Der jüdische Historiker Michael Brenner meint das Narrativ des „christlich-jüdischen Abendlandes“ diene der Ausgrenzung von Muslimen. Ebenso sei das Kreuz kein Symbol einer jüdisch-christlichen Tradition Deutschlands.
Der Münchner Wissenschaftler Michael Brenner sieht den bayerischen Kabinettsbeschluss zur Aufhängung von Kreuzen in jeder Landesbehörde kritisch. „Der Staat hat die religiösen Empfindungen aller seiner Bürger, und nicht nur die der Angehörigen seiner Mehrheitsreligion, ernst zu nehmen“, schreibt der Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Wochenend-Ausgabe).
Die „oft herbeizitierte Konstruktion vom christlich-jüdischen Abendland“ gebe es nicht. „Sie wurde nur zu einem Zweck ins Leben gerufen: um die unter uns lebenden Muslime auszugrenzen, die heute – ob man es will oder nicht – ebenso ein integraler Bestandteil Bayerns sind wie die Katholiken und Protestanten, wie die Juden und die Konfessionslosen.“
„Das Kreuz mag sehr wohl die Traditionen christlicher Nächstenliebe, klösterlicher Gelehrsamkeit und selbstloser Hingabe symbolisieren“, so Brenner. „Aber für Juden, die etwas Sinn für Geschichte haben, ist das Kreuz kein Symbol, das ausschließlich für Toleranz, Nächstenliebe und Respekt stehen kann. Es ist eben gleichzeitig auch ein Symbol, das während vieler Jahrhunderte für Intoleranz, Verfolgung und Bekehrungseifer stand.“
Auch wenn heute das Verhältnis zwischen den Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft in erster Linie von gegenseitigem Respekt und Toleranz geprägt sei, bleibe das Kreuz doch „einzig und allein das Symbol der christlichen Glaubensgemeinschaften“, schreibt Brenner weiter. Nun sei „die Katze aber wenigstens ganz aus dem Sack“, was die viel beschworene christlich-jüdische Symbiose betreffe, so Brenner, der als Sohn zweier Holocaust-Überlebender in Bayern aufwuchs. „Nein, da hängt kein Davidstern neben dem Kreuz, und ich sehe auch keinen siebenarmigen Leuchter, der an den jüdischen Anteil des christlich- jüdischen Abendlands erinnert. Das Kreuz allein repräsentiere die Leitkultur, „und meines Wissens nach steht das Kreuz nicht für das Judentum, auch wenn der Gekreuzigte ein Jude war“. (KNA/iQ)