Eine aktuelle Studie der Open Society Justice Initiative zeigt in wie vielen EU-Ländern bereits Verbote religiöser Kleidung existieren, in welchen Ländern noch darüber diskutiert wird und wie vielen Ländern solche Beschränkungen bisher gänzlich abgelehnt werden.
Eine aktuelle Studie der Open Society Justice Initiative zum Thema Verbote religiöser Kleidung innerhalb der EU, mit besonderem Fokus auf Kopftücher und Gesichtsschleier zeigt, dass fast ein Drittel der EU-Länder (8 von 28) Kopftuchverbote in irgendeiner Form durchgesetzt hat. In 6 dieser 8 Staaten gibt es ein nationales Verbot von Kopftüchern und religiöser Kleidung. Lokale Verbote religiöser Kleidung existieren in 5 Ländern. Noch stellen diese Länder also eine Minderheit in Europa dar. „Auch wenn einige EU-Länder die Beschränkungen gegen die Kleidung muslimischer Frauen zu einer nationalen Frage gemacht haben, zeigt dieser Bericht, dass es nicht die europäische Norm ist“, so Maryam H’madoun, Politikbeauftragte der Open Society Justice Initiative und leitende Autorin des Berichts. Weitere acht Staaten erwägen allerdings derzeit legislative Vorkehrungen für ein Verbot.
Der Bericht beschränkt sich nicht nur auf gesetzliche Verbote, sondern thematisiert auch Regelungen im privatwirtschaftlichen Bereich. In 13 von 28 EU-Ländern, also fast der Hälfte der untersuchten Länder, konnten Verbote oder Beschränkungen für das Tragen religiöser Kleidung in Unternehmen registriert werden. Dies sei nach Ansicht Malin Bjorks, Mitglied des europäischen Parlaments besonders besorgniserregend. „Wenn man Unternehmen grünes Licht gibt, um Kopftücher zu verbieten, öffnet man die Tür für weitere Diskriminierung gegen muslimische Frauen am Arbeitsplatz. Kein Unternehmen, Person oder Institution sollte das Recht haben, Frauen zu sagen, wie sie sich kleiden müssen. Es ist unser Körper und unsere Entscheidung“, so Bjork
Die Forderungen nach Kopftuchverboten gehören meist in die politische Rhetorik und Agenda von rechten und nationalistischen Parteien. Diese dominieren die aktuellen Debatten. Tatschlich realisiert wurden diese Verbote innerhalb der EU allerdings ausschließlich von etablierten Mehrheitsparteien. Seit den Terroranschlägen vom 11.September könne ein rasanter Anstieg an Kopftuchverboten beobachtet werden. Dieser korrespondiere mit der zunehmenden islamfeindlichen Agitation in Europa und entsprechenden Diskursen, heißt es in dem Bericht. In 22 Ländern gab es außerdem den Versuch das Tragen von Gesichtsschleiern zu verbieten. Allerdings in den seltensten Fällen erfolgreich.
Überhaupt keine Verbote, Beschränkungen oder auch nur Bestrebungen dieser im Hinblick auf das Tragen religiöser Kleidung gibt es aktuell lediglich in sechs EU-Ländern. Allerdings finde sich auch in den Ländern, in denen Verbote durchgesetzt oder diskutiert werden, viel politischer, zivilgesellschaftlicher und rechtlicher Widerstand.
Mitglieder des Europäischen Parlaments betonen die politische Relevanz dieses Berichts und zeigen sich besorgt angesichts der zunehmenden Islamfeindlichkeit. „Dieser Bericht ist sehr wichtig und zeitgerecht. Die Religions- und Glaubensfreiheit ist nach Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Grundrecht jedes Menschen. Verbote gegen religiöse Symbole wie das Kopftuch wirken sich negativ und unangemessen auf muslimische Frauen aus, die sowieso schon sehr starker Diskriminierung und Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Verbote dieser Art stellen muslimische Frauen auch vor einer unfairen Wahl, da sie in bestimmten EU-Mitgliedsstaaten entscheiden müssen, ob sie ihre Religionsfreiheit oder ihr Recht auf Arbeit ausüben“, meint Soraya Post, europäische Parlamentarierin.
Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) kritisiert außerdem, dass die meisten Verbote innerhalb der EU sich dem Anschein nach generell gegen religiöse Kleidung richten, aber primär das Kopftuch muslimischer Frauen anvisieren. „Es ist sehr auffällig, wie diese Verbote gegen religiöser Kleidung scheinbar alle Religionen betreffen sollen, sie sich aber offensichtlich gegen muslimische Frauen richten. Das „Neutralitätsargument“ ist zwar wichtig, wird aber oft nur als Ausrede für die Diskrimination muslimischer Frauen genutzt. Wir sehen, dass sich die Ergebnisse unseres Berichtes „Forgotten Women“ („Vergessene Frauen“ auf Deutsch) bestätigen: Frauen ertragen die volle Wucht der Islamfeindlichkeit in Europa im Schnittpunkt von Geschlecht, Ethnie und Religion“, so Julie Pascoet, Senior Advocacy Officer des Netzwerkes.