Autoren schreiben problemlos hunderte Seiten, doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten und stellt sowohl Buch als auch den Autor vor. Heute mit Susanne Kaiser.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch gerne schenken und warum?
Susanne Kaiser: Ich würde mein Buch gerne einer Person schenken, die Angst vor dem Islam hat, weil sie Musliminnen und Muslime nur aus der Ferne kennt und ansonsten ein Bild aus den Medien übernommen hat, welches die Religion mit Frauenunterdrückung, Terrorismus und Fanatismus verbindet. Menschen, die zum Islam konvertiert sind, haben in der Regel nachvollziehbare Gründe für ihre Entscheidung, die nichts mit Gewalt oder Gesellschaftsfeindlichkeit zu tun haben – anders als uns die überhöhte mediale Aufmerksamkeit für die Geschichten von Radikalisierten suggeriert. Wenn diese Person mein Buch weglegt und denkt: Eigentlich sind das ganz normale Menschen – dann habe ich viel erreicht.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Kaiser: Weil es dazu beiträgt, das Bild etwas zu entzerren und Musliminnen und Muslime nicht mehr als homogene Masse, sondern differenziert wahrzunehmen. Und vor allem nicht mehr als „die Anderen“. In meinem Buch zeige ich verschiedene Lebensentwürfe, konkrete Schicksale und individuelle Wege, die in den Islam führten. Ich zeige, wie Frauen durch die Religion lernen sich durchzusetzen und wie Männer sich durch den Islam selbst beibringen, andere Menschen mit Respekt zu behandeln. Das ist das Gegenteil von dem, was uns oft in der öffentlichen Debatte vermittelt wird, in der immer dieselben simplen Gleichungen aufgemacht werden: Kopftuch gleich Frauenfeindlichkeit, verweigerter Handschlag gleich Gesellschaftsfeindlichkeit, Islam gleich Extremismus. Aber so einfach ist es bei weitem nicht.
Die Debatte braucht unbedingt Zwischentöne, um nicht noch weiter abzugleiten. Denn dann könnte die ohnehin angeheizte Stimmung gefährlich kippen. Es wäre wichtig, dass Musliminnen und Muslime in Diskussionen über sie viel stärker selbst zu Wort kommen als bisher. Und vor allem: gehört werden.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Kaiser: In meinem Buch geht es um Selbstbestimmung und darum, wie man sein Leben mit Sinn füllen kann. Es geht um Menschen, die große Schwierigkeiten und Probleme im Leben hatten und es geschafft haben, da wieder rauszukommen, indem sie ihr Leben radikal geändert haben. Dafür brauchten sie sehr viel Mut. Das zu sehen und zu lesen, macht Mut. Das Buch spricht also nicht nur Leute an, die muslimisch sind oder konvertieren wollen. Sondern auch all jene, die nicht Opfer ihres Schicksals sein wollen, sondern etwas ändern möchten.
IslamiQ: Ihr Buch in drei Wörtern zusammengefasst?
Kann ich nicht.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Warum konvertieren so viele junge Menschen zum Islam?
Kaiser: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Die Gründe sind so verschieden wie die Menschen selbst. Wenn wir Konversion aber als gesellschaftliches Phänomen betrachten, dann würde ich sagen, dass nicht nur die Suche nach Sinn, Spiritualität und Selbstbestimmung hinter einer solchen Entscheidung steht – was ja prinzipiell alle Menschen zu allen Zeiten umtreibt. Wir befinden uns als pluralistische Gesellschaft in einer ganz speziellen Situation: Wir müssen jeden Tag unzählige Entscheidungen treffen, haben die Wahl aus unendlich vielen Möglichkeiten. Das betrifft nicht nur die Frage, ob ich mein Brötchen mit Käse oder Wurst haben will, sondern alles, was mich als Mensch ausmacht und bestimmt: Wer ich sein will, welche Werte mir wichtig sind, welche politischen Positionen ich vertrete, welche Freundschaften ich habe, wen ich liebe, wie ich meine Kinder großziehe – und nicht zuletzt was ich bei alldem für Klamotten trage. Eine Weltanschauung, die mir davon etwas abnimmt, weil sie mir einen Kompass zur Verfügung stellt, kann vor diesem Hintergrund einige Wirkmacht entfalten. Für viele haben sich darüber hinaus die Werte des Kapitalismus mit seinen Heilsversprechen als leer und unbefriedigend erwiesen, sie wollen mehr vom Leben als nur konsumieren und arbeiten, um zu konsumieren. Religion bietet da einen Gegenentwurf zum Neoliberalismus.
Junge Menschen schließen sich allen möglichen Gruppen an und konvertieren zu allem Möglichen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie im Islam vielleicht mehr Struktur finden, als in anderen Religionen, allein schon durch die fünf täglichen Gebete. Möglicherweise ist es so leichter in den Glauben hineinzuwachsen und dabei zu bleiben.
Für manche mögen die Regeln und die feste Gemeinschaft attraktiv sein, weil sie darin Halt und Sicherheit in einer ungewissen Welt finden. Für viele spielt sicherlich eine Rolle, dass ihnen Religion jenseits der Oberflächlichkeit etwas bietet, das sie als echt und tiefgehend empfinden. Ein Heilsversprechen. Sie entscheiden sich für den Islam, weil sie in ihrem Umfeld Musliminnen und Muslime haben und weil das Christentum als Alternative weniger in Frage kommt – vielleicht, weil es eine belastete familiäre Vorgeschichte gibt oder weil die christliche Tradition als ausgehöhlt empfunden wird, wenn Weihnachten und Ostern als reine Konsumfeste gefeiert wurden. Für einige geht es auch um Abgrenzung, gegen das eigene Elternhaus, gegen Lehrerinnen und Lehrer, gegen die westliche Politik in der Welt, oder ganz allgemein gegen Autoritäten. Da ist der Islam zurzeit das, was am meisten provoziert, was in der öffentlichen Wahrnehmung die deutlichste Abgrenzung darstellt und trotzdem nicht einsam macht, weil es vielerorts eine große islamische Community gibt.
All das könnte erklären, warum junge Menschen zum Islam konvertieren. Am besten erklären können das aber die jungen Menschen selbst. In meinem Buch kommen sie zu Wort.