Das Kopftuchverbot bei unter 14-jährigen Kindern beschäftigt momentan die Politiker des Landes. Wie so oft kommt die Perspektive der Betroffenen zu kurz. Zarqa Butt, Mutter zweier Töchter, entlarvt die Scheindebatte und gibt ihre Perspektive als Erziehungsberechtigte wieder.
In politischen Debatten kommen die Vorstellungen der Diskussionspartner und die dominierenden stereotypischen Auffassungen in der Gesellschaft zum Vorschein. Diese Debatten spiegeln die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Dominanzverhältnisse wider. Wo es Dominanz gibt, muss es auch Dominierte geben. So passiert es oft, dass politische Gegenpositionen und ihre Vertreter zum „feindlichen Lager“ erklärt werden.
Vor diesem Hintergrund ist das Minderheiten-Bashing global fast schon „normal“ geworden. Neu und beschämend im deutschen Kontext ist jedoch, dass ein demokratisches System die Schwächsten der Gesellschaft diesem Bashing ausliefert, nämlich muslimische Mädchen, die mit ihren Kopftüchern angeblich die Schulkultur gefährden.
Als muslimische Mutter zweier Töchter weigere ich mich, das Thema „Kopftuch ja oder nein“ aufgezwungen zu bekommen. Schon gar nicht von mehrheitsdiktatorisch agierenden Parteipolitikern wie einem Horst Seehofer (CSU), der aus Bayern noch nicht in Deutschland angekommen zu sein scheint. Seehofer muss anscheinend noch lernen, dass sein Innenministerium für die Sicherheit aller Menschen in Deutschland verantwortlich ist, zu der eben auch rund 6 Millionen Muslime gehören. Er hat nicht das Recht, ihre „Person“, ihren Status zur Disposition zu stellen.
Als Bürgerin eines demokratischen Staates, in dem die Freiheitsrechte verfassungsrechtlich explizit geschützt sind, verbitte ich mir, stigmatisierende Persönlichkeitsbilder aufgezwungen zu bekommen, die ich dann auch noch in Abgrenzung zu Nichtgewünschtem distanzierend bewerten und deklarieren soll. Dass es hier nicht um das Stück Stoff muslimischer Frauen geht, zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung der ADS zu Diskriminierungserfahrungen aus dem Jahre 2015. Diese belegen, dass das Erleben von Diskriminierungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark beeinträchtigt.
Das Kopftuchverbot für muslimische Mädchen wurde bisher eher aus rechtlicher Perspektive behandelt. Ich möchte den Diskurs aus der Perspektive der Eltern, genauer: einer Mutter zweier Töchter, beleuchten.
Politiker wie Joachim Stamp (FDP) und Serap Güler (CDU) bezeichnen es als „pervers“, dass muslimische Mädchen ein Kopftuch tragen und fördern damit die kurzsichtige Stigmatisierung von Muslimen. Sie liefern die schwächsten Teilnehmerinnen ihrer Gesellschaft Ausgrenzungsmechanismen und Diskriminierungen aus. Sie können sich kaum vorstellen, wie diese Mädchen auf dem Weg in den Kindergarten und der Schule von den Eltern ihrer Mitschüler bemitleidenswert beäugt werden, mit welchen Vorbehalten Freundesbesuche und Geburtstagseinladungen begleitet werden. Sie sind scheinbar so naiv, auszublenden, welche Signale sie mit ihren Aussagen aussenden, nämlich, dass Eltern kopftuchtragender Mädchen grundsätzlich kriminell handelten.
Für meine Tochter ist das Kopftuch ein Kleidungsaccessoir, das sie sich gerne anlegte, wann es ihr danach war, und sich später selbständig dazu entschied, es beizubehalten. Was erwarten diese Politiker eigentlich von mir als Mutter? Etwa dass ich mein Kind entgegen meiner Lebensweise beeinflusse, um auf die unbegründeten Mehrheitsängste Rücksicht zu nehmen?
In der Erziehung und dem Erlernen von Fähigkeiten spielt die Nachahmung eine wesentliche Rolle. Es ist ganz natürlich, dass Kinder die Praxis der Eltern und ihren Beistand annehmen. Als Erziehungsberechtigte und muslimische Mutter mache ich natürlich mein Kind mit meiner Lebensweise, meinem religiösen Verständnis, meinen Riten und Traditionen vertraut. Es erfüllt mich mit Zuversicht, wenn mein Kind meinen Weg geht, und ich gebe mir Mühe, seine speziellen Vorstellungen und Wünsche begleiten zu können. Pädagogisch irrsinnig ist es, den Lern- und Entwicklungsprozess eines Kindes im Sinne der Mehrheitsgesellschaft zu manipulieren und es durch politische Kalküle instrumentalisieren zu lassen.
Es ist die Aufgabe von Lehrern und Lehrerverbänden, für ihre Schülerinnen einzustehen. Stattdessen wird die unbegründete Gefahr durch Schülerinnen mit Kopftuch zementiert. Relativ nüchtern hat sich der Grundschulverband NRW geäußert. Es würden ja nur sechs Mädchen die Kopfbedeckung tragen. Das Argument nimmt der hitzigen Debatte zwar den Wind aus den Segeln, aber hinkt etwas. Denn was wäre, wenn weitere sich dazu entscheiden würden? Müssen muslimische Kinder ihre Persönlichkeitsentfaltung den politischen Debatten anpassen?
Auch die Überlegung, das Kopftuch muslimischer Mädchen zu verbieten, allein um ihnen die auf das Kopftuch fixierte Diskussionen zu ersparen, ist beschämend. Meiner Erfahrung nach sind manche Lehrpersonen angesichts divergierender Meinungen und Lebensweisen generell überfordert. Sie wünschen sich eher bekannte Denk- und Multiplchoice-Muster-Schüler. Hier spielen eher verschiedene Vorurteile und persönliche Haltungen eine Rolle. Wie kann es z. B. sein, dass eine Lehrperson die Aussage einer siebenjährigen Schülerin im Sachkunde-/ Religionsunterricht, dass es ja nur einen Gott gibt, maßregelt und das Kind quasi vorführt? Oder wie kann es sein, dass das muslimische Fasten jedes Jahr als schulplanbehindernd problematisiert wird, anstatt die sehr persönliche Motivation der SchülerInnen angesichts dieser Herausforderung anerkennend wertzuschätzen?
Ich sehe die Kopftuchdebatte eher als eine Scheindebatte. Im Wesentlichen geht es um die Ablehnung von Religion an sich, um die Ablehnung des religiösen Teils der Persönlichkeit.
Von aufgeklärten Menschen gerade im Lehrbetrieb muss erwartet werden können, dass sie Vielfalt und nicht Einfalt hochhalten. Statt Eingriffe in das Elternrecht und Freiheitsrechte zu fordern, sollten sich Lehrpersonen und Lehrerverbände den Rücken der ihnen anvertrauten SchülerInnen stärken und in die Fortbildung der Lehrpersonen investieren.