Kopftuch-Scheinbedatte

Kopftuchdebatte: Meine Perspektive als Mutter

Das Kopftuchverbot bei unter 14-jährigen Kindern beschäftigt momentan die Politiker des Landes. Wie so oft kommt die Perspektive der Betroffenen zu kurz. Zarqa Butt, Mutter zweier Töchter, entlarvt die Scheindebatte und gibt ihre Perspektive als Erziehungsberechtigte wieder.

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04
2018
Wieder eine Scheindebatte um das Kopftuch. Diesmal bei Kindern. © shutterstock
Wieder eine Scheindebatte um das Kopftuch. Diesmal bei Kindern. © shutterstock

In politischen Debatten kommen die Vorstellungen der Diskussionspartner und die dominierenden stereotypischen Auffassungen in der Gesellschaft zum Vorschein. Diese Debatten spiegeln die gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Dominanzverhältnisse wider. Wo es Dominanz gibt, muss es auch Dominierte geben. So passiert es oft, dass politische Gegenpositionen und ihre Vertreter zum „feindlichen Lager“ erklärt werden.

Keine Zwangsbedatten!

Vor diesem Hintergrund ist das Minderheiten-Bashing global fast schon „normal“ geworden. Neu und beschämend im deutschen Kontext ist jedoch, dass ein demokratisches System die Schwächsten der Gesellschaft diesem Bashing ausliefert, nämlich muslimische Mädchen, die mit ihren Kopftüchern angeblich die Schulkultur gefährden.

Als muslimische Mutter zweier Töchter weigere ich mich, das Thema „Kopftuch ja oder nein“ aufgezwungen zu bekommen. Schon gar nicht von mehrheitsdiktatorisch agierenden Parteipolitikern wie einem Horst Seehofer (CSU), der aus Bayern noch nicht in Deutschland angekommen zu sein scheint. Seehofer muss anscheinend noch lernen, dass sein Innenministerium für die Sicherheit aller Menschen in Deutschland verantwortlich ist, zu der eben auch rund 6 Millionen Muslime gehören. Er hat nicht das Recht, ihre „Person“, ihren Status zur Disposition zu stellen.

Als Bürgerin eines demokratischen Staates, in dem die Freiheitsrechte verfassungsrechtlich explizit geschützt sind, verbitte ich mir, stigmatisierende Persönlichkeitsbilder aufgezwungen zu bekommen, die ich dann auch noch in Abgrenzung zu Nichtgewünschtem distanzierend bewerten und deklarieren soll. Dass es hier nicht um das Stück Stoff muslimischer Frauen geht, zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung der ADS zu Diskriminierungserfahrungen aus dem Jahre 2015. Diese belegen, dass das Erleben von Diskriminierungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark beeinträchtigt.

Muslimische Mutter zweier Töchter

Das Kopftuchverbot für muslimische Mädchen wurde bisher eher aus rechtlicher Perspektive behandelt. Ich möchte den Diskurs aus der Perspektive der Eltern, genauer: einer Mutter zweier Töchter, beleuchten.

Politiker wie Joachim Stamp (FDP) und Serap Güler (CDU) bezeichnen es als „pervers“, dass muslimische Mädchen ein Kopftuch tragen und fördern damit die kurzsichtige Stigmatisierung von Muslimen. Sie liefern die schwächsten Teilnehmerinnen ihrer Gesellschaft Ausgrenzungsmechanismen und Diskriminierungen aus. Sie können sich kaum vorstellen, wie diese Mädchen auf dem Weg in den Kindergarten und der Schule von den Eltern ihrer Mitschüler bemitleidenswert beäugt werden, mit welchen Vorbehalten Freundesbesuche und Geburtstagseinladungen begleitet werden. Sie sind scheinbar so naiv, auszublenden, welche Signale sie mit ihren Aussagen aussenden, nämlich, dass Eltern kopftuchtragender Mädchen grundsätzlich kriminell handelten.

Für meine Tochter ist das Kopftuch ein Kleidungsaccessoir, das sie sich gerne anlegte, wann es ihr danach war, und sich später selbständig dazu entschied, es beizubehalten. Was erwarten diese Politiker eigentlich von mir als Mutter? Etwa dass ich mein Kind entgegen meiner Lebensweise beeinflusse, um auf die unbegründeten Mehrheitsängste Rücksicht zu nehmen?

Politischer und pädagogischer Irrsinn

In der Erziehung und dem Erlernen von Fähigkeiten spielt die Nachahmung eine wesentliche Rolle. Es ist ganz natürlich, dass Kinder die Praxis der Eltern und ihren Beistand annehmen. Als Erziehungsberechtigte und muslimische Mutter mache ich natürlich mein Kind mit meiner Lebensweise, meinem religiösen Verständnis, meinen Riten und Traditionen vertraut. Es erfüllt mich mit Zuversicht, wenn mein Kind meinen Weg geht, und ich gebe mir Mühe, seine speziellen Vorstellungen und Wünsche begleiten zu können. Pädagogisch irrsinnig ist es, den Lern- und Entwicklungsprozess eines Kindes im Sinne der Mehrheitsgesellschaft zu manipulieren und es durch politische Kalküle instrumentalisieren zu lassen.

Es ist die Aufgabe von Lehrern und Lehrerverbänden, für ihre Schülerinnen einzustehen. Stattdessen wird die unbegründete Gefahr durch Schülerinnen mit Kopftuch zementiert. Relativ nüchtern hat sich der Grundschulverband NRW geäußert. Es würden ja nur sechs Mädchen die Kopfbedeckung tragen. Das Argument nimmt der hitzigen Debatte zwar den Wind aus den Segeln, aber hinkt etwas. Denn was wäre, wenn weitere sich dazu entscheiden würden? Müssen muslimische Kinder ihre Persönlichkeitsentfaltung den politischen Debatten anpassen?

Auch die Überlegung, das Kopftuch muslimischer Mädchen zu verbieten, allein um ihnen die auf das Kopftuch fixierte Diskussionen zu ersparen, ist beschämend. Meiner Erfahrung nach sind manche Lehrpersonen angesichts divergierender Meinungen und Lebensweisen generell überfordert. Sie wünschen sich eher bekannte Denk- und Multiplchoice-Muster-Schüler. Hier spielen eher verschiedene Vorurteile und persönliche Haltungen eine Rolle. Wie kann es z. B. sein, dass eine Lehrperson die Aussage einer siebenjährigen Schülerin im Sachkunde-/ Religionsunterricht, dass es ja nur einen Gott gibt, maßregelt und das Kind quasi vorführt? Oder wie kann es sein, dass das muslimische Fasten jedes Jahr als schulplanbehindernd problematisiert wird, anstatt die sehr persönliche Motivation der SchülerInnen angesichts dieser Herausforderung anerkennend wertzuschätzen?

Scheindebatte

Ich sehe die Kopftuchdebatte eher als eine Scheindebatte. Im Wesentlichen geht es um die Ablehnung von Religion an sich, um die Ablehnung des religiösen Teils der Persönlichkeit.

Von aufgeklärten Menschen gerade im Lehrbetrieb muss erwartet werden können, dass sie Vielfalt und nicht Einfalt hochhalten. Statt Eingriffe in das Elternrecht und Freiheitsrechte zu fordern, sollten sich Lehrpersonen und Lehrerverbände den Rücken der ihnen anvertrauten SchülerInnen stärken und in die Fortbildung der Lehrpersonen investieren.

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Saadet (Ihr Post vom 20.04.18, 17:54) Keine Ursache. Gern geschehen. Und richtig: Auch für deutsche Frauen ist die Emanzipation noch keineswegs in allen Bereichen eine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil: Wir erleben heute eigentlich einen "Roll Back", nicht nur bei hoffnungslos Gestrigen wie der AfD, sondern auch in gewissen demokratisch-konservativen Kreisen. Ich erinnere nur an Alexander Dobrindts unsäglichen Begriff einer "konservativen Revolution", die dieses Land angeblich braucht. Oder an die junge CSU-Staatssekretärin Dorothee Bär. Da fühlt man sich doch glatt in die fünfziger Jahre zurückversetzt. Auch die aktuellen Diskussionen zum 50jährigen Jubiläum der "Achtundsechziger" werden von den Konservativen unsäglich geführt. Aber kommen wir zurück zum eigentlichen Thema "Kopftuch." Wie Sie selbst nicht bestreiten gibt es Fälle von Zwang, die allerdings sicher nicht so endemisch sind, wie es hier viele darstellen. Trotzdem ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. So sehr ich für die Grundrechte hier lebender Muslime und Musliminnen eintrete, so skeptisch bin ich gegenüber dem organisierten Islam, sprich: den Verbänden. Wie Sie vielleicht gelesen haben, gab es kürzlich 2 unsägliche Vorfälle in deutschen Moscheen. In Herford und Gladbach (Bericht bei "Islamiq" 21.04.18). Da ließ man Kinder in Uniform und Spielzeugwaffen durch die Moschee marschieren zum Gedenken an die Schlacht von Galipoli. Da hört der Spaß auf! Und die Verbände vertreten nach wie vor einen erzkonservativen Islam. Nehmen wir Herrn Uslucan, in seiner Eigenschaft auch noch Vertreter des "SVR", eines wichtigen Gremiums für Integration. Er versteigt sich doch tatsächlich zu der Aussage, es wäre islamische Lehrmeinung, dass Mädchen zum Eintritt der Geschlechtsreife Kopftuch tragen sollten (Bericht hier bei "islamiq" 10.04.18, "Im christlichen Club nicht willkommen"). Das ist nicht "islamische Lehrmeinung", sondern der Standpunkt konservativer Funktionäre. Diese sind aber zum Glück nicht repräsentativ für die hier lebenden Muslime. Die Verbände vertreten höchstens 15% der hier lebenden Muslime. Nur dieser verhältnismäßig kleine Prozentsatz der Muslime ist in diesen Verbänden organisiert. Durch geschickte mediale Vermarktung schaffen es die Verbände allerdings, den Eindruck zu vermitteln, sie wären repräsentativ für die hier lebenden Muslime. Das sind sie nicht, wie ich grade gezeigt habe. Aber leider hofiert sie auch die deutsche Politik. Das ist typisch deutsch. Die Deutschen können offenbar nur in Institutionen denken. Liberale muslimische Vertreter fehlen bei den "Islamkonferenzen" völlig. Wobei ich mich langsam frage, wozu es überhaupt (bisher) sieben "Islamkonferenzen" braucht?? Das Kopftuch ist keine Pflicht. Es lässt sich nicht zwingend aus dem Koran ableiten. Der zentrale Begriff, um den es geht, lautet "Zinat", was übersetzt "Schmuck" bedeutet. Und damit sind nicht zwingend die Haare gemeint. Das habe ich aber bei anderen Artikeln zu dem Thema schon häufig in epischer Breite ausgeführt, sodass ich es hier bei diesen kurzen Anmerkungen belasse. Worauf ich hinaus will: Es ist sicher typisch deutsch, aus einem Stück Stoff einen Kulturkampf zu machen, der nun schon 20 Jahre andauert. Seit der Klage von Fereshda Ludin. Ich glaube, das war 1998? Das bringen wirklich nur die Deutschen fertig. *lol* Es gibt aber auch Probleme von muslimischer Seite aus, und die zitierte Aussage des Islam-Funktionärs Uslucan ist dafür ein gutes Beispiel. Muslimische Feministinnen-- ob mit oder ohne Kopftuch-- sind also an 2 Fronten gefragt: Gegen reaktionäre "Biodeutsche" und gegen konservative Islam-Verbände und Funktionäre. Entscheidend ist bei dem Thema "Kopftuch" die Freiwilligkeit. "Saadet", wünsche einen schönen Tag.
24.04.18
19:56
Harousch sagt:
@Jo Disch (20.04.2018; 21:45) Das stimmt wohl! Wir haben in unserem Bekannten- und Freundeskreis nur liberale und tolerante Einheimische, die uns, unserer Kultur als auch unserer Art den Islam auszuleben vorurteilsfrei begegnen. Einige unserer Freunde denken sogar an islamischen Feiertagen an uns und gratulieren dazu, was keine Selbstverständlichkeit in Deutschland ist. Wir feiern Ostern, Weihnachten, Eid al Fitr und Eid al Adha zusammen. Bei der letzten Kindergeburtstagsparty saßen wir beim Geburtstagskuchenanschneiden sogar gemeinsam mit den Eltern der Kindergartenfreunde am Tisch als unser Kind angefangen hat aus dem Koran zu rezitieren (Tischgebet) und alle deutschstämmigen Eltern und Kinder haben mitgemacht. Auch das ist Deutschland und zwar unser neues buntes Deutschland!
29.04.18
18:06
Johannes Disch sagt:
@Harousch (29.04.18, 18:06) Das hört sich prima an. Und das, was Sie schildern, bildet die bundesdeutsche Wirklichkeit sehr viel besser ab, als die apokalyptischen Szenarien über eine angeblich gescheiterte Integration.
30.04.18
12:56
Manuel sagt:
@Harousch: Gerne, aber einen Islam ohne Scharia!
30.04.18
18:06
Johannes Disch sagt:
@Manuel Auch "Harousch" hat in seinen Beiträgen nie etwas von der Scharia gesagt. Dass die Scharia bei uns keinen Platz hat, das ist wohl Konsens.
02.05.18
12:00
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Naja, so sicher, bin ich mir da den divseren Islamverbänden hier nicht.
02.05.18
18:05
Saadet sagt:
@Manuel Es gibt ein schönes deutsches Kinderlied: „Schön ist es auf der Welt zu sein!“ Singen hilft Frust abzubauen. Sie sollten dringend aus ihrem populistischen Schmollwinkel rauskommen. Sie fragen mich ernsthaft, wie ich zu den immer wieder rechtspopulitisch aufgearbeiten Surenauszügen und ihrem Lieblingswort Scharia stehe? Das zeigt ja schon, dass sie wirklich nichts von dem verstanden habe, was ich schreibe. Tut mir leid, Nachhilfe im freiheitlichen Denken möchte ich Ihnen nicht geben! Sie müssen Ihre nicht gemachten Hausaufgaben schon selber erledigen.Meine Literaturempfehlung an Sie: das deutsche Grundgesetz.
04.05.18
9:46
Manuel sagt:
@Saadet: Warum können Sie meine Fragen nicht beantworten???? Wie stehen Sie denn nun zur Scharia mit Ihrem Hadd-Strafen????? Was ist so schwierig, das zu beantworten? Was sagen Sie denn zum Schwertvers, gilt der nun oder nicht???? Aber ich verstehe, wenn man zum Kern des Islam vordringt, dann wird ausgewichen, Sie sind da wiedermal ein gutes Beispiel. Und freiheitliches Denken und Islam, sind schon mal ein Widerspruch in sich, wie man schön an den islamischen Ländern sieht. Und das Grundgesetz sollten Sie mal aufmerksam lesen, in unserem Land ist es erlaubt Religionen zu hinterfragen und zu kritisieren und das mache ich auch, ob es Ihnen passt oder nicht. Religionskritik ist außerdem urlinks, lesen Sie Marx was dieses beispielsweise zum Islam geschrieben hat. Offenbar brauchen Sie Nachhilfe in Sachen Meinungsfreiheit, aber ich weiß damit tun sich der Islam sehr schwer.
05.05.18
12:38
Johannes Disch sagt:
@Manuel (05.05.18, 12:38) "Saadet" hat sich wederholt auf das Grundgesetz bezogen. Wer sich auf das Grundgesetz bezieht, der kann kaum für das "Hudud-Strafrecht" der Scharia sein. Davon darf man wohl ausgehen.
07.05.18
12:16
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Gut, gekauft. Aber was ist mit den anderen Dingen? Wie steht Sie zur Verteufelung der außerehelichen Sexualität und zum Jungfrauenwahn im Islam? Darf Ihre Tochter auch eine Beziehung zu einem Nicht-Moslem haben? Wie steht Sie zur Homosexualität? Wie steht Sie zum Schwertvers im Koran? Auch das sind wichtige Dinge!
08.05.18
19:23
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