Berufsverbot im Jahr 1998

Fereshta Ludin: „Ich bereue nichts“

Fereshta Ludin wurde ungewollt zu einem Symbol des Widerstandes. Sie wollte Lehrerin werden, doch aufgrund ihres Kopftuches bekam sie vor rund 20 Jahren ein Berufsverbot. Im Interview erinnert sich Ludin zurück und erklärt, wie sie die Zeit damals erlebt hat und wie sie die heutige Situation bewertet.

08
07
2018
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach
Fereshta Ludin © Daniel Gerlach

IslamiQ: Es ist nun 20 Jahre her, dass Ihnen die Arbeit als Lehrerin verweigert wurde, weil Sie ein Kopftuch tragen. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Ich arbeite seit 20 Jahren als Lehrerin an einer Privatschule. In Berlin herrscht seit 13 Jahren ein Berufsverbot an öffentlichen Schulen für Muslimas. Das Berufsverbot im öffentlichen Dienst hat weitreichende Konsequenzen und Signalwirkung für andere Berufsfelder. Bundesweit hat sich jedoch in manchen Bundesländern die Situation seit dem korrigierten Bundesverfassungsgerichtsurteil etwas aufgelockert. Die Diskriminierungserfahrungen auf dem Arbeitsmarkt – nicht nur – dort gehen jedoch weiter. Muslimas erleben in der Hauptstadt Berlin zum Beispiel zunehmend verbale und nonverbale Attacken. In meinem Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis höre ich immer wieder Berichte darüber. Die mich jedes mal aufs Neue schockieren. Ich selbst habe Attacken dieser Art ebenso erlebt. Auch auf medialer Ebene.

Der anti-muslimische Rassismus und der Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft werden salonfähig und wachsen zunehmend und hier muss die Politik und die Gesamtgesellschaft dringend handeln. Es müssen klare Zeichen seitens des Staates eindeutig und ständig in Richtung Offenheit, Pluralität und friedliches Miteinander gesendet werden. Unsere Schulen, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sollten in diesem Sinne den Bildungsauftrag unterstützend dabei unterstützen und gesellschaftlich wirken.

Auch das Thema Diskriminierung durch Lehrer und innerhalb der Schülerschaft muss stärker angegangen werden und Lösungen und Hilfestellung dafür angeboten und weiterausgebaut werden.

IslamiQ: Sie wurden als „die mit dem Kopftuch“ bekannt und ein Vorbild für viele muslimische Frauen. Fühlten und fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Ich fühle mich als Frau nie wohl, wenn ich auf ein einziges Merkmal reduziert werde, sei es ein Kopftuch, schöne Haare, hübsche Augen, Beine etc. Wir Frauen sind mehr als unser Aussehen und was wir tragen. Wir verkörpern viele Fähigkeiten und Kompetenzen. Unsere Bildung, Erfahrung und unser Einsatz ist entscheidend. Nicht nur in der Familie, sondern auch nach Außen, in der Gesellschaft. Ich hätte gerne viel mehr für unser staatliches Bildungssystem getan, als ich damals den Staatsdienst angestrebt hatte. Vor zwanzig Jahren hatte sich das Kultusministerium in Stuttgart für meine Qualifikationen als Lehrerin nicht interessiert, sondern für mein Tuch.

Das Tuch wurde durch die Vertretung einer staatliche Behörde als „Symbol eines politischen Islams“ deklariert und seither hatte man mir Unglaubwürdigkeit unterstellt. Obgleich ich selbst gegen die Instrumentalisierung der Religion für staatliche Zwecke bin und ich eine politische Bedeutung des Kopftuches nicht akzeptiere oder gar davon überzeugt sein kann. Muslimas mit Kopftuch als verdächtigte „Islamistinnen“ abzustempeln und fernab ihrer individuellen Realität vorzuverurteilen, wie das in meinem Fall und vielen Fällen nach mir geschah und heute noch bundesweit geschieht, ist eine massive Diskriminierung. Sie schmerzt und grenzt enorm aus.

IslamiQ: Haben Sie in dieser Zeitspanne je daran gedacht, Ihren Beruf für das Kopftuch aufzugeben oder das Kopftuch für die Berufsausübung abzulegen?

Ich habe das Tuch aus einem freien Willen heraus getragen. Es gab nie einen Zwang, der auf mich wirkte. Ich habe im Zusammenhang mit meinem Glauben und meiner Identität als Frau seitens meiner Familie oder Verwandtschaft nie Zwang oder Traumatisches erfahren. Ich bin frei erzogen worden und ich konnte vieles in meinem Leben frei entscheiden. Als erwachsene Frau blicke ich auf meine Kindheit und die Werte, die meine Eltern mir mitgaben als solide und positive Werte, die mich in meiner kindlichen wie jugendlichen Entfaltung sehr geholfen haben, stark und selbstbestimmt zu sein. Meine Entscheidung als Jugendliche zum Kopftuch wurde durch die Jahre bewusster und stärker verankert. Nun gehört es zu mir und ist Bestandteil meiner Identität. Es hat eine starke spirituelle Dimension, die mir Ruhe und Zufriedenheit gibt. Frauen, die aus gesellschaftlichem Druck gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, erleben einen Missstand der Gesellschaft, die den Frauen allgemein wenig Freiheitsrechte geben. Das Kopftuch darf weder kleine Mädchen noch erwachsene Frauen aufgezwungen werden. Die Kleidung einer Frau ist eine sehr persönliche Entscheidung. 

Mir wurde vor zwanzig Jahren von einem staatlichen Vertreter in einem Zwiegespräch gesagt „Frau Ludin, Sie brauchen das Kopftuch nur ablegen, dann bekommen Sie die Stelle als Lehrerin sofort“. Das empfand ich sehr demütigend. Ob das nun ein Kopftuch oder ein anderes Kleidungsstück betraf, erschien mir in dem Moment irrelevant. Solche Aussagen bekommen Muslimas sehr häufig vor oder nach einem Bewerbungsgespräch zu hören.

IslamiQ: Heute ist es nicht anders…

…Ja, ich empfinde die heutige Debatte als umso deprimierender, da sie ursächlich auf einen Antrag der rechtsextremen „Die Republikaner“ aus dem Jahr 1998 im Baden-Württembergischen Landtag zurückgeht, die ein generelles Verbot von Kopftüchern forderte. Frau Schavan, die damalige Kultusministerin (CDU) favorisierte ein Verbot für Lehrerinnen mit Kopftuch. Dem stimmten die Parteien mehrheitlich zu. Daraus entstand 2003 dann das erste Kopftuchverbotsgesetz Deutschlands. Das politische Vorgehen damals war somit eindeutig antimuslimisch motiviert. Auch heute noch zeigt sich antimuslimisch motiviertes Vorgehen, etwa bei der Kategorisierung bestimmter Darstellungsschemata hinsichtlich bestimmter, als „problematisch“ eingestufter Situationen an Schulen: Vielen Lehrkräften fehlt es schlicht an interkultureller und interreligiöser Kompetenz, um sich auf Verhaltensweisen der Schüler*innen einzustellen und pädagogisch richtig zu handeln. Schüler*innen werden daher oft diskriminiert und ausgegrenzt, gar als unerwünscht oder ungeeignet, als unverbesserlich oder schlicht unbelehrbar herabgewürdigt. Dieser Rassismus aus dem Lehrerzimmer ist auch eine Entwicklung, die sich aus der oben genannten Entwicklung, wenn Politik muslimisches Leben, und dessen Sichtbarkeit gehört dazu, verbietet, ergeben hat.

IslamiQ: Woher kommt diese Abneigung gegen das Kopftuch?

Ich habe schon immer an die Demokratie und an die Gerechtigkeit durch unsere Verfassung geglaubt. Mir war in den vergangenen Jahren klar geworden, dass es sich hier um einen langwierigen Prozess handelt. Vorurteile, Ängste und Unkenntnis gegenüber Muslimas mit Tuch spielen bei den Entscheidungen auf allen Ebenen eine Rolle auch in der Politik und alle anderen Instanzen. Auch Richter können ihre Ängste und Vorurteile haben. Diese auszuräumen, bedarf es Zeit. Eine offene Debattenkultur und die Beteiligung aller Betroffenen ist notwendig, auch wenn es vor allem für Betroffene am unangenehmsten ist, denn sie sind oft vielen Angriffen und Anfeindungen diesbezüglich ausgesetzt. Ich empfand die Kopftuchdebatte schon immer als eine Stellvertreterdebatte. Es ging nie darum, ob ich als Frau selbstbestimmt ein Tuch trage, sondern es ging oft in der behördlichen aber auch medialen Auseinandersetzung darum, wie viel „Fremdes“ und wie viel sichtbares „muslimisches Leben“ verträgt unsere Gesellschaft.

Vor 15 Jahren war das Kopftuch für viele trotz Nonnen, und viele Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Leben, sehr fremd. Man akzeptierte Frauen mit Kopftuch als Putzfrauen, aber nicht als Apothekerinnen, Verkäuferinnen und keinesfalls als Lehrerinnen, die für Kinder ein Vorbild sein kann. Das Lehrer*innen-Modell ist bis heute für viele nur vom optisch einseitiges Aussehensmodell geprägt. Möglichst hell und ein für die weiße Mehrheitsgesellschaft vertrautes Aussehen. Die Pluralität und Vielfalt unserer Gesellschaft erreicht ihre Toleranzgrenze, wenn eine Frau mit Tuch sichtbar und selbstverständlich wie jeder anderer Mensch in allen Berufszweigen tätig sein möchte.

Eine sichtbare kulturelle oder gar religiöse Vielfalt in der Schule wurde entgegen unserer bildungspolitischen Ansätze von Diversität, Pluralität und den offenen Neutralitätsgedanken des Staats gemäß unserer Verfassung bisher an vielen Schulen nur in nicht sichtbarer und nicht erkennbarer Form gelebt. Heute haben wir die Situation, dass hier geborene Muslimas mit Tuch sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen. Sie verstehen sich als Deutsche und möchten ihrer Identifikation mit der hiesigen Gesellschaft nicht mehr in Frage gestellt sehen. Sie weigern sich, als Fremde gesehen und behandelt zu werden. Der Integrationsbegriff „nervt“ viele Betroffene und erzeugt Unverständnis, da sie sich schon längst als Teil der Gesellschaft verstehen und betrachten. Gerade die Debatten ums Kopftuch lassen viele Betroffene als „die Fremde“ oder „die mit dem Kopftuch“ wirken und fühlen. Sie werden ständig in ihrem Anderssein markiert und zu Außenseiterinnen auf unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft gemacht.

Genau diese Markierung auf Grund eines Merkmals ist ein Zeichen des anti-muslimischen Rassismus, was immer häufiger und selbstverständlicher laut und und stark betont wird. Auch und vor allem aus der Richtung des rechtspopulistischer und -extremer Politiker*innen.

IslamiQ: Vor allem ihr Durchhaltevermögen macht Sie bekannt. In Ihrem Buch gehen Sie oft darauf ein, dass Ihre Mutter ebenfalls eine sehr beliebte und erfolgreiche Lehrerin in Afghanistan war. Ist sie Ihr Vorbild gewesen?

Ja, mit Sicherheit. Sie war die Leitfigur in meinem Leben. Sie hat das vorgelebt, was ich unter einer starken Frau verstehe. Sie war barmherzig, gebildet, engagiert, tolerant, aufgeschlossen für Neues, ehrgeizig und sie war selbst eine Schule für Ihre Kinder. Ihre Stärke war, aus schwierigsten Umständen eine positive Bilanz zu ziehen und aus dem Nichts und Negatives etwas positives entstehen zu lassen. Ich wünschte, sie würde noch leben.

IslamiQ: Zurück zu Heute: in einigen Bundesländern ist das Tragen eines Kopftuchs im öffentlichen Dienst noch immer problematisch, sogar verboten. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Die Entwicklung in Berlin als Hauptstadt sehe ich momentan als hoch problematisch, denn hier findet im Alltag wahre Diversität statt und man begegnet Vielfalt überall wo man hingeht. Viele Menschen leben gerade deswegen hier, weil die Gesellschaft hier die Pluralität widerspiegelt. Das Berliner Neutralitätsverständnis wird hier laizistisch ausgelegt und entspricht somit nicht unserer Verfassung und widerspricht im Kern unseren Grundgesetz. Auch verletzt das Berliner Neutralitätsgesetz in seiner Ausführung und Praxis dem Gleichheitsprinzip aller Geschlechter und vor allem auch die Gleichheit unter allen Frauen. Es diskriminiert bestimmte Zielgruppen, nämlich zum einen Frauen und dann noch eine religiöse Minderheit unter Frauen, nämlich Muslimas mit Kopftuch. Die betroffenen Frauen unterliegen Anhörungen mündlicher Art und bis kürzlich wurden sie schriftlich gezielt angehört. D.h. sie erfahren eine strukturelle Diskriminierung, die schleunigst seitens der Politik gestoppt werden muss. Man stelle sich vor, man nehme sich jüdische oder andersgläubige Frauen vor und befrage sie ins Detail über ihre Glaubensgrundsätze etc. und man stelle sie nicht mehr ein auf Grund ihrer Glaubenszugehörigkeit, oder Sichtbarkeit als Jüdin. Die Glaubensfreiheit jedes einzelnen Menschen ist jedoch von unserem Grundgesetz geschützt.

Die Neutralität des Staates sollte hier ebenso bewahrt werden, denn es ist eine den Religionen gegenüber offene Neutralität gemeint. Eine Sichtbarkeit des Glaubens durch Kleidung allein ist kein Kriterium und alleiniges Merkmal, um Frauen/Menschen aus dem Berufsleben zu entfernen, solange diese Ihr Auftreten mit verbalen Äußerungen nicht unterstützen und missionieren. Das ist bezüglich der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung in aller Deutlichkeit in der Pressemitteilung von 2015 zum Kopftuchurteil gesagt worden. Sowohl die Religionsfreiheit, als auch die Neutralität im Sinne unserer Verfassung haben eine für Deutschland historische Bedeutung und beruhen auf der geschichtlichen Entwicklungen unseres Landes.

IslamiQ: Was würden Sie Frauen im Jahre 2018 – wie aktuell in Berlin – raten, die das selbe Problem haben, wie Sie vor 20 Jahren?

Ich würde Ihnen sagen, dass Sie Lehrerinnen werden sollen, wenn sie gerne Lehrerinnen werden wollen. Dass sie ihre Träume von einem Beruf, das sie gerne ausüben wollen nicht so schnell aufgeben sollen. Ich würde ihnen sagen, dass ein gleichberechtigtes Leben als Frau zu führen überall auf der Welt nicht einfach ist, auch in Deutschland nicht, und dass sie ihre Idealvorstellung nach einem gleichberechtigten Leben als Frau, egal wie sie aussehen, nicht aufgeben sollten. Das Ideal von einem gleichberechtigten Miteinander heißt, viele Hürden zu überwinden und vieles in Kauf zu nehmen, denn Menschen sind nie frei von Vorurteilen, Ängsten und erleiden auch Hass und Missgunst. All diese Dinge wachsen in unserer Gesellschaft zunehmend und es gilt ein solidarisches Miteinander zu entwickeln, um dagegen vorzugehen. Wir sollten uns nicht abhängig von den Umständen machen, sondern uns emanzipieren. Wir Frauen können einen besonderen Beitrag gegen diese Missstände leisten. Ich verstehe die moderne Emanzipation des 21. Jahrhundert als ein solidarisches Zeitalter der Frauen, die sich unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Kultur, Aussehen, Alter und Orientierung Hand in Hand für Menschenrechte einsetzen.

IslamiQ: Sie arbeiten heute in einer muslimischen Grundschule, wo das Kopftuch kein Problem darstellt. Nach dem Sie so lange für das Kopftuch gekämpft hatten, haben Sie den Kampf satt?

Ich habe es satt, Themen wie Diskriminierung, Stigmatisierung und Berufsverbot von Muslimas, Ungleichbehandlung der Frauen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, die „Islamisierung“ aller Debatten, wenn es um Muslimas oder Muslime geht, Muslimas mit Kopftuch als Symbol des Fremden, Islamismus und Terrorismus zu deklarieren und uns als Menschen zweiter Klasse und schlechtere Muslimas hinzustellen, im übrigen sowohl von einigen Menschen mit „muslimischen Hintergrund“ selbst so bezeichnet zu werden, die dabei von staatlicher Seite unterstützt und instrumentalisiert werden. Medial werden all diese Bilder auch weitertransportiert und die Wirkung auf das Denken in der Gesellschaft manifestiert. All dies habe ich satt, ungeachtet dessen stehen uns allen viele Aufgaben bevor, auch mir.

IslamiQ: Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie genau so handeln wie vor 20 Jahren?

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass mir die gerichtlichen Auseinandersetzungen erspart geblieben wären, denn sie haben mein Leben enorm beeinträchtigt, bis heute. Aber da mir unrecht getan wurde und ich ein rechtlich legitimiertes Berufsverbot nicht hinnehmen wollte, bereue ich nichts. Ich habe mich nie verbogen und wollte mich weder von staatlicher Seite noch von Menschen, die rechtsradikales Denken pflegen, menschenfeindlich und intolerant handeln mich mundtot machen lassen. Wir leben schließlich in eine Demokratie und sind seine mündigen Staatsbürger, dafür liebe ich Deutschland zu sehr, meine Heimat.

Das Interview führten Kübra Layik und Esra Ayari

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Der EUGH hat schon viele sehr gute Urteile gefällt. So wurde Deutschland angehalten, seine Gesetze zur Scherungsverwahrung zugunsten der Betroffenen zu ändern. Und auch Flüchtlinge müssen die Möglichkeit haben, gegen einen ablehnenden Asylbescheid Widerspruch einzulegen und dürfen bis zur Entscheidung dieses Widerspruchs nicht aus Deutschland abgeschoben werden. Das waren nur 2 Beispiele der jüngsten Zeit. Und beides waren gute Urteile zugunsten einer Minderheit. Aber Unternehmen ein pauschales Kopftuchverbot unter dem Deckmantel der "weltanschaulichen Neutralität" als Unternehmensziel zu ermöglichen-- das war ein fatales Fehlurteil!
07.08.18
1:32
grege sagt:
Bekleidungsvorschriften, wenn auch unausgesprochene, sind in Unternehmen gang und gebe. Man denke nur an die Gastronomie, das Hotelgewerbe, Handelsketten oder sogar Handwerksbetriebe, wo die Mitarbeiter quasi Uniformen tragen müssen, die über die Anforderungen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz hinausgehen. Ebenso gibt es diverse Unternehmen, die Ihrem Management eine Anzugpficht abverlangen. Daher finde ich das Kopftuchurteil der EugH wenig überraschend, ja es spiegelt sogar die gelebte Realität wieder. Da die Arbeitsleistung eben je nach Tätigkeit mit dem äußeren Erscheinungsbild korrespondiereb und dieses auch zu einem gewissen Teamgefühl beitragen kann, halte ich den Bogen zur Leibeigenschaft im Zusammenhang mit dem Kopftuchurteil für wahrlich sehr verwegen. Als jemand ,der mittlerweile 13 Jahre ausschließlich in der freien Wirtschaft beschäftigt ist, kann ich das Urteil nur begrüßen, da die insbesondere die Gleichbehandlung der Mitarbeiter für diese außerordentliche wichtig ist. Wenn hier einzelne aufgrund Ihrer Relgionszugehörigkeit oder ihrer Weltanschauung bevorzugt werden, kann sehr schnell in einem Team das Zusammengehörigkeitsgefühlt nachlassen und die Arbeitsleistung des Teams sinkt. Ebenso ist es für einen Arbeitgeber quais unmöglich herauszufinden, ob die verlange Ausnahmen von Bekleidungsschriften vorgeschoben konstruiert oder der tatsächlichen inneren Einstellung entsprechen. Arbeitgeber haben hier nicht die Aufgabe Detektiv zu spielen, sondern nur darauf zu achten, dass ihre Vorschriften gleichermaßen für alle gelten. Wenn ein Arbeitgeber Kopftücher, Kippas, Mönchshauben oder weiß der Geier, was verbietet, dann diskrminiert nicht er, sonderen uneinsichtige Mitarbeiter diskriminieren scih selber!!!!
08.08.18
19:27
Johannes Disch sagt:
@grege (08.08.18, 19:27) Nichts gegen gewisse Bekleidungsvorschriften, wo sie sinnvoll, notwendig und angemessen sind. Das habe ich in vielen Beiträgen hier auch genauso ausgeführt. Aber dass ein privates Unternehmen ein Grundrecht PAUSCHAL einschränken bzw. verbieten kann, das ist bedenklich. Es ist ein Urteil gegen Grundrechte. Es ist das verheerendste und schlimmste Fehlurteil, das der EUGH bisher getroffen hat. Es ist ein Unding, dass ein Unternehmensziel über einem Grundrecht steht. "Weltanschauliche Neutralität" als Unternehmensziel ist völlig absurd. Ein Unternehmen hat Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Über die Weltanschauung seiner Mitarbeiter hat er nicht zu befinden. Eingriffe in Grundrechte sollten die seltene Ausnahme sein. Und sie sollten nur vom demokratischen Rechtsstaat vorgenommen können. Und auch da ist immer Wachsamkeit und Skepsis geboten, ob diese Einschränkung wirklich nötig ist? Aber dass man nun auch privaten Institutionen die Möglichkeit gibt, ein Grundrecht PAUSCHAL einzuschränken, das ist bedenklich. Die Gefahr wird von vielen offenbar aber nicht gesehen oder einfach billigend in Kauf genommen. Schließlich geht es ja nur gegen Musliminnen. Die Bejubler dieses Urteils sollten wenigsten so ehrlich sein und zugeben, dass sie vor allem deshalb klatschen, weil es ein Urteil gegen Musliminnen ist. Es könnte aber der Tag kommen, wo der EUGH privaten Unternehmen den Segen erteilt, ein Grundrecht einzuschränken, das auch die Kopftuchverbot-Enthusiasten betrifft. Vielleicht wachen die Grundrechte-Einschränken-durch private Unternehmen-Befürworter dann auf?? -- "Ebenso ist es für einen Arbeitgeber unmöglich herauszufinden, ob die verlangte Ausnahme von Bekleidungsvorschriften vorgeschoben, konstruiert oder der tatsächlichen inneren Einstellung entsprechen." (grege) Der Unternehmer hat das auch nicht herauszufinden! Das steht ihm nicht zu! Er hat nicht über den religiösen Glauben seiner Angestellten zu befinden und zu bewerten, wie tief oder wie oberflächlich, wie echt oder wie falsch er ist! Ein Unternehmen hat keine (religiöse) Gesinnungspolizei zu sein!
09.08.18
15:17
Johannes Disch sagt:
Das Kopftuch verhüllt nicht das Gesicht. Es schadet niemandem. Es bedroht niemanden. Hier trifft die Karlsruher Toleranz-Kultur auf die Brüsseler Verbotskultur. Brüssel hat nicht gefragt, wieso das Kopftuch zu einem Stein des Anstoßes geworden ist. Es hat einfach festgestellt, dass es so ist und sich für den bequemsten Weg entschieden: Für ein potentielles pauschales Verbot. Das ist für eine Institution, die sich eigentlich die Verteidigung von Grundrechten und die Integration auf die Fahne geschrieben hat, ein Treppenwitz. Das Urteil ist ein Urteil gegen Grundrechte. Es ist ein Urteil gegen Integration. Es ist ein Urteil, dass sämtlichen europäischen Werten widerspricht. Es ist ein Urteil, das nicht eint, sondern trennt. Ein Urteil, das Integration und Inklusion erschwert. Wir haben jetzt die absurde Situation, dass Kopftuch im privaten Sektor leichter verboten werden kann, als im staatlichen Sektor. Das stellt demokratische Grundsätze auf den Kopf.
12.08.18
18:59
Johannes Disch sagt:
Generell ist es so, dass Arbeit ein Schlüssel ist für Integration. Alle Studien zeigen das. Wer schnell am Arbeitsleben teil nimmt, bei dem gelingt Integration am besten und am schnellsten. Es ist bedauerlich-- und für die Integration kontraproduktiv-- dass der EUGH mit diesem Urteil grade den Zugang zu diesem für Integration so wichtigen Sektor für Musliminnen erschwert.
14.08.18
16:52
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: "Das Kopftuch verhüllt nicht das Gesicht. Es schadet niemandem. Es bedroht niemanden." Der blaue Schal, den der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider zum Markenzeichen seiner Bewegung erhoben hat, verhüllt das Gesicht auch nicht und schadet bzw. bedroht auch niemanden unmittelbar. Darum geht es aber gar nicht. Es entspricht nicht dem Berufsethos, das Lehrer aufzubringen haben, die eigene Gesinnung immer aufdringlich vor sich herzutragen. Nein zu Kopftüchern, nein zu blauen Schals bei Lehrern!
30.08.18
8:50
grege sagt:
@ Herr Disch "Nichts gegen gewisse Bekleidungsvorschriften, wo sie sinnvoll, notwendig und angemessen sind." (Aussage Disch) Diese Aussage ist aber sehr vage und für Unternehme kaum verwertbar. Ihrer Logik zufolge hätten Unternehmen Bekleidungsvorschriften, die jenseits von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eine ästhetische Funktion erfüllen sollen, überhaupt keine Daseinsberechtigung. Der Anzugpflicht bei einer Bank könnte beispielswiese von dem betreffenden Mitarbeiter immer wieder mit Hinweis auf ein irgendein religiöses Gebot widersprochen werden. Dem Arbeitgeber wären hier, wenn man Ihre Logik weiterspinnt, die Hände gebunden, da Unternehmen Inhalt, Sinn und Umsetzung von Geboten irgendeiner Religion nicht bewerten und hinterfragen können und dürfen. Auf welcher Grundlage muss ein Unternehmen das Tragen eines Kopftuches einer Muslimin ermöglichen, darf aber religiös oder weltanschaulich andersgesinnten Menschen das Tragen einer anderen Kopfbedeckung verbieten? Ihre Standardantwort, dass es sich hier um einen konstruierten Fall von Islamgegnern handelt, führt nicht weiter. Bisherige Regelungen, Kopftücher zuzulassen, andere Kopfbedeckungen zu verbieten, stellen hier glasklar einen Fall von Diskriminierung gegenüber Nichtmuslimen dar. Damit Diskriminierung auf praktikable Art vermieden wird, weist das Urteil genau in die richtige Richtung, wo jeder Mitarbeiter dieselben Rechte und Pflichten hat. Das sind u.a. notwendigen Randbedingungen für ein respektvolles, angenehmes und erfolgreiches Miteinander am Arbeitsplatz.
30.08.18
19:56
grege sagt:
"Es ist bedauerlich-- und für die Integration kontraproduktiv-- dass der EUGH mit diesem Urteil grade den Zugang zu diesem für Integration so wichtigen Sektor für Musliminnen erschwert." FALSCH. Die Schuld liegt nicht beimn EUGH, sondern bei den betreffenden Musliminen, die sich in dem Punkt nicht anpassen wollen. Meinen heutigen Job hätte ich auch nicht, wenn ich mich den Bekleidungsvorgabens eines jetzigen Unternehmens widersetzt hätte oder erst gar nicht bekommen, wenn ich das im Vorstellungsgespräch bereits signalisiert hätte.
30.08.18
19:59
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