Islamische Bestattungen und Grabfelder werden in Deutschland immer relevanter. Wie sich die Bestattungskultur entwicklelt und was nötig ist, um eine islamkonforme Bestattung zu ermöglichen, erklärt Dr. Gerdien Jonker im Interview.
IslamiQ: Was bewegt Sie dazu sich mit dem Thema muslimische Bestattung und Grabfelder zu befassen?
Dr. Gerdien Jonker: Ich bin Religionshistorikerin, habe mein wissenschaftliches Leben als Keilschriftforscherin angefangen und die kollektive Erinnerung Mesopotamiens geschrieben. Dabei ging es um Tote als Erinnerungsträger. Mich interessierte, welche Erinnerungen festgehalten wurden und wie man damals mit der Vergangenheit umging. Nach der Publikation habe ich es mir auch für die Gegenwart vorgenommen und habe neue Sprachen gelernt, türkisch und arabisch.
1995 bin ich nach Berlin gezogen und den Fragen nachgegangen: Wie geht eine Gemeinde in der Migration mit der Erinnerung um? Wie lernt man etwas über früher? Wie kamen die Grabfelder zu stande und was waren die Probleme? Ich habe mich dafür interessiert, wie man beispielsweise lernt, was die Angehörigen bei einem Todesfall tun müssen. Migranten der ersten Generation kennen die Tradition am besten und bewahren sie. Die nächste Generation weiß es dann auch nicht mehr so genau. Auch die säkulärsten Leute wollen die Bestattung so wie „früher“. Wo lernt man die Tradition, wenn man nicht mehr im Dorf ist, wo man das vorher weitergab? So kam ich auf den traditionellen Umgang mit dem Tod und den Totenliedern.
IslamiQ: Welche Entwicklung sehen Sie in Bezug auf die muslimische Bestattung, wenn Sie auf die letzten 20-30 Jahre zurückblicken?
Jonker: Ich habe Entwicklungen in der türkischen und bosnischen Gemeinschaft sowie in Verwaltungen gesehen, die sich gegenseitig bedingten. Die Migranten der ersten Generation wollten nicht in Deutschland begraben werden, das war für sie „kalte Erde“. Der Gedanke dahinter war: Wer geht zum Grab, macht die Handlungen und spricht die Gebete? Die Kinder. Außerdem wurden vor 20 Jahren in Deutschland in der Regel Totgeborene, Kleinkinder und Bosnier begraben. Auf den islamischen Grabfeldern sind fast nur Kindergräber zu finden.
Das hat sich geändert. Die hinterbliebenen Kinder, die für das Grab sorgen, sind heute hier. Verwaltungen müssen deshalb lernen, mit diesem Wandel umzugehen. Sie standen zum großen Teil fremd und abweisend dar, doch es gab auch phantasievollere Beamte, die damit einverstanden waren, einen Platz für Muslime in Richtung Mekka anzulegen. Bei den Beamten ist es eher ein Lernprozess und sie handeln nach Verordnungen. Da haben wir den Haken: können Verordnungen verändert werden? Und wenn ja, wieso? Wenn der Bedarf entsteht, müssen die Beamten umdenken und das tun sie dann auch. Das sehe ich als Entwicklung.
IslamiQ: Welche wesentlichen Probleme tauchen im Rahmen der muslimischen Bestattung in Deutschland auf?
Jonker: Ein Problem ist das ewige Ruherecht. Da geht es um Grund und Boden in Ballungsgebieten, das unbezahlbar ist. In städtischen Ballungsgebieten geht es immer um Raum. Damit muss man sich örtlich auseinandersetzen. Es hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel getan, damals (1995) gab es 54 Gräberfelder an öffentlichen Friedhöfen heute deutlich mehr bis in den kleinsten Dörfern.
Ein weiteres Problem ist die Bestattung ohne Sarg. Auch wenn einige Bundesländer Lockerungen gemacht haben, darf man nicht überall in Deutschland ohne Sarg begraben werden. Es gibt Zwischenlösungen wie beispielsweise Särge ohne Boden. Es geht ja darum, dass der Tote in der Erde liegt und nicht auf Holz. Jedes Bundesland ist da im anderen Stadium und am Finden von kreativen Lösungen. Probleme gibt es nicht nur bei Muslimen, sondern beispielsweise auch bei Hinduisten. Während die Hinduisten die Asche in ein Fluss streuen möchten, ist in Deutschland nur die Streuung ins Meer erlaubt. Der Grund ist derselbe: Hygiene.
IslamiQ: Welche Lösungen kommen zustande? Sind Kompromisse eine Lösung?
Jonker: Es sind zwei Sorten von Annäherungen: Solange eine Lösung auf lokaler Ebene angestrebt ist und die Beteiligten sich kennen, können Lösungen gefunden werden. Sobald nationalistische Politik davon Gebrauch macht, wird das instrumentalisiert und hat nichts mehr mit einer Gemeinschaft oder einer Nachbarschaft zu tun, die versuchen, eine Lösung zu finden. Europäisch kann das nicht gelöst werden, es muss immer lokal ablaufen: Lokale Gesetze, lokale Verordnungen, lokale Gewohnheiten. Wir sind nicht mehr im traditionellen Bereich sondern in der Stadt; hier haben alle individuelle Wünsche und Vorstellungen. In städtischen Ballunggebieten gibt es nun mal Gesetze. Doch wie kriegt man Gesetze und Traditionen zusammen? Man muss umdenken und die Mitte finden.
IslamiQ: Unterscheidet sich die Trauerkultur nach dem Tod im Christentum von der im Islam?
Jonker: Die Trauerkultur ist auch innerhalb des Christentums sehr unterschiedlich. Doch im Grunde tun alle dasselbe, es ist ein Schwellenritual: Erstens die Trennung, durch die Feststellung des Todes und die Begleitung des Toten, zweitens die Umwandlung, der Umgang mit dem Leichnam und Abschied, drittens die Integration, die Rückkehr ins Leben und das Weiterleben. Die zurückgebliebenen Lebenden wollen zueinander suchen. Ziel ist es, dass man nach der Trauer wieder lachen kann.
IslamiQ: Was denken Sie über die künftige Entwicklung?
Jonker: Die künftige Entwicklung der muslimischen Bestattung hängt von der Politik ab. Wenn die AfD an die Regierung käme, würde alles viel schwieriger werden. Es ist eine Welle von Nationalismus. Doch wenn die Verwaltungen und Gemeinschaften vor Ort von der Politik in Ruhe gelassen werden, kann sich die Lage kontinuierlich mit lokalen Lösungen weiterentwickeln.