Berufsverbot im Jahr 1998

Fereshta Ludin: „Ich bereue nichts“

Fereshta Ludin wurde ungewollt zu einem Symbol des Widerstandes. Sie wollte Lehrerin werden, doch aufgrund ihres Kopftuches bekam sie vor rund 20 Jahren ein Berufsverbot. Im Interview erinnert sich Ludin zurück und erklärt, wie sie die Zeit damals erlebt hat und wie sie die heutige Situation bewertet.

08
07
2018
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach

IslamiQ: Es ist nun 20 Jahre her, dass Ihnen die Arbeit als Lehrerin verweigert wurde, weil Sie ein Kopftuch tragen. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Ich arbeite seit 20 Jahren als Lehrerin an einer Privatschule. In Berlin herrscht seit 13 Jahren ein Berufsverbot an öffentlichen Schulen für Muslimas. Das Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat weitreichende Konsequenzen und Signalwirkung für andere Berufsfelder. Bundesweit hat sich jedoch in manchen Bundesländern die Situation seit dem korrigierten Bundesverfassungsgerichtsurteil etwas aufgelockert. Die Diskriminierungserfahrungen auf dem Arbeitsmarkt – nicht nur – dort gehen jedoch weiter. Muslimas erleben in der Hauptstadt Berlin zum Beispiel zunehmend verbale und nonverbale Attacken. In meinem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis höre ich immer wieder Berichte darüber. Die mich jedes mal aufs Neue schockieren. Ich selbst habe Attacken dieser Art ebenso erlebt. Auch auf medialer Ebene.

Der anti-muslimische Rassismus und der Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft werden salonfähig und wachsen zunehmend und hier muss die Politik und die Gesamtgesellschaft dringend handeln. Es müssen klare Zeichen seitens des Staates eindeutig und ständig in Richtung Offenheit, Pluralität und friedliches Miteinander gesendet werden. Unsere Schulen, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sollten in diesem Sinne den Bildungsauftrag unterstützend dabei unterstützen und gesellschaftlich wirken.

Auch das Thema Diskriminierung durch Lehrer und innerhalb der Schülerschaft muss stärker angegangen werden und Lösungen und Hilfestellung dafür angeboten und weiterausgebaut werden.

IslamiQ: Sie wurden als „die mit dem Kopftuch“ bekannt und ein Vorbild für viele muslimische Frauen. Fühlten und fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Ich fühle mich als Frau nie wohl, wenn ich auf ein einziges Merkmal reduziert werde, sei es ein Kopftuch, schöne Haare, hübsche Augen, Beine etc. Wir Frauen sind mehr als unser Aussehen und was wir tragen. Wir verkörpern viele Fähigkeiten und Kompetenzen. Unsere Bildung, Erfahrung und unser Einsatz ist entscheidend. Nicht nur in der Familie, sondern auch nach Außen, in der Gesellschaft. Ich hätte gerne viel mehr für unser staatliches Bildungssystem getan, als ich damals den Staatsdienst angestrebt hatte. Vor zwanzig Jahren hatte sich das Kultusministerium in Stuttgart für meine Qualifikationen als Lehrerin nicht interessiert, sondern für mein Tuch.

Das Tuch wurde durch die Vertretung einer staatliche Behörde als „Symbol eines politischen Islams“ deklariert und seither hatte man mir Unglaubwürdigkeit unterstellt. Obgleich ich selbst gegen die Instrumentalisierung der Religion für staatliche Zwecke bin und ich eine politische Bedeutung des Kopftuches nicht akzeptiere oder gar davon überzeugt sein kann. Muslimas mit Kopftuch als verdächtigte „Islamistinnen“ abzustempeln und fernab ihrer individuellen Realität vorzuverurteilen, wie das in meinem Fall und vielen Fällen nach mir geschah und heute noch bundesweit geschieht, ist eine massive Diskriminierung. Sie schmerzt und grenzt enorm aus.

IslamiQ: Haben Sie in dieser Zeitspanne je daran gedacht, Ihren Beruf für das Kopftuch aufzugeben oder das Kopftuch für die Berufsausübung abzulegen?

Ich habe das Tuch aus einem freien Willen heraus getragen. Es gab nie einen Zwang, der auf mich wirkte. Ich habe im Zusammenhang mit meinem Glauben und meiner Identität als Frau seitens meiner Familie oder Verwandtschaft nie Zwang oder Traumatisches erfahren. Ich bin frei erzogen worden und ich konnte vieles in meinem Leben frei entscheiden. Als erwachsene Frau blicke ich auf meine Kindheit und die Werte, die meine Eltern mir mitgaben als solide und positive Werte, die mich in meiner kindlichen wie jugendlichen Entfaltung sehr geholfen haben, stark und selbstbestimmt zu sein. Meine Entscheidung als Jugendliche zum Kopftuch wurde durch die Jahre bewusster und stärker verankert. Nun gehört es zu mir und ist Bestandteil meiner Identität. Es hat eine starke spirituelle Dimension, die mir Ruhe und Zufriedenheit gibt. Frauen, die aus gesellschaftlichem Druck gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, erleben einen Missstand der Gesellschaft, die den Frauen allgemein wenig Freiheitsrechte geben. Das Kopftuch darf weder kleine Mädchen noch erwachsene Frauen aufgezwungen werden. Die Kleidung einer Frau ist eine sehr persönliche Entscheidung. 

Mir wurde vor zwanzig Jahren von einem staatlichen Vertreter in einem Zwiegespräch gesagt „Frau Ludin, Sie brauchen das Kopftuch nur ablegen, dann bekommen Sie die Stelle als Lehrerin sofort“. Das empfand ich sehr demütigend. Ob das nun ein Kopftuch oder ein anderes Kleidungsstück betraf, erschien mir in dem Moment irrelevant. Solche Aussagen bekommen Muslimas sehr häufig vor oder nach einem Bewerbungsgespräch zu hören.

IslamiQ: Heute ist es nicht anders…

…Ja, ich empfinde die heutige Debatte als umso deprimierender, da sie ursächlich auf einen Antrag der rechtsextremen „Die Republikaner“ aus dem Jahr 1998 im Baden-Württembergischen Landtag zurückgeht, die ein generelles Verbot von Kopftüchern forderte. Frau Schavan, die damalige Kultusministerin (CDU) favorisierte ein Verbot für Lehrerinnen mit Kopftuch. Dem stimmten die Parteien mehrheitlich zu. Daraus entstand 2003 dann das erste Kopftuchverbotsgesetz Deutschlands. Das politische Vorgehen damals war somit eindeutig antimuslimisch motiviert. Auch heute noch zeigt sich antimuslimisch motiviertes Vorgehen, etwa bei der Kategorisierung bestimmter Darstellungsschemata hinsichtlich bestimmter, als „problematisch“ eingestufter Situationen an Schulen: Vielen Lehrkräften fehlt es schlicht an interkultureller und interreligiöser Kompetenz, um sich auf Verhaltensweisen der Schüler*innen einzustellen und pädagogisch richtig zu handeln. Schüler*innen werden daher oft diskriminiert und ausgegrenzt, gar als unerwünscht oder ungeeignet, als unverbesserlich oder schlicht unbelehrbar herabgewürdigt. Dieser Rassismus aus dem Lehrerzimmer ist auch eine Entwicklung, die sich aus der oben genannten Entwicklung, wenn Politik muslimisches Leben, und dessen Sichtbarkeit gehört dazu, verbietet, ergeben hat.

IslamiQ: Woher kommt diese Abneigung gegen das Kopftuch?

Ich habe schon immer an die Demokratie und an die Gerechtigkeit durch unsere Verfassung geglaubt. Mir war in den vergangenen Jahren klar geworden, dass es sich hier um einen langwierigen Prozess handelt. Vorurteile, Ängste und Unkenntnis gegenüber Muslimas mit Tuch spielen bei den Entscheidungen auf allen Ebenen eine Rolle auch in der Politik und alle anderen Instanzen. Auch Richter können ihre Ängste und Vorurteile haben. Diese auszuräumen, bedarf es Zeit. Eine offene Debattenkultur und die Beteiligung aller Betroffenen ist notwendig, auch wenn es vor allem für Betroffene am unangenehmsten ist, denn sie sind oft vielen Angriffen und Anfeindungen diesbezüglich ausgesetzt. Ich empfand die Kopftuchdebatte schon immer als eine Stellvertreterdebatte. Es ging nie darum, ob ich als Frau selbstbestimmt ein Tuch trage, sondern es ging oft in der behördlichen aber auch medialen Auseinandersetzung darum, wie viel „Fremdes“ und wie viel sichtbares „muslimisches Leben“ verträgt unsere Gesellschaft.

Vor 15 Jahren war das Kopftuch für viele trotz Nonnen, und viele Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Leben, sehr fremd. Man akzeptierte Frauen mit Kopftuch als Putzfrauen, aber nicht als Apothekerinnen, Verkäuferinnen und keinesfalls als Lehrerinnen, die für Kinder ein Vorbild sein kann. Das Lehrer*innen-Modell ist bis heute für viele nur vom optisch einseitiges Aussehensmodell geprägt. Möglichst hell und ein für die weiße Mehrheitsgesellschaft vertrautes Aussehen. Die Pluralität und Vielfalt unserer Gesellschaft erreicht ihre Toleranzgrenze, wenn eine Frau mit Tuch sichtbar und selbstverständlich wie jeder anderer Mensch in allen Berufszweigen tätig sein möchte.

Eine sichtbare kulturelle oder gar religiöse Vielfalt in der Schule wurde entgegen unserer bildungspolitischen Ansätze von Diversität, Pluralität und den offenen Neutralitätsgedanken des Staats gemäß unserer Verfassung bisher an vielen Schulen nur in nicht sichtbarer und nicht erkennbarer Form gelebt. Heute haben wir die Situation, dass hier geborene Muslimas mit Tuch sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen. Sie verstehen sich als Deutsche und möchten ihrer Identifikation mit der hiesigen Gesellschaft nicht mehr in Frage gestellt sehen. Sie weigern sich, als Fremde gesehen und behandelt zu werden. Der Integrationsbegriff „nervt“ viele Betroffene und erzeugt Unverständnis, da sie sich schon längst als Teil der Gesellschaft verstehen und betrachten. Gerade die Debatten ums Kopftuch lassen viele Betroffene als „die Fremde“ oder „die mit dem Kopftuch“ wirken und fühlen. Sie werden ständig in ihrem Anderssein markiert und zu Außenseiterinnen auf unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft gemacht.

Genau diese Markierung auf Grund eines Merkmals ist ein Zeichen des anti-muslimischen Rassismus, was immer häufiger und selbstverständlicher laut und und stark betont wird. Auch und vor allem aus der Richtung des rechtspopulistischer und -extremer Politiker*innen.

IslamiQ: Vor allem ihr Durchhaltevermögen macht Sie bekannt. In Ihrem Buch gehen Sie oft darauf ein, dass Ihre Mutter ebenfalls eine sehr beliebte und erfolgreiche Lehrerin in Afghanistan war. Ist sie Ihr Vorbild gewesen?

Ja, mit Sicherheit. Sie war die Leitfigur in meinem Leben. Sie hat das vorgelebt, was ich unter einer starken Frau verstehe. Sie war barmherzig, gebildet, engagiert, tolerant, aufgeschlossen für Neues, ehrgeizig und sie war selbst eine Schule für Ihre Kinder. Ihre Stärke war, aus schwierigsten Umständen eine positive Bilanz zu ziehen und aus dem Nichts und Negatives etwas positives entstehen zu lassen. Ich wünschte, sie würde noch leben.

IslamiQ: Zurück zu Heute: in einigen Bundesländern ist das Tragen eines Kopftuchs im öffentlichen Dienst noch immer problematisch, sogar verboten. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Die Entwicklung in Berlin als Hauptstadt sehe ich momentan als hoch problematisch, denn hier findet im Alltag wahre Diversität statt und man begegnet Vielfalt überall wo man hingeht. Viele Menschen leben gerade deswegen hier, weil die Gesellschaft hier die Pluralität widerspiegelt. Das Berliner Neutralitätsverständnis wird hier laizistisch ausgelegt und entspricht somit nicht unserer Verfassung und widerspricht im Kern unseren Grundgesetz. Auch verletzt das Berliner Neutralitätsgesetz in seiner Ausführung und Praxis dem Gleichheitsprinzip aller Geschlechter und vor allem auch die Gleichheit unter allen Frauen. Es diskriminiert bestimmte Zielgruppen, nämlich zum einen Frauen und dann noch eine religiöse Minderheit unter Frauen, nämlich Muslimas mit Kopftuch. Die betroffenen Frauen unterliegen Anhörungen mündlicher Art und bis kürzlich wurden sie schriftlich gezielt angehört. D.h. sie erfahren eine strukturelle Diskriminierung, die schleunigst seitens der Politik gestoppt werden muss. Man stelle sich vor, man nehme sich jüdische oder andersgläubige Frauen vor und befrage sie ins Detail über ihre Glaubensgrundsätze etc. und man stelle sie nicht mehr ein auf Grund ihrer Glaubenszugehörigkeit, oder Sichtbarkeit als Jüdin. Die Glaubensfreiheit jedes einzelnen Menschen ist jedoch von unserem Grundgesetz geschützt.

Die Neutralität des Staates sollte hier ebenso bewahrt werden, denn es ist eine den Religionen gegenüber offene Neutralität gemeint. Eine Sichtbarkeit des Glaubens durch Kleidung allein ist kein Kriterium und alleiniges Merkmal, um Frauen/Menschen aus dem Berufsleben zu entfernen, solange diese Ihr Auftreten mit verbalen Äußerungen nicht unterstützen und missionieren. Das ist bezüglich der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung in aller Deutlichkeit in der Pressemitteilung von 2015 zum Kopftuchurteil gesagt worden. Sowohl die Religionsfreiheit, als auch die Neutralität im Sinne unserer Verfassung haben eine für Deutschland historische Bedeutung und beruhen auf der geschichtlichen Entwicklungen unseres Landes.

IslamiQ: Was würden Sie Frauen im Jahre 2018 – wie aktuell in Berlin – raten, die das selbe Problem haben, wie Sie vor 20 Jahren?

Ich würde Ihnen sagen, dass Sie Lehrerinnen werden sollen, wenn sie gerne Lehrerinnen werden wollen. Dass sie ihre Träume von einem Beruf, das sie gerne ausüben wollen nicht so schnell aufgeben sollen. Ich würde ihnen sagen, dass ein gleichberechtigtes Leben als Frau zu führen überall auf der Welt nicht einfach ist, auch in Deutschland nicht, und dass sie ihre Idealvorstellung nach einem gleichberechtigten Leben als Frau, egal wie sie aussehen, nicht aufgeben sollten. Das Ideal von einem gleichberechtigten Miteinander heißt, viele Hürden zu überwinden und vieles in Kauf zu nehmen, denn Menschen sind nie frei von Vorurteilen, Ängsten und erleiden auch Hass und Missgunst. All diese Dinge wachsen in unserer Gesellschaft zunehmend und es gilt ein solidarisches Miteinander zu entwickeln, um dagegen vorzugehen. Wir sollten uns nicht abhängig von den Umständen machen, sondern uns emanzipieren. Wir Frauen können einen besonderen Beitrag gegen diese Missstände leisten. Ich verstehe die moderne Emanzipation des 21. Jahrhundert als ein solidarisches Zeitalter der Frauen, die sich unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Kultur, Aussehen, Alter und Orientierung Hand in Hand für Menschenrechte einsetzen.

IslamiQ: Sie arbeiten heute in einer muslimischen Grundschule, wo das Kopftuch kein Problem darstellt. Nach dem Sie so lange für das Kopftuch gekämpft hatten, haben Sie den Kampf satt?

Ich habe es satt, Themen wie Diskriminierung, Stigmatisierung und Berufsverbot von Muslimas, Ungleichbehandlung der Frauen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, die „Islamisierung“ aller Debatten, wenn es um Muslimas oder Muslime geht, Muslimas mit Kopftuch als Symbol des Fremden, Islamismus und Terrorismus zu deklarieren und uns als Menschen zweiter Klasse und schlechtere Muslimas hinzustellen, im übrigen sowohl von einigen Menschen mit „muslimischen Hintergrund“ selbst so bezeichnet zu werden, die dabei von staatlicher Seite unterstützt und instrumentalisiert werden. Medial werden all diese Bilder auch weitertransportiert und die Wirkung auf das Denken in der Gesellschaft manifestiert. All dies habe ich satt, ungeachtet dessen stehen uns allen viele Aufgaben bevor, auch mir.

IslamiQ: Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie genau so handeln wie vor 20 Jahren?

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass mir die gerichtlichen Auseinandersetzungen erspart geblieben wären, denn sie haben mein Leben enorm beeinträchtigt, bis heute. Aber da mir unrecht getan wurde und ich ein rechtlich legitimiertes Berufsverbot nicht hinnehmen wollte, bereue ich nichts. Ich habe mich nie verbogen und wollte mich weder von staatlicher Seite noch von Menschen, die rechtsradikales Denken pflegen, menschenfeindlich und intolerant handeln mich mundtot machen lassen. Wir leben schließlich in eine Demokratie und sind seine mündigen Staatsbürger, dafür liebe ich Deutschland zu sehr, meine Heimat.

Das Interview führten Kübra Layik und Esra Ayari

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
"Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2015 ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt." Das ist nicht richtig! Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2015 schulrechtliche Bestimmungen aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen auszulegen, die anders als das Berliner Neutralitätsgesetz eine ausdrückliche Einbeziehung der christlichen Religion im Unterricht vorsahen. Unter diesen Rahmenvorgaben darf es selbstverständlich kein pauschales Verbot sichtbarer Zeichen anderer Religionen oder nicht religiöser Weltanschauung zu geben. Gleich viel oder gleich wenig - das sind die verfassungskonformen, diskrimierungsfreien Alternativen.
24.07.18
8:23
Johannes Disch sagt:
Es st sehr wohl richtig, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 allgemein verbindlich ist. Da ist es völlig unerheblich, dass es sich auf einen konkreten Fall bezieht, nämlich auf das Schulgesetz von NRW. Es ist immer so, dass ein konkreter Fall vorliegen muss, über den das oberste Gericht entscheidet. Es wird nicht von sich aus tätig. Es wird in einer konkreten Sache angerufen und entscheidet. Nicht nur NRW, sondern auch 2 andere Bundesländer haben nach diesem Urteil ihre Schulgesetze geändert, um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden. Und wa das Berliner Neutralitätsgesetz betrifft: Das ist kein Argument gegen das Urteil von 2015. Das Land Berlin verhindert bis heute mit allen Mitteln, dass ihr Gesetz in Karlsruhe landet. Aus guten Gründen. Man kann nämlich wohl davon ausgehen, dass Karlsruhe das Berliner Gesetz kippen würde. Es ist aber wohl nur eine Frage der Zeit, bis Berlin vor dem Kadi in Karlsruhe steht.
24.07.18
12:07
grege sagt:
Die Anzahl von Kopftruchträgern bezog sich auf die Frage, ob Muslima von einem Berufsverbot betroffen sind, und nichts anderes. Aber einige Leute haben hier offenbar das Lesen verlernt. Genau diese laut rumkrakeelenden Möchtegernjuristen fallen wieder einmal als intelektuelle Blindgänger auf. Ob religiös motivierte Bekleidungsformen skuril sind oder möglicherweise konstruierte Einzelfälle darstellen , ist einem Juristen herzlich egal. Im Rahmen seiner Tätigkeit, sei es bei der Ausarbeitung von Verträgen, Gesetzen oder Urteilssprüchen oder sonstiges, hat er darauf zu achten, dass alle denkbaren Einzelfälle erfasst werden.Anfechtungen gegen einen Vertrag oder einen Urteilsspruch können kaum mit der bloßen Behauptung eines skurilen oder selbst konstruierten Einzelfalls zurückgewiesen werden, und schon gar nicht in religiösen Angelegenheiten, wo Begriffe wie Skurilität völlig deplaziert sind. Zu guter letzt frage ich mich, warum Christen in Mönchskutte skuril sein sollen??? Einige Leute, die neben den Westen jetzt Mönche als neues Hassobjekt entdeckt haben, haben bisher noch nie ein Kloster von innen gesehen.
24.07.18
21:49
all-are-equal sagt:
"Fereshta Ludin wurde ungewollt zu einem Symbol des Widerstandes" Ich betrachte Frau Ludin als rechtskonservative islamische Aktivistin. Sie hat versucht die deutschen Gerichte für ihre politischen Ziele zu benutzen und ist damit gescheitert.
25.07.18
7:33
Johannes Disch sagt:
Kein Jurist kann alle denkbaren Einzelfälle erfassen. Faktisch kommt ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen einem Berufsverbot gleich. Deshalb ist es gut, dass das Bundesverfassungsgericht 2015 ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt hat. Das hat ein Stück Diskriminierung beseitigt und die Chancen für muslimische Lehrerinnen auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Es muss eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens vorliegen, um ein Kopftuch zu verbieten. Ein weises und vor allem pragmatisches Urteil. Ach, dass eine Kopftuch tragende Lehrerin den Schulfrieden stört, so ein Fall ist bisher noch nicht vorgekommen. Die Kopftuchgegner konstruieren Probleme, wo es keine gibt.
25.07.18
10:40
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: "Faktisch kommt ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen einem Berufsverbot gleich." Da unterschätzen Sie wirklich die intellektuelle Wendigkeit vieler Musliminnen! Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einer Muslimin, die bei einem Steuerberater arbeiten wollte und ohne langes Zögern gerne bereit war, das dort geltende optische Neutralitätsprinzip zu respektieren und ihr Kopftuch abzunehmen. Das ist vorbildlich, denn bei religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sollten die gelebten inneren Werte im Vordergrund stehen und nicht das unnachgiebige Fixiertsein auf ein Kleidungsstück.
26.07.18
11:31
Johannes Disch sagt:
@Grundsätzliches zum Thema "Kopftuch am Arbeitsplatz." 20 Jahre nach dem Fall Ludin haben wir das Thema noch immer nicht vom Eis, sondern es beschäftigt nach wie vor die Gerichte. Dadurch werden Ressourcen gebunden, die woanders dringender gebraucht würden. Deutsche Gerichte arbeiten (zu) langsam und sind überlastet (Beispiel: Widersprüche gegen abgelehnte Asylbescheide). Wie lange wollen wir uns den Kopftuch-Prozess-Marathon denn noch leisten? Die nächsten 20 Jahre? Gar die nächsten 40 Jahre? Es ist völlig okay, dass die betroffenen Frauen den Rechtsweg in Anspruch nehmen. Das ist ihr gutes Recht. Aber es ist natürlich ein unbefriedigender Zustand für alle Betroffenen: Für die (privaten und öffentlichen) Arbeitgeber und die muslimischen Frauen. Dabei würde es einen ganz einfachen Weg geben, Recht und Religion auf einen Nenner zu bringen. Definiert man Religionsfreiheit (für Muslime) nach den unverzichtbaren "5 Säulen" des Islam, so ergibt sich folgendes Bild: Darunter fallen: (1) Das Glaubensbekenntnis (2) Der Ramadan (3) Das Almosen (4) Die Gebete (5) Die Hadsch nach Mekka. Es ist unschwer zu sehen, dass das Kopftuch hier nicht vorkommt. Es ist kein unverzichtbarer Bestandteil des islamischen Glaubens. Man muss kein Kopftuch tragen, um eine gläubige Muslimin zu sein. Beschränkt der Gesetzgeber Religionsfreiheit auf die "5 Säulen" des Islam, so kann er das Kopftuch am Arbeitsplatz problemlos pauschal verbieten, ohne dass es mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit kollidiert. Damit hätten alle- Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen - endlich Klarheit!
31.07.18
12:33
grege sagt:
Einige Alleswisser kennen offenbar weder unser Rechtssystem noch haben sie jemals einen Vertag ausgearbeitet. Gerade das deutsche Rechtssystem besticht durch seine diversen Einzelfallregelungen mit einem Komplexititätsgrad, den selbst Experten kaum noch beherrschen. Das Steuerrecht oder jetzt dieses Kopftuchverbot liefern das beste Beispiel. Wer einmal in seinem Job mit Juristen einen möglichst wasserdichten Vertrag ausgearbeitet hat, weiß um den Aufwand über Berücksichtigung sämtlicher Einzelfälle bestens Bescheid. Gerade im Berufsleben sind verbindliche Regelungen für ein gedeihliches Miteinander von besonderer Wichtigkeit, so dass hier religiöse Belange des einzelnen durchaus in den Hintergrund treten sollen. Daher hat der EugH folgerichtig entschieden, dass Unternehmen Kopftuchverbote verhängen dürfen und diese natürlich keine Diskriminierung darstellen Daher ist das Gefasele von Berufsverbot nichts anderes als Wichtigtuerei, insbesondere bei Frau Ludin, die in dieser Angelegenheit von islamisch-konservativen Verbänden unterstützt wurde. Genau diese Verbände stehen den Muslimbrüdern nahe und erhalten Spenden von Saudi-Arabien, wo Attribute wie Toleranz und Pluralität nichts zu suchen haben.
31.07.18
20:38
Johannes Disch sagt:
@grege (31.07.18, 20:38) -- "Daher hat der EUGH folgerichtig entschieden, dass Unternehmen Kopftuchverbote verhängen dürfen und diese natürlich keine Diskriminierung darstellen." (grege) Das ist in dieser Pauschalität nicht richtig und sie konterkarieren damit ihre eigenen Aussagen über die Komplexität des Rechtssystems und die Einzelfallentscheidungen. Es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, unter dem ein Kopftuchverbot in Unternehmen möglich sind. Das hat der EUGH gesagt. Es gibt Fälle, da ist ein Kopftuchverbot diskriminierend. Und es gibt Fälle, da ist es nicht diskriminierend. Der EUGH hat dem Kopftuchverbot eben grade keinen Persilschein ausgestellt. Unabhängig davon ist der EUGH beim Kopftuch für Lehrerinnen in staatlichen Schulen irrelevant. Hier entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Und das hat ein pauschales Kopftuchverbot 2015 für verfassungswidrig erklärt. Und bevor mir jetzt wieder das Berliner Neutralitätsgesetz kommt: Das gilt nur noch, weil die bisher den Gang nach Karlsruhe scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Weil Berlin mit guten Gründen wohl davon ausgeht, dass Karlsruhe sein unseliges Neutralitätsgesetz kassieren würde.
01.08.18
17:18
Johannes Disch sagt:
@Neutralitätsgebot (des Staates) Die Neutralitätspflicht des Staates-- die übrigens nirgends exakt gesetzlich definiert ist-- wird von Kopftuchgegnern immer gegen die Religion ins Feld geführt. So ist das Neutralitätsgebot aber nicht gemeint. Es ist kein Mittel, um Religion zu verhindern, sondern ganz im Gegenteil: Es soll die Religionsfreiheit seiner Bürger ermöglichen. Der Staat darf keine Religion haben. Seine Bürger hingegen schon. Denen ist das sogar als Grundrecht garantiert. Das Neutralitätsgebot ist nicht religionsfeindlich gemeint, sondern religionsfreundlich und religionsoffen. Steht alles im Religionsverfassungsrecht.
01.08.18
17:34
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