In vielen Orten Deutschlands ist die islamkonforme Bestattung nicht möglich. Doch immer mehr MuslimInnen möchten sich in Deutschland bestatten lassen. Wird sich in Zukunft etwas ändern und welche Konfliktfelder gibt es aktuell? Dr. Diana Prinzessin zu Hohenlohe hat die Antworten.
IslamiQ: Ist der Bedarf an muslimischen Grabfeldern in Deutschland im Hinblick auf die demographische Entwicklung Ihrer Ansicht nach gewachsen?
Dr. Diana Prinzessin zu Hohenlohe: Ich denke schon, dass der Bedarf gewachsen ist. Denn die Arbeitsmigranten, die in den 60-er und 70-er Jahren auf der Grundlage von Anwerbeabkommen nach Deutschland gekommen sind, waren jung. Sie sind jetzt in einem Alter, in dem sie deutlicher mit dem Problem konfrontiert sind, dass ein Familienangehöriger stirbt. Es handelt sich also um eine ganze Generation, die in das Alter kommt, in dem der Tod eine größere Wahrscheinlichkeit hat.
IslamiQ: Aus welchem Motiv heraus haben Sie sich mit dem Thema zu muslimischen Bestattungen befasst?
Hohenlohe: Zum einen um wissenschaftlich auszuloten, was die Reichweite religiöser Freiheit ist, und damit Veränderungen anzustoßen, das Mitglieder anderer Religionen auch in Deutschland eine Heimat finden können. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen sind so gestaltet, dass zu zentralen religiösen Fragen auch Lösungen durch das staatliche Recht angeboten werden.
Zum anderen hatte ich Interesse daran rechtstheoretisch zu untersuchen, mit welchen Mechanismen Grund- und Menschenrechte in nationalen und supranationalen Rechtsordnungen wirken. Was haben diese für Elemente? Kann es überhaupt Religionsfreiheit oder andere Rechte für Verstorbene geben? Welches ist die Rechtsposition der Verstorbenen? Davon hängen sehr viele grundlegende Fragen ab und es lässt sich gut zeigen, wie Grundrechte funktionieren.
IslamiQ: Inwiefern besteht „Konfliktpotential“ zwischen Religionsfreiheit und Bestattungsrecht im Hinblick auf muslimische Bestattungen in Deutschland? Sind Kompromisse möglich?
Hohenlohe: Ein Bereich ist, dass wir in Deutschland eine schon seit dem 18. Jahrhundert bestehende Regel haben, dass man zwischen dem Tod und dem Begräbnis mindestens 48 Stunden warten muss. Die Regel kommt daher, da es damals keine ärztliche Leichenschau gab und man in manchen Fällen Leute bestattet hat, die noch nicht tot waren. So wurde im staatlichen Recht geregelt, dass jemand mindestens 48 Stunden tot sein muss, damit ein Scheintot klar ausgeschlossen werden kann. Heutzutage haben wir eine andere Situation mit dem Erfordernis einer ärztlichen Leichenschau.
IslamiQ: Ein Problem für Muslime…
Hohenlohe: …Genau, für Muslime ergibt sich hier die Schwierigkeit. Wenn wir den Wortlaut einiger Bestattungsgesetze strikt nehmen, kann sich dann ein Konflikt dahingehend auftun, ob auch eine schnelle Bestattung innerhalb von 24 Stunden möglich ist. Statt strikt 48 Stunden zu warten, könnte man es beispielsweise so regeln, dass wenn jemand sehr schnell, noch am selben Tag bestattet werden soll, eine zweite Leichenschau verlangt wird, damit ein lebendiges Begräbnis wirklich ausgeschlossen ist. Man müsste also auf den Sinn und Zweck solcher Regelungen des Bestattungsrechts abstellen.
IslamiQ: Gibt es noch andere Konfliktfelder?
Hohenlohe: Ja, ein weiterer Bereich ist der Sargzwang, der mehrere Ursachen hat. Zum einen soll das Gebot dazu dienen, dass bei der Beförderung eines Leichnams keine schädlichen Stoffe austreten, die Sargträger auf ihre Kleidung bekommen und sich vielleicht irgendwelche Krankheiten einfangen. Zum anderen hat es den Sinn, dass ein Luftraum sein sollte zwischen dem Leichnam und der Erde, um die Verwesung zu erleichtern. Wenn im Hinblick auf eine sarglose Bestattung dafür gesorgt werden kann, dass das Austreten von Krankheitserregern verhindert wird, könnte eine Lösung sein, dass es einen Transportsarg gibt für den Leichnam eines Muslims, der in ein Leichentuch eingewickelt ist, damit Flüssigkeiten beim Transport nicht durchgelassen werden. Oder dass der Sarg in der Grube offengelassen wird, sodass man den Luftraum zwischen dem Leichnam und dem Erdreich ermöglicht.
Es müsste immer die Möglichkeit geben, Kompromisse zu finden, und tatsächlich gibt es auch einen starken Wandel im Bestattungsrecht dahingehend, dass eine frühe Bestattung erlaubt wird. Teilweise wird ermöglicht, dass nicht im Sarg bestattet werden muss oder der Deckel verkeilt wird, sodass er noch offen ist. Das Bestattungsrecht reagiert darauf, dass immer mehr Menschen ihre religiösen Vorgaben bei ihrer eigenen Bestattung gerne erfüllt haben möchten. Es gibt deswegen dahingehend viele Änderungen im Recht.
IslamiQ: Wie kann das Bestattungsrecht gestaltet werden, sodass Muslime die Bestattung in Deutschland so durchführen, wie sie es für richtig halten?
Hohenlohe: Dadurch, dass man entsprechende Regelungen in die Gesetze einfügt, wird für die Friedhofsverwaltung klarer, dass sie nicht strikt nach den hergebrachten Regeln handeln müssen und eine Möglichkeit zu Ausnahmen haben; denn die Ausnahmebestimmung regelt dann, auf welche Weise religiöse Dinge berücksichtigt werden müssen. Eine gesetzliche Regelung schafft Klarheit für die Friedhofsträger, die dann wissen, wie mit solchen Wünschen umzugehen ist. Und das wiederum reflektiert dann natürlich zurück auf die muslimischen Gemeinschaften. So sehen auch die muslimischen Gemeinschaften, dass eine Bestattung in Deutschland ihren Vorstellungen gerecht ist und das Gesetz es vorsieht; so können sie sicher sein, dass sie so bestattet werden wie sie denken, dass die religiösen Vorgaben es von ihnen verlangen.
Viele Änderungen müssen gar nicht im Bestattungsrecht selber niedergelegt werden. Beispielsweise sind Fragen wie „Wie kann eine nach muslimischem Glauben ausgerichtete Leichenwaschung stattfinden?“ organisatorische Dinge, die ohne gesetzliche Regelung umgesetzt werden. Teilweise kann die Waschung beim Bestatter oder auch in besonderen Wascheinrichtungen auf den Friedhöfen durchgeführt werden. Dafür ist gar keine gesetzliche Änderung notwendig. Ein ewiges Ruherecht hätte man auch bislang durchführen können, doch man weiß nicht, was in 50 Jahren mit der Grabstätte ist. Mit Friedhöfen könnte man so etwas vereinbaren. Doch wenn das gesetzlich verankert ist, gibt das den Betroffenen eine stärkere Sicherheit, dass es dann eingehalten wird. Für Ausnahmefälle gab es schon in einigen Bestattungsgesetzen Bestimmungen, wonach die 48-Stundengrenze nicht gilt, wenn ein Scheintot beispielsweise durch einen Unfall ausgeschlossen ist.
IslamiQ: Aufgrund des fehlenden Körperschaftsstatus der islamischen Religionsgemeinschaften ist die muslimische Bestattung bisher nur auf kommunalen Friedhöfen eingerichteten Grabfeldern möglich. Gibt es eine rechtskonforme Alternative hierzu und wenn ja, wie sieht sie genau aus?
Hohenlohe: Zum einen kann ich mir vorstellen, dass für zumindest einige islamische Religionsgemeinschaften mittlerweile der Körperschaftsstatus nicht völlig undenkbar ist. In zehn Jahren, denke ich, werden wir vielleicht muslimische Religionsgemeinschaften haben, die den Körperschaftsstatus besitzen. Auf der anderen Seite ist natürlich das nordrhein-westfälische Modell ein gutes Beispiel. Danach ist im Bestattungsrecht geregelt, dass die Errichtung und der Betrieb eines Friedhofes an private Rechtsträger im Wege der Beleihung übertragen werden kann. Das bedeutet, die Kommune ist weiterhin in der Gewährleistungsverantwortung, aber sie überträgt die Aufgabenerfüllung auf die Privatperson. So ist es im Rahmen religiöser Vereine möglich, wenn sie dauerhaften Betrieb sicherstellen können. Religiöse Vereine sind Vereine, die sich einer bestimmten religiösen Zwecksetzung widmen, was eben auch ein gegründeter Friedhofsverein sein kann.
Den in Wuppertal geplanten Friedhof wird ein muslimischer Trägerverein betreiben. Wenn dieser aus irgendwelchen Gründen insolvent wird oder das nötige Personal fehlt, würde diese Aufgabe an die Kommune als Gewährleistungsträger zurückfallen. Sie müsste dann die Aufgabe übernehmen, wenn der muslimische Verein ausfallen würde. Die Kommune in dann selbst in der Pflicht, den Friedhof so zu betreiben, dass die rechtlichen Voraussetzungen eingehalten werden.
Ich denke, es ist nicht immer notwendig, einen eigenen muslimischen Friedhof zu haben, denn sowohl die Kommune als auch die Kirchen stellen vielfach für Muslime eigene Gräberfelder bereit. Sie kommen den muslimischen Menschen in der Gemeinde entgegen, suchen nach Lösungen, die deren Glaubensvorstellungen entsprechen – zumal das ja keine Dinge sind, die absolut unmöglich sind oder gegen die guten Sitten verstoßen.
IslamiQ: Wie sehen Sie die Zukunft des Bestattungsrechts in Hinblick auf Muslime oder andere Minderheiten?
Hohenlohe: Ich denke, das Bestattungsrecht muss noch offener gegenüber den Vorstellungen religiöser Minderheiten werden. Vor 50 Jahren gab es nur eine einheitliche Vorstellung darüber, wie man unter die Erde muss; daher mussten solche Dinge nicht diskutiert werden. Jetzt erst brauchen wir die Ausdifferenzierung. Wenn die Leute aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und andere Vorstellungen haben hinsichtlich der Fortexistenz im Jenseits. Es besteht immer mehr Bedarf, unterschiedlichen Vorstellungen zu entsprechen.
Mittlerweile sind wir in einem Prozess, in dem wir sehen, wie sich das Bestattungsrecht dahingehend entwickelt. Vor 20 Jahren war es undenkbar, ewige Ruherechte zu gewähren, mit Ausnahme jüdischer Friedhöfe. Jetzt haben wir ein Bestattungsrecht nach dem anderen, welches dies ermöglicht. Jetzt erst kommt die Idee, dass es Menschen gibt, die große Probleme damit haben, dass die Leichname im Sarg bestattet werden.
Unser ganzes Religionsverfassungsrecht ist darauf ausgerichtet, Menschen mit ihren religiösen Vorstellungen die Möglichkeit zu geben, ihre Religion auszuleben, sofern sie nicht die Rechte Dritter verletzen oder wie hier vielleicht die Ordnung des Friedhofswesens oder die Gesundheit der Bevölkerung. Die religiösen Freiheiten verlangen, dass alles Mögliche getan werden muss, sodass den religiösen Vorstellungen entsprochen wird. Insofern finde ich gut, dass von muslimischer Seite zunehmend in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht wird, welche besonderen Bedürfnisse bestehen. Das sorgt bei den Friedhofsträgern und den Kommunen für ein Bewusstsein, Lösungen für die immer größer werdende muslimische Gemeinde in Deutschland zu suchen. Je mehr Menschen aus anderen Ländern einwandern, desto mehr wird das Finden von Lösungen zwingender. Das Bestattungsrecht muss so offen werden, dass Muslime sich auch immer mehr in den Lösungen wiederfinden, die vom staatlichen Recht angeboten werden.