Historiker

Konstruktion „Christlich-jüdisches Abendland“ dient der Ausgrenzung von Muslimen

Der jüdische Historiker Michael Brenner meint das Narrativ des „christlich-jüdischen Abendlandes“ diene der Ausgrenzung von Muslimen. Ebenso sei das Kreuz kein Symbol einer jüdisch-christlichen Tradition Deutschlands.

07
05
2018
Das "christlich-jüdische Abendland" - ein Mythos? © shutterstock

Der Münchner Wissenschaftler Michael Brenner sieht den bayerischen Kabinettsbeschluss zur Aufhängung von Kreuzen in jeder Landesbehörde kritisch. „Der Staat hat die religiösen Empfindungen aller seiner Bürger, und nicht nur die der Angehörigen seiner Mehrheitsreligion, ernst zu nehmen“, schreibt der Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Wochenend-Ausgabe).

Die „oft herbeizitierte Konstruktion vom christlich-jüdischen Abendland“ gebe es nicht. „Sie wurde nur zu einem Zweck ins Leben gerufen: um die unter uns lebenden Muslime auszugrenzen, die heute – ob man es will oder nicht – ebenso ein integraler Bestandteil Bayerns sind wie die Katholiken und Protestanten, wie die Juden und die Konfessionslosen.“

„Das Kreuz mag sehr wohl die Traditionen christlicher Nächstenliebe, klösterlicher Gelehrsamkeit und selbstloser Hingabe symbolisieren“, so Brenner. „Aber für Juden, die etwas Sinn für Geschichte haben, ist das Kreuz kein Symbol, das ausschließlich für Toleranz, Nächstenliebe und Respekt stehen kann. Es ist eben gleichzeitig auch ein Symbol, das während vieler Jahrhunderte für Intoleranz, Verfolgung und Bekehrungseifer stand.“

Auch wenn heute das Verhältnis zwischen den Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft in erster Linie von gegenseitigem Respekt und Toleranz geprägt sei, bleibe das Kreuz doch „einzig und allein das Symbol der christlichen Glaubensgemeinschaften“, schreibt Brenner weiter. Nun sei „die Katze aber wenigstens ganz aus dem Sack“, was die viel beschworene christlich-jüdische Symbiose betreffe, so Brenner, der als Sohn zweier Holocaust-Überlebender in Bayern aufwuchs. „Nein, da hängt kein Davidstern neben dem Kreuz, und ich sehe auch keinen siebenarmigen Leuchter, der an den jüdischen Anteil des christlich- jüdischen Abendlands erinnert. Das Kreuz allein repräsentiere die Leitkultur, „und meines Wissens nach steht das Kreuz nicht für das Judentum, auch wenn der Gekreuzigte ein Jude war“. (KNA/iQ)

Leserkommentare

grege sagt:
"Menschen, die zu uns kommen, müssen sich an unsere Gesetze halten." Das alleine reicht nicht aus. Man muss sich auch mit der Kultur eines Landes identifizieren, weil man sich ansonsten ausgegrenzt fühlt auf Dauer. Die Forderung stellt zwar kein Gesetz dar, sollte aber jeder im eigenen Interesse erfüllten.
16.05.18
18:35
Johannes Disch sagt:
@grege Es ist zwar richtig, dass sich Leute, die zu uns kommen, mit unserer Kultur anfreunden sollten. Aber das können Sie nicht verordnen.
23.05.18
10:13
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel (11.05.18, 21:40) Es ist richtig, dass die US-Verfassung nicht auf christlichen Grundsätzen basiert, wie sie zitieren. Aber ebenso richtig ist, dass Religionsfreiheit in den USA ein hohes Gut ist und kein Mensch würde auf die Idee kommen, den Ausdruck dieses Grundrechts einzuschränken. Anders hier, wo Leute wie Sie mit den fadenscheinigsten Argumenten und Konstruktionen die Religionsfreiheit immer mehr einschränken wollen, insbesondere die von Muslimen.
23.05.18
10:16
Collega sagt:
Das Kreuz ist ein universales Symbol. Es kann auch von Atheisten als solches verstanden werden. Das Kreuz symbolisiert nicht die "Kirche", das "Christentum", sondern das Selbstopfer des Menschen für andere, die Erkenntnis, dass Menschen fehlbar und schwach sind und darum Schuld immer auch relativ ist. Dass diese Schwäche aber auch überwunden werden kann, wenn man an das Opfer der Caritas glaubt. Das Kreuz soll den Menschen mit der Welt versöhnen, ihm Urvertrauen geben. In einer Zeit totaler Bindungslosigkeit halte ich es für fatal, die letzten Reste der Identität zu vernichten. Die Nazis sind nicht deshalb so stark geworden, weil die eigene Identität so stark war, sondern deshalb, weil die deutsche Identität, der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt, der Halt der Menschen generell, sehr schwach war. Starker Nationalismus setzt gesellschaftliche Heterogenität voraus! Wo Gesellschaften homogen sind, sind Nationalismen in der Realität eher schwach ausgeprägt. Das lehrt die Geschichte zwischen 1949 und 1990.
30.05.18
19:52
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