Anfang des Monats sorgte eine Pressekonferenz der österreichichen Regierung für Furore. Moscheen sollen schließen, Imame das Land verlassen und Gemeinschaften aufgelöst werden. Was ist wirklich passiert und wie geht es nun weiter? Eine Reportage.
Es ist der 08.06.2018. Acht Uhr morgens. Vier österreichische Politiker stehen vor der Presse. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat kurzfristig zu einer überraschenden Pressekonferenz geladen. Neben ihm der Vizekanzler von der rechtspolulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) und Kultusminister Gernot Blümel (ÖVP). Kurz eröffnet die Konferenz, nacheinander kommen die Männer zu Wort. Präsent bleiben die Phrasen: Kampf gegen den politischen Islam, Moscheeschließungen, Salafismus, Auslandsfinanzierung, Rechtsuntreue, Islamgesetz und Imamausweisungen.
Nicht nur die muslimischen BürgerInnen sind überrascht, sondern auch die Betroffenen. Die arabische Kultusgemeinde in Österreich, die laut der Pressekonferenz aufgelöst werden soll, veröffentlicht am selben Abend eine Pressemitteilung und zeigt sich empört und perplex über diesen drastischen Schritt der österreichischen Regierung. „Es überrascht uns, dass wir über eine Pressekonferenz bzw. über die Medienberichterstattung darüber erfahren“, heißt es in der Erklärung der arabischen Kultusgemeinde.
Auch der Vorsitzende der Nizam- i Alem Moschee, Hacı Yağcı, erfährt von der Schließung seiner Moschee aus den Medien. Diese Moschee, die Kanzler Kurz den „Grauen Wölfen“ zuordnet und als „nationalistisch-islamistisch“ bezeichnet, ist mittlerweile wieder geöffnet. Die Erklärung: nicht eine vermutete „Rechtsuntreue“, sondern „Formfehler“ führten zur kurzzeitigen Schließung.
Die unabhängige Moschee habe schon im vergangen Jahr bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) im Sinne des Islamgesetzes um Anerkennung gebeten. Diese wurde ihr vom IGGÖ-Präsidenten jedoch nicht erteilt. Kurz vor dem Ramadanfest und kurze Zeit nach der Pressekonferenz, am 14.06. entsendete Olgun dann doch ein unterschiebenes Anerkennungsschreiben an die Moscheegemeinde – vermutlich wieder Willen und auf Drängen der Mitglieder des Obersten Rates der IGGÖ. War nun die ganze Aufregung für die Katz? Nicht ganz. Denn aus Sicht der rechtspopulistischen Regierungsführung, die zu viert eine von Muslimen ausgehende Gefahr deklariert und eine Express-Pressekonferenz einberuft, frei nach der Symbolik: der „Feind“ steht vor den Mauern Wiens, war dies ein gelungener Streich.
Um zu verstehen, wie es dazu kam, muss in das Jahr 2015 geblickt werden. 2015 wurde das österreichische Islamgesetz, trotz vieler Bedenken und Kritik, beschlossen. Nach einem langen Hin und Her hat die IGGÖ dem Beschluss zugestimmt. Verfassungs- und Religionsexperten, darunter die Wiener Universitätsprofessoren Theo Öhlinger und Richard Potz, positionieren sich klar gegen das Gesetz. Sie veröffentlichen gemeinsam mit anderen WissenschatlerInnen eine Stellungnahme, in der sie vor allem die Auslandsfinanzierung der Imame, die mit dem Islamgesetz verboten werden soll, kritisieren. Eine „Ungleichbehandlung der Religionen“ sei klar erkennbar. Die Wissenschaftler erkennen eine Tendenz, dass die lokalen muslimischen Gemeinschaften für den muslmischen Terrorismus „kollektiv haftbar“ gemacht werden. Ihr Vorschlag zur Güte: die Auslandsfinanzierung nicht verbieten, sondern transparenter machen. Die Kritik bleibt jedoch folgenlos und das Islamgesetz, inklusive der Verbietung des Auslandsfinanzierung, wird eingeführt.
Heute, rund drei Jahre später, ist also genau das eingetoffen, was ExpertInnen und KritikerInnen vermutet haben. Der Innenminister gibt bekannt, dass insgesamt 60 Imame vor der Beendigung ihrer Aufenthaltsgenehmigung stehen. Dabei wurde wohl schon 40 Imamen der Prozess eröffnet, zwei Fälle schon abgeschlossen und fünf Imamen wurde erstmalig der Aufenthalt in Österreich verwehrt. Aktuell ist also noch kein Imam des Landes verwiesen, dies könnte jedoch jederzeit geschehen.
Dann müssten die Imame und ihre Familienmitglieder und somit insgesamt 150 Menschen, die zum Teil in Österreich aufgewachsen sind, das Land verlassen. War diese Entwicklung also wirklich so überraschend? Mouddar Khouja, seit Jahrzehnten ein Funktionär der IGGÖ und aktuell Mitglied im Obersten Rat der IGGÖ, erinnert sich. In den Neunzigern wurde von dem Innenministerium ein Ausnahmeabkommen zwischen der Türkei und Österreich verabschiedet. Sowohl damals als auch heute machten und machen die türkischen MitbürgerInnen den größten Anteil der über 700.000 MuslimInnen in Österreich aus. In diesem Abkommen steht geschrieben, dass die lokalen Glaubensgemeinschaften für die Ausbildung der Imame zuständig sind. „Natürlich birgt das ein Konfliktpotential mit dem 2015 eingeführten Islamgesetz“, so Khouja. Vor allem vor dem Hintergrund, der Tatsache, dass sieben Kultusgmeinden unter der Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich , kurz ATIB, organisiert sind und somit über 70 Imame aus der Türkei nach Österreich entsandt wurden.
„Will die Republik Österreich, dass die Imamausbildung im Inland finanziert wird, dann muss abgewartet werden, bis die Studenten der islamischen Theologie, die vor einem Jahr an der Universität Wien etabliert wurde, ihr Studium absolvieren und möglicherweise zukünftige Imame dieser Moscheen sein können. Das hat aber die Bundesregierung damals nicht zugelassen. Und genau in diesem Schlamassel befinden wir uns.“ Ein Schlammasel, das angesichts des rechtspopulistischen Regierungsstils absehbar war und dem 2015 die IGGÖ zugestimmt hat. Khouja war bei den Verhandlungen um das Islamgesetz nicht von Anfang an dabei und habe versucht „das zu retten, was zu retten war.“ Auch der Vizepräsident der IGGÖ, Abdi Taşdöğen, sieht in dem Islamgesetz den Ursprung allen Übels: „Alle Verantwortichen, mich eingeschlossen, müssen tun, was zu tun ist.“
Neben der Verwirrung um die Imame sorgte vor allem auch die Auflösung der arabischen Kultusgemeinde für erhebliche Diskussionen. In diesem konkreten Fall geht es jedoch um viel mehr. Es geht um einen Vertrauensbruch in der Führung der IGGÖ. In der Pressekonferenz ist zu hören, wie die Zusammenarbeit mit der IGGÖ seitens der Politiker gelobt wird. Später wird durch die Pressemitteilung Taşdöğens klar, dass erst auf Ansuchen der IGGÖ, genauer des Präsidenten Ibrahim Olgun, eine Prüfung der arabischen Kultusgemeinde durch das österreichische Kultusamt veranlasst wurde. Einfach formuliert: Der Präsident der IGGÖ erkennt vermutliche „radikale Tendenzen“ und „Formfehler“ in der arabischen Kultusgemeinde und unterrichtet das Kultusamt davon. Wie? Im August 2017 soll es einen Schriftverkehr gegeben haben, der bis vor Kurzem dem Obersten Rat der IGGÖ nicht bekannt war. Dies bestätigen sowohl Taşdöğen als auch Khouja. Einen Tag nach der eingangs erwähnten Pressekonferenz tagt der Oberste Rat um die Klärung und Offenlegung des Schriftverkehrs zwischen dem Präsidenten und dem Kultusamtes zu veranlassen. Dieser Auftrag wurde laut Khouja von Olgun bisher nicht erfüllt und der Schriftverkehr nach wie vor nicht offengelegt. Der Präsident unterbrach die Sitzung, nachdem die „Fetzen flogen“ und veröffentlichte eigenständig einen Drei-Punkte Plan.
Die Mitglieder im Obersten Rat sind unzufrieden. „Ich war einer der engsten Mitarbeiter des IGGÖ-Präsidenten und muss nach dieser Sitzung sagen, dass ich das Vertrauen verloren habe“, so Khouja. Warum hat Olgun ohne Rücksprache mit dem Obersten Rat dem Kultusamt geschrieben?
Als würde das Vorgehen des IGGÖ-Präsidenten nicht schon genug schlechtes Licht auf den amtierenden Präsidenten werfen, meldet er sich nach der Sitzung über eine Handy-Videoaufnahme und versucht den MuslimInnen zu vermitteln, dass die geschlossenen Moscheen ja im Grunde keine seien und die wirklich großen Moscheen nicht von den Schließungen betroffen sind. Das Video wird mehrfach geteilt. Taşdöğen ist sich nun sicher : Olgun wollte, dass die Kultusgemeinde aufgelöst wird. Er habe es darauf ankommen lassen und er habe den Obersten Rat bewusst im Dunklen tappen lassen, da er sonst mit diesem Vorhaben nicht weit gekommen wäre. Denn die Mitglieder im Obersten Rat sind sich einig: Keine Moschee predigt Radikalität. „Die wenigen Personen, die extremistische bis hin zu gewaltbereite Positionen vertreten, würden sich gar nicht darum bemühen, unter das Dach der IGGÖ zu kommen, weil unsere Linie von ihnen angegriffen wird“, so Carla Baghajati, Frauenreferentin der IGGÖ. Khouja bestätigt diese Ansicht: „Von 28 anerkannten Kultusgemeinden ist kein Fall von radikalen Tendenzen oder Funktionären bekannt. Gründe für die Auflösung könnten Formfehler sein, die sich in der Form bemerkbar machen, dass bspw. ein Internetcafe als Moschee gemeldet war.“ Das sei nicht im Sinne der IGGÖ, denn eine Moschee müsse Sauberkeit gewährleisten und mindestens einen Imam aufweisen.
Dass eine Kultusgemeinde Einrichtungen betreibt, die keine Moscheen im engeren Sinne sind, sollte laut den Mitgliedern des Obersten Rates aber kein Grund zur Auflösung einer gesamten Kultusgemeinde sein. Nach österreichischem Gesetz besteht eine Kultusgemeinde aus mindestens zehn Moscheen. Wenn in ihr eine Moschee Formfehler aufweist, und diese vom Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft den Behörden mitgeteilt wird – ohne eine interne Bemühung der Aufhebung dieser Formfehler – und daraufhin die gesamte Kultusgemeinde aufgelöst wird, so ist auch ein Vertrauensbruch in der österreichisch-muslimischen Zivilgesellschaft nicht überraschend. Viele muslimische AktivistInnen und FunktionärInnen zeigten sich auf Facebook empört. Dudu Küçükgöl, Aktivistin aus Österreich, postete kurz nach der Bekanntgabe der Moscheeschließung: „Wer die Moscheen eigentlich schließt, ist die IGGÖ.“
Warum sollte Olgun ein Interesse an der Schließung haben? Bei seiner Wahl zum Präsidenten im September letzten Jahres war es kein Geheimnis, dass genau diese arabische Kultusgemeinde mit ihren rund 1000 Mitgliedern gegen Olgun gestimmt hat. Durch ihre Auflösung und somit ihr verlorenes Mitspracherecht in der IGGÖ würde also der Einfluss der ATIB, aus der Olgun kommt, innerhalb der IGGÖ erheblich steigen. Von einem Kampf zwischen türkischen und arabischen MuslimInnen innerhalb der IGGÖ kann trotzdem nicht die Rede sein. War es doch der türkischstämmige Vizepräsident, Abdi Taşdöğen, der kurz nach der Sitzung des Obersten Rates den Rücktritt des Präsidenten gefordert hat.
Ob Olgun nun zurücktreten wird oder weiterhin im Amt bleibt und der Schriftverkehr mit dem Kultusamt offengelegt wird, entscheidet sich am 30. Juni in der Schuraratssitzung der IGGÖ. Baghajati sieht dieses Sitzung als „Ort dafür, die Situation zu analysieren und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen.“ Konsequenzen müssen angesichts der aktuellen Schieflage folgen. Eine – so hat es auch die arabische Kultusgemeinde angekündigt – könnte der rechtliche Vorgang gegen das Islamgesetz sein. Auch wenn sie den Österreichern eine staatliche Anerkennung und damit einhergehend auch Rechte – wie die Gestaltung des Religionsunterrichtes – brachten, so wiegen die Nachteile schwerer. Es ist das Islamgesetz, dass als Werkzeug in den Händen der österreichischen Regierung kurz vor dem Ramadanfest viele Muslime regelrecht vor geschlossenen Türen brachte und Grund für die Aufenthaltssorgen von etlichen Imamen und ihren Familienitgliedern ist.
Baghjati findet hierfür die passende Frage: „Wir müssen uns auch selbstkritisch fragen, ob wir unsere innere Autonomie bei der Definition der durch das Islamgesetz von 2015 vorgeschriebenen Gründung von Kultusgemeinden klug ausgeübt haben.“ Die Antwort – so scheint es zumindest – ist klar.