Es hat nie einen türkischen, arabischen oder persischen Islam gegeben, wie sollte es da einen „deutschen Islam“ geben, fragt der Islamwissenschaftler Dr. Ahmet Inam. Dies und was die Islamkonferenz mit dem Konzil von Nizäa zu tun hat, lesen Sie in seinem Gastbeitrag.
Im Jahre 325 hatte Konstantin (der Große) das Konzil von Nizäa einberufen, um Ordnung und Frieden im Reich zu schaffen. Nach dem sog. Mailänder Protokoll (313 n. Chr.) waren die Christen mit den im Reich schon vorhandenen Kulturen gleichgestellt. Bis zum genannten Konzil gab es unter den Christen im Römischen Reich keine Kirchen wie im heutigen Sinne bzw. eine für alle Christen repräsentative und vom Staat geförderte Institutionen, und sie waren aufgrund verschiedener theologischer Ansichten auch gespalten. Frühere Konzile hat es nur unter der Obhut der Christen gegeben, und auch Streitigkeiten. Doch spätestens durch den sog. Arianismusstreit war aus Sicht Konstantins die Ordnung und der Frieden im Reich gefährdet, weshalb er das nizänische Konzil einberief.
Der andere Beitrag von Dr. Ahmet Inam zum „deutschen Islam“.
Unveränderliche Religion, veränderlicher Brauch
Konstantin berief nicht nur das Konzil ein, „er hat das Zeremoniell und die Geschäftsordnung bestimmt, hat in die Debatten eingegriffen, hat offenbar auch den Schlüsselbegriff des homoúsios (der Sohn ist eines/gleichen Wesens mit dem Vater) vorgeschlagen, jedenfalls favorisiert und durchgesetzt; und er hat schließlich das nizänische Glaubensbekenntnis bestätigt.“[1]. Teilnehmen sollten alle Vertreter der christlichen Gruppierungen, auch die Arianer. Doch so umfassend war das Konzil dann doch nicht und es gab eine deutliche Überzahl von Anti-Arianer, die ihre Vorstellung über den Logos/Jesus durchsetzten und Jesus als „wesensgleich“ mit Gott erklärten. Der Priester Arius wurde (zusammen mit Eusebius von Cäsarea) verbannt, da er die Theologie lehrte, dass Jesus lediglich ein Geschöpf war – vollkommen unter den Geschöpfen und doch nur ein Mensch. Konstantin, der selber Heide war und entgegen einiger christlicher Vorstellungen sich nie öffentlich zum Christentum bekannte, bestätigte das nizänische Bekenntnis und „sorgte“ auch dafür, dass weitere kritische Teilnehmer wie Eusebius von Nikomedien das Glaubensbekenntnis unterschrieben.
Mit dem Intervenieren Konstantins entstand nicht nur die erste Reichskirche, theologische Diskussionen unter den Christen konnten von da an „fremdbestimmt“ zum Dogma werden. Es war das erste Mal, dass der Staat sich in christlich-theologische Themen einmischte. Dieses Privileg wurde von da an vom Reich weitergeführt und von verschiedenen Kaisern verschieden ausgelegt. Welche Meinung oder Lehre der Kaiser auch vertrat, er saß stets mit am Tisch. So hat es Kaiser nach Konstantin gegeben – wie der Sohn von Konstantin –, die eine bestimmte theologische Lehre mit dem Staatsgewalt brutal durchsetzen wollten.
Spätestens seit der ersten Islamkonferenz, organisiert vom Innenministerium – der verfassungsrechtlich neutral zu sein hat – wurden die Diskussionen unter den Muslimen über den „Euro-Islam“ oder den „deutschen Islam“ intensiver. All jene, die eine solche Absicht seitens des Staates schon früh sahen, wurden nicht minder als „Verschwörungstheoretiker“ oder „Radikale“ angegriffen und ihre Gedanken kleingeredet. Gleiche Ansichten von radikalen Gruppierungen wie die der Hizb at-Tahrir wurden mit den Kritiken von besonnenen Muslimen gleichgestellt und ihre vernünftigen Kritiken wurden somit „in eine bestimme Ecke gedrängt“. Vor einem Monat nun wurde der Begriff „deutscher Islam“ seitens des Innenstaatssekretärs Kerber mit deutlichen Worten genannt. Die Muslime selbst sollen den Inhalt des „deutschen Islams“ in der vom Staat geförderten Islamkonferenz füllen. Manch einer mag mir nun Anachronismus vorwerfen, doch gibt es durchaus Parallelen zwischen dem Aufbau und Struktur der Islamkonferenz und dem Konzil von Nizäa, die mahnende Beispiele darstellen sollten, weshalb die Überschrift auch bewusst provokant gewählt wurde.
Die Islamkonferenz wird durch den nichtmuslimischen bzw. dem religionsneutralen Staat organisiert. Der Staat bestimmt die Teilnehmer der Konferenz mit. Am Tisch sitzen nicht nur muslimische Religionsgemeinschaften, sondern auch Migrantenvereine, die sich satzungsgemäß gar nicht als „muslimisch“ betrachten. Weiterhin nehmen Gemeinden daran teil, die sich nicht einmal als „Muslime“ definieren, sondern sich von den Muslimen – so im Jahre 2009 – sogar deutlich distanzierten. Sind in den letzten Konferenzen Einzelpersonen ausgeladen worden, so sollen sie laut Kerber wieder eingeladen werden. Zuvor gab es 30 Teilnehmer, darunter 15, die den Staat und weitere 15 Personen, welche die „muslimische Vielfalt in Deutschland“ repräsentieren sollten, darunter Vertreter der Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen. Das Konzil von Nizäa war für die Christen deutlich selbstbestimmender als im Gegensatz die Islamkonferenz für die Muslime.
Unter den Einzelpersonen der Islamkonferenz befanden sich zuvor Personen, die ihren Brot weiterhin mit Islamkritik verdienen, die Muslime zu verschiedenen Themen unter Generalverdacht stellen, den Propheten Muhammad (s) diffamieren oder im Islam die Wurzel der Gewalt sehen. So „vernunftbegabt“ wie diese Personen sind und dabei die Vernunft gegen die Religion stets hervorheben und von einer Reform sprechen, so „vernunftbegabt“ befürworten sie (weiterhin) den Islam, der von Niemand anderem als Muhammad (s) verkündet wurde. Man möge diese „Vernunftbegabung“ bitte verstehen! Ihre Rufe nach einer Reform sind abstrus, zumal die richtige Anwendung des Begriffs Reform überhaupt nicht gewollt ist, und sie sich eigentlich eine De-formierung des Islams herbeiwünschen. So werden von Befürwortern dieser Deformierung Großsünden als „nicht mehr zeitgemäß“ betrachtet oder Teile des Korans sollen dezimiert werden. Aufgrund des heute alle Türen und Toren eröffnenden Zauberbegriffs „liberal“ finden sie denn auch „vernunftbegabt“ mediales und politisches Gehör.
Die deutsche Islamkonferenz war bisher mehr eine Art Dialogveranstaltung zwischen verschiedenen Repräsentanten des Staates und der verschiedenen Migranten-Vereine, weshalb die Bezeichnung „deutsche Migrantenkonferenz“ passender wäre. Themen, die Muslime, die hiesige Gesellschaft und die Politik betreffen, wurden diskutiert. Das ist auch verständlich. Doch jetzt soll nach Kerber, in der Islamkonferenz bestimmt werden, was „deutscher Islam“ ist und ob es so etwas geben könne. Dazu werden wieder Einzelpersonen eingeladen, womit „die Vielzahl der in Deutschland noch nicht organisierten muslimischen Mitbürger in das Zentrum“[2] der Islamkonferenz gestellt werden soll.
Die islamischen Religionsgemeinschaften, die in diesem Verlauf der Islamkonferenz ebenfalls Fehler machten und bisher für das muslimische Leben in Deutschland sich nicht genügend engagierten, werden wieder mit Einzelpersonen gleichgestellt, die im Namen des Staates – so absurd wie es ist – zu Sprechern der „schweigenden Mehrheit“ erkoren, mit einer Argumentation, die, würde man sie auf die Kirchen anwenden, fatal wäre. Mögen die muslimischen Religionsgemeinschaften 20% der Muslime in Anlehnung an die Mitgliedsbeiträge repräsentieren, so beanspruchen weitere 60-70% die Moscheen und Dienstleistungen dieser Gemeinschaften mindestens einmal in der Woche (Freitagsgebet), zweimal im Jahr (Festgebete), vier- bis fünfmal im Jahr (besondere Nächte), dreißigmal im Jahr (Ramadangebete) oder zumindest einmal in ihrem Leben (Beerdigungsgebet). Schaut man sich die Unterstützung einiger Politiker, der Medien, mancher Universitäten und Kirchenvertreter gegenüber einer selbsternannten „Imamin“ an, die mehr eine esoterische Guru-Erscheinung darlegt oder an einen sog. Islam-Theologen aus Freiburg, der Teile des Korans durchstreichen möchte, so lässt sich erahnen, wer als Einzelperson eine Einladung bekommen könnte. Erst recht, wenn man sich die Haltung des jetzigen Innenministers zum Islam vor Augen führt. Und diese oder geistig ähnlich Denkende sollen nun mitbestimmen, was ein „deutscher Islam“ sein soll. Selbst wenn nur besonnene muslimische Einzelpersonen durchaus verschiedener Ansichten eingeladen werden könnten, die es zuvor erfreulicherweise ebenfalls gab, eine Bestimmung des deutschen Islams“ unter Führung und Einfluss eines säkularen Staates, wird die Erwartungen nicht erfüllen können.
Das große Problem ist, dass es bei der Islamkonferenz um den „Islam“ geht, und nicht etwa um die „muslimische Kultur“ oder die „Muslime“, was mich auch dazu verleitete, den Vergleich mit dem Konzil von Nizäa einzubringen. Denn wenn von einem „deutschen Islam“ die Rede ist, so sind theologische und dogmatische Themen von vornherein Gegenstand der Diskussionen. Einen „deutschen Islam“, der beispielsweise Unzucht (Zina) oder Alkoholkonsum als Großsünde betrachtet – was sie auch sind und weiterhin bleiben werden – wird nicht „Islam“ sein und er wird in dieser Gesellschaft nicht realisierbar sein, sofern – wie unter Konstantin Junior – nicht mit Staatsgewalt durchgesetzt wird.
Was genau heißt das?: Die Demokratie erlaubt im säkular-rechtlichen Rahmen allen Menschen – auch den Muslimen – sich so zu bekleiden wie man will, sich zu vergnügen wie man will oder sich an Orten aufzuhalten wo man will. Doch islamrechtlich und dem islamischen Glauben nach dürfen die Muslime sich nicht bekleiden wie man will (freizügig), dürfen sich nicht vergnügen wie man will (Alkoholkonsum, Unzucht) oder sich an Orten (Disco etc.) aufhalten, wo man will. Sowohl die säkulare als auch die religiöse Entscheidung der Lebensweise ist durch die Verfassung geschützt und muss respektiert, nein sie muss akzeptiert werden. Viele Muslime mögen nun eine außereheliche Beziehung eingegangen sein oder alkoholische Getränke konsumieren, doch dies als islamisch erlaubt zu betrachten und die Sünde Unzucht als obsolet zu begreifen, ist eine fundamentale Einmischung in die Glaubensgrundlage und Essenz der Religion. Auf der anderen Seite werden die Stimmen von Nichtmuslimen sehr laut sein, wenn in der Islamkonferenz theologische und essenzielle Themen wie die Sündenthematik oder Unantastbarkeit des Korans nicht nach ihrem Geschmack behandelt und verkündet werden.
Besser wäre, wenn der Staat seine auf der Verfassung basierte säkulare und unabhängige Haltung bewahren und sich nicht in die Bestimmung einer Religion weder einmischen noch diese fördern sollte. Solange die Muslime in diesem Land leben und die Verfassung akzeptieren, sind sie islamrechtlich dazu verpflichtet, verfassungstreu und friedlich zu sein. Sich andersverhaltende Muslime – Muslime sind Menschen und unter ihnen gibt es auch gute und auch schlechte Menschen, Heureka! – werden wie bisher weiter vom Staat geahndet. Wenn dagegen einmal der Versuch unternommen wird, den „Islam“ zu bestimmen, wird es wohl eher nicht – wie auch nach dem Konzil von Nizäa der Fall war – zu dem erhofften konstruktiven Dialog, zur Ordnung und Frieden führen, sondern zu einer weiteren Stufe der Radikalisierung auf allen Seiten in der deutschen Gesellschaft.
Während nun theologische Themen noch nicht im Mittelpunkt der Diskussionen stehen, haben einige Befürworter des „deutschen Islams“ diese theologisch-fundamentalen Punkte übersehen und versuchen eifrig, den „deutschen Islam“ kulturell schmackhaft zu machen. Dabei wurde auf den „arabischen, persischen und türkischen Islam“ verwiesen, und es tauchten konfuse Formulierungen auf, wie z. B. Muslime hätten sich schon immer assimiliert.
Es hat in der Geschichte noch nie einen „türkischen, arabischen oder persischen Islam“ gegeben, die gibt es auch heute nicht, sondern stets islamisch geprägte Kulturen. Es gab einige Versuche in der Geschichte wie z. B. vor Jahrzehnten der Vorstoß von türkischen Nationalisten, die von einer „türkisch-islamischen Synthese“ sprachen, doch fand diese Idee in der türkischen Gesellschaft keinen ernstzunehmenden Widerhall. Wenn dann solch nationalistische Beispiele als Argumente für den „deutschen Islam“ oder für die „deutschen Muslime“ dienen sollen, so wäre es angebracht, sich mit der Geschichte der protestantischen Bewegung der „Deutschen Christen“ zu befassen.
Wem es um die Kultur geht, dem sei seine Kultur gewährt. Ein zum Islam konvertierter Biodeutscher muss keinen arabischen Namen besitzen, „muslimische Mode“ befürworten oder die Essgewohnheiten orientalischer Muslime übernehmen. Er kann die deutsche Kultur für sich ruhig bewahren, was deutsche Kultur für ihn auch bedeuten mag. Deutsch ist nicht Bier – ein Drittel der Deutschen trinken keine alkoholischen Getränke. Deutsch ist auch nicht Schweinshaxe – die Zahl deutscher Veganer und Vegetarier steigt jeden Tag. Deutsch hat wie in allen anderen Kulturen – Heureka zum Zweiten – ihre positiven und negativen Erfahrungen, Errungenschaften und Entfaltungen. Blende ich das Radikale in „deutsch“ aus, das – Heureka zum Dritten – ebenfalls in allen Kulturen und Völkern vorhanden ist, so ist für mich deutsch z.B. Poesie, weil meine Lieblingsdichter Goethe und Rückert sind. Deutsch ist für mich auch der Gruß an Fremde. Denn obwohl der Prophet Muhammad (s) den Muslimen empfahl, jeden zu Grüßen – ob man die Person kennt oder nicht – so setzen meiner Erfahrung nach weniger Türken, Araber oder Perser diese Empfehlung in die Praxis um, sondern mehr Deutsche, ob religiös oder nicht.
Der Islam ist in diesem Zusammenhang stets der gleiche Islam mit seinem Credo (Glaubensgrundlagen), seinen praktischen Säulen und seinen Verboten und Geboten. Unterschiedlich sind kulturelle Ausprägungen wie die Esskultur, die Art und Weise der Feierlichkeiten, die modischen Prägungen etc. Diese Entfaltungen konnten deshalb ohne große Probleme verwirklicht werden, weil in der Geschichte diese Völker entweder als ganze Stämme den Islam angenommen haben, oder ihre Anführer dies taten. Spätestens nachdem sowohl die Anführer als auch das Volk in deutlicher Überzahl muslimisch waren, verfestigte sich die islamisch kulturellen Ausprägungen der Araber, der Türken, der Perser – und davon ist Deutschland, entgegen der politisch aufgebauschten und faschistischen Vorstellung von einer Islamisierung des Abendlands – weit entfernt. Umgekehrt, dass eine große Anzahl von Muslimen in ein nichtislamisches Land übersiedelten und sich assimiliert hätten, hat es nie gegeben. Es gab wenn überhaupt einzelne Personen wie Händler, Diplomaten oder freigelassene Sklaven, die sich in einem nichtislamischen Land niederließen und sich anpassten. In großem Umfang mussten sich dagegen die Moriscos in Andalusien oder die Bosnier unter der kommunistischen Diktatur in Jugoslawien assimilieren. Aktuell sind die Uiguren betroffen!
Die Islamkonferenz unter der Obhut eines Innenministers, für den der Islam erst gar nicht zu Deutschland gehört, ist die Intention der nächsten Konferenz mehr als verwirrend.
[1] Brox: Kirchengeschichte, Patmos, S. 71
[2] FAZ, 13.07.2018