Die Rechtspopulisten der AfD sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Populisten anderer Parteien gehen ähnlich vor. Die Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer erklärt, wie mit Populisten umgegangen werden soll und welche Wirkung sie haben.
IslamiQ: Die AfD konnte 2017 große politische Erfolge erzielen. Der Einzug in den Bundestag gilt als Höhepunkt. Hat die mediale Aufmerksamkeit die AfD so erfolgreich gemacht?
Schiffer: Ja! Auch wenn diverse Medienhäuser dies gerne verneinen. Durch Sprache und Kommunikation wird Aufmerksamkeit gelenkt und gesteuert und jede Äußerung, egal ob kritisch oder unkritisch, lässt das jeweilige Thema wichtig und relevant erscheinen.
IslamiQ: Aber gar nicht berichten, ist doch auch keine Option…
…Natürlich muss über die AfD berichtet werden. Abgesehen davon geht es hier aber auch vor allem um die Frage, wie viel Raum der AfD gegeben werden soll. Andere Parteien oder Initiativen, wie die Friedensbewegung beispielsweise, bekommen solch eine Aufmerksamkeit nicht.
IslamiQ: Warum glauben Sie, wird denn über die AfD so stark berichtet?
Schiffer: Interessant ist, dass das Hochschreiben ihrer Themen bereits vorher stattgefunden hat. Ausländerfeindliche, migrationsfeindliche und islamfeindliche Diskurse sind schon seit vielen Jahren sehr beliebt. Die AfD ist hier sozusagen eine Hülle für die Themen, die immer sehr populär gemacht worden waren.
IslamiQ: Die AfD sitzt im Bundestag und hat schon Schlagzeilen gemacht. Wie soll man fortan über die AfD berichten?
Schiffer: Es sollten die gleichen Maßstäbe angewendet werden wie bei jeder anderen Partei. Nicht mehr und nicht weniger. Da muss man sich natürlich auch immer fragen, was die relevanten Themen sind. Vieles ist nicht wichtig, was von der AfD kommt. Journalisten müssen reflektieren und so transparent wie möglich dokumentieren und berichten. Dies geschieht eben nicht immer. Im Vorfeld der Bundestagswahlen, wie beispielsweise im Kanzlerduell, konnten wir beobachten, dass die Eigeninteressen der Journalisten denen von Rechtspopulisten vielfach entsprachen. Themen, die gesellschaftsrelevant sind, wurden überhaupt nicht abgefragt.
IslamiQ: Kann man also sagen, dass die AfD ihre Popularität gekonnt nutzt?
Schiffer: Medienwirksames Auftreten ist nicht unbedingt AfD-spezifisch. Auch die Jens Spahn und Horst Seehofer gehen ähnlich vor. Hier müssen wir uns alle fragen, ob wir wirklich über jedes Stöckchen springen sollten, das uns von populistischer Seite zugeworfen wird.
IslamiQ: Wäre es also besser wenn Muslime sich aus dieser Debatte raushalten?
Schiffer: Naja, wenn sie sich nicht äußern, stellt es auch ein Problem dar. In solch einer Situation wäre ein Bündnis mit anderen Institutionen besser. Die Pressearbeit von Muslimen sollte sich nicht auf provokante Äußerungen seitens der Politik konzentrieren, sondern eigene Themen setzen, die sich am Jahreskalender orientieren. Das aktuelle Beispiel um Seehofers Aussage zeigt es gut. Der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland” ist so provinziell. Als ob sich eine Weltreligion daran orientiert, was ein Seehofer sagt oder nicht. Man sollte ihn ignorieren.
IslamiQ: Herr Seehofer ist aber kein x-beliebiger Politiker, sondern der neue Innenminister der Bundesrepublik Deutschland…
… Ja, es ist ein Dilemma. Doch es sollte uns bewusst sein, dass es immer ähnliche Gesprächsrituale sind. Vor Seehofer handelte beispielsweise Thilo Sarrazin auch so. Jemand stellt eine nichtige Provokation in den Raum, worüber dann alle reden. Kritiker dieser Provokationen werden dann als Feinde der Meinungsfreiheit gebrandmarkt. Grundsätzlich ist erkennbar, dass bei rassistischen Äußerungen gerne nach Meinungsfreiheit geschrien wird. Geht es aber um Rassismuskritik, dann soll die Meinungsfreiheit nicht gelten.
IslamiQ: Stichwort Rassismus. Seehofers Aussage wurde auch angesichts der aktuell steigenden Zahlen islamfeindlicher Übergriffe stark kritisiert. Muslime fühlen sich im Stich gelassen…
Schiffer: …dass Muslime sich beschweren, weil sie sich im Stich gelassen fühlen, ist noch sehr beschönigend und naiv ausgedrückt. Sie werden ja nicht nur im Stich gelassen sondern vielmehr an den Pranger gestellt. Gerade dadurch zeigt Seehofer, dass er sich als Innenminister nicht schützend vor seine Bürger stellt, sondern sie ausliefert. Es ist in jeder Hinsicht einfach verantwortungslos.
IslamiQ: Oftmals wird auch die Berichterstattung über den Islam und die Muslime kritisiert. Können Sie diese Kritik aus sprachwissenschaftlicher Sicht bestätigen?
Schiffer: Der Linguist George Lakoff hat in seinen Forschungsergebnissen sehr gut beschrieben, welche Auswirkung Sprache in politischen Debatten hat. Verneinungen beispielsweise sind genauso schädlich wie positive Aussagesätze. Wenn also im Titel einer Nachricht steht: „Der Islam bedeutet nicht Terror“, dann ist hier nichts Gutes getan, weil eben das Unterbewusstsein die Verneinung nicht erkennt. Auch wenn ich etwas verneine, lenke ich die Aufmerksamkeit auf ihr sprachliches Vorkommen und verstärke es.
Ähnlich funktioniert es mit Bildern. Denn Bilder gehören ebenso zu den Zeichen, wie Sprache, und damit in den Bereich der Semiotik, der Lehre von Zeichen. Im Wort “Zeichen” steckt das Wort “Zeigen”. Mit diesen Zeichen lenke ich also die Aufmerksamkeit. Wenn etwa über Terror berichtet wird und gleichzeitig Bilder von betenden Muslimen gezeigt werden, dann habe ich ein Symbolbild des Islam mit Terror verknüpft und dieses wird damit umgedeutet als Symbolbild für den Terror per se. Leider stößt man sehr oft auf diese Mechanismen.
IslamiQ: Wie können vor allem Journalisten diese Mechanismen vermeiden?
In erster Linie muss mehr Wissen Verbreitung finden, wie Sprache und Kommunikation funktionieren, die subtilen Mechanismen, wie sie Lakoff und Elisabeth Wehling beschreiben. Ist ein Frame erst einmal emotional etabliert, dann entrinnt man ihm nicht, egal wie man sich dazu äußert und egal, wie der wissenschaftliche Stand bei einem Thema ist – ein starker Frame sucht nach Bestätigung und das lässt dann auch Fakten übersehen, die nicht ins Schema passen. Dessen müsste man sich mehr bewusst sein.
Das Problem beginnt aber oft damit, dass Themen für relevant und wichtig erklärt werden und Aufmerksamkeit drauf gelenkt wird, die von den Betroffenen ganz anders eingeordnet würde. Journalisten haben als Teil der Vierten Gewalt die Aufgabe, diese Aufmerksamkeitssteuerung zu brechen und kritisch reflektierend politisch motivierte Debatten als solche zu entlarven.
Das Interview führte Esra Ayari.