Der ehemalige DITIB-Generalsekretär Bekir Alboğa möchte in die türkische Politik. Viele verwundert das, sie üben scharfe Kritik. Andere sehen es als selbstverständlich an. Ein Kommentar.
Die Bestrebungen des ehemaligen DITIB-Generalsekretärs Bekir Alboğa, bei den anstehenden türkischen Parlamentswahlen zu kandidieren, werden kritisch beäugt. Sein unerwarteter Schritt hat erneut Fragen aufgeworfen, über das Wesen der DITIB als Religionsgemeinschaft, über ihre Beziehungen zur türkischen Politik und ihre Zukunft in Deutschland. Die Verwunderung über die plötzliche Kandidatur ist verständlich. Alboğa war lange Zeit das öffentliche Gesicht der DITIB und stand in der öffentlichen Wahrnehmung für die institutionelle Öffnung, den Dialog und die stärkere Verortung einer der größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Seine Hinwendung zur türkischen Politik ist für DITIB-Kritiker ein weiterer Beweis für die starke Bindung an bzw. Abhängigkeit von der Türkei.
Im Grunde müsste man die Kandidatur gelassen nehmen. Es ist nichts Besonderes, dass Persönlichkeiten aus religiösen Bezügen in die Politik wechseln. Bestes Beispiel hierfür ist der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, der als studierter Theologe in DDR-Zeiten als evangelisch-lutherischer Pastor tätig war. Auch Doppelbesetzungen sind nichts Neues. Die Grünen-Bundespolitikerin Katrin Göring-Eckardt beispielsweise ist gleichzeitig in hohen Gremien der evangelischen Kirche aktiv. Oder, um ein Beispiel mit Türkeibezug zu geben: Der ehemalige Bundesvorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF), Turgut Öker, saß als Abgeordneter der PKK-nahen HDP (Demokratische Partei der Völker) im türkischen Parlament. Die AABF hat in Deutschland den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR). Sie erteilt alevitischen Religionsunterricht in Berlin, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern und ist in der Deutschen Islamkonferenz vertreten. Wenn man dieselben Maßstäbe wie bei der DITIB anlegen würde, wäre zumindest das letzte Beispiel eine höchst fragwürdige Kombination.
Wenn es aber um die DITIB geht, gelten andere Kriterien. Das hat zu tun mit der deutsch-türkischen Polarisierung der letzten Jahre, die in Deutschland vor allem auf dem Rücken der DITIB geführt wurde und wird – und die von beiden Seiten befeuert wurde. Infolgedessen hat die DITIB, die jahrzehntelang als bevorzugter Partner der deutschen Politik galt, stark an Ansehen eingebüßt, wobei auch sie selbst teilweise zu diesem Imageverlust beigetragen hat. Die Diskussionen der letzten Jahre drehten sich um Spionagevorwürfe gegenüber DITIB-Imamen, die vor Gericht jedoch ins Leere liefen, Wahlkampfvorwürfe in DITIB-Gemeinden oder zuletzt Feierlichkeiten mit Kindern in Militäruniform. Auch vor diesem Hintergrund wird das Vorhaben Alboğas kritisch beäugt.
Trotzdem steht es prinzipiell jedem frei, sich in der Politik seines Herkunftslandes oder eines anderen Landes zu engagieren. Hier darf die deutsche Politik und Öffentlichkeit nicht mit zweierlei Maß messen. Jedoch ist meiner Meinung nach das Engagement in Deutschland und zwar aus Deutschland heraus sinnvoller und auch authentischer. Im Fall Alboğa kann ich mir zudem vorstellen, dass nicht wenige Gemeindemitglieder sich berechtigterweise Fragen stellen: Ist die Person und auch der Zeitpunkt nicht sichtlich unpassend? Was für ein Signal wird dadurch an die eigene Jugend gesendet: das Signal, dass wenn es in Deutschland nicht klappen sollte, die Türkei eine Alternative ist, oder das Signal, dass es selbstverständlich ist, sich in seinem Herkunftsland politisch zu betätigen? Wie sollen die Gemeindemitglieder nun damit umgehen? DITIB steht unter Druck bzw. wird unter Druck gesetzt. Ist die Kandidatur, unabhängig davon, ob sie erfolgreich sein wird oder nicht, nicht ein gefundenes Fressen für DITIB-Kritiker? Diese Fragen hätten angesichts der Lage von DITIB besser abgewogen werden müssen.
Trotz dieser Fragen bleibt eine Option: Womöglich können Personen wie Bekir Alboğa die türkische Politik für die Belange der hiesigen Muslime sensibilisieren und für eine nachhaltige und zukunftsfähige Politik in Bezug auf die sog. „Auslandstürken“ werben. Ob diese Hoffnung angesichts der polarisierten politischen Zustände und der bisher nicht gerade stringenten „Diasporapolitik“ der Türkei realistisch ist, darf jedoch bezweifelt werden.