Warum lassen sich die meisten Muslime aus Deutschland in ihrem Herkunftsland beerdigen? Wo sollten Muslime beerdigt werden und sind Überführungen theologisch legitimierbar? Ein Gastbeitrag von Özgür Uludağ.
Wenn Muslime sterben, werden sie in der Regel zunächst von Muslimen rituell gereinigt, in ungesäumte und ungefärbte Leinentücher gewickelt und nachdem das Totengebet verrichtet wurde, ohne weitere Zeit zu verschwenden auf dem nächstgelegenen islamischen Friedhof, auf die rechte Schulter geneigt mit dem Gesicht gen Mekka in einer Grab Kule, beerdigt.
Damit könnte alles erklärt sein. Doch Muslime, die nicht in muslimischen Ländern leben, müssen klären, ob es in ihrer Umgebung einen islamischen Friedhof gibt. Gibt es keinen, dann, so empfehlen sunnitische Gelehrte in islamischen Rechtsgutachten (Fatwas), sollte der Muslim oder die Muslimin auf dem nächstgelegenen islamischen Friedhof beerdigt werden. Als die „Gastarbeiter-Generation“ der 1960er und 1970er Jahren aus ihren Herkunftsländern nach Deutschland kam, gab es so gut wie keine islamischen Friedhöfe und fast alle verstorbenen Muslime wurden in ihre Herkunftsländer überführt. Einerseits hatte diese Generation das Selbstverständnis eines „Gastarbeiters“, der irgendwann zurückkehren möchte und andererseits, gab es nach wie vor kaum Möglichkeiten sich in Deutschland auf einem islamischen Friedhof beerdigen zu lassen. Somit waren diese Überführungen damals auch aus theologischer Perspektive legitim.
In den 1990er Jahren stiegen die Todesfälle der Arbeitsmigranten, die mittlerweile ins Rentenalter gekommen waren, rasant an. Als Folge dessen eröffneten überall in Deutschland islamische Beerdigungs- und Überführungsinstitute. Diese professionalisierten die Abwicklung der Sterbefälle in Deutschland und konnten adäquat auf die Bedürfnisse der Muslime eingehen. Nun war es möglich den Verstorbenen nach islamischen Riten in ihrem Herkunftsland auf dem Dorffriedhof zu beerdigen.
Bei der Entscheidungsfindung, wo die Beerdigung sein soll, kam zudem oft die Frage auf, ob Angehörige, Freunde und Bekannte an einer Trauerzeremonie teilnehmen können. Bei Beerdigungen im Herkunftsland könnten Angehörige, Verwandte und Bekannte im Herkunftsland an der Beerdigung teilnehmen. Vorher könnten aber auch Freunde, Arbeitskollegen und Bekannte auf einer Trauerfeier in Deutschland Abschied nehmen. Bei einer Beerdigung in Deutschland dagegen können Angehörige, Verwandte und Bekannte aus dem Ausland nicht anwesend sein. Einerseits waren die Reisekosten, um eine Trauergemeinde aus dem Ausland nach Deutschland einfliegen zu lassen zu hoch. Andererseits machten die restriktiven Einreisebestimmungen nach Deutschland eine zeitnahe Teilnahme an einer Trauerfeier in Deutschland unmöglich. Auch dieser Umstand verstärkte die Tendenz sich für eine Beerdigung im Ausland zu entscheiden.
Diese Rahmenbedingungen führten dazu, dass sich Überführungen von verstorbenen Muslimen habitualisiert haben. Das heißt, dass Muslime bei ihrer Entscheidungsfindung hinsichtlich einer Beerdigung in Deutschland oder in den Herkunftsländern von Freunden, Bekannten oder Verwandten beeinflusst werden. Da sich die meisten „Ratgeber“ damals vor dem Hintergrund einer ähnlichen Kulisse für eine Überführung ins Ausland entschieden haben, empfehlen diese oft den Verstorbenen in ihr Herkunftsland zu überführen und beeinflussen die Entscheidung Anderer.
Dabei haben sich inzwischen die Angebote für islamische Beerdigungen in Deutschland deutlich verbessert. Neben den Grabfeldern in Hamburg und Berlin gibt es auch in Marburg, Karlsruhe, Paderborn, Osnabrück, Hannover, Braunschweig, Göttingen, Mainz, Goslar, Kiel, Lübeck, Saarbrücken und anderen Städten die Möglichkeit eine islamische Beerdigung vorzunehmen, die weitgehend den Vorschriften für einen islamischen Friedhof entsprechen. Und da islamischen Gelehrte in Fatwas deutlich zum Ausdruck bringen, dass eine Überführung als unnötig bewertet wird, solange Möglichkeiten für islamische Beerdigungen am Sterbeort gegeben sind, stellt sich die Frage, warum lässt sich immer noch die Mehrheit der Muslime aus Deutschland in ihrem Herkunftsland beerdigen. Woran liegt das?
In der Regel lassen sich Menschen an einem Ort beerdigen zu dem sie einen Bezug haben. Wenn nun die Mehrheit der Muslime sich im Herkunftsland beerdigen lassen, obwohl sie die Möglichkeit hätten sich in Deutschland nach islamischen Vorschriften beerdigen zu lassen und Theologen dies sogar empfehlen, stellt sich die Frage, ob sie sich nicht mit Deutschland identifizieren können und ihnen deswegen der Bezug für eine Beerdigung in Deutschland fehlt?
Doch Entscheidung über den Beerdigungsort mit der Identität zu verknüpfen, ist eine unvollständige Betrachtungsweise. Migrationssoziologisch lässt sich die große Anzahl an Überführungen in die Türkei mit Handlungskompetenzen im transnationalen Raum besser beschreiben. Demnach verfügen Menschen mit Migrationsgeschichte oft über Handlungskompetenzen und Entscheidungsoptionen, die nicht an den nationalstaatlichen Grenzen enden, sondern sich darüber hinaus ausdehnen. So neigen in Deutschland lebende Muslime oft dazu Ihren Urlaub, ihre finanziellen Investitionen, aber eben auch die Beerdigung in ihr Herkunftsland zu verlagern, während andere Bereiche des Lebens wie das Berufsleben, Aus- und Fortbildung oder die Partizipation am gesellschaftlichem Leben eher in Deutschland ausgelebt werden. Das bedeutet, dass Muslime Entscheidungsoptionen und Handlungskompetenzen sowohl im Herkunftsland als auch in Deutschland haben und dadurch über verschiedene Handlungsoptionen verfügen.
Die kommenden Generationen büßen gleichermaßen ihre Entscheidungsoptionen, Handlungskompetenzen und sozialen Kontakten im Herkunftsland ein, wie sie sie in Deutschland gewinnen. In der Folge dieser Entwicklung entscheiden sich nun vermehrt Muslime für eine islamische Beerdigung in Deutschland. Parallel dazu wurden in den meisten Großstädten und Metropolen in Deutschland islamische Grabfelder auf den städtisch verwalteten Friedhöfen eingerichtet. Da diese Entwicklungen absehbar ist, sollten sich Länder, Städte und Kommunen darauf einstellen, dass die Anzahl an islamischen Beerdigungen in Deutschland steigen wird und die Rahmenbedingungen für islamische Trauerarbeit optimieren.