Ein katholischer Pfarrer zieht sich ein Kopftuch über und erntet Häme von AfD-Anhängern und Lob von Musliminnen. Während der Shitstorm deutlich zu verurteilen ist, sollte seine Aktion dennoch kritisch betrachtet werden. Ein Kommentar von Esra Ayari.
Wolfgang Sedlmeier hat diese Woche für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Der Pfarrer aus Aalen machte Schlagzeilen, weil er bei der katholischen Pfingsmesse ein Kopftuch trug. Er handelte aus Solidarität mit muslimischen Frauen und gegen den verbalen Angriff der AfD-Politikerin Alice Weidel, die im Bundestag von „Kopftuchmädchen“, „Messermännern“ und „anderen Taugenichtsen“ sprach.
Die Solidaritätsaktion führte zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Alice Weidel selbst postete die Nachricht auf Facebook und nannte es „verblödet“. Bischof Gebhard Fürst unterstützte zwar die Botschaft des Geistlichen, hält aber diese Form des Protests für „grenzwertig und nicht sehr glücklich gewählt“. Über die sozialen Medien bekam der Pfarrer auch viel Beifall und setzte ein starkes Zeichen gegen Islamfeindlichkeit. Darüber freuten sich auch viele Muslime, und doch sahen es manche sehr kritisch.
Die Intention des Pfarrers ist in jedem Fall sehr löblich und vorbildlich. Es muss darüber gesprochen werden, damit die Botschaft nicht untergeht und an seiner Solidarität kein bitterer Beigeschmack haften bleibt.
Warum ist es problematisch?
Ähnlich wie bei der Solidaritätsaktion „Berlin trägt Kippa“ wurde hier ein religiöses Symbol seiner eigentlichen Bedeutung entzogen und zu einer Verkleidung entwertet. Auch ähnlich sind demzufolge die Bedenken, die nach der Berliner Aktion entstanden und jetzt nach der Aktion des Pfarrers existieren. Buchautor und Rabbiner Armin Langer hatte in seinem Tagesspiegel-Kommentar zur Kippa-Aktion von kultureller Aneignung angesprochen. Diese geschieht dann, wenn man die kulturellen Merkmale einer Minderheit zu Eigen macht, ohne ihre meist mit Emotionen verbundenen Eigenschaften zu beachten. Genau dies ist in Berlin und Aalen passiert. Sowohl die Kippa als auch das Kopftuch sind nicht nur Kleidungsstücke, die von Menschen, die dem Judentum und dem Islam nicht angehören ab und aufgezogen werden können.
Erkennbar religiös zu sein, ob nun mit Kopftuch, Kreuz oder Kippa, führt im heutigen Deutschland, trotz Religionsfreiheit, nach wie vor zu Problemen. Studien und Zahlen belegen, wie schwer es beispielsweise muslimische Frauen haben. Sie sind zum einen stark von Diskriminierungen am Arbeitsmarkt betroffen, wie aktuell der Fall um die Berliner Lehrerin und zum anderen tatsächlichen gewalttätigen Übergriffen auf offener Straße ausgesetzt. Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) sagt sogar, dass Musliminnen die ungeschütztesten Personen in Europa sind.
Sichtbare Musliminnen sind demnach rassistischer und sexistischer Gewalt ausgesetzt. Eine muslimische Frau auf ihr Kopftuch zu reduzieren ist ein sexistischer Akt der Objektifizierung. Sie wird nicht mehr als leidendes, lachendes und fühlendes Subjekt wahrgenommen, sondern als „Kopftuchmädchen“. Möchte man sich also solidarisch mit ihnen zeigen, dann soll nicht das Kopftuch in der Vordergrund gerückt werden, sondern die muslimische Frau und ihre Anliegen, Sorgen und Bedenken.
Denn diese haben sie zu Genüge und tun es auch kund. Beispielsweise vor circa einer Woche in Düsseldorf. Dort haben muslimische Frauen – mit und ohne Kopftuch – eine Kundgebung vor den Landtag organisiert und sich gegen ein mögliches Verbot stark gemacht. Oder die etlichen Musliminnen, die als Lehrerinnen, Anwältinnen und Richterinnen arbeiten möchten, denen dies aber verwährt bleibt. Sie zu hören, ihre Sorgen ernst zu nehmen und zur Verbreitung zu verhelfen ist der einzige solidarische Schritt, der hier angebracht wäre. Die Intention ein starkes Zeichen gegen Islamfeindlichkeit zu setzen ist wie anfangs erwähnt löblich, und genau diese Intention muss aufgegriffen und von muslimischen Frauen gelenkt werden, damit nicht an medial wirksamen Aktionen verschwendet wird.
Die Kopftuch-Aktion hat dem Pfarrer viel Hass und Hetze eingebracht. Schaut man sich die Kommentare unter dem Post von Alice Weidel an, so läuft es einem kalt über den Rücken. Der Pfarrer wird als „Judas“ beschimpft, der nicht „mehr alle Latten im Zaum“ hätte und „angezeigt werden“ müsse. Ein User schreibt: „Wusste gar nicht, das man mit so wenig Hirn Theologie studieren kann!“ und ein anderer: „So sehen Kinderschänder aus“.
Diese systematische Hetze, die nun den christlichen Geistlichen getroffen hat, ist nicht hinnehmbar und verdient gleichermaßen Solidarität, in Form von Texten, Solidaritätsbekundungen, Zuspruch und Verurteilungen des Hasses im Netz. Denn Solidarität beginnt nicht auf, sondern im Kopf.