Die Beerdigung von Muslimen in Westeuropa ist kein „neues“ Phänomen. Trotzdem gibt es in Bezug auf muslimische Bestattungen in Europa viele Probleme, die überwunden werden müssen. Ein Gastbeitrag von Dr. Nur Yasemin Ural.
Islamische Bestattungen in Westeuropa sind historisch kein neues Phänomen. Arabische Quellen aus dem 8. Jahrhundert berichten bereits von Begräbnissen im heutigen Spanien und einem Teil Frankreichs. In Marseille und Toulon wurden im Rahmen archäologischer Ausgrabungen Gräber entdeckt, die aufgrund ihrer Ausrichtung und Spezifika eindeutig als muslimisch identifiziert werden konnten.
Nach der „Reconquista“, der christlichen Rückeroberung Andalusiens, geriet die Existenz nichtchristlicher Bestattungstraditionen in Europa in Vergessenheit. Bis heute sind deshalb von jüdischen und muslimischen Grabstätten kaum Spuren vorhanden. Erst ab dem 16. und verstärkt ab dem 19. Jahrhundert lassen sich muslimische Begräbnisse in Europa wieder zweifelsfrei nachweisen. Zur Bestattung von Staatsbediensteten und Offizieren des Osmanischen Reiches, die im 19. Jahrhundert in Berlin, Wien oder Paris arbeiteten oder ausgebildet wurden, wurden auf Friedhöfen in diesen Städten besondere Bereiche eingerichtet oder, wie in Berlin, eine kleine Grabgemeinde erbaut. Außer einigen Grabsteinen sind von diesen Gräbern jedoch ebenfalls keine Überbleibsel mehr vorhanden.
Im 20. Jahrhundert wurden insbesondere in Frankreich und Großbritannien für muslimische Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen waren, Gräberfelder eingerichtet, die heute als Gedenkstätten dienen.
Mit der Ankunft der ersten Generation muslimischer „Gastarbeiter“ stellte sich die Frage nach muslimischen Bestattungen zunächst noch nicht dringend. Unter den meist jungen, gesunden Männern waren Todesfälle eher selten. Im Ernstfall legten die Arbeiter zusammen, um langwierige und teure Überführung in das Herkunftsland zu organisieren und zu finanzieren. Lokale Bestattungsunternehmen verfügten in der Regel nicht über die notwendige kulturelle Sensibilität im Umgang mit den Angehörigen eines muslimischen Verstorbenen. Auch Kenntnisse über die besonderen Regeln und Erfordernisse einer islamischen Bestattung waren nicht vorhanden. Deshalb war die Idee eines Begräbnisses in Europa für viele der ab den 1960er Jahren ankommenden Migranten trotz aller Schwierigkeiten mit dem Überführungsprocedere keine Option. Auch der Gedanke, nach dem Tod „in der Fremde“ zu bleiben, machte ihnen Angst. Viele der unter Migranten bekannten und beliebten Volkslieder, Filme und Bücher spielen auf das Grab in der Heimat an.
Anfang der 1970er Jahre begann die Familienzusammenführung. Damit stieg auch die Zahl der Todesfälle in der muslimischen Gemeinschaft und auch die Zahl der Überführungen an. Eine der ersten muslimischen Gemeinden, die die Notwendigkeit erkannt haben, Familien nicht nur praktische Hilfestellungen bei der Abwicklung der Formalitäten, sondern auch seelischen Beistand anzubieten war die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Andere deutschland- und europaweite islamische Religionsgemeinschaften (z.B. DITIB) schlossen sich schon bald an. Neben der Überführung in die Türkei boten die Bestattungsvereine bald auch die Möglichkeit an, muslimische Kinder auf Friedhöfen in Europa beisetzen zu lassen. Damit wurde die Frage nach islamischen Bestattungen in Europa wieder ein Diskussionsthema.
Gerade unter den Angehörigen der folgenden Generationen von Einwanderern wird zunehmend die Forderung laut, ihre Verstorbenen in dem Land beizusetzen zu können, in dem sie geboren und aufgewachsen sind. Auch wenn ihre Zahl gegenüber denjenigen, die eine Überführung vorziehen würden, noch vergleichsweise gering ausfällt, lässt sich doch ein gewisser Trend erkennen.
Bis in die 2000er Jahre konnte in Westeuropa die Bestattung nach islamischer Tradition nur auf für Muslime bereitgestellten Teilen vorhandener Friedhöfe durchgeführt werden. In den Städten mit hoher muslimischer Einwohnerzahl sind diese speziellen Gräberfelder inzwischen sehr häufig anzutreffen. In Frankreich sind es etwa 90, in den Niederlanden zwischen 70 und 80 und in Belgien beinahe 40. Aber bis heute gibt es immer noch eine Vielzahl von Hürden, die Muslime daran hindern, ihre eigenen Friedhöfe zu unterhalten. In Deutschland ist dies beispielsweise die noch immer fehlende rechtlich angemessene Stellung der muslimischen Religionsgemeinschaften.
In Deutschland kann nur eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft wie die katholische oder evangelische Kirche oder die jüdische Gemeinden den Status als Friedhofsträger erhalten. Mit den eingezahlten Steuern können die Religionsgemeinden ihre eigenen Friedhöfe selbst führen. Muslime dagegen benötigen weiterhin eine Ausnahmegenehmigung. Ob muslimische Gräberfelder eingerichtet werden oder nicht, hängt also weiterhin stark vom Engagement der lokalen Gemeinden ab.
Ähnliches gilt für Frankreich, wo aufgrund des strikten Laizismus muslimische Friedhöfe ebenfalls nur, wie in Straßburg, aufgrund des regionalen Sonderstatus eröffnet werden können und rechtlich nicht anerkannt sind.
Die Niederlande und Österreich sind in dieser Hinsicht progressiver. 2008 wurde in Wien der erste muslimische Friedhof eröffnet, 2012 folgte ein weiterer in Altach. Der Bau dieser beiden Friedhöfe wurde, ebenso wie der 2007 im niederländischen Almere errichtete Friedhof, im großen Rahmen durch ausländische Spenden finanziert. In der Hauptstadt Amsterdam gibt es keinen muslimischen Friedhof, aber auch dort wurde 2012 ein für Muslime gesondertes „Grabfeld“ eröffnet.
Auf muslimischen Friedhöfen und den für Muslime ausgewiesenen Bereichen auf christlichen und staatlichen Friedhöfen werden für diejenigen, die nach islamischem Ritus bestattet werden möchten, Ausnahmeregelungen angeboten. Dazu gehört, dass das Gesicht der Verstorbenen in die Gebetsrichtung zeigt und sie neben ihren Glaubensgeschwistern bestattet werden. Die Tatsache, dass die Nutzungsrechte für diese Gräber nur für 10, 15 oder 30 Jahre erteilt – und im Falle der Nichtverlängerung diese Gräber umgewidmet – werden, ist dagegen einer der Hauptgründe dafür, dass Muslime einer Bestattung in Europa weiterhin kritisch gegenüber stehen. Auch die in vielen europäischen Ländern geltende Sargpflicht stellt für viele Muslime eine unübliche Situation dar.
Gegenwärtig entspricht die Nachfrage nach den in Westeuropa eröffneten Friedhöfen nicht den Erwartungen. Zumeist sind es immer noch Kinder, die dort beerdigt werden. Islamische Gelehrte widmen diesem Thema jedoch immer mehr Raum und die Zahl der muslimischen Friedhöfe steigt stetig. Trotzdem bleibt weiterhin die Frage offen, ob die Bestattung von Muslimen in Europa in der Zukunft allgemein anerkannt wird.