Seehofer und Co.

Populisten sollten wir ignorieren

Die Rechtspopulisten der AfD sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Populisten anderer Parteien gehen ähnlich vor. Die Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer erklärt, wie mit Populisten umgegangen werden soll und welche Wirkung sie haben.

07
04
2018
Die Medienpädagogin und Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer über Populisten. © privat, bearbeitet by IslamiQ
Die Medienpädagogin und Sprachwissenschaftlerin Sabine Schiffer über Populisten. © privat, bearbeitet by IslamiQ

IslamiQ: Die AfD konnte 2017 große politische Erfolge erzielen. Der Einzug in den Bundestag gilt als Höhepunkt. Hat die mediale Aufmerksamkeit die AfD so erfolgreich gemacht?

Schiffer: Ja! Auch wenn diverse Medienhäuser dies gerne verneinen. Durch Sprache und Kommunikation wird Aufmerksamkeit gelenkt und gesteuert und jede Äußerung, egal ob kritisch oder unkritisch, lässt das jeweilige Thema wichtig und relevant erscheinen.

IslamiQ: Aber gar nicht berichten, ist doch auch keine Option…

…Natürlich muss über die AfD berichtet werden. Abgesehen davon geht es hier aber auch vor allem um die Frage, wie viel Raum der AfD gegeben werden soll. Andere Parteien oder Initiativen, wie die Friedensbewegung beispielsweise, bekommen solch eine Aufmerksamkeit nicht.

IslamiQ: Warum glauben Sie, wird denn über die AfD so stark berichtet?

Schiffer: Interessant ist, dass das Hochschreiben ihrer Themen bereits vorher stattgefunden hat. Ausländerfeindliche, migrationsfeindliche und islamfeindliche Diskurse sind schon seit vielen Jahren sehr beliebt. Die AfD ist hier sozusagen eine Hülle für die Themen, die immer sehr populär gemacht worden waren.

IslamiQ: Die AfD sitzt im Bundestag und hat schon Schlagzeilen gemacht. Wie soll man fortan über die AfD berichten?

Schiffer: Es sollten die gleichen Maßstäbe angewendet werden wie bei jeder anderen Partei. Nicht mehr und nicht weniger. Da muss man sich natürlich auch immer fragen, was die relevanten Themen sind. Vieles ist nicht wichtig, was von der AfD kommt. Journalisten müssen reflektieren und so transparent wie möglich dokumentieren und berichten. Dies geschieht eben nicht immer. Im Vorfeld der Bundestagswahlen, wie beispielsweise im Kanzlerduell, konnten wir beobachten, dass die Eigeninteressen der Journalisten denen von Rechtspopulisten vielfach entsprachen. Themen, die gesellschaftsrelevant sind, wurden überhaupt nicht abgefragt.

IslamiQ: Kann man also sagen, dass die AfD ihre Popularität gekonnt nutzt?

Schiffer: Medienwirksames Auftreten ist nicht unbedingt AfD-spezifisch. Auch die Jens Spahn und Horst Seehofer gehen ähnlich vor. Hier müssen wir uns alle fragen, ob wir wirklich über jedes Stöckchen springen sollten, das uns von populistischer Seite zugeworfen wird.

IslamiQ: Wäre es also besser wenn Muslime sich aus dieser Debatte raushalten?

Schiffer: Naja, wenn sie sich nicht äußern, stellt es auch ein Problem dar. In solch einer Situation wäre ein Bündnis mit anderen Institutionen besser. Die Pressearbeit von Muslimen sollte sich nicht auf provokante Äußerungen seitens der Politik konzentrieren, sondern eigene Themen setzen, die sich am Jahreskalender orientieren. Das aktuelle Beispiel um Seehofers Aussage zeigt es gut. Der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland” ist so provinziell. Als ob sich eine Weltreligion daran orientiert, was ein Seehofer sagt oder nicht. Man sollte ihn ignorieren.

Dr. Sabine Schiffer (* 1966 in Geilenkirchen) ist Sprachwissenschaftlerin und Medienpädagogin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Islambild in deutschen Medien und „Hate Speech“ und ist Gründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung.

IslamiQ: Herr Seehofer ist aber kein x-beliebiger Politiker, sondern der neue Innenminister der Bundesrepublik Deutschland…

Ja, es ist ein Dilemma. Doch es sollte uns bewusst sein, dass es immer ähnliche Gesprächsrituale sind. Vor Seehofer handelte beispielsweise Thilo Sarrazin auch so. Jemand stellt eine nichtige Provokation in den Raum, worüber dann alle reden. Kritiker dieser Provokationen werden dann als Feinde der Meinungsfreiheit gebrandmarkt. Grundsätzlich ist erkennbar, dass bei rassistischen Äußerungen gerne nach Meinungsfreiheit geschrien wird. Geht es aber um Rassismuskritik, dann soll die Meinungsfreiheit nicht gelten.

IslamiQ: Stichwort Rassismus. Seehofers Aussage wurde auch angesichts der aktuell steigenden Zahlen islamfeindlicher Übergriffe stark kritisiert. Muslime fühlen sich im Stich gelassen…

Schiffer: …dass Muslime sich beschweren, weil sie sich im Stich gelassen fühlen, ist noch sehr beschönigend und naiv ausgedrückt. Sie werden ja nicht nur im Stich gelassen sondern vielmehr an den Pranger gestellt. Gerade dadurch zeigt Seehofer, dass er sich als Innenminister nicht schützend vor seine Bürger stellt, sondern sie ausliefert. Es ist in jeder Hinsicht einfach verantwortungslos.

IslamiQ: Oftmals wird auch die Berichterstattung über den Islam und die Muslime kritisiert. Können Sie diese Kritik aus sprachwissenschaftlicher Sicht bestätigen?

Schiffer: Der Linguist George Lakoff hat in seinen Forschungsergebnissen sehr gut beschrieben, welche Auswirkung Sprache in politischen Debatten hat. Verneinungen beispielsweise sind genauso schädlich wie positive Aussagesätze. Wenn also im Titel einer Nachricht steht: „Der Islam bedeutet nicht Terror“, dann ist hier nichts Gutes getan, weil eben das Unterbewusstsein die Verneinung nicht erkennt. Auch wenn ich etwas verneine, lenke ich die Aufmerksamkeit auf ihr sprachliches Vorkommen und verstärke es.

Ähnlich funktioniert es mit Bildern. Denn Bilder gehören ebenso zu den Zeichen, wie Sprache, und damit in den Bereich der Semiotik, der Lehre von Zeichen. Im Wort “Zeichen” steckt das Wort “Zeigen”. Mit diesen Zeichen lenke ich also die Aufmerksamkeit. Wenn etwa über Terror berichtet wird und gleichzeitig Bilder von betenden Muslimen gezeigt werden, dann habe ich ein Symbolbild des Islam mit Terror verknüpft und dieses wird damit umgedeutet als Symbolbild für den Terror per se. Leider stößt man sehr oft auf diese Mechanismen.

IslamiQ: Wie können vor allem Journalisten diese Mechanismen vermeiden?

In erster Linie muss mehr Wissen Verbreitung finden, wie Sprache und Kommunikation funktionieren, die subtilen Mechanismen, wie sie Lakoff und Elisabeth Wehling beschreiben. Ist ein Frame erst einmal emotional etabliert, dann entrinnt man ihm nicht, egal wie man sich dazu äußert und egal, wie der wissenschaftliche Stand bei einem Thema ist – ein starker Frame sucht nach Bestätigung und das lässt dann auch Fakten übersehen, die nicht ins Schema passen. Dessen müsste man sich mehr bewusst sein.

Das Problem beginnt aber oft damit, dass Themen für relevant und wichtig erklärt werden und Aufmerksamkeit drauf gelenkt wird, die von den Betroffenen ganz anders eingeordnet würde. Journalisten haben als Teil der Vierten Gewalt die Aufgabe, diese Aufmerksamkeitssteuerung zu brechen und kritisch reflektierend politisch motivierte Debatten als solche zu entlarven.

Das Interview führte Esra Ayari.

Leserkommentare

Frederic Voss sagt:
Grundsätzlich müssen islamkritische Diskurse stattfinden, bevor es irgendwann ein böses Erwachen - vor allem in Europa - geben könnte. Daher muß primär - wie oben betont - mehr Wissen, auch über die nachgewiesene Blutspur des Islams, Verbreitung finden. Viele Islamgläubige vermissen oft auch Aufklärung über verborgene Hintergründe und Taktiken bei der Islam-Verkündigung. Nicht das islamische Glaubensvolk wird an einen Pranger gestellt, sondern das Islam-Weltbild mit seinen höchst gefährlichen Aspekten & Anteilen. Kann überhaupt eine Medienpädagogin eine nach Weltherrschaft strebende Islam-Religion - historisch und aktuell - kompetent einschätzen?
07.04.18
15:34
Johannes Disch sagt:
Ignorieren halte ich für eine ungenügende Strategie. Damit können sich Populisten leicht in die Opferrolle begeben und von Ausgrenzung sprechen, so wie es die AfD kürzlich den Kirchen vorwarf. Die Psycho-Linguistin Elisabeth Wehling (Ihr lesenswertes Buch zum Thema heißt"Politisches Framing") empfiehlt eine andere Strategie: Nicht die Thesen der Populisten zu wiederholen, um sie zu widerlegen. Das führt dazu, dass die Deutungsrahmen (= "Frames") der Populisten trotzdem zitiert werden und dadurch haften bleiben. Stattdessen empfiehlt Elisabeth Wehling, einfach die eigenen Standpunkte entgegenzusetzen. Auch der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller ("Was ist Populismus?") hält Ignoranz für nicht zielführend, sondern plädiert für eine argumentative Auseinandersetzung, da sich Thesen der Rechtspopulisten inhaltlich leicht widerlegen lassen. Man sollte bei dieser argumentativen Auseinandersetzung aber unbedingt die Strategie von Elisabeth Wehling beherzigen: Also, Thesen der Rechtspopulisten nicht zitieren, um sie zu widerlegen, sondern einfach den eigenen Standpunkt darlegen.
07.04.18
15:35
Frederic Voss sagt:
Nicht zu vergessen die Islam-Populisten, die auch immer wieder für Schlagzeilen sorgen und sich medienwirksam präsentieren. Die dabei sehr geschickt die Schattenseiten des Islam gerne ausblenden und immer neue Forderungen - im Namen der Religionsfreiheit - juristisch und politisch durchboxen und etablieren möchten. Mit dem offiziell geleugneten Endziel eines islamischen Staatengebildes.
07.04.18
15:41
Ute Fabel sagt:
Ich bin der Meinung, dass man sich mit politischen Statements gerade von Regierungsmitgliedern immer inhaltlich auseinandersetzen sollte. Einfach alles, was einem nicht passt, als populistisch und rassistisch beiseite zu schieben, ist intellektuell seicht und feig. Ich teile die Meinung von Herrn Seehofer nicht, dass wir im christlichen Abendland leben. Das hatten wir von 4. bis zum 15.Jahrhundert und erfreulicherweise hinter uns gebracht. Wir befinden uns heute im aufgeklärten Europa. Herr Seehofer lebt ja selbst eindrucksvoll vor, dass die christlichen Dogmen wie das 7. Gebot (Du sollst nicht ehebrechen) sogar von ihm selbst völlig ignoriert werden. Schließlich kam es während seiner Ehe zu einer außerehelichen Vaterschaft. Dass Herr Seehofer den Islam nicht mag und er das auch öffentlich artikuliert, finde ich völlig in Ordnung. Man muss auch die Scientology-Kirche, die AfD oder die FDP nicht mögen. Damit braucht man in einer pluralistischen Gesellschaft nicht hinter den Berg halten.
07.04.18
19:08
Prinzessin Rosa sagt:
Toller Artikel, beschreibt sehr gut wie es im Kommentarforum hergeht. Bezeichnend das auch noch keine weiteren Kommentare zu lesen sind....schmunzel......
08.04.18
1:00
A.F.B. sagt:
Man sollte die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, ignorieren, nicht darauf antworten und sie nicht diskutieren. Vielmehr sollte die Antwort der Muslime darauf sein, daß sie sich nicht einschüchtern lassen, sondern weiterhin ihre Religion praktizieren, von ihrem Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit Gebrauch machen und ihre Rechte einfordern. Beanstandenswert halte ich jedoch das Verhalten der Verbände, allen voran des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), die zu beschwichtigen versuchen, anstatt wirklich islamische Standpunkte zu vertreten. Die Basis der Muslime möchte von Personen vertreten werden, die Stärke und Entschlossenheit zeigen.
08.04.18
1:23
Andreas sagt:
@Frederic Voss Es mag sein, dass die Muslime eine große Blutspur hinter sich haben. Aber das Christentum und der Kapitalismus stehen dem in nichts nach. Man denke nur an die Kolonialisierung durch europäische Staaten, bei der nicht wenige Menschen abgeschlachtet wurden. Und es waren christliche bzw. moderne westliche Staaten, die zwei Weltkriege angezettelt haben, in die sie die ganze Welt mit hineingezogen haben. Und unsere Blutspur zieht sich auch heute noch weiter durch die Welt, indem wir blutige Aufstände anzetteln und entweder selbst Krieg führen oder Stellvertreterkriege führen lassen.
09.04.18
10:41
Andreas sagt:
@Ute Fabel Entsprechend Ihren Ausführungen hat demnach das aufgeklärte Europa blutig kolonialisiert und zwei große Kriege angezettelt, in die sie (nahezu) die ganze Welt mir hinenigezogen hat. Das ist für die Religion der Aufklärung keine wirklich positive Bilanz. Immerhin sind demnach wir aufgeklärten Europäer Massenmörder!
09.04.18
10:45
Johannes Disch sagt:
@Andreas (Ihr Post vom 09.04.18, 10:41 und 10:45) Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Reformation verklären wir heute nur so, weil darauf Aufklärung und Demokratie folgten. Zwangsläufig war das nicht. Aber bis es so weit war, lagen dazwischen noch einige Völkermorde und zwei Weltkriege. Man könnte hier gewisse Zitate posten über die "Ungläubigen" und die Leute raten lassen, von wem diese sind. Die meisten würden wohl auf Bin Ladn oder sonstige moderne Djhadisten tippen. Das wäre falsch. Die Zitate wären von "Reformatoren" wie Jan Hus und Zwingli und Calvin. Und vom "Godfather der Reformation", von Luther. Wir echauffieren uns deshalb so über das aktuelle Chaos im Nahen Osten, weil wir da in einen Spiegel blicken und uns selbst sehen. Wir sehen das blutige Europa der Religionskriege. Aber Muslimen unterstellen wir salopp, sie wären nicht anschlussfähig an die Moderne und sollten sich gefälligst "reformieren." Wer die europäische Reformation als Vorbild empfiehlt, der sollte sich diese historische Epoche vorher ganz genau ansehen. Ich gebe Hamed Abdel-Samad nicht gerne recht. Aber er hat einmal ein wunderbares Bonmot gebraucht: "Luther war ein Salafist" (Abdel-Samad). Das ist zwar eine bewusste Zuspitzung. Aber eine, die einen wahren Kern hat. Luther wollte zurück zum "reinen" und "wahren Evangelium", zurück zur (Heiligen) Schrift. So einen "Reformer" kennt der Islam längst. Sein Name war Ibn Wahhab. Der Gründer des saudischen Wahhabismus, der wohl reaktionärsten Auslegung und Praxis des Islam. Der wollte das auch. Der wollte dasselbe wie Luther. Zurück zum "wahren und reinen Islam", zurück zur Schrift, zurück zum Koran. Das Ergebnis-- Saudi-Arabien und der Wahhabismus-- ist nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen. Das sollte sich jeder überlegen, bevor er in Jubelstürme ausbricht bei der Vokabel "Reform-Islam."
10.04.18
11:50
Grege sagt:
einiger Vorkommentatore echauffieren sich über Pauschalurteile und gar Rassismus gegenüber dem Islam, aber wechseln prompt in einer masochistischer Marnier über in die erste Person Plural, wenn es um die Schattenseiten westlicher Staat geht. Ich persönlich habe keine Kriege angezettelt. Ebenso haben die meisten europäischen Staaten, wie Deutschland, politisch so gut wie keine Einflussmöglichkeiten auf den Nahen Osten, so dass die hier geäußerten Vorwürfe zum Teil völlig aus der Luft gegriffen sind. Gerade Vertreter der muslimischen Community pflegen hier eine erstaunliche Doppelmoral. Auf der einen Seite geißeln sie die USA für den Militäreinsatz im Irak, hadern jetzt mit der militärischen Zurückhaltung der Amerikaner in Syrien oder früher in Bosnien. Im Prinzip wird die Schuld immer beim bösen "Westen", egal aus welchem Grund. Besonders glaubwürdig sind diese Vorwürfe aus dem Mund solcher Muslime, die hier im Westen Zuflucht gefunden haben. Luther oder Mohammed waren alle Personen ihrer Zeit. Nicht der erstere würde nach heutigen Maßstäben in einem negativen Licht erscheinen, sondern letzterer vor einem Kriegsgericht.
12.04.18
21:18
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