Neutralitätsgesetz

Streit um Lehrerin mit Kopftuch vor Gericht

Das Neutralitätsgesetz in Berlin schreibt vor, dass Lehrer an den meisten Schulen, Polizisten und Mitarbeiter der Justiz im Dienst keine religiösen Symbole zeigen dürfen. Eine junge Lehrerin sieht das anders und zieht vor Gericht. Die Entscheidung wird am 9. Mai verkündet.

16
04
2018
Symbolbild: Lehrerin mit Kopftuch © Perspektif, bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Kopftuch © Perspektif, bearbeitet by iQ.

Erneut wurde die Klage einer Berliner Lehrerin gegen das Kopftuchverbot an allgemeinbildenden Schulen verhandelt. Eine ausgebildete Lehrerin hat gegen das Land Berlin geklagt. Sie will mit Kopftuch dauerhaft an einer Grundschule unterrichten. Der Bildungssenat verweigert dies mit Blick auf das Neutralitätsgesetz. Das Arbeitsgericht erörtert am Montag den Fall.

Eine endgültige Entscheidung will das Gericht am 9. Mai (13.00 Uhr) verkünden. Richter Arne Boyer sprach von keinem einfachen Fall.

Die Anwältin des Landes Berlin Seyran Ateş rechnete am Montag nach der Verhandlung mit einer Niederlage für den Senat. Sie zeigte sich enttäuscht, dass die Verfassungskonformität des Neutralitätsgesetzes nicht erörtert wurde.

Neutralitätsgesetz in Berlin

Laut Gesetz dürfen Polizisten, Justizmitarbeiter und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen im Dienst keine religiös geprägten Kleidungsstücke tragen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will daran festhalten. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) meint, das Gesetz sei nicht zu halten. Die Linke als Koalitionspartner hat noch keine abschließende Meinung.

Einzellfallentscheidung

Im Vorjahr hatte das Landesarbeitsgericht einer muslimischen Lehrerin mit Kopftuch eine Entschädigung von 8680 Euro zugesprochen. Sie hatte argumentiert, sie sei wegen des Kopftuchs abgelehnt und diskriminiert worden. Das Gericht sah eine Benachteiligung, sprach jedoch von einer Einzelfallentscheidung. Der Senat hatte keine Revision gegen das Urteil eingelegt.

Die Klägerin, die am Montag nicht ins Gericht kam und in Elternzeit ist, hatte mit Kopftuch einen Tag an einer Grundschule unterrichtet. Sie wurde freigestellt und dann einem Oberstufenzentrum zugewiesen, wo das Kopftuch erlaubt ist. Dort hätte sie aber nur in einer Willkommensklasse unterrichten können. Die junge Frau hatte vor der Einstellung bejaht, dass sie das Neutralitätsgesetz kenne.

Es wäre die „sauberste Lösung“, den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, so Ateş. Das oberste Gericht hatte zuletzt 2015 ein pauschales Kopftuchverbot an nordrhein-westfälischen Schulen gekippt und die Bedeutung der Religionsfreiheit betont. Allein vom Tragen eines Kopftuches geht demnach keine Gefahr aus.

Ein Vorbild für muslimische Kinder

In der Hauptstadt lebten Menschen aus fast 120 Nationalitäten, die miteinander auskommen müssten. Doch gerade an Brennpunktschulen würden sich Kinder verschiedener Religionen bekriegen. Da wäre eine Lehrerin mit Kopftuch Vorbild für muslimische Kinder, sie würde so Konflikte verstärken. Sollte die junge Lehrerin Recht bekommen, würde ein Präzedenzfall geschaffen und das einzigartige Privileg, an einer bestimmten Schule unterrichten zu können, warnten die Vertreter des Senats. Richter Boyer sagte, in diesem Fall könne das Land eine Vollstreckungs-Gegenklage einreichen. (dpa, iQ)

Wie kam es überhaupt bis zu diesem Punkt? Wir haben den jahrzehntelangen Kopftuchstreit in einem Video zusammengefasst. Klicken Sie auf das Bild, um zum Video zu gelangen.

Kopftuchkarte2

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (Ihr Post vom 23.04.18, 11:46) Nein, das Berliner Neutralitätsgesetz steht eben nicht im Einklang mit unserer Verfassung, und zwar deshalb, weil es ein Kopftuch pauschal verbietet. Das ist verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht 2015 unmissverständlich festgestellt hat. Da tut es auch nichts zur Sache, dass das Berliner Gesetz alle religiösen Symbole verbietet. Schulgesetze, die genauso gestrickt waren wie das Berliner Gesetz, mussten nach dem Urteil 2015 ihre Gesetze ändern, um sie verfassungskonform zu machen. Nur Berlin geht bisher noch einen Sonderweg. Das konnte sich Berlin bisher leisten, weil die bisher betroffenen Lehrerinnen den Gang nach Karlsruhe scheuten und auch das Land Berlin keine Revision einlegte gegen die Niederlagen, die es vor Arbeitsgerichten erlitt. Lieber zahlte das Land Berlin hohe Entschädigungen. Das ist jetzt vorbei, da der aktuelle Fall mit ziemlicher Sicherheit wohl in Karlsruhe landen wird. So haben sich jedenfalls die Rechtsvertreter beider Seiten geäußert. Das ist auch nicht der einzige Fall, der anhängig ist. Inzwischen haben erneut 2 Lehrerinnen Klage eingereicht gegen das Land Berlin. Es wird Zeit, dass Karlsruhe über das Berliner Gesetz endlich eine Entscheidung trifft. De aktuelle Situation ist für alle Beteiligten eine Zumutung. Die unterschiedlichen Standpunkte zu dem Berliner Gesetz sind doch längst ausgetauscht. Warten wir einfach ab, wie Karlsruhe entscheiden wird.
24.04.18
14:08
Ute Fabel sagt:
@Vaku: "Seit wann ist eine Burschenschaft eine Religion? Der Vergleich hinkt..." Burschenschaften sind sowohl Weltanschauungsgemeinschaften als auch politische Organisationen. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie genießen nichtreligiöse Weltanschauungen einen Diskriminierungsschutz gegenüber Religionen. In Art 3 Absatz 3 Grundgesetz steht überdies ausdrücklich geschrieben: Niemand darf wegen .. seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Die politische Anschauung darf nach den deutschen Verfassung gegenüber der religiösen Anschauung rechtlich nicht schlechter gestellt werden. Lehrerinnen mit Kopftuch zuzulassen bedeutet auch Lehrer mit Burschenschafterband, PEGIDA-Button oder kommunistischem Blauhemd erlauben zu müssen. Bei dieser Horrorvision scheint mir das konsequente optische Neutralitätsprinzip für alle die salomonische, diskriminierungsfreie Alternative zu sein.
03.05.18
11:31
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Wenn alle benachteiligt werden, dann ist das noch lange nicht gerecht.
03.05.18
14:23
Johannes Disch sagt:
@Urteil Verwaltungsgericht Kassel 03.05.18 Gestern fiel übrigens ein wegweisendes Urteil: Die Stadt darf einer Beamtin das Tragen des Kopftuchs aus religiösen Gründen während der Dienstzeit nicht verbieten. Jede Wette: Karlsruhe wird das Berliner Neutralitätsgesetz kippen. Und damit ist die Landesregierung Berlin dann so blamiert, dass sie umgehend geschlossen zurücktreten kann.
04.05.18
14:00
Johannes Disch sagt:
So, das Urteil ist da. Die Lehrerin darf nicht mit Kopftuch unterrichten, so das Berliner Arbeitsgericht in erster Instanz. Jetzt geht das Ding wohl durch die Instanzen bis nach Karlsruhe. So hatten sich jedenfalls vorher beide Seiten geäußert für den Fall, dass sie vor dem Arbeitsgericht unterliegen sollten.
09.05.18
15:48
1 2 3