Goethe und der Islam

Goethes Beschäftigung mit dem Islam

Viele deutsche Dichter und Philosophen haben sich mit dem Islam und dem Koran beschäftigt. So auch Johann Wolfgang v. Goethe. In seinem West-östlichen Diwan möchte er die deutsche Leserschaft mit Ereignissen und Gedanken des Islams bekannt machen. Ein Beitrag von Ahmet Aydın.

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04
2018
Goethe
Johann Wolfgang von Goethe: Sein West-Östlicher Divan bewegt noch heute Menschen in aller Welt

Der Islam gehört zu Deutschland. Diese Behauptung, der viele Muslime zustimmen würden, löst in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung Empörung aus. Warum?

Was wir als schön, außergewöhnlich und gut empfinden, erkennen wir gern als Teil unserer Identität und Kultur an. Dinge, die negative Assoziationen hervorrufen, lehnen wir jedoch ab. Das ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Wer also mit der islamischen Lehre ausschließlich Negatives verbindet, gar meint, das Abendland gegen sie verteidigen zu müssen, den muss die Behauptung, sie gehöre dazu, natürlich empören.

Eine geduldige, auf wirkliches Verständnis ausgerichtete Auseinandersetzung mit den Inhalten der islamischen Lehre ist bisher leider ausgeblieben. Johann Wolfgang von Goethe, der deutsche Dichterfürst, stellte einst fest, dass der Koran zu Anfang zwar „immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt“. Sicher wäre er nicht zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn er sich hätte abschrecken lassen von den Urteilen seiner Vorgänger und Zeitgenossen.

„Mahomet“

Deutlich wird das etwa in der Auseinandersetzung um Voltaires Stück „Mahomet“, das den Propheten Muhammad (s) in einem sehr schlechten Licht darstellt. Goethe hatte es nur widerwillig übersetzt und sich dabei um eine weniger verzerrende Darstellung der Person des Propheten bemüht. Zugleich durfte er jedoch nicht so stark in den Inhalt eingreifen, dass die Übersetzung zu seinem eigenen Werk geworden wäre.

Gottfried Herder, ein Freund Goethes, der seine Bewunderung für Muhammad (s) teilte, bezeichnete das Stück als „Versündigung gegen die Menschheit und gegen Alles“. Auch Herders Ehefrau resümierte nach der Aufführung: „Eine solche Versündigung gegen die Historie (er macht den Mahomet zum groben platten Betrüger, Mörder und Wollüstling) und gegen die Menschheit, habe ich Goethe nie zugetraut.“[1] Goethe fühlte sich ungerecht behandelt. In seiner Autobiographie wird Goethe Jahre später schreiben, dass er den Propheten „nie als einen Betrüger hatte ansehn können.“[2]

Noch während er an der Übersetzung arbeitete, schrieb Goethe am 10. Januar 1800 an seinen Freund Karl Ludwig von Knebel: „Die Gelegenheit zur Vergleichung mit dem Original sollte den denkenden Deutschen auffordern über das Verhältniß der Kunst beyder Nationen nachzudenken.“ Der Begriff der künstlerischen Freiheit wurde in der damaligen deutschen Kunst noch nicht dazu missbraucht, Beleidigungen und Entwürdigungen salonfähig zu machen.

„West-östlicher Diwan“

In seinem „West-östlichen Diwan“ wählte Goethe einen anderen Weg. Er wollte sich bewusst von einer Tendenz absetzen, die der Orientalist von Diez in einem Brief an Goethe so beschrieb:

„Es scheint aber leider! den Europäern eigen zu seyn, sich nicht leicht in Dinge finden zu können, die nicht nach ihrer gewohnten Weise oder nach dem Zuschnitt von Griechenland und Rom, welche sie zu Mustern genommen, gemacht sind.“

Goethe eignete sich umfassendes Wissen über die islamische Lehre an, um sich in die Perspektive eines Muslims hinein versetzen, seine Denkungsart nachempfinden und korrekt wiedergeben zu können. Von dieser Einstellung zeugt auch seine Aussage, die er in einem Brief an Diez äußert: „Wollen wir an diesen Productionen der herrlichsten Geister Theil nehmen, so müssen wir uns orientalisiren“. Tiefes Verständnis ist eben nur dann möglich, wenn derjenige, der verstehen möchte, bereit ist, die Perspektive zu wechseln. Goethe tut dies schon im ersten Gedicht seines Divan, das den Titel „Hegire“ (seine Schreibweise des Wortes „Hidschra“) trägt. Er „wandert aus“ in den Orient und möchte von seinen Erfahrungen dort berichten:

„Will mich unter Hirten mischen, / An Oasen mich erfrischen, / Wenn mit Karawanen wandle, / Shawl, Kaffee und Moschus handle; / Jeden Pfad will ich betreten / Von der Wüste zu den Städten. // Bösen Felsweg auf und nieder / Trösten, Hafis, deine Lieder […]“

Goethe möchte in seinem Werk die deutsche Leserschaft mit Ereignissen und Begebenheiten, Dichtern und Denkern und mit Gedanken und Ideen des Orients bekannt machen. Im Cotta‘schen Morgenblatt vom 24. Februar 1816 schreibt er:

„Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich an Sitten, Gebräuchen, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja er lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sey.“

Um zu einem besseren Verständnis seiner Gedichte beizutragen, hat Goethe die „Noten und Abhandlungen“ hinzugefügt. Der Leser soll erkennen, dass auch im Orient die Meinungen zu bestimmten Themen auseinander gehen. Schillers Witwe Charlotte schreibt in einem Brief: „Goethes Umgang mit dem Orient ist uns recht erfreulich; denn er lehrt uns diese wunderliche Welt kennen.“

Goethe tut etwas, was heute notwendiger ist denn je: Er befasst sich ohne Wertung mit dem Orient und auch mit der islamischen Lehre. Dass diese nicht synonym verwendet werden können, weiß Goethe, denn er lässt auch orientalische Dichter zu Wort kommen, die behaupteten, Propheten zu sein. Goethe reduziert die islamische Lehre nicht auf Kleidung, Alkoholverbot oder andere Sitten, sondern schöpft aus ihrem geistigen Reichtum. An Carl Friedrich Zelter schreibt er am 11. Mai 1827:

„Indessen sammeln sich wieder neue Gedichte zum Divan. Diese Mohammedanische Religion, Mythologie, Sitte geben Raum einer Poesie wie sie meinen Jahren ziemt. Unbedingtes Ergeben in den unergründlichen Willen Gottes, heiterer Überblick des beweglichen immer kreis- und spiralartig wiederkehrenden Erde-Treibens, Liebe, Neigung zwischen zwei Welten schwebend, alles Reale geläutert, sich symbolisch auflösend.“

Goethe nahm sein Wissen aus der Lektüre des Korans, der Aussprüche des Propheten Muhammad (s) und anderer orientalischer Werke, und lässt sich von ihnen inspirieren. Er las u. a. in den „Fundgruben des Orients“, in der „Geschichte der schönen Redekünste Persiens“, im „Buch des Cabus“. All diese Werke machten Goethe mit den Gedanken muslimisch geprägter Autoren vertraut. Einem Muslim, der Goethes Werk liest, wird vieles deshalb immer wieder bekannt vorkommen.

Seine Affinität zur islamischen Lehre und ihren Inhalten beschränkte sich nicht bloß auf die Gedichte. Er würdigte auch die philosophischen Themengebiete, die in ihr behandelt werden und die Liebe, von der sie spricht. In seinen Briefen wird er nicht müde zu betonen, dass die islamische Lehre und muslimisch geprägte Dichter und Denker das Reflexionsvermögen fördert. Diese Fähigkeit zur Reflexion des Eigenen im Spiegel des Fremden scheint heute immer mehr abhanden zu kommen.

Was ist Islam?

Was jedoch bedeutet „Islam“ für Goethe? Zunächst einmal eine persönliche Kraftquelle, wie er in einem Brief schreibt: „Weiter kann ich nichts sagen, als daß ich auch hier mich im Islam zu halten suche.“ Aus seiner intensiven Beschäftigung mit muslimischen Dichtern, Denkern und Inhalten destilliert er eine weitere Bedeutungsdimension, die er in einem Brief an seinen Freund Heinrich Meyer am 29.07.1816 formuliert:

„Und so müssen wir denn wieder im Islam, (das heißt: in unbedingter Hingebung in den Willen Gottes) verharren, welches uns dann fernerhin nicht schwer sein wird, wenn es uns ein wenig glimpflicher geht als bisher.“

Der Islam ist für Goethe ein ethischer Kompass, der dem Menschen von der eigenen geistigen und spirituellen Stufe kündet:

„[…] Jenes philosophische System der Mohammedaner ist ein artiger Maßstab, den man an sich und andere anlegen kann, um zu erfahren auf welcher Stufe geistiger Tugend man denn eigentlich stehe.“[3]

Goethes Bestreben war es, sich der islamischen Lehre aus der Perspektive eines Muslims zu nähern. Doch seine Werke zeigen, dass es ihm nicht allein darum ging, selbst zu verstehen. Er wollte auch seine Mitmenschen einladen, ebenso vorzugehen. Damit hat uns der deutsche Dichterfürst eine Methode gezeigt, die auch heutige Islamdebatten leiten können.

 

__________

 

[1] Zitiert nach: Mommsen, Katharina: Goethe und der Islam, hg. und mit e. Nachw. von Peter Anton von Arnim. 4. Aufl. Frankfurt am Main, Leipzig: Insel Verlag 2015, S. 91f.

[2] Goethe, Johann Wolfgang: Aus meinem Leben Dichtung und Wahrheit. In: Ders.: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, hg. von Dieter Borchmeyer et al. Abt. I, Bd. 10: Aus meinem Leben Dichtung und Wahrheit, hg. von  Klaus-Detlef Müller. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1986, S. 685.

[3] Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Nach dem ersten Druck, dem Originalmanuskript des dritten Teils und Eckermanns handschriftlichem Nachlaß, mit 158 Abb. neu hg. von Professor Dr. H. H. Houben. Leipzig: F. U. Brockhaus 1925, S. 196.

Leserkommentare

Saadet sagt:
@Anatoli Darum geht es auch in keinster Weise! Das wäre mit der dilettantisches Aussage „Was will uns der Künstler damit sagen?“ gleichzusetzen. In der Germanistik setzt man sich nicht damit auseinander, was wohl welcher Poet oder Autor heutzutage gemacht oder nicht gemacht hätte. Es geht ausschließlich um fundierte Interpretationen, Analysen und epochale Einordnungen. Hierzu empfehle ich Sekundärliteratur zu den Werken Goethes. Ich traue dem Kommentatorinnen und Kommentatoren eine sachliche, wahrheitsorientierte und wissenschaftliche Auseinandersetzung zu. Man muss sich ja nicht immer auf eine rechtspopulistische Ebene begeben. @J. Disch Ich habe mich tatsächlich in der Jahreszahl vertippt. Danke für den Hinweis!
30.04.18
11:27
Saadet sagt:
@Ute Fabel (30.4.2018) Es ist sehr interessant, wie Sie Lessings Einstellung darstellen. Leider entspricht diese Darstellung keiner germanistisch-wissenschaftlichen Analyse, die mir bekannt wäre. Hierzu ist es immer hilfreich, zitierte Stellen 1. stets mit Quelle anzugeben und 2.nicht aus irgendeinem Zusammenhang zu reißen. Um nochmal klar darzustellen: Lessing lebte in einem Deutschland, in dem der Antisemitismus zum guten Ton gehörte und selbst hochgebildete jüdische Intellektuelle geächtet und zensiert wurden. Lessing wusste, dass er nur über seine Werke, unterstützt durch seine Freundschaft mit Moses Mendelsohn, diesem sogenannte Frühantisemitismus entgegentreten konnte. Für die damalige Zeit mehr als couragiert und humanistisch.
01.05.18
15:52
Andreas B sagt:
@grege Sie sagen also, dass die Existenz bestimmter Muslime als Legitimation dienen kann, den Islam als Ganzes zu diekreditieren? Das ist ja die gute alte Sippenhaft. Die sollte in einer modernen Geselsschaft aber eigentlich keine Rolle mehr spielen. Jeder sollte nur für das haftbar gemacht werden, was er selbst verbrochen hat.
02.05.18
18:59
grege sagt:
@ Andreas B Sie sollen beim Lesen mal genauer hingucken. Diese Aussage ist nichts anderes als eine nüchterne Ursachenerklärung. Von Legitimation ist überhaupt nicht die Rede. Bevor man andere der Sippenhaftnahme beschuldigt, sollte man sein eigenen Bewertungsmassstäbe hinterfragen. Sie und andere Teilnehmer dieses Forums haben schon diverse den "Westen" in Kollektivhaft genommen. Das ist auch Rassismus pur, wenn man 800 Millionen Menschen angebliche Verbrechen an Muslimen vorwirft.
03.05.18
20:40
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (30.04.18, 8:24) Die Hinterfragung von Religionen ist auch nicht das Anliegen von Lessings "Nathan." Sein Anliegen ist Toleranz. Und das arbeitet er in diesem Stück vorbildlich heraus.
04.05.18
22:04
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (30.04.18, 8:24) -- Zu ihrem Atheismus-Zitat von Lessing: Man muss Menschen immer aus ihrer Zeit heraus verstehen und darf nicht die Maßstäbe von heute anlegen. Atheismus war zu Zeiten Lessings nicht üblich. Das Christentum war die vorherrschende Religion in Deutschland. Gemessen an seiner Zeit war Lessings "Nathan" mutig´, aufklärerisch, tolerant und humanistisch, grade im Hinblick auf den damals aufkeimenden Antisemitismus. Und es ist bis heute das Lehrstück über Toleranz. Das ist das Thema von Lessings "Nathan." Und nicht das Hinterfragen religiöser Dogmen.
05.05.18
16:30
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: „Man muss Menschen immer aus ihrer Zeit heraus verstehen“ Voltaire, der sogar um einige Jahrzehnte früher geboren wurde, ist für mich ein weit größeres Idol als Lessing. Lessings Botschaft im „Nathan“ war, kurz gefasst: Wir sollten uns einfach alle lieb haben. Ich hinterfrage deinen jahrhundertealten Aberglauben nicht, du dafür meinen nicht. Das ist für mich kein dynamischer Ansatz zur intellektuellen Weiterentwicklung der Menschheit. Voltaire kritisierte hingegen nicht nur das Christentum vehement, sondern bezeichnete auch die jüdische Religion als verabscheuungswürdigen Aberglauben. Trotzdem wurde ihm Respekt gezollt: Der polnische Talmudist Zalkind Hourwitz, Bibliothekar des französischen Königs, fasste nach Voltaires Tod dessen Haltung und Wirken wie folgt zusammen: „Die Juden vergeben ihm all das Böse, das er ihnen tat, aufgrund des Guten, das er ihnen, vielleicht unbeabsichtigt, brachte; denn sie haben jetzt eine kleine Atempause für einige Jahre und dies verdanken sie dem Fortschritt der Aufklärung, zu dem Voltaire durch seine zahlreichen Werke wider den Fanatismus sicher mehr beigetragen hat, als jeder andere Autor.“
06.05.18
20:10
Andreas B sagt:
@Ute Fabel: Der Ansatz von Lessing war absolut richtig. Tatsächlich ist es nicht an mir als Christ über die Religion des Islam zu urteilen und den Muslimen zu sagen, wie sie ihre Religion besser leben sollten. Der Dynamik in der Gesellschaft tut dies keinen Abbruch.
08.05.18
16:26
Andreas B sagt:
@grege Was sie eine nüchterne Ursachenerklärung nennen ist eine Behauptung. Und im Ergebnis sagen Sie damit eben doch, dass Muslime selbst schuld sind, wenn sie angefeindet werden, weil es doch die bösen Extremisten gibt, für die dann eben alle Muslime die Schuld tragen.
09.05.18
18:14
Ute Fabel sagt:
@ Andreas B: „Tatsächlich ist es nicht an mir als Christ über die Religion des Islam zu urteilen und den Muslimen zu sagen, wie sie ihre Religion besser leben sollten.“ Solche Unterwürfigkeit im Denken lehne ich zutiefst ab. Ich nehme mir die Freiheit, einem Kommunisten klipp und klar zu sagen, was mir an den theoretischen Schriften und an der gelebten Praxis seiner Weltanschauung missfällt. Die selbe Freiheit gestehe ich mir auch bei allen Religionen zu.
10.05.18
13:38
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