Es ist ein historisches Urteil: Nach mehr als fünf Jahren NSU-Prozess wird Beate Zschäpe als Mörderin verurteilt, bekommt lebenslänglich. Doch der juristische Streit dürfte damit noch nicht zu Ende sein: Erwartet wird, dass der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen muss.
Im NSU-Prozess ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht München stellte am Mittwoch zudem die besondere Schwere der Schuld fest – damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Mit dem historischen Urteilsspruch folgte das Gericht dem Antrag der Bundesanwaltschaft und verurteilte Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Oberlandesgericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, der Mitangeklagte André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten, der Mitangeklagte Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe.
Damit endet nach mehr als fünf Jahren einer der längsten und aufwendigsten Indizienprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es wurde aber damit gerechnet, dass Zschäpes Verteidiger Revision einlegen. Dann müsste der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen.
Zschäpe hatte fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer oder griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin, zudem verübten sie zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten. Zwar gibt es keinen Beweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte war. Die Anklage hatte Zschäpe allerdings eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des Trios zugeschrieben und argumentiert, Zschäpe habe „alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt“. Dieser Argumentation folgte das Gericht nun mit seinem Urteil.
Zschäpes zwei Verteidiger-Teams hatten den Freispruch ihrer Mandantin von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei keine Mittäterin, keine Mörderin und keine Attentäterin. Zschäpe selbst hatte in schriftlichen Einlassungen geltend gemacht, sie habe von den Morden und Anschlägen ihrer Freunde immer erst im Nachhinein erfahren. „Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe“, hatte sie in ihrem persönlichen Schlusswort ans Gericht appelliert.
Zschäpes Vertrauensanwälte hatten eine Haftstrafe von unter zehn Jahren gefordert. Ihre ursprünglichen drei Verteidiger hatten die sofortige Freilassung beantragt, weil die Haftstrafe für die Brandstiftung mit der Untersuchungshaft schon abgegolten sei.
Das Auffliegen des NSU im November 2011 hatte ein politisches Beben in Deutschland ausgelöst – weil eine rechtsextreme Terrorzelle jahrelang unbehelligt von den Behörden im Untergrund leben und mordend durch die Republik ziehen konnte. Jahrelang hatten die Ermittler zuvor falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Stattdessen wurden engste Familiengehörige als Verdächtige behandelt und drangsaliert. In der Folge wurden Untersuchungsausschüsse des Bundestages und mehrerer Landtage eingesetzt, um teils eklatante Behördenfehler aufzuklären.
„Das Versprechen, die NSU-Morde lückenlos aufzuklären, wurde nicht eingelöst. Im Gegenteil, es wurde alles unternommen, um die Trio-These aufrechtzuerhalten. So lange diese Triorisierung nicht beendet wird, kann es keine zufriedenstellende Aufklärung geben“, erklärt Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), anlässlich der Urteilsverkündung im NSU-Prozess. Die Urteilsverkündung sei lediglich der Abschluss des Gerichtsverfahrens, und dürfe nicht als Ende der Aufklärung des NSU-Terrors betrachtet werden, meint Altaş weiter.
Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) kritisiert, dass der fünf Jahre andauernde Prozess kaum Erkenntnisse über die Verstrickungen des NSU-Terrors gebracht hat. „Deshalb fordert der ZMD weitere Aufklärungs- und Gerichtsverfahren, um Licht ins Dunkel zu bringen, und um die Rolle der zahlreichen Hinterleute wie auch das Versagen der verantwortlichen staatlichen Akteure restlos aufzuklären“, heißt es in einer Stellungnahme der Religionsgemeinschaft.
„Dieser Urteilsspruch sollte zum Anlass genommen werden, sich dieser Thematik ernsthaft anzunehmen, um die Hintergründe des massiven, institutionellen Versagens und der gesellschaftlichen Missstände über das rein Juristische hinaus zu diskutieren“, forderte die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB). Das Urteil könne nur ein erster Schritt der juristischen Aufarbeitung der „NSU“-Affäre sein, der weiterer gesellschaftlicher, politischer und medialer Aufarbeitung, Thematisierung und Maßnahmen bedürfe.(dpa/iQ)