Berufsverbot im Jahr 1998

Fereshta Ludin: „Ich bereue nichts“

Fereshta Ludin wurde ungewollt zu einem Symbol des Widerstandes. Sie wollte Lehrerin werden, doch aufgrund ihres Kopftuches bekam sie vor rund 20 Jahren ein Berufsverbot. Im Interview erinnert sich Ludin zurück und erklärt, wie sie die Zeit damals erlebt hat und wie sie die heutige Situation bewertet.

08
07
2018
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach

IslamiQ: Es ist nun 20 Jahre her, dass Ihnen die Arbeit als Lehrerin verweigert wurde, weil Sie ein Kopftuch tragen. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Ich arbeite seit 20 Jahren als Lehrerin an einer Privatschule. In Berlin herrscht seit 13 Jahren ein Berufsverbot an öffentlichen Schulen für Muslimas. Das Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat weitreichende Konsequenzen und Signalwirkung für andere Berufsfelder. Bundesweit hat sich jedoch in manchen Bundesländern die Situation seit dem korrigierten Bundesverfassungsgerichtsurteil etwas aufgelockert. Die Diskriminierungserfahrungen auf dem Arbeitsmarkt – nicht nur – dort gehen jedoch weiter. Muslimas erleben in der Hauptstadt Berlin zum Beispiel zunehmend verbale und nonverbale Attacken. In meinem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis höre ich immer wieder Berichte darüber. Die mich jedes mal aufs Neue schockieren. Ich selbst habe Attacken dieser Art ebenso erlebt. Auch auf medialer Ebene.

Der anti-muslimische Rassismus und der Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft werden salonfähig und wachsen zunehmend und hier muss die Politik und die Gesamtgesellschaft dringend handeln. Es müssen klare Zeichen seitens des Staates eindeutig und ständig in Richtung Offenheit, Pluralität und friedliches Miteinander gesendet werden. Unsere Schulen, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sollten in diesem Sinne den Bildungsauftrag unterstützend dabei unterstützen und gesellschaftlich wirken.

Auch das Thema Diskriminierung durch Lehrer und innerhalb der Schülerschaft muss stärker angegangen werden und Lösungen und Hilfestellung dafür angeboten und weiterausgebaut werden.

IslamiQ: Sie wurden als „die mit dem Kopftuch“ bekannt und ein Vorbild für viele muslimische Frauen. Fühlten und fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Ich fühle mich als Frau nie wohl, wenn ich auf ein einziges Merkmal reduziert werde, sei es ein Kopftuch, schöne Haare, hübsche Augen, Beine etc. Wir Frauen sind mehr als unser Aussehen und was wir tragen. Wir verkörpern viele Fähigkeiten und Kompetenzen. Unsere Bildung, Erfahrung und unser Einsatz ist entscheidend. Nicht nur in der Familie, sondern auch nach Außen, in der Gesellschaft. Ich hätte gerne viel mehr für unser staatliches Bildungssystem getan, als ich damals den Staatsdienst angestrebt hatte. Vor zwanzig Jahren hatte sich das Kultusministerium in Stuttgart für meine Qualifikationen als Lehrerin nicht interessiert, sondern für mein Tuch.

Das Tuch wurde durch die Vertretung einer staatliche Behörde als „Symbol eines politischen Islams“ deklariert und seither hatte man mir Unglaubwürdigkeit unterstellt. Obgleich ich selbst gegen die Instrumentalisierung der Religion für staatliche Zwecke bin und ich eine politische Bedeutung des Kopftuches nicht akzeptiere oder gar davon überzeugt sein kann. Muslimas mit Kopftuch als verdächtigte „Islamistinnen“ abzustempeln und fernab ihrer individuellen Realität vorzuverurteilen, wie das in meinem Fall und vielen Fällen nach mir geschah und heute noch bundesweit geschieht, ist eine massive Diskriminierung. Sie schmerzt und grenzt enorm aus.

IslamiQ: Haben Sie in dieser Zeitspanne je daran gedacht, Ihren Beruf für das Kopftuch aufzugeben oder das Kopftuch für die Berufsausübung abzulegen?

Ich habe das Tuch aus einem freien Willen heraus getragen. Es gab nie einen Zwang, der auf mich wirkte. Ich habe im Zusammenhang mit meinem Glauben und meiner Identität als Frau seitens meiner Familie oder Verwandtschaft nie Zwang oder Traumatisches erfahren. Ich bin frei erzogen worden und ich konnte vieles in meinem Leben frei entscheiden. Als erwachsene Frau blicke ich auf meine Kindheit und die Werte, die meine Eltern mir mitgaben als solide und positive Werte, die mich in meiner kindlichen wie jugendlichen Entfaltung sehr geholfen haben, stark und selbstbestimmt zu sein. Meine Entscheidung als Jugendliche zum Kopftuch wurde durch die Jahre bewusster und stärker verankert. Nun gehört es zu mir und ist Bestandteil meiner Identität. Es hat eine starke spirituelle Dimension, die mir Ruhe und Zufriedenheit gibt. Frauen, die aus gesellschaftlichem Druck gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, erleben einen Missstand der Gesellschaft, die den Frauen allgemein wenig Freiheitsrechte geben. Das Kopftuch darf weder kleine Mädchen noch erwachsene Frauen aufgezwungen werden. Die Kleidung einer Frau ist eine sehr persönliche Entscheidung. 

Mir wurde vor zwanzig Jahren von einem staatlichen Vertreter in einem Zwiegespräch gesagt „Frau Ludin, Sie brauchen das Kopftuch nur ablegen, dann bekommen Sie die Stelle als Lehrerin sofort“. Das empfand ich sehr demütigend. Ob das nun ein Kopftuch oder ein anderes Kleidungsstück betraf, erschien mir in dem Moment irrelevant. Solche Aussagen bekommen Muslimas sehr häufig vor oder nach einem Bewerbungsgespräch zu hören.

IslamiQ: Heute ist es nicht anders…

…Ja, ich empfinde die heutige Debatte als umso deprimierender, da sie ursächlich auf einen Antrag der rechtsextremen „Die Republikaner“ aus dem Jahr 1998 im Baden-Württembergischen Landtag zurückgeht, die ein generelles Verbot von Kopftüchern forderte. Frau Schavan, die damalige Kultusministerin (CDU) favorisierte ein Verbot für Lehrerinnen mit Kopftuch. Dem stimmten die Parteien mehrheitlich zu. Daraus entstand 2003 dann das erste Kopftuchverbotsgesetz Deutschlands. Das politische Vorgehen damals war somit eindeutig antimuslimisch motiviert. Auch heute noch zeigt sich antimuslimisch motiviertes Vorgehen, etwa bei der Kategorisierung bestimmter Darstellungsschemata hinsichtlich bestimmter, als „problematisch“ eingestufter Situationen an Schulen: Vielen Lehrkräften fehlt es schlicht an interkultureller und interreligiöser Kompetenz, um sich auf Verhaltensweisen der Schüler*innen einzustellen und pädagogisch richtig zu handeln. Schüler*innen werden daher oft diskriminiert und ausgegrenzt, gar als unerwünscht oder ungeeignet, als unverbesserlich oder schlicht unbelehrbar herabgewürdigt. Dieser Rassismus aus dem Lehrerzimmer ist auch eine Entwicklung, die sich aus der oben genannten Entwicklung, wenn Politik muslimisches Leben, und dessen Sichtbarkeit gehört dazu, verbietet, ergeben hat.

IslamiQ: Woher kommt diese Abneigung gegen das Kopftuch?

Ich habe schon immer an die Demokratie und an die Gerechtigkeit durch unsere Verfassung geglaubt. Mir war in den vergangenen Jahren klar geworden, dass es sich hier um einen langwierigen Prozess handelt. Vorurteile, Ängste und Unkenntnis gegenüber Muslimas mit Tuch spielen bei den Entscheidungen auf allen Ebenen eine Rolle auch in der Politik und alle anderen Instanzen. Auch Richter können ihre Ängste und Vorurteile haben. Diese auszuräumen, bedarf es Zeit. Eine offene Debattenkultur und die Beteiligung aller Betroffenen ist notwendig, auch wenn es vor allem für Betroffene am unangenehmsten ist, denn sie sind oft vielen Angriffen und Anfeindungen diesbezüglich ausgesetzt. Ich empfand die Kopftuchdebatte schon immer als eine Stellvertreterdebatte. Es ging nie darum, ob ich als Frau selbstbestimmt ein Tuch trage, sondern es ging oft in der behördlichen aber auch medialen Auseinandersetzung darum, wie viel „Fremdes“ und wie viel sichtbares „muslimisches Leben“ verträgt unsere Gesellschaft.

Vor 15 Jahren war das Kopftuch für viele trotz Nonnen, und viele Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Leben, sehr fremd. Man akzeptierte Frauen mit Kopftuch als Putzfrauen, aber nicht als Apothekerinnen, Verkäuferinnen und keinesfalls als Lehrerinnen, die für Kinder ein Vorbild sein kann. Das Lehrer*innen-Modell ist bis heute für viele nur vom optisch einseitiges Aussehensmodell geprägt. Möglichst hell und ein für die weiße Mehrheitsgesellschaft vertrautes Aussehen. Die Pluralität und Vielfalt unserer Gesellschaft erreicht ihre Toleranzgrenze, wenn eine Frau mit Tuch sichtbar und selbstverständlich wie jeder anderer Mensch in allen Berufszweigen tätig sein möchte.

Eine sichtbare kulturelle oder gar religiöse Vielfalt in der Schule wurde entgegen unserer bildungspolitischen Ansätze von Diversität, Pluralität und den offenen Neutralitätsgedanken des Staats gemäß unserer Verfassung bisher an vielen Schulen nur in nicht sichtbarer und nicht erkennbarer Form gelebt. Heute haben wir die Situation, dass hier geborene Muslimas mit Tuch sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen. Sie verstehen sich als Deutsche und möchten ihrer Identifikation mit der hiesigen Gesellschaft nicht mehr in Frage gestellt sehen. Sie weigern sich, als Fremde gesehen und behandelt zu werden. Der Integrationsbegriff „nervt“ viele Betroffene und erzeugt Unverständnis, da sie sich schon längst als Teil der Gesellschaft verstehen und betrachten. Gerade die Debatten ums Kopftuch lassen viele Betroffene als „die Fremde“ oder „die mit dem Kopftuch“ wirken und fühlen. Sie werden ständig in ihrem Anderssein markiert und zu Außenseiterinnen auf unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft gemacht.

Genau diese Markierung auf Grund eines Merkmals ist ein Zeichen des anti-muslimischen Rassismus, was immer häufiger und selbstverständlicher laut und und stark betont wird. Auch und vor allem aus der Richtung des rechtspopulistischer und -extremer Politiker*innen.

IslamiQ: Vor allem ihr Durchhaltevermögen macht Sie bekannt. In Ihrem Buch gehen Sie oft darauf ein, dass Ihre Mutter ebenfalls eine sehr beliebte und erfolgreiche Lehrerin in Afghanistan war. Ist sie Ihr Vorbild gewesen?

Ja, mit Sicherheit. Sie war die Leitfigur in meinem Leben. Sie hat das vorgelebt, was ich unter einer starken Frau verstehe. Sie war barmherzig, gebildet, engagiert, tolerant, aufgeschlossen für Neues, ehrgeizig und sie war selbst eine Schule für Ihre Kinder. Ihre Stärke war, aus schwierigsten Umständen eine positive Bilanz zu ziehen und aus dem Nichts und Negatives etwas positives entstehen zu lassen. Ich wünschte, sie würde noch leben.

IslamiQ: Zurück zu Heute: in einigen Bundesländern ist das Tragen eines Kopftuchs im öffentlichen Dienst noch immer problematisch, sogar verboten. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Die Entwicklung in Berlin als Hauptstadt sehe ich momentan als hoch problematisch, denn hier findet im Alltag wahre Diversität statt und man begegnet Vielfalt überall wo man hingeht. Viele Menschen leben gerade deswegen hier, weil die Gesellschaft hier die Pluralität widerspiegelt. Das Berliner Neutralitätsverständnis wird hier laizistisch ausgelegt und entspricht somit nicht unserer Verfassung und widerspricht im Kern unseren Grundgesetz. Auch verletzt das Berliner Neutralitätsgesetz in seiner Ausführung und Praxis dem Gleichheitsprinzip aller Geschlechter und vor allem auch die Gleichheit unter allen Frauen. Es diskriminiert bestimmte Zielgruppen, nämlich zum einen Frauen und dann noch eine religiöse Minderheit unter Frauen, nämlich Muslimas mit Kopftuch. Die betroffenen Frauen unterliegen Anhörungen mündlicher Art und bis kürzlich wurden sie schriftlich gezielt angehört. D.h. sie erfahren eine strukturelle Diskriminierung, die schleunigst seitens der Politik gestoppt werden muss. Man stelle sich vor, man nehme sich jüdische oder andersgläubige Frauen vor und befrage sie ins Detail über ihre Glaubensgrundsätze etc. und man stelle sie nicht mehr ein auf Grund ihrer Glaubenszugehörigkeit, oder Sichtbarkeit als Jüdin. Die Glaubensfreiheit jedes einzelnen Menschen ist jedoch von unserem Grundgesetz geschützt.

Die Neutralität des Staates sollte hier ebenso bewahrt werden, denn es ist eine den Religionen gegenüber offene Neutralität gemeint. Eine Sichtbarkeit des Glaubens durch Kleidung allein ist kein Kriterium und alleiniges Merkmal, um Frauen/Menschen aus dem Berufsleben zu entfernen, solange diese Ihr Auftreten mit verbalen Äußerungen nicht unterstützen und missionieren. Das ist bezüglich der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung in aller Deutlichkeit in der Pressemitteilung von 2015 zum Kopftuchurteil gesagt worden. Sowohl die Religionsfreiheit, als auch die Neutralität im Sinne unserer Verfassung haben eine für Deutschland historische Bedeutung und beruhen auf der geschichtlichen Entwicklungen unseres Landes.

IslamiQ: Was würden Sie Frauen im Jahre 2018 – wie aktuell in Berlin – raten, die das selbe Problem haben, wie Sie vor 20 Jahren?

Ich würde Ihnen sagen, dass Sie Lehrerinnen werden sollen, wenn sie gerne Lehrerinnen werden wollen. Dass sie ihre Träume von einem Beruf, das sie gerne ausüben wollen nicht so schnell aufgeben sollen. Ich würde ihnen sagen, dass ein gleichberechtigtes Leben als Frau zu führen überall auf der Welt nicht einfach ist, auch in Deutschland nicht, und dass sie ihre Idealvorstellung nach einem gleichberechtigten Leben als Frau, egal wie sie aussehen, nicht aufgeben sollten. Das Ideal von einem gleichberechtigten Miteinander heißt, viele Hürden zu überwinden und vieles in Kauf zu nehmen, denn Menschen sind nie frei von Vorurteilen, Ängsten und erleiden auch Hass und Missgunst. All diese Dinge wachsen in unserer Gesellschaft zunehmend und es gilt ein solidarisches Miteinander zu entwickeln, um dagegen vorzugehen. Wir sollten uns nicht abhängig von den Umständen machen, sondern uns emanzipieren. Wir Frauen können einen besonderen Beitrag gegen diese Missstände leisten. Ich verstehe die moderne Emanzipation des 21. Jahrhundert als ein solidarisches Zeitalter der Frauen, die sich unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Kultur, Aussehen, Alter und Orientierung Hand in Hand für Menschenrechte einsetzen.

IslamiQ: Sie arbeiten heute in einer muslimischen Grundschule, wo das Kopftuch kein Problem darstellt. Nach dem Sie so lange für das Kopftuch gekämpft hatten, haben Sie den Kampf satt?

Ich habe es satt, Themen wie Diskriminierung, Stigmatisierung und Berufsverbot von Muslimas, Ungleichbehandlung der Frauen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, die „Islamisierung“ aller Debatten, wenn es um Muslimas oder Muslime geht, Muslimas mit Kopftuch als Symbol des Fremden, Islamismus und Terrorismus zu deklarieren und uns als Menschen zweiter Klasse und schlechtere Muslimas hinzustellen, im übrigen sowohl von einigen Menschen mit „muslimischen Hintergrund“ selbst so bezeichnet zu werden, die dabei von staatlicher Seite unterstützt und instrumentalisiert werden. Medial werden all diese Bilder auch weitertransportiert und die Wirkung auf das Denken in der Gesellschaft manifestiert. All dies habe ich satt, ungeachtet dessen stehen uns allen viele Aufgaben bevor, auch mir.

IslamiQ: Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie genau so handeln wie vor 20 Jahren?

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass mir die gerichtlichen Auseinandersetzungen erspart geblieben wären, denn sie haben mein Leben enorm beeinträchtigt, bis heute. Aber da mir unrecht getan wurde und ich ein rechtlich legitimiertes Berufsverbot nicht hinnehmen wollte, bereue ich nichts. Ich habe mich nie verbogen und wollte mich weder von staatlicher Seite noch von Menschen, die rechtsradikales Denken pflegen, menschenfeindlich und intolerant handeln mich mundtot machen lassen. Wir leben schließlich in eine Demokratie und sind seine mündigen Staatsbürger, dafür liebe ich Deutschland zu sehr, meine Heimat.

Das Interview führten Kübra Layik und Esra Ayari

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Wir haben das Thema schon häufig diskutiert, und im Grunde wiederholt sich längst nur alles: Kopftuch contra Neutralitätsgebot, privater Sektor (Urteile des EUGH) versus staatlicher Sektor (Bundesverfassungsgericht) etc. Das nervt langsam. Und es wird vor allem langweilig. Nun, da "Islamiq" das Kopftuch auch häufig zum Thema macht, ist die Redaktion daran auch ein wenig selbst schuld, dass man sich hier gelegentlich vorkommt wie in einem Hamsterrad. Dass ein Kopftuch nicht automatisch gegen das Neutralitätsgebot verstößt, das hat hier u.a. Prof. Dr. Stephan Muckel in 2 Artikeln gezeigt. Ich glaube, das war im März und im Mai 2018? Wenn man in der Rubrik "Suchen" den Namen eingibt, dann wird man die Artikel finden. Natürlich stellt ein Kopftuchverbot für die betroffenen Frauen faktisch eine Benachteiligung dar. Die Frage lautet: Ist diese Benachteiligung akzeptabel? Hier hat das Bundesverfassungsgericht 2015 erfreulicherweise entschieden: Nein bzw. nur in engen Grenzen. Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist verfassungswidrig. Es muss eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens vorliegen, um ein Kopftuch verbieten zu können. So ein Fall ist bisher noch nicht vorgekommen. Was zeigt: Militante Kopftuchgegner konstruieren Gefahren, wo es keine gibt. Ich habe gezeigt, wie eine mögliche juristisch saubere Lösung aussehen könnte, das Thema endgültig vom Eis zu bekommen. (Mein Post hier 31.07.18, 12:33). Nun, man hat sich in Deutschland für eine andere Variante entschieden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2015). Es ist ein kluges und pragmatisches Urteil, mit dem sich leben lässt und wodurch die Benachteiligung von Kopftuch tragenden Musliminnen, die in den Schuldienst wollen, weitestgehend beseitigt wurde. Und im privaten Sektor spielen die EUGH-Urteile in Deutschland so gut wie keine Rolle, da die meisten Unternehmen mit dem Kopftuch glücklicherweise kein Problem haben und auch eines daraus machen. So, das war es für mich hier mit dem Thema "Kopftuch." Wie gesagt, es fängt nämlich langsam an zu langweilen.
02.08.18
5:29
Ute Fabel sagt:
"Damit hätten alle- Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen - endlich Klarheit!" Spätestens seit dem EuGH-Urteil vom März 2017 besteht rechtliche Klarheit. Es wurde erkannt, dass die Arbeitsordnung des Sicherheitsunternehmens G4S Belgien nicht diskriminierend ist, wonach das Tragen aller Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen während der Arbeitszeit untersagt wird.
02.08.18
7:52
Johannes Disch sagt:
Die EUGH-Urteiel beziehen sich auf den privaten Sektor und sind für den Fall Ludin uninteressant. Ludin wurde damals für den staatlichen Schuldienst abgelehnt. Das würde ihr heute nicht mehr passieren dank des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2015. Es ist ein Unding, dass der EUGH es privaten Institutionen gestattet, in Grundrechte einzugreifen. Dieser Punkt wird von vielen Juristen auch deutlich kritisiert. Eingriffe in Grundrechte stehen nur dem Staat zu. Aber auch das hatten wir schon bei entsprechenden Artikeln zu den EUGH-Urteilen. "Weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel ist ein Unding! Unternehmen haben gute Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Mein Vorschlag bezog sich vor allem auf den öffentlichen Sektor. Definiert man Religionsfreiheit über die "5 Säulen" des Islam-- wo das Kopftuch nicht vorkommt-- dann könnte man es auch im öffentlichen Dienst verbieten. Nun, der deutsche Gesetzgeber hat sich für einen anderen Weg entschieden. Kopftuchverbote im öffentlichen Dienst sind nur möglich bei konkreter Gefährdung des Schulfriedens/des Betriebsfriedens. Damit lässt sich leben. Und es hat die berufliche Situation für muslimische Lehrerinnen verbessert und Diskriminierung beseitigt. Nicht umsonst genießt das Bundesverfassungsgericht in Deutschland unter den Bürgern das höchste Ansehen und das größte Vertrauen.
03.08.18
14:02
Miteinander sagt:
@ Spätestens seit dem EuGH-Urteil vom März 2017 besteht rechtliche Klarheit. -- Ute Fabel --- -- Es herrscht keineswegs Klarheit. Das Verbot des Kopftuchs am Arbeitsplatz können private Unternehmen nur unter ganz bestimmten Umständen verhängen. Das Urteil des EuGH im Fall der belgischen Sicherheitsfirma ist kein Freifahrtschein für ein Kopftuchverbot. Der Europäische Gerichtshof steht nicht über den nationalen Verfassungsgerichten. Und er entscheidet nicht über Dinge, die den staatlichen Sektor betreffen. Für den Öffentlichen Dienst ist das Bundesverfassungsgericht die entscheidende Instanz. In dem Artikel geht es um Fereschta Ludin. Und die wollte damals in den öffentlichen Dienst. In den Schuldienst. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs tut bei Fereschta Ludin also nichts zur Sache. Rechtliche Klarheit besteht hingegen bei Beschäftigen des Öffentlichen Dienstes. Und dafür hat das Bundesverfassungsgericht gesorgt mit seinem Urteil von 2015. Ein pauschales Kopftuchverbot für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ist mit der deutschen Verfassung nicht vereinbar. Die Deutschen sind nicht integrationsfähig. Sie sind noch nicht einmal integrationswillig. Das zeigte 1998 der Fall Ludin. Dass sie auch 20 Jahre danach noch immer über ein Stück Stoff diskutieren und darüber Prozesse führen, zeigt, dass dieses Land in den letzten 20 Jahren nicht wirklich ein Stück weiter gekommen ist. Es werden Humanressourcen vergeudet, obwohl es einen eklatanten Lehrermangel gibt. Gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert und verwehrt. Und das alles wegen eines Stück Stoff. Obwohl allen klar ist, dass ein rohstoffarmes Land wie Deutschland nur eine Ressource hat, um die Zukunft zu meistern: Die Köpfe seiner Menschen. Bildung ist der entscheidende Rohstoff für dieses Land, um in Zukunft seine Spitzenstellung behalten zu können. Das verhindert man, indem man gut ausgebildete Menschen vom Arbeitsmarkt fernhält wegen eines Stück Stoff. Nicht nur der Fall Ludin zeigt der Deutschen Unfähigkeit zur Integration. Auch der Fall Özil. Ein läppisches Foto wird zur Staatsaffäre. Flüchtlinge werden in Lager gesteckt, die man beschwichtigend und beschönigend "Ankerzentren" nennt. Die deutsche Regierung verfolgt in der Flüchtlingspolitik inzwischen einen restriktiven Kurs und ist mit verantwortlich dafür, dass das Mittelmeer inzwischen zum Friedhof der Europäischen Wertegemeinschaft geworden ist. Die Europäische Werteunion ersäuft grade im Mittelmeer. Und Deutschland nickt diesen Untergang mit ab. Wie gesagt, Deutschland ist nicht integrationsfähig. Es ist inzwischen noch nicht einmal mehr integrationswillig. Siehe die neue restriktive Flüchtlingspolitik. Wie soll ein Land zukunftsfähig sein, wenn es noch nicht einmal Einigkeit über ein Stück Stoff herstellen kann??? Wie soll ein Land zukunftsfähig sein, wie soll es Menschen verschiedener Herkunft erfolgreich integrieren können, wenn ein Foto eines deutschen Nationalspielers mit türkischen Wurzeln mit einem umstrittenen Politiker zur Staatsaffäre wird? Die Deutschen kommen nicht klar mit einem lapidaren Foto und nicht klar mit einem Stück Stoff.
03.08.18
20:03
grege sagt:
@ Herr Disch, natürlich gilt ein Kopftuchverbot in dem jeweiligen Unternehmen unter dem Vorbehalt der Diskriminierungsfreiheit. Diese stellt eine Selbstverständlichkeit dar und gilt auch für andere Regelungen im Arbeitsleben, so dass deren Erwähnung hier nicht explizit notwendig ist. Aber auf Basis des EUGH Urteils kann ein Arbeitgeber von seinen Mitarbeitern verlangen, dass das Tragen von religiösträchtiger Kleidung verboten wird. Das hat den Charakter eine übergreifenden Regelung, die über die besagten Einzelbetrachtungen, wie sie hier in Deutschland für Streitfälle im öffentlichen Dienst praktiziert werden, hinausgehen.
04.08.18
5:53
Johannes Disch sagt:
@grege (04.08.18, 5:53) Es ist trotzdem nicht unbedenklich, dass private Institutionen-- hier: Private Unternehmen-- in Grundrechte eingreifen dürfen. "Weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel halte ich für äußerst bedenklich. Der Arbeitgeber hat nicht über den Glauben seiner Mitarbeiter zu verfügen. Unternehmen haben Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Es hat lange gedauert, bis sich Arbeitnehmer aus der Leibeigenschaft befreit und ihre Rechte erkämpft hatten. Nun bekommt der Arbeitgeber durch dieses fragwürdige EUGH-Urteil wieder Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer, die über den Anspruch seiner Arbeitskraft hinausgeht. Diese Gefahr scheinen aber viele zu sehen oder es scheint sie nicht zu stören. Es betrifft ja auch nur Musliminnen. Das könnte sich aber ändern und auch Andere könnten von solchen Einschränkungen betroffen sein. Stellen wir uns vor, irgendwann kommt ein Arbeitgeber auf die Idee, die Wohnung eines Arbeitnehmers müsste einem gewissen Standard entsprechen, bevor man ihn einstellt. Hebt der EUGH dann vielleicht auch die Unverletzlichkeit der Wohnung auf und der Arbeitgeber darf sie besichtigen, um zu entscheiden, ob der Bewerber auch dem "wohnlichen Standard" entspricht, den das Unternehmen von seinen Mitarbeitern gewohnt ist? Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Eine private Institution darf in Grundrechte eingreifen. Und das mit einem höchst richterlichen Segen. Das halte ich für bedenklich. Und diese Bedenken teilen auch viele Juristen. Es ist okay, dass man gewisse Grundrechte begrenzt. Wenn die Gründe dafür okay sind. Natürlich muss am Arbeitsplatz erfüllt werden, was das Arbeitsverhältnis verlangt. Ein Arbeitnehmer kann Religionsfreiheit nicht so weit interpretieren, dass er permanent für seinen Glauben missioniert, anstatt seinen Job zu machen. Aber dem Unternehmen das Recht auf "weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel zu geben, und mit dieser Begründung in ein Grundrecht des Arbeitnehmers einzugreifen, das halte ich für falsch und gefährlich. Das könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Das sehe nicht nur ich so, sondern viele renommierte Juristen, die den EUGH ob dieses Urteils heftig kritisieren.
05.08.18
20:25
Johannes Disch sagt:
@grege (04.08.18, 5:53) Schauen Sie, "weltanschauliche Neutralität" als legitimes Unternehmensziel halte ich für absurd. Der EUGH gibt damit einer privaten Institution-- privaten Arbeitgebern-- Verfügungsgewalt über Grundrechte. Etwas, das eigentlich nur dem demokratischen Rechtsstaat zusteht. Und auch da nur in engen Grenzen und unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Das ist mein Haupteinwand gegen dieses Urteil. Wie ich schon sagte: Was kommt als nächstes? Darf der Arbeitgeber eine "adäquate Wohnung" seiner Angestellten als Unternehmensziel ausgeben? Schauen Sie, selbst konfessionell gebundenen Arbeitgebern wie beispielsweise den christlichen Kirchen ist ein pauschales Verbot religiöser Symbole nicht gestattet. So darf ein Kopftuch nur Angestellten in Leitungsfunktion verboten werden, nicht aber beispielsweise Reinigungs-und Pflegekräften. Aber privaten Arbeitgebern gestattet der EUGH "weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel. Das ist nicht nur absurd. Das ist auch gefährlich und für die betroffenen Personen diskriminierend. Ein privates Unternehmen hat ausschließlich Anspruch auf eine gute Arbeitsleistung seiner Angestellten und nicht über ihre Weltanschauung zu befinden.
06.08.18
9:08
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: "Der EUGH gibt damit einer privaten Institution-- privaten Arbeitgebern-- Verfügungsgewalt über Grundrechte." Bei der Grundrechtsausübung im Arbeitsleben ist ein Interessensausgleich geboten. Es darf kein Faustrecht der religiös und weltanschaulich Aufdringlichen zu Lasten der Zurückhaltenden geben. Das konsequente optische Neutralitätsprinzip halte ich für eine wirklich salomonische Unternehmensphilosophie. Jörg Haider, der der rechtspopulistische FPÖ groß gemacht hat, machte den blauen Schal zu einem zentralen Markenzeichen seiner politischen Bewegung. Ich würde mich unwohl fühlen, wenn ich einen Bürokollegen hätte, der ständig einen blauen Schal umgebunden hat. Das optische Neutralitätsprinzip im Betrieb schützt die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit anderer und fördert die Rücksichtnahme auf deren Grundrechte.
06.08.18
12:44
Johannes Disch sagt:
Der Interessensausgleich wird ja vorgenommen. Das Faustrecht liegt hier aber auf Seiten des Unternehmers, da er unter unter höchst richterlichem Segen pauschal ein Grundrecht einschränken kann unter dem absurden Vorwand, "weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel zu definieren. Das ist ein Unding. Unternehmen haben Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Das Einzige, worauf sie Anspruch haben, ist eine gute Leistung ihrer Angestellten. Über die Weltanschauung ihrer Angestellten haben sie nicht zu befinden. Der EUGH hat hier ein bedenkliches Eigentor geschossen, dessen Folgen er wohl selbst noch nicht absehen kann. Der EUGH-- der eigentlich auch die Grundrechte mit schützen sollte-- gibt sie preis für unternehmerische Interessen. Das ist -- wenn man es etwas überspitzt formuliert-- ein Rückfall in den Feudalismus. Ein Rückfall in die Leibeigenschaft. Juckt aber manche nicht, da es ja hauptsächlich "nur" Musliminnen betrifft. Wird Zeit, dass der EUGH auch andere Grundrechte einschränkt, sollten sie im Interesse des Unternehmers sein. Vielleicht wachen die Kopftuchverbot-Bejubler dann auf und verstehen, worum es wirklich geht??? Es geht nicht um ein Kopftuch. Es geht darum, dass der EUGH es privaten Unternehmen gestattet, eklatant in GRUNDRECHTE einzugreifen. Hallo, aufwachen! GRUNDRECHTE! Ist das hier noch einigen ein Begriff? Ist einigen noch klar, wie lange und beschwerlich der Weg war, diese zu bekommen?? Aber jetzt geben wir das ganze wieder dem Unternehmer....
06.08.18
20:22
Johannes Disch sagt:
Grundsätzlich darf das Kopftuch am Arbeitsplatz getragen werden. Die Bekleidungsregeln eines Unternehmens müssen angemessen und dem Arbeitnehmer zumutbar sein. Wenn der Glaube des Arbeitnehmers eine bestimmte Bekleidung vorschreibt, dann muss der Arbeitgeber darauf Rücksicht nehmen und versuchen, beide Interessen in Einklang zu bringen, beispielsweise seinen Wunsch nach einer bestimmten Dienstkleidung und den Glauben der Arbeitnehmerin. So halten es beispielsweise die großen Supermarktketten. Da trägt die Kassiererin die Kleidung von "Penny" (oder "Aldi" oder "Rewe", etc.) und ihr Kopftuch. Für ein Verbot müssen objektiv sachliche Gründe vorliegen, wie etwa beim Unfallschutz. So weit das deutsche Arbeitsrecht. Dieses wird nun durch das EUGH-Urteil-- das ein pauschales Kopftuchverbot durch den Unternehmer möglich macht unter dem Deckmantel der "weltanschaulichen Neutralität" als Unternehmensziel-- konterkariert. Wie gesagt, das ist-- etwas überspitzt formuliert-- ein Rückfall in den Feudalismus. Glücklicherweise haben die meisten deutschen und in Deutschland tätigen Unternehmen kein Problem mit dem Kopftuch (siehe "Aldi", "Penny", "Rewe", etc.) Bei "IKEA"-Deutschland ist das Kopftuch sogar ausdrücklich erwünscht im Rahmen seiner "Diversity"-Strategie ("Diversty" steht für Vielfalt). Das Unternehmen will damit Weltoffenheit und Pluralismus demonstrieren. Und in den Filialen von "Rossmann" in der Gegend um den Tegernsee ist das Kopftuch bei Mitarbeiterinnen ebenfalls gerne gesehen, da in dieser Gegend viele Kunden aus dem arabischen Raum einkaufen.
06.08.18
20:54
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