Auch wenn die AfD vor fünf Jahren im Gemeindesaal einer Pfarrei gegründet wurde – das Verhältnis der Partei zu den Kirchen ist und bleibt angespannt. Bischöfe beklagen Tendenzen zu Nationalismus und völkischem Denken.
Fünf Jahre nach dem Gründungsparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) hängt der Haussegen im Verhältnis zu den Kirchen schief. Während etwa die Teilnahme der Partei an einer Veranstaltung beim Katholikentag in Münster weiter für heftige Debatten sorgt, beansprucht die stellvertretende Vorsitzende Alice Weidel für die AfD, „die einzige christliche Partei zu sein, die es noch gibt“. Das ist mehr als eine rhetorische Volte gegen die Union.
Die AfD beruft sich auf bestimmte programmatische Positionen wie das Festhalten an der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau, das Eintreten für den Lebensschutz, die Ablehnung der „Gender-Ideologie“ oder das Festhalten am Werbeverbot für Abtreibung. Trotz offensichtlicher thematischer Überschneidungen reißt die Kritik aus den Kirchen aber nicht ab. Verkehrte Welt?
Als der Publizist Konrad Adam am 14. April 2013 den Gründungsparteitag in Berlin eröffnete, waren die teilweise heftigen Zusammenstöße zwischen Kirche und AfD noch nicht absehbar. Gemeinsam mit 17 weiteren Männern hatte er gut zwei Monate zuvor im Gemeindesaal der evangelischen Christuskirche von Oberursel im Taunus die Partei ins Leben gerufen. Aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ging damals zunächst eine Euro-kritische Partei von Wirtschaftsprofessoren hervor, an der Spitze Bernd Lucke. Bald schon übernahmen aber andere Kräfte das Ruder – federführend etwa der ehemalige CDU-Konservative Alexander Gauland, Frauke Petry oder Beatrix von Storch.
Politikwissenschaftler sprechen inzwischen von einer Sammlungsbewegung mit rechtskonservativer Programmatik und unterschiedlichen Flügeln, darunter ein neoliberaler, ein nationalkonservativer sowie ein rechtspopulistischer, die allerdings nicht klar abzugrenzen sind und sich politisch strategisch durchaus ergänzen. Anziehungskraft entwickelte die AfD auch für wertkonservative Christen, nicht nur aus dem evangelikalen Bereich. Zu den gemeinsamen Überzeugungen gehört etwa „Deutschland schafft sich ab“ – wie es Thilo Sarrazin schon Jahre zuvor im Titel seines Bestsellers zusammenfasste.
Die Entwicklung der Partei spiegelt sich nicht zuletzt im Austausch des Spitzenpersonals wider. Alle Führungsmitglieder, die der AfD den Rücken kehrten – von Lucke über Hans-Olaf Henkel bis zur ehemaligen Parteisprecherin Petry – nannten als Hauptgrund einen Rechtsruck mit einer aus ihrer Sicht fehlenden Abgrenzung zum Rechtsextremen.
Der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Volker Münz, räumt auf Anfrage ein, dass es in der Partei „pointierte Äußerungen gibt, die in dieser Verkürzung falsch sind“, und verlangt „im Politischen eine konsequente Abgrenzung nach Rechtsaußen“. Er beklagt aber ebenso eine „verkürzte Wahrnehmung“ seiner Partei durch die Kirchen.
Von einer „christlichen Partei im engeren Sinne“ will der Bezirkssynodale der württembergischen Evangelischen Landeskirche bei der AfD nicht sprechen, und verweist auf die Trennung von Kirche und Staat. Die AfD fußt für ihn aber „auf christlichen Werten“. Dazu gehört für das Mitglied der Gruppe der „Christen in der AfD“ auch die „Gottesebenbildlichkeit, aus der sich die Menschenwürde aller ableitet“.
Gauland äußert sich dezidiert anders: „Wir sind keine christliche Partei. Wir sind eine deutsche Partei, die sich bemüht, deutsche Interessen wahrzunehmen“, sagte er im Interview der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“. Die AfD verteidige nicht das Christentum, „sondern das traditionelle Lebensgefühl in Deutschland, das traditionelle Heimatgefühl“. Auch im Grundsatzprogramm findet sich – im Gegensatz zur Union – keine Bezugnahme auf das christliche Menschenbild. Die „religiöse Überlieferung des Christentums“ wird als eine Quelle der „deutschen Leitkultur“ verstanden.
Für den Vertreter der katholischen Kirche im politischen Berlin, Karl Jüsten, geht es den Kirchen bei ihrer Kritik an der AfD neben Einzelfragen um einen grundsätzlichen Dissens. „Selbstverständlich anerkennt die Kirche Unterschiede zwischen Nationen, Völkern, Kulturen und Religionen“, so Jüsten: „Dem geht aber die grundlegende Gleichheit aller vor Gott voraus, und dies muss bestimmend für den Umgang und die Wertschätzung untereinander bleiben. Deshalb können wir uns niemals auf eine Auffassung vom Menschen einlassen, die diese Gleichheit etwa der Zugehörigkeit zu Religion, Rasse oder Nation unterordnet – damit kommt alles ins Rutschen“. Entsprechend warnte auch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki davor, „das christliche als nationales Identitätsstiftungsmerkmal zu missbrauchen“.
Am deutlichsten manifestieren sich die Differenzen am Umgang mit den Flüchtlingen: Die Flüchtlingskrise ist wohl der entscheidende Katalysator für die Erfolge der AfD; die Kirchen sehen – zumal unter dem Pontifikat von Papst Franziskus – darin den Ernstfall gelebter christlicher Nächstenliebe. Sich für die Ärmsten der Armen einzusetzen ist nicht nur für Woelki Teil des Prophetenamts der Kirche.
Der Dissens betrifft aber auch viele weitere Bereiche: Vom Verständnis Europas als Wertegemeinschaft bis zur Religionsfreiheit, die die Kirchen auch für den Islam uneingeschränkt einfordern. Eine Studie des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Wilhelms-Universität Münster sieht im AfD-Grundsatzprogramm ein „oberflächlich liberales Bild“ durch „die nationalistische und völkische Grundierung“ konterkariert. So zeige sich zwar im Familienbild eine gewisse Nähe zu traditionellen kirchlich-lehramtlichen Positionen. Allerdings vertrete die AfD eine „nationalistische Bevölkerungspolitik, die den Erhalt des deutschen „Staatsvolks“ als ethnisch kulturell homogene Volksgruppe“ zum Ziel habe. Selbst der Lebensschutz soll laut Wahlprogramm im Dienst für einen „Paradigmenwechsel hin zu einer nationalen Bevölkerungspolitik“ stehen.
„Das Leitbild der christlichen Familie darf nicht völkisch bestimmt werden“, mahnt demgegenüber Jüsten. Er sieht „die grundsätzlichen Vorbehalte leider bislang durch permanente verbale Grenzüberschreitung bestätigt“. In Sachfragen stehe er aber durchaus im Gesprächskontakt. „Einen sachlicheren Ton“ wünscht sich auch Münz: „Ich fände es gut, wenn sich alle bei uns daran halten würden.“ Er beklagt aber zugleich „einen unerhörten Hass, der uns entgegenschlägt“. Auch beim Katholikentag in Münster, zu dem er eingeladen ist, hofft er auf eine „sachorientierte Diskussion, etwa über die Grundlagen der Gesellschaft“.
Zu klären gibt es offensichtlich viel, nicht zuletzt, welche Auffassungen für die AfD letztlich verbindlich sind. Die ehemalige Vorsitzende der „Christen in der AfD“, Anette Schultner, trat im Herbst aus der Partei aus. Sie habe die konservative, aber gemäßigte Haltung vieler Leute repräsentieren wollen, sich aber zunehmend in einer „Feigenblattfunktion“ gesehen, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Schultner konstatierte einen Machtzuwachs des rechtspopulistischen Flügels um Björn Höcke, der eine bürgerlich-konservative Volkspartei nicht mehr möglich mache. Das künftige Verhältnis der Kirche zur AfD dürfte sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob diese willens ist, entsprechenden Tendenzen ein klares Stoppzeichen entgegenzusetzen. (KNA, iQ)