Wo soll der Verstorbene bestattet werden? Diese Frage zu beantworten ist für Muslime in Europa nicht einfach. Yasemin Yıldız hat mit Angehörigen von Verstorbenen gesprochen.
Wenn wir einen neuen Tag beginnen, haben wir ihn meist schon verplant. Oft planen wir sogar schon mehrere Tage, Wochen oder sogar Jahre im Voraus. Aber manchmal geraten unsere Pläne völlig unerwartet durcheinander, z. B. wenn ein Angehöriger stirbt.
Der Tod hat für jeden eine andere Bedeutung und ist mit vielen Fragen verbunden. Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere Muslime, stehen zudem vor der oft schwierigen Entscheidung, wo der Verstorbene bestattet werden soll. Und damit sind längst nicht alle Probleme gelöst, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Sevda ist 43 Jahre alt. Sie wurde in Deutschland geboren, hat die deutsche Staatsbürgerschaft und arbeitet als Krankenschwester. Als sie vor einigen Jahren ihr Kind noch vor der Geburt verlor, stand die Frage im Raum, ob das Baby in der Türkei oder in Deutschland beerdigt werden sollte. „Meine ganze Familie lebt hier. Allah allein weiß, ob und wann wir wieder in die Türkei zurückkehren werden“, beschreibt Sevda ihre Gedanken von damals. Sie entschied sich schließlich für eine Bestattung in Deutschland. Denn hier kann sie das Grab regelmäßig besuchen und pflegen. Das ist ihr wichtig, denn sie kennt es auch anders. „Nachdem mein Vater in Rente gegangen war, reiste er immer zwischen Deutschland und der Türkei hin und her. Irgendwann hat er dann gesagt: ‚Ich möchte nicht im Frachtraum zurückkehren.‘ So ist es ja meistens: Wir kommen auf einem Sitzplatz und kehren als Gepäckstück zurück.“ Als Sevdas Vater während einer Türkeireise krank wurde, entschied er sich zu bleiben.
„Als er in der Türkei verstarb, war es auch nicht möglich gewesen, ihn hierher zu holen“, erinnert sich Sevda. „Aber wenn wir gewusst hätten, dass wir in der Türkei mit dem Procedere im Krankenhaus solche Probleme haben würden, hätte ich gewollt, dass mein Vater noch zu Lebzeiten hierher kommt.“
Sevda und ihre Familie wurden nicht ans Sterbebett und auch nach seinem Tod nicht zu ihrem Vater gelassen worden. „In Deutschland ist das anders“, meint Sevda. Sobald der Tod kurz bevorstehe, werde der Sterbende in ein Einzelzimmer gebracht, die Familie könne rund um die Uhr bei ihm sein. Wenn der Tod in einem Mehrbettzimmer eingetreten sei, werde der Tote in einen Abschiedsraum gebracht, wo er noch zehn bis 15 Stunden bleiben könne, bis sich die Angehörigen verabschiedet hätten.
Trotzdem ist Sevda unschlüssig, wie sie sich selbst entscheiden wird. „Man möchte nicht daran denken, aber irgendwann wird es einen ja auch treffen. Manchmal reden mein Mann und ich darüber, ob wir hier oder in unserem Dorf beerdigt werden wollen, aber wir sind da uneinig. Natürlich, die ganze Erde gehört Allah. Trotzdem bevorzugt man ja doch irgendwie die ursprüngliche Heimat.“ Auch aus religiösen Gründen würde Sevda lieber auf einem richtigen muslimischen Friedhof bestattet werden. „Ich denke, in der Türkei gibt es einfach mehr Menschen, die für die Verstorbenen die Fâtiha sprechen.“
Wie Sevda wurde auch Levent in Deutschland geboren, ist hier aufgewachsen. Doch er ist sich jetzt schon sicher, dass er einmal in der Türkei beerdigt werden möchte, genau wie sein Vater. Nach dessen Tod in Deutschland wurde er in die Türkei gebracht und dort begraben. „Wir hätten uns gewünscht, dass er hier begraben wird, damit wir sein Grab oft besuchen können“, meint Levent. „Aber auf der anderen Seite ist dort die Heimat. Man möchte dann doch lieber in der Heimat bestattet werden. Die Gesellschaft, die uns kennt, ist dort. Unsere Bekannten, Freunde und Verwandten leben dort.“
Solche Gedanken macht sich auch Ahmet. Seine Mutter wollte immer in der Türkei bestattet werden. „Als Geschwister hätten wir uns gewünscht, dass unsere Mutter hier bestattet wird. So können wir ihr Grab nur einmal im Jahr im Sommerurlaub besuchen. Das wäre anders, wenn sie in Deutschland beerdigt wäre. Aber es war ihr letzter Wunsch.“ Die Sehnsucht, meint Ahmet, sei trotzdem immer da. Der Bestattungshilfeverein war ihm bei den Formalitäten und der Überführung des Leichnams eine große Hilfe gewesen. „Man kann in einer so schweren Zeit nicht an bürokratische Verfahren und dergleichen denken. Die Bestattungshilfevereine sind in dieser Hinsicht sehr nützlich. Wir haben nur die notwendigen Unterlagen eingereicht, den Rest haben sie erledigt. Als hier die offiziellen Verfahren beendet waren, haben wir den Leichnam meiner Mutter in die Türkei überführt. Die Überführung aus Deutschland in die Türkei habe ich begleitet.“ Es sei ein seltsames Gefühl gewesen, erinnert sich Ahmet. „Jedes Mal, wenn ich daran denke, werde ich traurig.“
Hülya hatte sich solche Fragen eigentlich nie gestellt, bis sie vor vier Jahren ihre Tochter durch einen Verkehrsunfall verlor. Sofort sei ihr klar gewesen, dass die Beerdigung in Deutschland stattfinden solle. „Wir hier und unsere Tochter dort? Das konnte ich nicht zulassen“, sagt Hülya. Jeden Freitag besucht sie nun das Grab ihrer Tochter auf dem örtlichen Friedhof. Dort gibt es ein islamisches Gräberfeld. „Zum Glück haben wir uns so entschieden“, meint Hülya.
Die Entscheidung, wo die geliebten Angehörigen und irgendwann man selbst bestattet werden sollen, ist schwierig und wird von vielen Faktoren beeinflusst. Manche möchten das Grab ihrer Lieben in ihrer Nähe haben, andere denken darüber nach was geschieht, wenn die Familie doch eines Tages in die Türkei zurückkehrt. Wieder andere machen sich Sorgen angesichts der politischen Spannungen und Krisen der letzten Monate.
Egal wie die Entscheidung ausfällt, Bestattungshilfevereine sind für Angehörige eine wichtige praktische und emotionale Hilfe während der letzten Reise.