Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Themen, die in Zeiten der Klimaerwärmung und Globalisierung von großer Relevanz sind. Ob die islamischen Gebote zu einem nachhaltigeren Leben führen oder ein Trend wieder „islamisiert“ wird, erklärt Umweltpädagogin Ursula Kowanda-Yassin im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Der Begriff „Öko-Dschihad“ ist in der Öffentlichkeit nicht gerade positiv besetzt. Warum verwenden Sie diese Begriffe trotzdem?
Dr. Ursula Kowanda-Yassin: Ich glaube, dass Menschen Begriffe unbedingt brauchen, um sich zu orientieren und zuordnen zu können, worum es überhaupt geht. Die Frage, wie man Begriffe verwenden soll, ist sehr komplex. Zu viele Begriffe haben sich leider verselbständigt oder, gerade auch von der Politik, eine andere als ihre ursprüngliche Bedeutung zugewiesen bekommen. Ich denke, dass wir uns diese Begriffe „zurückholen“ müssen. Wir dürfen keine Angst davor haben, sie zu verwenden.
Ich habe mich nach langer Überlegung für den Begriff „Öko-Dschihad“ als Titel meines Buches entschieden, weil es ihn erstens schon gibt, zweitens aber auch deshalb, weil er meist nur im Zusammenhang mit Extremismus verwendet und deshalb als Provokation empfunden wird. In versuche, den Begriff im Zusammenhang mit dem Thema „Umwelt“ zu erklären, und bin bewusst nicht auf den Bereich Extremismus eingegangen.
Übrigens: Mit dem „Öko-Islam“ ist es ganz ähnlich. Es ist kein eigener, neu erfundener Islam, sondern etwas, was verstärkt entdeckt wird, weil die Notwendigkeit einfach da ist. Durch den Begriff weiß man aber, was es ungefähr sein soll, und kann die Idee zuordnen.
IslamiQ: Welchen Stellenwert besitzen Umweltschutz und Nachhaltigkeit theoretisch im Islam und welchen haben sie tatsächlich in der Praxis der Muslime?
Kowanda-Yassin: Durch die Empfehlung, „einfach“ zu leben und Grundprinzipien wie Sparsamkeit und Sauberkeit bietet der Islam beim Thema Umweltschutz schon sehr viele Ansatzpunkte, auf die inzwischen ja auch die öffentliche Diskussion immer mehr hinausläuft. Denn egal wie viele Sachen man recycelt, egal, ob man mit einem Elektroauto fährt oder mit einem anderen umweltbewussteren Fahrzeug, es ist immer problematisch. Das heißt, man müsste künftig strikt „vereinfachen“, vielleicht auf ein Fahrrad umsteigen oder sich überlegen, wie man gewisse Strecken vermeiden kann.
Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Demut gegenüber den Gaben Gottes. Wenn ich weiß, welchen Wert etwas hat oder wie lange es dauert, bis ich z. B. einen Apfel in der Hand halte, werde ich nicht sagen: „Der hat sowieso nur 50 Cent gekostet, den schmeiße ich jetzt weg, weil er einen braunen Fleck hat“. Ich werde mir stattdessen überlegen, wie lange es gedauert hat bis der Apfel bei mir gelandet ist und was es alles dafür braucht.
Was die praktische Umsetzung dieser Prinzipien durch die Muslime angeht, kann man natürlich nicht verallgemeinern. Ich habe festgestellt, dass junge Muslime, die aktiv sind und einen Vergleich haben, auch stärker für Themen wie Ressourcenschutz und Nachhaltigkeit sensibilisiert sind. Bildung ist hier ein ganz wichtiger Aspekt. Aber es kommt natürlich darauf an, wo man hinschaut. In vielen Ländern leben Menschen in politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit, können anders als wir nicht einmal ihre Grundbedürfnisse decken. Hier spielt leider auch die Ausbeutung der mehrheitlich muslimisch geprägten Länder zur Zeit des Kolonialismus eine wichtige Rolle.
IslamiQ: In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es schon seit Jahrzehnten eine recht große Umweltbewegung. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum sogenannten „Öko-Islam“?
Kowanda-Yassin: Der größte Unterschied besteht meiner Meinung nach darin, dass praktizierende Muslime ihre Motivation sehr stark aus der Religion ziehen. Ich glaube, dass die allgemeine Umweltbewegung dagegen eine eher kritische Haltung Religionen gegenüber vertritt. Es müsste eine stärkere Annäherungen zwischen Umweltaktivisten und der muslimischen Gemeinde geben. Interessanterweise hat sich interreligiös hier schon viel getan. Umweltschutz und Interreligiosität passen also offenbar sehr gut zusammen.
Ein Beispiel dafür, wie man Umwelt-Aktivismus und Religion zusammenbringen kann, ist die von der britischen Organisation ARG, die sich selbst als säkular versteht, gegründete Plattform, wo Religionen miteinander in Austausch treten und aus ihren jeweiligen religiösen Traditionen heraus Ansätze entwickeln können.
IslamiQ: Also muss die Religion gar nicht so weit im Vordergrund stehen. Es geht schließlich um ganz „weltliche“ Fragen.
Kowanda-Yassin: Grundsätzlich muss das natürlich nicht sein. Religion bzw. der Hinweis auf die Verantwortung, die man als Gläubige oder Gläubiger gegenüber seinen Mitgeschöpfen trägt, kann aber dazu beitragen, ein Bewusstsein zu schaffen. Religion muss nicht im Vordergrund stehen, aber solange wir so weit weg von dem Thema sind, ist es meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit, die Menschen irgendwo anzusprechen.
IslamiQ: Es ist doch auch praktisch nicht sinnvoll, das Thema Umweltschutz zu sehr mit der Religion zu verbinden. Schließlich sind nicht alle Muslime praktizierend oder religiös. Eine Verbindung ist da doch nicht zielführend.
Kowanda-Yassin: Ich denke, man muss jeden da ansprechen, wo er erreichbar ist. Aber man darf nicht unterschätzen, dass die Religion für viele eine Art „Anker“ ist in einer Zeit, wo man oft nicht mehr weiß, wie lange die Welt so wie sie ist noch bestehen wird. Wenn jemand sich zwar nicht als „religiös“ bezeichnet, sich aber als Muslim bekennt, kann dies auch Türen öffnen. Wir haben immer so eine Vorstellung im Hinterkopf, wie ein Muslim aussieht und was ihn ausmacht. In Sansibar läuft eine großartige Aktion, bei der Fischer davon abgebracht wurden mit Dynamit zu fischen. Das waren keine gebildeten oder religiösen Leute. Aber die Koranverse und Landschaftsbilder, die man ihnen gezeigt hat, haben sie beeindruckt. Wenn man die Themen „Islam“ und „Umweltschutz“ so prominent miteinander verbindet, läuft man immer auch Gefahr verleumdet zu werden. Aber ich denke, wenn man es aus religiösen Gründen macht, braucht man sich nicht fürchten.
Der Inputvortrag von Ursula Kowanda-Yassin zur Veranstaltung von #IslamiQdiskutiert.