Rassismus in Deutschland

„Wenn sogar Özil Rassismus ausgesetzt ist, was ist mit uns?“

Der Fußballer Mesut Özil ist aus der deutschen Fußballnationalmannschaft zurückgetreten. In seiner Erklärung wirft er deutschen Medien und dem DFB-Präsidium Rassismus und Respektlosigkeit vor. Wir fragen unsere Leser was sie von der Causa Özil halten.

23
07
2018
Junge Muslime Studie
Symbolbild: Junge Muslime in Deutschland © privat

Der deutsch-türkische Fußball Nationalspieler Mesut Özil gab gestern seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. In einer längeren Mitteilung auf Twitter nahm er erstmals zu der hitzigen Diskussion Stellung. Gegenstand der Diskussion: sein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft. Mit seinen scharfen Vorwürfen gegen den Verbandschef des Deutschen Fußball Bundes (DFB), Reinhard Grindel, fremdenfeindliche Funktionäre, und einer rassistischen mediengeführten Hetzkampagne gegen ihn, hinterließ der 29-Jährige eine schwere Bürde, nicht nur für den DFB, sondern für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Integration, Rassismus und Zugehörigkeit.

Bis gestern schwieg Özil

Bereits vor der WM ernteten die beiden deutschen Fußballspieler mit türkischen Wurzeln Mesut Özil und Ilkay Gündoğan scharfe Kritik. Sie hatten mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in London im Mai ein Foto geschossen. Das DFB-Präsidium, zahlreiche Politiker, aber auch Nutzer von sozialen Medien kritisierten das Foto lautstark und stellten die Zugehörigkeit der Spieler zu Deutschland und ihre Integration in Frage. Gündoğan reagierte prompt, gestand einen Fehler ein und stellte klar, dass es sich bei dem Foto nicht um ein politisches Statement handle. Özil schwieg bis gestern zu den Vorwürfen.

Nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft ging die Diskussion um Mesut Özil weiter. Verschiedene Medien brachten in ihrer Berichterstattung über das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft, die Niederlage mit Mesut Özil in Verbindung – und zwar nicht mit seiner spielerischen Leistung auf dem Fußballfeld. Vielmehr stand seine Herkunft im Fokus der Diskussion. Grundsatzdiskussionen über seine türkische Herkunft und sein Recht auf die Mitgliedschaft in der deutschen Nationalmannschaft wurden geführt.

Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft

Die Konsequenz, die Özil am gestrigen Sonntag aus der hitzigen Debatte über ihn zog: sein Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. Er verspüre „ein Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit“ ihm gegenüber, erklärte Özil seinen Schritt. „Was ich (…) nicht akzeptieren kann, sind deutsche Medien, die wiederholt mein doppeltes Erbe und ein einfaches Bild für eine schlechte Weltmeisterschaft einer ganzen Mannschaft verantwortlich machen“, kritisiert Özil. Er macht aber nicht nur die negative Berichterstattung für seinen Entschluss verantwortlich, sondern auch das Verhalten des DFB-Präsidiums.

Für seine Abrechnung erntete Özil harte Kritik, aber auch großes Lob. In den sozialen Netzwerken solidarisieren sich insbesondere Muslime und Deutsche mit Migrationshintergrund mit ihm und können seinen Entschluss nachvollziehen. Wir fragten unsere Leser was sie von der Debatte über Mesut Özil halten und wie sie seinen Rücktritt und seine Erklärung beurteilen. Hier einige Antworten:

Dilara Sönmez, 24: 

„Ich war auch eine Kritikerin der Fotos, weil ich einfach der Meinung bin, dass der Zeitpunkt falsch war, da die Absicht unumgänglich politisch verstanden werden würde. Aber die Statements Özils haben mich aufs Vollste umgestimmt, und ich hab mir gedacht: „Hey, es ging um das Respekthaben“. Ich finde es wirklich traurig, dass es zum Austritt kommen musste. Aber eigentlich auch nur deswegen, weil ich mir Gedanken darüber mache, wie es nun um mich oder all die anderen Menschen mit Migrationshintergrund steht. Und was die ganzen Flüchtlinge erwartet.  Selbst Özil, der ja mittlerweile als Integration in Person verstanden werden sollte, wird bei nur einer Unstimmigkeit Rassismus ausgesetzt. Wir, mit Migrationshintergrund, können jetzt von Folgendem ausgehen: Solange ich erfolgreich bin, bin ich in der „deutschen“ Gesellschaft willkommen, falls mir aber ein Fehler unterläuft, werde ich einer kollektiven Schuldzuweisung ausgesetzt und bin wieder „die/der Andere“.“

Iman Laghmari, 21: 

„Özil repräsentiert die Gefühle, die so viele von uns haben. Guter Deutscher, schlechter Immigrant. Das Gefühl, sich ständig und immer aufs Neue beweisen zu müssen. Das Gefühl, immer mehr machen zu müssen, als jeder andere, damit diese Leistungen anerkannt werden. Und das jeder Schritt, den man tut, beobachtet wird. Özil ist das beste Beispiel dafür, und er zeigt, dass man das nicht aushalten muss. Dass man irgendwann einen Schlussstrich ziehen darf und muss. Und das auf die beste Art und Weise. Einfach ein Abgang mit Stil.“

Enes Karaca, 24: 

„Er hat das alles zu Worte gebracht, was die meisten „Deutsch-Türken“ hierzulande zwar denken, aber weniger zu Worte bringen, da sie dadurch weitere Benachteiligungen befürchten. Deutschland gilt als offen und modern. Ist es aber wirklich so? Ich bin zwar in Deutschland geboren und aufgewachsen, durch die globalisierte Welt bekommt man inzwischen alles auf der Welt mit. Was ich dabei für mich feststellen kann:

Es wird einerseits gewollt, dass wir uns als „Deutsche“ bezeichnen, andererseits wird man nie wirklich als Deutscher akzeptiert. Man ist, wie es auch Özil schildert, ein „Teilzeit-Deutscher“, je nachdem wie es gerade passt.“

 

Leserkommentare

Prinzessin Rosa sagt:
Ey Johannes, um mal auf dein unterirdisches Niveau zu kommen (bin erstaunt das du das auch kannst, sonst lesen sich deine meisten Kommentare reflektierter): Das ist voll disch disch disch, unter der Gürtellinie was du gepostet hast.
25.07.18
15:27
M.Al-Faruqi sagt:
JE SUIS ÖZIL!!! JE SUIS MESUT!!!
25.07.18
18:56
Salim Spohr sagt:
Wenn @Johannes Disch sagt, „also so, wie Sie das Muslim-Sein definieren, handelt es sich um autoritäre Hörigkeit, die wir im Westen Gott sei Dank längst überwunden haben“, dann irrt er sich, denn ich habe in meinem Beitrag „Muslim-Sein“ nirgendwo überhaupt „definiert“. Und dann verwechselt Disch „Respekt“ mit dem, was er „autoritäre Hörigkeit“ nennt, was ihn als treues Kind einer ehrlosen Zeit erkennen läßt, die jeden Respekt verloren hat, vor dem Vater, dem älteren Bruder, der Mutter, dem Lehrer, dem Priester, dem Präsidenten, und sich dessen, daß es so ist, auch noch mit den Worten rühmt, “wir im Westen“ haben so etwas „längst überwunden“. Ja genau, so etwas wie Respekt und Ehre hat man im Westen längst überwunden, Disch hat so verstanden n einem nicht geahnten Sinne recht. Indem @Johannes Disch Mesud Özil vorwirft, er hätte „als deutscher Nationalspieler Werbung für einen Diktator“ gemacht, zeigt er schließlich einen ebenso verbreiteten wie peinlichen Mangel an sozialer Kompetenz und wirklichem Verständnis. Gegenüber einer solch nachgerade a-sozialen Haltung kommt alles darauf an, jene Sache mit dem Photo eben aus der Sicht Mesud Özils zu betrachten. Alles andere wäre unangemessen, unfair und dumm. Da gilt es eben, zu berücksichtigen, daß Mesud selbst das entscheidende Motiv nennt, wenn er sagt, er habe es als Ehre aufgefaßt, mit dem Präsidenten des Landes seiner Eltern gemeinsam photographiert zu werden. – Und das ist es: Niemand hat das Recht, die zugrundeliegende Absicht (niya) in seiner Beurteilung einfach außen vor zu lassen, ist sie es doch, die aus muslimischer und übrigens auch aus der Sicht des teutonischen Meisterdenkers Immanuel Kant grundsätzlich über die Moralität einer Handlung entscheidet.
26.07.18
13:46
Johannes Disch sagt:
Der kurdisch-türkische Fußballer Dennis Naki -- vom türkischen Verband lebenslang gesperrt--fordert Özil in einem offenen Brief auf, doch bitte schön mal gegen den Rassismus in der Türkei zu protestieren. Wenn man diesen Artikel hier liest, von wegen Özil wäre Rassismus ausgesetzt: Der arme Mesut. Jetzt hat er etwas gemacht, wofür er kritisiert wird, das Foto mit Erdogan. Nur weil ein Fußballer einen Migrationshintergrund hat ist Kritik an ihm nicht gleich automatisch rassistisch. Und was sollen wir denn von den jüngsten Tobsuchtsanfällen des türkischen Präsidenten halten, der den Fall Özil dazu instrumentalisiert, Deutschland wieder mit Faschismus-und Nazi-Vorwürfen zu überziehen??? Stellt euch mal vor, ich wäre so empfindlich wie der Mesut--- ich müsste mich ja permanent über den Recep Tayyip E. aufregen und mich rassistisch beleidigt fühlen. Mach ich aber nicht. Der Recep Tayyip E. ist halt nun mal, wie er ist. Und er hat zu Hause im Moment ja genug Probleme... (Inflation, die türkische Währung im freien Fall, etc.) Da kommt der Fall Özil grade recht, um von den internen Problemen abzulenken. Ja, das böse Ausland ist mal wieder an allem schuld...Eine beliebte Strategie von Recep Tayyip E. Eine, die aber nicht mehr lange aufgehen wird. Im Fall Özil ist von beiden Seiten einiges schief gelaufen. Davon jetzt aber ein allgemeines Rassismus-Problem im deutschen Fußball abzuleiten, das wäre ein Fehlschluss. 20% der Mitglieder des DFB haben einen Migrationshintergrund. Mehr als jeder andere Verband in Deutschland. Auf der regionalen und kommunalen Ebene ist der Sport-- allen voran der Fußball-- noch immer ein hervorragendes Instrument der Integration. Das bestätigt auch der Integrationsbeauftragte des DFB, Ex-Nationalspieler Cacau. Und der hat was? Genau: Einen Migrationshintergrund.
26.07.18
23:24
Dilaver Çelik sagt:
Dennis Naki hat nichts zu fordern, weil er offen mit der Terrororganisation PKK sympathisiert, welche über 40.000 Menschenleben auf dem Gewissen hat, und deswegen völlig zu Recht vom türkischen Fußballverband lebenslang gesperrt wurde. Dennis Naki, der hinter schwedische Gardinen gehört als auf ein Fußballfeld, soll da mal schön den Ball flach halten. Was für eine Ehrlosigkeit und Dreistigkeit. Einfach nur das Allerletzte.
27.07.18
16:53
Johannes Disch sagt:
Jetzt machen wir bitte mal halb lang...Von wegen "Wenn Özil Rassismus ausgesetzt ist…", wie schlimm ist es dann für die vielen normalen Türen in diesem Land. Das suggeriert der Artikel. Der Mesut ist einfach gestrickt und hat Mist gebaut! Die meisten Deutschen gehen anständig mit ihren ausländischen Mitbürgern um! Mir geht dieser ewige Rassismus-Vorwurf langsam auf den Keks! Liebe Türken, wählt endlich mal den Erdogan ab! Das wäre ein Zeichen für demokratische Reife! Und bis dahin will ich nix mehr hören, von wegen "Rassismus!"
28.07.18
0:15
Enail sagt:
Özil hat bei seinen Beschimpfungen vergessen, dass ihm dieses rassistische Land überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, diesen seinen Weg zu gehen. Gerne vergisst man, was man Gutes erfahren hat, jahrelang, ohne Anfeindungen oder Rassismus oder sonstwas. Dann hat man ein Alter erreicht, wo der ein oder andere Fußballer auch schon mal ans Aufhören denkt, dann zeigt man sein wahres Gesicht. Nun muss man sich nicht mehr verstellen, nun muss man keine Rücksicht mehr nehmen, denn das Land hat ihm die Möglichkeit gegeben, das zu werden was er ist. Mehr geht nicht, Geld hat man genug gescheffelt, und nun, so kommt es mir vor, kann man seinen Hass auf die Gesellschaft hinausschreien. Nun muss man auch nicht mehr so tun als hätte man sich integriert. Ja, äußerlich schon, man wollte ja was erreichen, aber im Kopf sah es wohl anders aus. Und man kennt es mittlerweile zur Genüge. Kritik vertragen Muslime ganz schlecht, kann man immer wieder beobachten. Und Schuld, das sind selbstverständlich immer die anderen. Ein unwürdiges Verhalten und in meinen Augen auch unehrenhaft.
28.07.18
0:41
Johannes Disch sagt:
Meine Güte, um was geht es denn?? Um einen leidlich gut bezahlten Fußballer, der eine Dummheit gemacht hat und dafür kritisiert wird. Man sollte das ganze nicht zur Staatsaffäre bzw. zur Rassismus-Affäre pushen. Das geschieht aber grade. Es gibt bereits einen "Hashtag" mit dem Titel "me too." Schaut man sich das an, dann könnte man denken, für Muslime in diesem Land gilt: "Wir sind alle Mesut!"
28.07.18
8:59
Johannes Disch sagt:
@Enail (28.07.18, 0:41) Absolute Zustimmung!
29.07.18
23:01
Johannes Disch sagt:
@Dilaver Celik (27.07.18, 16:53) -- Zu Deniz Naki: Von wegen, er sympathisiere mit der PKK und gehöre hinter Gitter (Dilaver): Damit macht man es sich ein bisschen zu einfach. Inzwischen steht bei Erdogan (und Anhängern) jeder unter Terrorverdacht oder PKK-Sympathisant-Verdacht, der Erdogans Politik kritisiert. Das ist der Standardvorwurf für Verhaftungen und Entlassungen. Deniz Naki-- Deutscher (er ist in Düren geboren) mit türkisch-kurdischen Wurzeln tut nur eines: Sich für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden in der Türkei einzusetzen. Und das ist völlig legitim. Ist offenbar aber auch in Deutschland inzwischen nicht mehr ganz ungefährlich, sich dafür einzusetzen. Am 27. Januar 2018 gab es einen Anschlagsversuch auf Deniz Naki. Die Staatsanwaltschaft Aachen ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Verglichen damit nimmt sich der Fall Özil aus wie eine Petitesse. Und da muss man feststellen, dass hier in Deutschland vielen Muslimen langsam wirklich die Maßstäbe verrutschen. Da gibt es einen Anschlag auf einen Deutschen mit türkisch-kurdischen Wurzeln, der einfach nur eines tut: Seine Meinung äußern und sich für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden einsetzen. Reaktion der muslimischen Community? Null. Oder gar negativ wie bei "Dilaver", von wegen, Naki ist PKK-Sympathisant... Aber die Kleinigkeit Özil zu einer Rassismus-Debatte pushen, inklusive "me-too-Hashtag."
30.07.18
11:08
1 2 3 4