Heimat

Wo ist die Heimat des Islams?

Heimat. Ein Begriff, der zu einem Politikum gemacht wurde. Dem steht gegenüber, dass jeder ein starkes Bedürfnis danach zu haben scheint. So auch die Muslime, deren Zugehörigkeit zu Deutschland immer wieder abgesprochen wird. Wo oder was ist Heimat?

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04
2018
Identität, Heimat
Wo oder was ist Heimat? © shutterstock

Teil von etwas zu sein ist ein menschliches Bedürfnis. Zu einer Familie, Gemeinschaft, Gesellschaft oder Nation dazuzugehören, also eine „Heimat“ zu haben und mit ihr verbunden zu sein, scheint etwas Urmenschliches zu sein.

In der heutigen schnelllebigen, globalisierten Welt scheint es aber kaum möglich zu sein, ein Leben lang nur eine Heimat zu haben. Mobilität, Flexibilität und globale Kommunikation sind Normalität geworden. Der heutige Mensch möchte sich individuell verwirklichen. Sein Leben ist ihm viel zu wertvoll, um es in nur einem wohlbehüteten Ort zu verbringen. Er kann und möchte in mehreren Gesellschaften leben und sich zu allen zugehörig fühlen. Er sieht sich eher als „Weltbürger“. Heimat sollte also im Plural gedacht werden. Das Bedürfnis danach ist da, es kann aber mehr sein als nur eine.

Gleichzeitig hat der Begriff mehrere Ebenen: Ein Mensch kann in einer Stadt leben, die er seine Heimatstadt nennt (z. B. Köln), aber gleichzeitig eine andere Stadt (z. B. Siegen) im selben Land oder in einem anderen Land (z. B. Kelkit/Türkei) als Heimat haben. Zudem kann er, wenn er Muslim ist, auch eine religiöse Komponente hinzufügen und sagen, dass seine wahre Heimat Mekka oder sogar das Jenseits ist.

Die islamischen Quellen

Im Koran jedenfalls findet sich kein Argument für eine bestimmte territorial festgelegte Heimat. Darum geht es dem Koran nicht. In den Koranversen werden eher Begriffe verwendet wie „Umma“, „Dâr“ und „Milla“. Das sind allesamt übergeordnete Bezeichnungen, die auf das Wesentliche hindeuten: die religiöse Gemeinschaft.

Vor allem die Prophetengeschichten im Koran zeichnen einen recht pragmatischen Umgang mit diesem Thema. Die koranischen Propheten waren Menschen, die oft in nicht sesshaften Gesellschaften lebten. Das Reisen ist ein immer wiederkehrendes Merkmal im Leben dieser Propheten, sei es nun die Lebensform als Nomade, die Auswanderung oder auch einfach die Handelsreise.

Die Propheten hatten allein schon aufgrund des fehlenden Nationenbegriffs ein nicht ideologisches, unpolitisches Verständnis von Heimat. Beispiele hierfür sind die Propheten Ibrâhîm, Nûh, Yûnus, Yûsuf, Sâlih, Schauyb, Lût und Mûsâ (Friede sei mit ihnen). Ihnen ging es mehr um den Tawhîd-Gedanken, also die Botschaft des Monotheismus. Dieses Konzept ist genauso wie die religiöse Gemeinschaft nicht auf eine bestimmten Ort fixiert, sondern überregional und überzeitlich.

Auch der Prophet Muhammad (s) hat sich nicht auf einen Ort fixiert. Der Prophet kam in Mekka auf die Welt und verbrachte dort mehr als 50 Jahre seines Lebens. Nach der Auswanderung nach Medina und der Einnahme Mekkas zog er es aber vor, in Medina weiterzuleben, wo er nach seinem Ableben auch beerdigt wurde.

Das müssen auch die Prophetengefährten und die darauffolgenden Generationen im Hinterkopf gehabt haben. Denn sie haben noch zu Lebzeiten des Propheten damit begonnen, den Islam in die angrenzenden Regionen und später auch an entferntere Orte zu tragen. Davon zeugen noch heute die Gräber unzähliger muslimischer Händler, Gelehrter und Sufis, die sehr oft fernab von ihrer „ursprünglichen Heimat“ in ihrer „neuen Heimat“ verstorben sind.

Drei Arten von Heimat

Ähnlich nüchtern sieht es das islamische Recht. Hier wird zwischen drei Arten unterschieden:

 

  1. Die „ursprüngliche Heimat“ ist der Ort, an dem jemand geboren und aufgewachsen ist, in den jemand zwecks Heirat gezogen ist oder den er als seinen Wohnort ausgewählt hat.
  2. Die „Heimat des Aufenthalts“ ist der Ort, an dem sich jemand mehr als 15 Tage aufhält.
  3. Wenn sich jemand weniger als 15 Tage an einem Ort aufhält, ist dies seine „vorübergehende Heimat“.

 

Auffällig ist die sehr pragmatische Herangehensweise und die Freiheit des Einzelnen, seine Heimat selbst auszuwählen. Wichtig ist, dass er in dieser seine Religion leben und seine religiöse Identität bewahren kann.

Leserkommentare

grege sagt:
@ Herr Disch Politik und Religion sind in dieser Hinsicht sehr eng miteinander verwoben. Die meisten Muslime hierzulande sind türkischer Abstammung, was in der Tatsache resultiert, dass die präsenten Islamverbände mit Ausnahme des ZMD von der türkischen Politik dominiert sind. Ebenso hat Erdogan die enge Partnerschaft mit den Muslimbrüdern sowie der Hamas gesucht. Zudem strebt die afd ähnliche AKP, die von den hier lebenden Türken mehrheitlich gewählt wird, in der Türkei auf subtile Weise eine zunehmende Islamisierung der Gesellschaft an. Die laiziistisch geprägten Bevölkerungsanteile geraten immer mehr in Bedrängnis. Wer also für Erdogan oder seine AKP votiert, macht sich auch zum Gehilfen des islamischen Extremismus.
17.05.18
22:28
grege sagt:
@ Andreas Sie dreschen hier pauschalisierend linkspopulistische Phrasen. Die meisten Länder der westlichen Sphäre mit Ausnahme der Amerikaner betreiben noch nicht einmal eine konkrete Nahostpolitik, geschweige denn, sie sind in den Regionen militärisch aktiv. EU und Nahostpolitik, diese Bezeichnung wird der Tatsache nicht gerecht, da der Einfluss der EU Staaten schwach ist und eigentlich nur eine wirtschaftliche Komponente aufweist. Die jüngsten Nahostkrisen in Gaza sowie mit Iran führen die Schwäche der EU doch bestens vor Augen ... Ich empfehle Ihnen sich über die Grundsätze der deutschen Nahostpolitik zu informieren, die in einer kurzen Zusammenfassung auf der Website des auswärtigen Amtes hinterlegt ist. Insofern ist Ihre Aussage sachlich völlig verfehlt und zudem stigamatisiierend. Ich selber als Bewohner eines westlichen Landes habe noch keinen Araber Demokratie aufgeschwatzt. Ebenso bin ich mit Ausnahme eines zweiwöchigen Urlaubs in Tunesien bisher der arabisch-islamischen Welt ferngeblieben. Im Gegenteil Muslime aus Syrien und anderen nahöstlichen Ländern sind in Heerscharen nach Deutschland geströmt, so dass man eher von einer Invasion in anderer Richtung sprechen muss......
17.05.18
22:44
Johannes Disch sagt:
@grege (Ihr Post vom 17.05.18, 22:44) -- "Ich empfehle Ihnen, sich über die Grundsätze der deutschen Nahostpolitik zu informieren..." (grege an Andreas B) Die sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Laut den Grundsätzen liefern wir keine Waffen in Krisengebiete. In der Realität tun wir das aber doch. Laut den Grundsätzen haben wir mit die strengsten Gesetze der Welt, was Waffenexporte betrifft. In der Realität sind wir der viertgrößte Waffenexporteuer der Welt und in kaum einem anderen Land sind die strengen Regeln so einfach zu umgehen, wie bei uns. Nach acht Jahren Ermittlungen läuft jetzt ein Prozess gegen "Heckler & Koch", eine der größten deutschen Rüstungsfirmen. Heute kommt grade die Meldung, dass "Heckler & Koch" offenbar Bundestagsabgeordnete bestochen haben. "Heckler & Koch" liegt im Wahlkreis des ach so christlichen CDU-Generalsekretärs Volker Kauder (CDU). Und was den immer wieder geäußerten Einwand betrifft, die EU und Deutschland würden doch eine andere Nahostpolitik machen als die USA: Die islamische Welt nimmt den Westen als Einheit wahr. Und so versteht sich das westliche Bündnis (NATO) ja auch: Als Wertegemeinschaft unter Führung der USA.
22.05.18
9:12
Johannes Disch sagt:
@"Der Westen" -- Zu dem ziemlich unfruchtbaren Streit über angebliche "Sippenhaft", wenn wir vom "Westen" sprechen. Wie ich schon des Öfteren betonte, ist der Westen politisch ein klar definierter Begriff. Niemand, der im Fach "Internationale Beziehungen" auch nur ein bisschen bewandert ist, würde ihn infrage stellen. Der Westen ist vor allem eine Wertegemeinschaft, deren Kern sich zusammenfassen lässt mit den Kategorien "Demokratie", "Rechtsstaatlichkeit", "Gewaltenteilung" und "Menschenrechte." Bei allen Unterschieden in der Geschichte der westlichen Staaten und ihren Unterschieden, was die parlamentarischen Systeme betrifft, sind es diese gemeinsam geteilten Werte, die den Westen ausmachen. Dass der Westen politisch nicht immer nach seinen Werten handelt, sondern oft nach seinen politischen und ökonomischen Interessen-- grade in der islamischen Welt-- ist eines seiner Spannungsfelder. Der Westen kann in anderen Regionen und gegenüber anderen Kulturen am besten Werbung machen, wenn er sich so oft wie möglich an diese Werte hält. Es ist unvermeidlich, dass wir gelegentlich verallgemeinern. So heißt es auch in den Medien oft: "Die USA tun....", und es wird vorausgesetzt, dass damit die amerikanische Regierung und deren Politik gemeint ist und nicht 300 Millionen US-Amerikaner. Es werden also mit solchen Formulierungen wie "Die USA" und "Der Westen" keineswegs 300 bzw. 500 Millionen Menschen in Sippenhaft genommen. Ähnlich verhält es sich mit Formulierungen wie "Der Islam" oder "Die islamische Welt." Auch das ist okay, wenn deutlich gemacht wird, dass damit nicht pauschal alle 1,5 Milliarden Muslime und die Religion und Kultur des Islam gemeint sind. Wir könnten natürlich auch formulieren: "Die Welt mit überwiegend islamischen Bevölkerungsanteil" oder ähnliches. Aber damit würden wir unlesbare Bandwurmsätze produzieren.
22.05.18
20:56
grege sagt:
Herr Disch Inwieweit Verallgemeinerungen möglich und sinnvoll sind, hängt vom inhaltlichen Zusammenhang sowie den individuellen Maßstäben ab. Was den inhaltlichen Zusammenhang angeht, kann der Begriff „Westen“ beispielsweise bei der Thematisierung des Ost-/Westkonfliktes aufgrund seiner Eindeutigkeit problemlos verwendet werden. Unter Westen werden alle Länder in dem Zusammenhang verstanden, die der Nato angehört haben. Beim Schwenk auf das Thema Islam und muslimische Welt ist diese Eindeutigkeit überhaupt nicht mehr gegeben. Die westlichen Länder haben vielfach aufgrund ihrer unterschiedlichen Geschichte, ihrer unterschiedlichen geographischen Lage sowie ungleicher wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sehr spezielle Beziehungen zu den islamischen Staaten, insbesondere im Nahen Osten. England und Frankreich sind als Kolonialmächten in Erscheinung getreten, Deutschland hat im ersten Weltkrieg den Schulterschluss mit dem osmanisch Reich gesucht, Griechenland fechtet seit Jahrhunderten seine Rivalität mit der Türke aus und die Amerikaner unterhalten ebenso ihre speziellen Beziehungen zu den Staaten der islamischen Welt. Andere Länder, sogar zahlenmäßig mit Osteuropa eingerechnet in der Überzahl, haben überhaupt keine besonderen Beziehung zu den muslimischen Staaten. Hier pauschalisierend vom Westen zu sprechen, insbesondere im Zusammenhang mit angeblichen Fehlern und historischer Verantwortung , ist daher völlig verfehlt und führt in Diskussionen auch schnell zu Irritationen und Schieflagen. Während einer Diskussion mit einem Muslime hatte mir dieser mal die Frage gestellt, ob wir (hier lebende Muslime) nicht auch zum Westen gehören würden??? Wie jemand etwas bezeichnet oder umschreibt, ist teilweise auch typ- und mentalitätsbedingt. Die einen sprechen die offenen Punkte direkt in einem generellen Zusammenhang an, neigen daher, ohne jede Stigmatisierungsabsicht, auch zur Pauschalisierung. Andere treten eher diplomatischer auf, um Pauschalisierungen partout zu vermeiden. Beide Verhaltensweise sind für mich völlig akzeptabel, entscheidend ist jedoch, dass diese einheitlich praktiziert werden und nicht je nach bestimmten Kriterien wie Rasse oder Religion variiert werden. Hier in diesem Forum ist mir aufgefallen, dass einige äußerst empfindlich auf Verknüpfungen zwischen Islam / Muslime sowie Extremismus /Terrorismus reagieren. Diese Empfindlichkeit lassen dieselben Personen jedoch vermissen , wenn angebliche Fehler oder Schwächen von Kulturen, Bündnissen, Ländern oder Wertegemeinschaften außerhalb der islamischen Welt angesprochen werden. Bei dieser Schieflage entstehen in Diskussionen schnell Missverständnisse, die zu den aus Ihrer Sicht unseeligen Off Topic Diskussionen führen. Zur Vereinfachung der Kommunikation kann man natürlich allgemein Z.B. vom „Westen“ sprechen, allerdings sollte das gleich auch für den „Islam“ und die „Muslime“ gelten, auch dann, wenn diese mit kritischen Eigeschaften assoziiert werden. Bisher ist hier immer reflexhaft insbesondere auch meiner Person gegenüber schnell der Vorwurf von Islamhass, Islamfeindlichkeit und Rassismus laut geworden, den man sich bei Diskussionen mit Bezug zum „Westen“ verbeten hat.
27.05.18
18:10
grege sagt:
@Herr Disch "Dass der Westen politisch nicht immer nach seinen Werten handelt, sondern oft nach seinen politischen und ökonomischen Interessen-- grade in der islamischen Welt-- ist eines seiner Spannungsfelder. Der Westen kann in anderen Regionen und gegenüber anderen Kulturen am besten Werbung machen, wenn er sich so oft wie möglich an diese Werte hält. " Solche generellen Aussagen können problematisch sein, da diese mit Vorwürfen und Vorhaltungen verbunden sind. Nicht umsonst sprechen auch einzelne Muslime analog schnell von Generalverdacht und Stigmatisierung, sobald die muslimische Community oder die Religion mit Terrorismus oder Extremismus in Verbindung gebracht wird. Man kann solche Aussagen in dieser Form zulassen, sofern hier keine Ausnahmen bei anderen Themen gemacht werden. Das ist hier in diesem Forum jedoch bisher nicht geschehen, sondern mit zweierlei Maß gemessen worden. Inhaltlich sei angemerkt, dass kein Staat und keine Community auf dieser Welt jemals immer ihren eigenen Wertekodex eingehalten haben, weder kommunistische Staaten, noch irgendwelche Kirchenstaaten in der Vergangenheit, noch heutige islamische Staaten. Einige Muslime zeigen daher gegenüber den westlichen Staaten überhöhte und zum Teil auch widersprüchliche Erwartungen. Zum einen wird der Westen schnell der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten bezichtigt, andererseits fühlt man sich sofort vom Westen im Stich gelassen, wenn er keine militärische Unterstützung leistet, wie die Balkankriege oder auch der jetzige Konflikt im Syrien gezeigt haben. Insbesondere auf dem Balkan ist das pauschale Waffenembargo heftig von den Muslimen kritisiert worden, das dieses insbesondere den Bosniern im eingekesselten Srebrenica oder Sarajevo einen strategischen Nachteil verschafft hat. Ebenso haben nicht wenige Muslime das Embargo gegen den unter von Saddam regierten Irak nach dem 1. Golfkrieg verurteilt, da dieses angeblich für den Mord von 1 Million irakischen Babys verantwortlich gewesen wäre. Daher könnten Waffen- und Wirtschaftsembargos gegenüber islamische Staaten auch als Bevormundung wahrgenommen werden, was dem Vorwurf gleichkommt, der Westen versuche anderen Ländern seine Werte aufzuzwingen. Letztlich ist nicht entscheidend, wieviele Waffen exportiert werden, sondern welche Waffen an welches Land geliefert werden. Ob tatsächliche Verstöße gegen bestimmte Kontrollgesetze von irgendwelchen Politiker protegiert worden sind, ist bei der Faktenlage sehr spekulativ.
27.05.18
20:06
grege sagt:
@ Herr Disch "Und was den immer wieder geäußerten Einwand betrifft, die EU und Deutschland würden doch eine andere Nahostpolitik machen als die USA: Die islamische Welt nimmt den Westen als Einheit wahr." Und das sollen wir so lapidar hinnehmen, wie Sie es hier formuliert haben. Tja dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn die islamische Welt ausschließlich mit negativen Eigenschaften wie Terror und Extremimus assoziiert wird. Solange Sie Ihre Aussagen nicht spiegeln entstehen diese Verzerrungen
30.05.18
17:50
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