Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Themen, die in Zeiten der Klimaerwärmung und Globalisierung von großer Relevanz sind. Ob die islamischen Gebote zu einem nachhaltigeren Leben führen oder ein Trend wieder „islamisiert“ wird, erklärt Umweltpädagogin Ursula Kowanda-Yassin im IslamiQ-Interview.
IslamiQ: Umweltbewusste Menschen legen Wert auf biologisch verantwortungsvoll und fair hergestellte Produkte. Muslime achten zusätzlich auch auf Halal-Kriterien. Was haben die Konzepte „biologisch“ und „fair“ gemeinsam, und was unterscheidet sie?
Kowanda-Yassin: „Biologisch“ und „fair“ produzierte Lebensmittel sind aktuell sehr angesagt und dieser Trend wird hoffentlich anhalten. Das Thema „Halal“ finde ich schwierig, weil sich viele an die äußeren Regeln halten, aber nicht an die ethischen, z. B. in Bezug auf Tiertransporte, den Umgang mit und die artgerechte Haltung von Tieren. „Ökologisch“ und „Halal“ haben nicht viel gemeinsam. Ideal wäre ein Metzger, der sich auf die Halal-ökologische Schlachtung der Tiere spezialisiert. In Wien gibt es einen Metzger der biologisch-halal schlachtet. Es reicht nicht, vor der Schlachtung „Bismillahirrahmanirrahim“ zu sagen und das Messer zu schärfen, wenn die Tiere vorher eingezwängt transportiert wurden. Das ist für mich persönlich schwer als „Halal“ zu bezeichnen.
IslamiQ: Umweltschutz ist ja leider oft erst dann ein Thema, wenn es Probleme gibt, wenn der Umweltschutz zwingend notwendig wird. Kann man sagen das Umweltverschmutzung und Umweltschutz eigentlich „Erste-Welt-Probleme“ sind?
Kowanda-Yassin: Das stimmt in gewisser Weise, und ich würde mir wünschen, dass da nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch gedacht wird. Natürlich ist es aber auch eine Frage unseres Kauf- und Konsumverhaltens. Wenn ich die Wahl zwischen einer billigen, gespritzten Tomate aus Ägypten und einer etwas teureren aus regionalem Anbau habe, kaufe ich die billigere. Was mich während meiner Recherche für mein Buch so fasziniert hat war, dass die Organisationen mit denen ich im Kontakt getreten bin, sich nicht gefragt haben, was es für einen „Sinn“ hat, sondern dass alle kleinen Handlungen einen Sinn ergeben.
IslamiQ: In der Umweltbewegung steckte auch viel Kritik an Kapitalismus, Konsum, Globalisierung. Deshalb ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die Umweltbewegung sich z. B. in Deutschland eher politisch organisiert und nicht theologisch argumentiert. Gilt das auch für junge muslimische Bewegungen?
Kowanda-Yassin: Das Politische steht hier tatsächlich weniger im Vordergrund. Es geht eher um die Bewusstseinsstärkung in der eigenen Community. Sobald man versucht, politisch etwas zu verändern, wird das immer gleich argwöhnisch beäugt. Ich glaube auch, dass es klug ist, sich auf reine Umweltschutzthemen zu konzentrieren. Wer politisch etwas erreichen möchte, muss auf den „richtigen Plätzen“ sitzen, um etwas zu bewegen, sonst bringt das nicht viel.
IslamiQ: Manche Stimmen behaupten, dass die muslimische Umweltbewegung zu einer der größten Bewegungen in der Geschichte der Zivilgesellschaft werden könnte. Ist das nicht recht übertrieben? Wie sehen Sie die Zukunft des „Öko-Islams“?
Kowanda-Yassin: Da wäre ich ein bisschen vorsichtig. Muslime sind überall auf der Welt verteilt und alle stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Deshalb kann ich mir so etwas nicht vorstellen. Meine Hoffnung ist, dass die Bewegung gewisse Themen in die Gesellschaft und Politik einbringt, sie bespricht, thematisiert und umsetzt. Die großen Schritte müssen in der Politik gemacht werden. Es müssen sicherlich bestimmte Verbote eingeführt werden. Ansonsten wird der Leidensdruck irgendwann so groß werden, dass man gar keine Alternative mehr hat und gewisse Dinge rasch umsetzen muss.
IslamiQ: Welche der Aktionen der Umweltinitiativen erscheint Ihnen als die Zukunftsträchtigste?
Kowanda-Yassin: Das ist schwer zu sagen, weil sie alle unterschiedlich sind. Es kommt auf bestimmte Faktoren wie Ort, Umgebung, Community und Altersgruppe an. In Deutschland haben mich Hima e.V., NourEnergy e.V. und Einzelpersonen, die sich selbstständig gemacht haben, beeindruckt. Es ist eine Vielfalt von Möglichkeiten da und das braucht man auch. Ein Konzept kann nicht auf andere Bereiche übertragen werden. Das Wichtigste ist, sich dem Kernproblem in dem jeweiligen Bereich bewusst zu werden und zu überlegen, welche Schritte unternommen werden müssen, Verbesserungen oder Veränderungen zu erreichen. Hierbei sollte man sich nicht überfordern, sondern klein anfangen und Schritt für Schritt wachsen, so dass es von der Umgebung weitergetragen wird.
IslamiQ: Viele Menschen sehen, dass einiges auf der Erde falsch läuft. Sie möchten etwas tun, sind aber mehr oder weniger den „Zwängen des Systems“ ausgeliefert. Was würden Sie Muslimen als Einstieg in ein nachhaltigeres Leben empfehlen?
Kowanda-Yassin: Wir sind Teil des Systems und können im kleineren oder größeren Maße immer was ändern. Jeder Einzelne sollte schauen, auf was er verzichten kann oder was er sich angewöhnen kann. Zum Beispiel fahre ich kleinere Strecken mit dem Fahrrad, oder benutze Glasflaschen statt Plastik. Mit wenig Aufwand kann man sich kleine Gewohnheiten aneignen und versuchen, sie von Zeit zu Zeit auszuweiten, um zufriedener und gesünder zu leben.
IslamiQ: Thema Plastik. Heutzutage können wir keinen Einkauf machen ohne eine Menge von Plastik mit nach Hause zu nehmen. Auch Waren, die eigentlich nicht in Plastik verpackt werden müssen, weil sie ihre eigene Schale oder Hülle haben, sind verpackt. Trotzdem meinen sie geht das?
Kowanda-Yassin: Ich frage mich, warum da politisch nichts passiert. Es ist einfach Wahnsinn. Letztens gab es eine Aktion gegen Plastik und Verpackung in einer europäischen Stadt. Dort ist eine Gruppe von Menschen in einen Supermarkt gegangen und hat nach dem Einkauf alle Artikel ausgepackt und die Verpackungen dort gelassen. Wenn solche Aktionen mehrmals in derselben Supermarktkette gemacht werden, wird es sicherlich große Wirkung zeigen. Eine solche Aktion kann auch ganz leicht alleine gemacht werden. Als Konsumenten sind wir diejenigen, die entscheiden, ob wir das Verpackungsmaterial mitnehmen oder nicht. Irgendwann wird so viel Verpackungsmaterial zurückgelassen, dass die Supermarktkette sich etwas anderes einfallen lassen muss.
IslamiQ: Thema Erziehung. Wie kann ein Umweltbewusstsein bei Kindern hervorgebracht werden?
Kowanda-Yassin: Da gibt es viel Wege. Zu aller erst sollte man den Kindern den Zugang zur Natur ermöglichen. Sie sollten Barfuß auf der Wiese gehen, einem Käfer oder einer Spinne beim Krabbeln zu sehen ohne sich dabei zu ekeln. Ferner sollte ihnen beigebracht werden, wie eine Frucht oder ein Gemüse wächst, wie sie gepflegt werden muss und dass sie nicht einfach weggeschmissen werden können. Aus islamischer Sicht gesehen sollten wir unseren Kindern auch die Überlieferungen des Propheten näher bringen, in dem wir mit ihnen Kinderbücher und Magazine zu diesen Themen lesen.
Das Interview basiert auf dem Gespräch zwischen Dr. Ursula Kowanda-Yassin und IslamiQ-Chefredakteur Ali Mete bei #IslamiQdiskutiert.