Die Entscheidung über strittige Punkte in der Flüchtlingsfrage haben die Unionsparteien vertagt. Die Wogen geglättet haben sie nur teilweise. Insbesondere die CSU polarisiert zunehmend.
Am Wochenende trendete auf Twitter ein Begriff, der gute Chancen haben dürfte, zum Unwort des Jahres 2018 gekürt zu werden: „Asyltourismus“. Geprägt hat ihn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Der Asyltourismus muss beendet werden“, twitterte er am vergangenen Donnerstag. Am Montagabend präzisierte er im ZDF-Interview, er wolle den „Asyltourismus in Europa beenden“.
Auf dem Kurznachrichtendienst erntete Söder viel Kritik, teils in harschem Ton, teils elegant verpackt. So zitierte die „Tagesschau“ die Definition von „Tourismus“ aus dem Duden: „das Reisen, der Reiseverkehr (in organisierter Form) zum Kennenlernen fremder Orte und Länder und zur Erholung“. Die Seenotretter von SeaWatch veröffentlichten ein Foto, auf dem ertrinkenden Menschen ein Rettungsring zugeworfen wird. So sehe „Asyltourismus“ bei ihnen aus, kommentierten die Helfer – und luden Söder zu einem „Urlaub“ auf ihrem Rettungsschiff ein.
Indes, nicht jeder reagiert ablehnend. Söder erhält auch Zustimmung, genau wie sein Parteikollege, der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der kürzlich erklärte, das Land sei im Jahr 2015 mit Flüchtlingen „geflutet“ worden.
Die Kirchen hatten sich im Asylstreit der Unionsparteien eher zurückgehalten. In parteipolitische Fragen mischen sie sich nicht ein; zudem vermuten Beobachter, dass Kirchenvertreter es nicht auf einen neuerlichen Konflikt mit der Union anlegen wollen. Anfang 2015 hatte der Umgang mit dem Kirchenasyl für einen veritablen Streit gesorgt, bevor ein Kompromiss erreicht wurde.
Politischer Streit sei nicht verwerflich, sagte jetzt der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße – solange dabei um gute Lösungen gerungen werde. In aktuellen Debatten vermisse er jedoch „zunehmend die Empathie mit den Flüchtlingen“. Es scheine „fast nur noch darum zu gehen, wie wir diese Menschen fernhalten oder loswerden können“, so Heße im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Sprache ist nicht neutral. Sie prägt die Wahrnehmung der Realität. Sprachwissenschaftler sprechen von „Framing“, wenn durch stete Wiederholung ein bestimmtes Verständnis eines Sachverhalts durchgesetzt werden soll. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Begriff „Fake News“, den US-Präsident Donald Trump erfolgreich etabliert hat.
In diesem Zusammenhang bekamen jüngst auch TV-Talkshows einigen Gegenwind. Flüchtlinge würden dort in den gestellten Fragen in erster Linie als kriminell, der Islam in erster Linie als Problem beschrieben, so die Kritik. Nach dem verlorenen WM-Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft twitterte der Aktivist Gerald Hensel, er sehe schon die Talkshow vor sich: „Deutsches WM-Aus. Welche Rolle spielt der Islam?“
Dass sich Sprache und Maßstäbe in öffentlichen Debatten verschieben, beobachten Wissenschaftler schon seit längerem. Momentan scheint sich die Stimmung einem neuen Siedepunkt zu nähern. Stil und Tonfall der CSU-Führungskräfte seien „erschreckend“, konstatierte der Essener katholische Generalvikar Klaus Pfeffer am Dienstag auf Facebook. Er bezog sich direkt auf Söders „teilweise brachiale Sprache“, Stichwort „Asyltourismus“. Die CSU sei „längst dabei, eine rechtspopulistische Partei zu werden“, so Pfeffer: Statt „Besonnenheit und Bemühen um ein differenziertes Denken und Sprechen“ gebe es „einfache Thesen und subtil aggressive Töne“.
Deutliche Worte fand auch der frühere bayerische Kultusminister Hans Maier (CSU) für seine Partei. Die Flüchtlingsfrage als möglicher „Scheidungsgrund“ von der CDU sei „grotesk“ und „abenteuerlich“, sagte er im Deutschlandfunk. Als Partei mit dem „C“ im Namen sei die CSU auf Menschenwürde und Nächstenliebe, auf die Zehn Gebote und die Botschaft Jesu verpflichtet, mahnte Maier.
Der langjährige Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) fügte hinzu, er vermisse die Sprache, die er seit seiner Jugend im Ohr habe: „Das war eine christliche Sprache.“ Als Beispiele nannte er Konrad Adenauer, Robert Schumann, Paul-Henri Spaak und Alcide de Gaspari – jene Politiker, die einst die Einigung Europas ermöglichten. (KNA, iQ)