Divide et Impera war gestern

Kopftuchdebatte: Unterscheide und Herrsche

Debatten über das Kopftuch sind keine Neuheit. Dass mittlerweile auch kleine Mädchen Gegenstand der Debatten werden, jedoch erschreckend. Warum das so ist und welche Mechanismen zu Tage kommen. Ein Meinungsbeitrag.

24
06
2018
Symbolbild: Kopftuch, Kopftuchverbot © Shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.
Symbolbild: Kopftuch, Kopftuchverbot © Shutterstock, bearbeitet by IslamiQ.

Es wurde wieder diskutiert. Wieder über das Kopftuch. Doch diesmal waren nicht erwachsene Frauen Gegenstand der Debatten sondern Kinder. Der Hintergrund: Der Integrationsminister und stellvertretende Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) Nordrhein-Westfalens plädiert für ein Kopftuchverbot an Kitas und Grundschulen. Das Kopftuchverbot wird von Befürwortern mit Argumenten wie die Religionsunmündigkeit sowie die ‘Sexualisierung” im Kindesalter untermauert.

Parallelen zur Beschneidungsdebatte 

Im Mai 2012 war es noch die Beschneidung im Kindesalter, sechs Jahre später wird ein anderes Thema mit denselben Strategien diskutiert: das erwähnte Kopftuchverbot. Doch wie viele sind überhaupt davon betroffen? Um es in Zahlen auszudrücken: In der Altersgruppe von Mädchen unter 10 Jahren trägt 2,9% der muslimischen Mädchen ein Kopftuch. Dies ergab die Studie des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen „Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen“ im Jahr 2010. Die Studie belegt, dass zwischen dem Alter und dem Anteil der muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, eine Interdependenz besteht. So nimmt die Zahl kopftuchtragender Frauen mit zunehmendem Alter zu. Aktuelle Zahlen hatten die Grünen im NRW-Landtag angefragt und Stamp musste zugeben, dass es keine konkreten Zahlen gebe, es seien lediglich „Fälle bekannt“. Diese Datenlage hindert jedoch keine Debatte.

Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht

Wie war es bei der Debatte um die Beschneidung? Holm Putzke, Professor für Strafrecht in Passau, plädierte im Mai 2012 für eine Verschiebung der Beschneidung auf ein späteres Alter, sodass die Kinder der Tragweite des Eingriffs ermessen könnten. Die jüdische Brit Mila und die muslimische Beschneidung definierte er als eine Körperverletzung und löste somit eine impulsiv geführte Debatte aus. Während muslimische und jüdische Eltern Körperverletzung sowie Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Kinder unterstellt wurde, verstanden die Zentralräte beider Religionsgemeinschaften ein solches Verbot als einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Beide Debatten weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Die Implikation ist in beiden Fällen dieselbe: Für Kinder muslimischer und jüdischer Eltern bedarf es ein Schutz des Staates durch Gesetze, um ihr Selbstbestimmungsrecht zu gewährleisten.

Wie wird eine Meinung zu einer „herrschenden Meinung“? – Wenn diese Meinung in der wissenschaftlichen Literatur als solche akzeptiert wird und die Urteilsfindung der Gerichte auf wissenschaftliche Rechtsstudien basiert, wird aus Meinung zunächst eine herrschende Meinung und daraus wird geltendes Recht.

Diskurse als Machtinstrumente

Der Poststrukturalist Michel Foucault meint, dass Diskurse regulierende Instanzen seien, die als Machtinstrumente fungieren, indem sie subjektives und kollektives Bewusstsein formieren. Die dominierende Ansicht im Rahmen der Kopftuchdebatte ist als Brandmarkung der „Anderen“ zu verstehen, wodurch ein gruppenidentitätsgebendes Differenzierungsmerkmal in der Gesellschaft entsteht. Die diskursive Gewalt entmündigt ihre Subjektive, indem sie das kollektive Bewusstsein über das Sein der muslimischen Frau formt und diese bevormundet. Die Struktur gesellschaftlicher Diskriminierungen bzw. Privilegierungen verläuft entlang phänotypischer Differenzierungsmerkmale und kultureller Identitätsmarkierungen.

Mit anderen Worten dient die konstruierte Differenz zwischen muslimischen und christlich-weißen Personen auch dazu, das eigene Selbstverständnis und die eigene Repräsentation zu untermauern.

Indem Patriarchat und Sexismus – die populären Schlagwörter der Kopftuchdebatte – dem Islam zugewiesen werden, wird die geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Mehrheitsgesellschaft verschwiegen. Während die weiße Frau zum Sinnbild der Emanzipation und Selbstbestimmung deklariert wird, werden Körperlichkeit und Sexualität auf die rassifizierten „Anderen“, also auf die muslimische Frau projiziert.

weiße Frau vs. muslimische Frau

Es entsteht ein Dichotomiedenken zwischen der fortgeschrittenen und selbstbestimmten weißen Frau und der auf ihre Körperlichkeit reduzierten, rückständigen und unmündigen muslimischen Frau. Das konstruierte Bild der muslimischen Frau als Andere und ihre suggerierte Unterlegenheit erweisen sich als eine alteingesessene Legitimationsstrategie für die weißen Überlegenheits- und Machtansprüche. Die Forderung nach der Befreiung der muslimischen Frau erübrigt somit das Angehen des „weißen Sexismus“ und die Mobilisierung von Gender und Frauenemanzipation, da diese als Probleme der „Anderen“ konstruiert werden.

Es zeigt sich, dass die Bevormundung und Erziehungsmaßnahmen gegenüber dem „Anderen“ bereits im Kindesalter beginnt, sodass die Bevormundung auch im weiteren Lebensweg vorhanden ist. Das Verbot, was die jungen Mädchen unter 14 Jahren bevormunden möchte, wird der muslimischen Frau auch in anderen Kontexten begegnen, z.B., wenn sie an einer Schule als Lehrerin arbeiten möchte.

Dominanzgesellschaft vs. Minderheitskultur

Wir brauchen keine Dichotomien, sondern eine Politik der Anerkennung. Diese ist nicht nur als eine Höflichkeitsgeste zu verstehen, sondern als basales, lebenswichtiges menschliches Bedürfnis. Nach diesem Leitbild ist es von essentieller Bedeutung, den kulturell-ethnischen Gruppen kollektive Rechte zuzuschreiben und von der Dominanzgesellschaft eine Respektierung und Tolerierung der Minderheitskulturen zu erwarten.

Eine Migrations- und Integrationspolitik, die auf dieses Leitbild hinarbeitet, wird das Bild zweier, einander gegenüberstehender Kulturen dekonstruieren. Verbote – wie das diskutierte Verbot um die muslimischen Mädchen – konstruieren dieses Bild, indem sie der „weißen Superiorität“ Resonanzboden darbieten.

 

 

https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/kopftuchverbot-maedchen-nrw-100.html

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Sehen wir mal davon ab, dass der Artikel in einer sehr abgehobenen akademischen Sprache verfasst ist, was seinen praktischen Nutzen für eine rationale und fruchtbare Diskussion in Frage stellt. Sehen wir weiterhin davon ab, dass es sich bei Michel Foucault um einen sehr umstrittenen Philosophen handelt. Hier werden keineswegs Dichotomien und Differenzen "konstruiert", sondern es gibt diese Unterschiede. Natürlich ist das Patriarchat keine Erfindung des Islam. Aber es ist unstrittig, dass patriarchale Strukturen auch in islamischen Gesellschaften anzutreffen sind. Um es nett zu formulieren. Auch der Unterschied-- fortschrittliche und freie westliche Frau versus muslimische Frau-- ist keineswegs nur konstruiert. Die Lage der Frauen in islamischen Ländern ist bei weitem nicht so emanzipiert wie in den freien Gesellschaften der westlichen Welt. Saudi-Arabien feiert es ja schon als Fortschritt, dass es im Jahre 2018 Frauen endlich erlaubt ist, den Führerschein zu machen und Auto zu fahren. Die Vormundschaft des Mannes über die Frau wird allerdings nicht in Frage gestellt und besteht nach wie vor. Und es sieht auch nicht so aus, als hätten die Saudis vor, das zu ändern. Okay, man muss nicht immer mit dem extremen Beispiel Saud-Arabien kommen. Auch in "liberaleren" islamischen Ländern ist die Situation der Frauen nicht vergleichbar mit der westlichen Welt. Selbst in der lange als "islamische Musterdemokratie" verkauften Türkei gehen die Uhren seit Erdogan rückwärts. Das Kopftuch erlebt eine Renaissance und Erdogan ist der Meinung, die Hauptaufgabe der Frauen sei es, Kinder zu bekommen. Hier wird also keine Rückständigkeit "konstruiert", sondern sie besteht! Sie wird sogar wieder implementiert. Siehe das Statement Erdogans. Also: Es wäre besser, man würde die Probleme, die in islamischen Gesellschaften bestehen-- vor allem hinsichtlich des Frauenbildes und der rechtlichen Stellung und der sozialen Möglichkeiten der Frauen-- zugeben, anstatt sie mit pseudoakademischen Vokabeln eines abgehobenen Philosophen zu verkleistern.
27.06.18
9:40
Manuel sagt:
@Dilaver Çelik: Gar nichts müssen wir von Euren mittelalterlichen und frauenfeindlichen Praktiken akzeptieren. Wir sind hier in Europa und in keinen islamischen Land, offenbar haben Sie Schwierigkeiten das zu kapieren, was im Koran steht interessiert den Staat nicht, fertig und aus.
29.06.18
15:31
Dilaver Çelik sagt:
@Manuel Und ich muss Ihre kranke Gesinnung nicht akzeptieren, egal wo, fertig und aus.
30.06.18
14:13
Manuel sagt:
@Dilaver Çelik; Da redet der richtige, krank ist, wenn man Frauen unter dem Schleier zwingt!
03.07.18
19:15
Andreas B sagt:
@Manuel Sie haben völlig recht, wenn Sie darauf verweisen, dass wir hier in Europa sind. Daher sind wir auch den Freiheitsrechten verpflichtet, zu denen wir uns bekennen. Eines dieser Freiheitsrechte ist die garantierte freie Religionsausübung. Dazu zählt dann auch das Recht, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen oder sich sonst zu verhüllen. Das muss nicht allen hier gefallen, darauf kommt es aber auch nicht an. Zwar gibt es Grenzen der Freiheitsrechte, zu diesen Grenzen gehört aber nicht das Gefallen oder Missfallen von teilen der Gesellschaft.
09.07.18
16:51
Michael Butscher sagt:
Gerade Kinder müss(t)en besonders geschützt werden, deshalb ist es nicht erschreckend, sondern gut und logisch, wenn die "Kopftuchdebatte" bezüglich kleinen Kindern geführt wird. Von Erwachsenen nimmt man an, daß sie die Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, deshalb ergibt es keinen Sinn, wenn in dem Artikel häufig von der muslimischen Frau gesprochen wird, es geht nicht um (erwachsene) Frauen. Ob so ein Kopftuchverbot nötig ist, weiß ich nicht, da gibt es noch viele offene Fragen: Ist es das geeignete Mittel, unterdrückten Kindern zu helfen? Wie groß ist der Schaden für Kind und Umgebung tatsächlich? Sollte es besser auf die Zurschaustellung religiöser Symbole durch Kinder verallgemeinert werden? Bei der Beschneidung von Jungen ist der Schaden dagegen offensichtlich (was nicht heißen soll, daß der Schaden automatisch größer sein muß, das weiß man ja nicht) und ein Verbot wäre nötig. Interessant auch, wenn man folgende Sätze nebeneinanderstellt: "Während muslimische und jüdische Eltern Körperverletzung sowie Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Kinder unterstellt wurde, verstanden die Zentralräte beider Religionsgemeinschaften ein solches Verbot als einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften." "Die diskursive Gewalt entmündigt ihre Subjektive, indem sie das kollektive Bewusstsein über das Sein der muslimischen Frau formt und diese bevormundet." Wenn also das kollektive Bewußtsein der "diskursiven Gewalt" die muslimische Frau (anscheinend sind hier auch kleine Mädchen gemeint) entmündigt, ist das böse. Wenn das kollektive Bewußtsein einer Religionsgemeinschaft in elementare Selbstbestimmungsrechte von Kindern (wie körperliche Unversehrheit) eingreift, ist das in Ordnung?
11.07.18
23:28
Manuel sagt:
@Andreas B: Also steht bei Ihnen die Religionsfreiheit über den Menschenrechten! Sie akzeptieren also ohne Probleme, die im Islam festgeschriebene Ungleichheit zwischen Mann und Frau, die sich ganz deutlich am Kopftuch zeigt, verstehe.
15.07.18
16:55
Johannes Disch sagt:
Manuel (15.07.18, 16:55) -- "Also steht bei Ihnen Religionsfreiheit über den Menschenrechten!" ("Manuel" an "Andreas B.") Religionsfreiheit zählt zu den Menschenrechten. (Art. 18, "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte") (Resolution 217 A (III) 10.12.1948)
18.07.18
16:47
Johannes Disch sagt:
Manuel Die Religionsfreiheit gehört zu den Menschenrechten.
19.07.18
22:40
Kritika sagt:
Herr Disch zeuftst: « Wären die Leute hier wenigstens ehrlich und würden offen sagen, sie mögen keine Muslime. » Also gut Herr Disch; Kritika mag keine Muslime. Sie kommen sind penetran 'rüber, wollen immer wichtig sein Da ist ihnen kein Tema zu unsinnig, Kopftuch, Burkini, Moskeebau, Hauptsache Gerichte beschäftigen, Hauptsache unsägliche Kopftuchprozesse führen, Die Muslim Behauptung "Alle Kinder sind Muslims" zeigt die Masslosigkeit und die Aroganz, schlägt einem die Zähne aus. (Allah sei Dank handert es sich wohl um Taqyla) Zum Glück glauben meine Kinder nicht an diesen hanebüchenden Nonsense. Viele andere egoischtische Manieren, sorgen dafür, dass ( bei sogar in Islamiq veröffentlichten Umfragen) dauernd der Islam an aller-unterste Stelle der Sympatie steht. Keine Sekte wird als unsympatischer wahrgnommen als der Islam. Die Hindus sind sympatischer als der Islam Die Christen sind sympatischer als der Islam Die Budisten sind sympatischer als der Islam Die EGALWIE Sekte ist sogar sympatischer als der Islam. Und Sie, sehr geehrter Herr Joh. Disch schreiben alsob Sie von der dauerAntipatie der Muslims noch nie etwas gehört hätten: - mit unschuldigen, fragenden Kinderaugen: « Wären die Leute hier wenigstens ehrlich und würden offen sagen, sie mögen keine Muslime. » Brauchen die Leute nicht, jeder NormalMensch weiss das, vielleicht mit Ausnahme von Herr Disch. Muslims sind bekanntermassen dauerhaft die aller-aller-letzten auf der SympatieSkala. Eine Sekte, noch unsympatischer als die Muslims gibt es nicht. Aber Sie, Herr Disch, kommen zum Glück viel sympatischer 'rüber. Manche Statements von Innen zeugen von scharfes Schlussfolgerungern. Beste Grüssen, Kritika
22.07.18
22:50
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