestierten muslimische Jugendliche unter dem Hashtag „#meinmoscheereport“. Sie widersprachen vorurteilsbehafteten Bildern und ergänzten die Erzählung um selbstbestimmte Stimmen. Sie bewiesen sich als Teil dieser Gesellschaft, der den Diskurs über Islam und Muslim*innen aktiv mitgestaltet. Mit selbstbewussten Gegen-Narrativen werfen sie eine wichtige Frage in den Raum, die in „Inside Islam“ unbeantwortet bleibt: Wer integriert eigentlich Constantin Schreiber?
Constantin Schreiber: „Inside Islam. Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird“, Econ Verlag 2017, 253 Seiten. ISBN: 978-3-430-20218-3