Berlin

Grüne wollen Klarheit bei Neutralitätsgesetz

Darf eine Lehrerin in Berlin Kopftuch tragen? Über die Frage, ob das Neutralitätsgesetz noch zeitgemäß ist, wird schon länger diskutiert. Nun steht eine neue Gerichtsentscheidung an. Der Senat dürfe sich nicht länger „wegducken“, meint eine der Regierungsparteien.

03
05
2018
Migrantenquote, rassistische Delikte,
Symbolbild: Berlin © by Daniel Mennerich auf flickr.com (CC BY 2.0), bearbeitet IslamiQ

Die Berliner Grünen fordern vom Senat eine rasche Klärung, ob das umstrittene Neutralitätsgesetz noch Bestand haben kann oder nicht. Angesichts der Rechtsprechung von Landesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht gebe es dringenden Klärungsbedarf bei dem Gesetz, das Polizisten, Justizmitarbeitern und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen religiös geprägte Kleidungstücke wie Kopftuch, Kippa oder Kreuz im Dienst verbietet.

Gegebenenfalls müsse dieses novelliert beziehungsweise so angepasst werden, dass es wieder vor Gerichten Bestand habe, sagte Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek der Deutschen Presse-Agentur.

„Es ist Aufgabe des Senats, hier eine Lösung zu finden. Wenn die zuständigen Senatsverwaltungen das untereinander nicht hinbekommen, muss es eben höchstrichterlich geklärt werden“, so Kapek. „Und wenn sie das nicht tun, dann werden wir sie parlamentarisch auffordern, es zu tun.“

Im Vorjahr hatte das Landesarbeitsgericht einer muslimischen Lehrerin mit Kopftuch 8680 Euro Entschädigung zugesprochen. Die Frau hatte argumentiert, sie sei wegen des Kopftuchs abgelehnt und diskriminiert worden. Das Gericht sah eine Benachteiligung, sprach jedoch von einer Einzelfallentscheidung. Weitere ähnliche Verfahren laufen, am 9. Mai urteilt das Arbeitsgericht in einem davon. Die SPD, die gemeinsam mit Grünen und Linken regiert, will das Neutralitätsgesetz nicht ändern. Regierungschef Michael Müller (SPD) hatte jüngst erklärt, er wolle um dieses Gesetz „kämpfen“.

„Ich finde es einen unerträglichen Zustand, wenn das Land Berlin einen möglicherweise nicht rechtskonformen Zustand dann auch noch verteidigt oder einfach aussitzt“, sagte Kapek. „Da kann man sich nicht wegducken, egal wie man sich inhaltlich positioniert.“ Wer hier nicht handele, lasse die Schulen mit dem Problem allein.

Religiös motivierte Konflikte entgegentreten

Aus Kapeks Sicht muss es nicht um die Frage gehen, ob es eine 100-prozentige Neutralität oder 100-prozentige Freiheit in der Frage religiöser Symbole gibt. „Was man tun muss ist, den Vorwurf der Diskriminierung und der Einschränkung der Berufsausübung ernst zu nehmen und dafür Lösungen zu finden. Da gibt es kreativere Ansätze als nur Schwarz oder Weiß.“

Kapek verwies darauf, dass es sich nicht nur um ein Problem muslimischer Frauen handele. „Es würde genauso gut einen jüdischen Lehrer betreffen, der im Unterricht seine Kippa tragen will.“ Insgesamt müsse in Berlin mehr getan werden, um religiös motivierten Konflikten in der Gesellschaft und vor allem an den Schulen entgegenzutreten, ergänzte Kapek. (dpa, iQ)

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Das Berliner Neutralitätsgesetz gilt auch für Atheisten. Philip Möller von der Giordano-Bruno-Stiftung ist Berliner Lehrer und hat in Talk-Shows im Fernsehen schon öfters ein "Gottlos-Glücklich"-Shirt unter seinem Sakko getragen. In diesem Outfit dürfte er an einer Berliner Schule auch nicht unterrichten. Von Christen, Juden, Moslems und Atheisten wird das exakt gleiche abverlangt. Das Berliner Neutralitätsgesetz gilt für den Glauben und Unglauben in gleichem Umfang. Beides sollten Lehrer nicht auffällig vor sich hertragen.
03.05.18
13:07
Manuel sagt:
Nicht mehr zeitgemäß ist, wenn man meint überall und ständig allen seine Religion unter Nase reiben zu müssen. Wir leben im 21. Jahrhundert und nicht mehr im Mittelalter, auch wenn das die Religionen oftmals gerne wieder hätten. Die Geschichte der Religionen ist ohnehin eine reine Gewaltorgie, besonders das Christentum und der Islam tun sich hier hervor, das Christentum hat die Neue Welt zwangschristianisiert oder der Islam Nordafrika. Der ständige Absolutsaspruch, besonders der monotheistischen Religionen verhindern jede Toleranz und jedes Miteinander. Eine religionsfreie Gesellschaft wäre viel toleranter.
03.05.18
19:31
Johannes Disch sagt:
@Urteil aus Kassel 03.05.18 Die Stadt darf einer Beamtin das Tragen des Kopftuchs aus religiösen Gründen während der Dienstzeit nicht verbieten. (Bericht darüber erscheint heute 04.05. 18 bei "islamiq") Überall kippen deutsche Gerichte Kopftuchverbote. Nur die Berliner Betonköpfe halten noch an ihrem verfassungswidrigen Neutralitätsgesetz fest. Und das auch noch bei einer Rot-Grünen Regierung. Bei einer konservativen Regierung könnte man es ja noch verstehen. Jede Wette: Karlsruhe wird das Berliner Neutralitätsgesetz kippen. Und damit ist der rot-grüne Senat dann so blamiert, dass er umgehend zurücktreten kann.
04.05.18
14:11
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (03.5.18, 13:07) Es ist völlig unerheblich, dass Berlin alle religiösen und weltanschaulichen Symbole verbietet. Wenn alle benachteiligt werden, dann ist das noch lange nicht gerecht. Entscheidend ist, dass Berlin das Kopftuch pauschal verbietet. Und das ist verfassungswidrig, wie Karlsruhe 2015 festgestellt hat. Neutralitätsgesetze, die genauso gestrickt waren wie das Berliner Gesetz (Bremen, NRW), mussten nach dem Urteil 2015 geändert werden. Nur Berlin weigert sich hartnäckig und hält weiterhin an einem verfassungswidrigen Gesetz fest. Also wird Karlsruhe entscheiden müssen, um endgültig Klarheit in diese nervige Angelegenheit zu bringen. Wie ich in meinem letzten Post bereits sagte: Der Trend deutscher Gerichte geht immer mehr dahin, pauschale Kopftuchverbote zu kippen. Das jüngste Beispiel datiert vom 03.05.18, wo das Verwaltungsgericht Kassel entschieden hat, dass die Stadt einer Beamtin das Tragen des Kopftuchs aus religiösen Gründen während der Dienstzeit nicht verbieten kann.
04.05.18
14:31
Sven Anatoli sagt:
Die Grünen sollten vor allem Aufklärungsarbeit über Religionen und Religionsgeschichte betreiben. Dann kämen Klärung und Klarheit ganz von alleine zustande. Fakten, Fiktionen, Fantasien, Konstruktionen - die Welt der Religionen ist voll davon. Religionsfreiheit und Fantasiefreiheit sind so ziemlich dasselbe.
04.05.18
23:21
Manuel sagt:
@Johannes Disch: Warten wir mal ab, ob es nicht da mal auch einen Gegentrend gibt, was ich stark hoffe, irgendwann werden auch Verbohrte wie Sie erkennen, dass wir hier nicht die islamische Gesellschaftsordnung brauchen.
06.05.18
18:34
Ute Fabel sagt:
@ Johannes Disch: Die wahren juristischen Trendsetter sind die europäischen Gerichte EuGH und EGMR, die das konsequente optische Neutralitätsprinzip sowohl im Staatsdienst als in der Privatwirtschaft als diskriminierungsfreie Unternehmensphilosophie gutheißen. Es ist großartig, dass der Berliner Bürgermeister für dieses Gesetz ganz im europäischen Geist zu kämpfen bereit ist und der versuchten Klerikalisierung des Staats entschlossen entgegentritt, die gerade das Erdogan-Regime über seine Ableger wie DITIB unter dem Deckmantel einer zu Unrecht behaupteten Diskriminierung nach Deutschland Schritt für Schritt zu importieren versucht.
06.05.18
20:33
Andreas B sagt:
Einem Atheisten dürfte es wohl kaum Probleme bereiten, auf sein "Gottlos glücklich" T-Shirt zu verzichten. Ihm geht es im übrigen wohl tatsächlich nur darum, jedem seinen Unglauben unter die Nase zu reiben. Eine Muslima, die hingegen glaubt, dass Gott ihr vorschreibt, ihre Haare zu verhüllen, fällt es ungleich schwerer, auf ihr Kopftuch zu verzichten, da sie dessen Tragen für ein göttliches Gebot hält. Es geht ihr also weniger darum, allen zu zeigen, dass sie Muslima ist, als vielmer darum, dass sie Gott gefallen möchte. Das kann man natürlich für blöd halten. Eine Ungleichbehandlung ist es im Ergebnis dennoch, da die Muslima ungleich stärker von dem Gesetz getroffen wird. Sie steht vor der Wahl, Gott zu gefallen oder den Menschen. Nun kann man natürlich sagen, dass das ihr Problem ist. Ich hingegen sage jedoch, dass eine Gesellschaft es ihren einzelnen Gliedern nicht unnötig erschweren sollte, gemäß ihrem Glauben (oder meinetwegen auch Unglauben, der letztlich eine viel radikalere Religion ist, als Christentum oder Islam) zu leben. Es gibt kein Grund- oder Menschenrecht, davon verschont zu werden, den Glauben anderer zu sehen.
07.05.18
10:45
grege sagt:
"Einem Atheisten dürfte es wohl kaum Probleme bereiten, auf sein "Gottlos glücklich" T-Shirt zu verzichten. " Das nichts andere als eine haltlose Vermutung. Was mir wichtig und unwichtig ist, vermögen Sie nicht zu entscheiden.
07.05.18
22:13
Ute Fabel sagt:
@ Andreas B: Ich finde, dass sie ein höchst bedauerliches Verständnis von Menschenrechten haben. Wenn jemand seine Gesinnung auffällig sichtbar machen will, weil damit eine vermeintliche Pflicht gegenüber einer Autorität wie einer Gottheit erfüllt werden soll, halten Sie das für vorrangig. Wenn jemand seine Gesinnung aus eigenem Antrieb sichtbar machen will, hat das für sie untergeordnete Bedeutung. Anders ausgedrückt, fremd bestimmte Menschen sollen mehr Rechte haben als selbst bestimmte Menschen. Weder aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch aus Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz lässt sich eine solche diskriminierende Unterscheidung ableiten. Ganz im Gegenteil!Niemand darf aufgrund seiner Religion (Glauben oder Unglauben), Weltanschauung oder politischen Anschauung bevorzugt oder benachteiligt werden. Entweder man erlaubt allen Beamten ihre Gesinnung im Dienst ständig sichtbar vor sich herzutragen oder keinem. Auf das Motiv darf es nicht ankommen. Da ich keine Beamten mit Salafistenbärten, Che-Guevara-Shirts oder Parteiabzeichen will, sollte am Berliner Neutralitätsgesetz unbedingt festgehalten werden.
08.05.18
7:52
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