Die vierte Deutsche Islamkonferenz (DIK) soll bald beginnen. Im Vorfeld gibt es Diskussionen über Inhalte, Teilnehmer und die Ausrichtung der Konferenz. IslamiQ sprach mit dem Vorsitzenden des Islamrates, Burhan Kesici, über seine Erwartungen und Bedenken und über die generelle Situation der Muslime in Deutschland.
IslamiQ: „Migration ist die Mutter aller Probleme“. Das sagte Innenminister Seehofer, der sich außerdem wünscht, dass ‚Ausländer’ Straftaten begehen, damit sie abgeschoben werden können. Was halten Sie davon?
Burhan Kesici: Das sind nur zwei von vielen problematischen Sätzen. Die Liste kann erweitert werden. Zu den Verantwortungsbereich des Innenministeriums gehören neben der Sicherheit auch Migration, Extremismus Flucht und Religionsverfassungsrecht. Das sind öffentlich relevante, sensible Themen, die Fingerspitzengefühl bedürfen. Die sehr bedenklichen Äußerungen des Innenministers werden von der muslimischen Gemeinschaft mit großer Sorge aufgenommen, und vermutlich sind sie da nicht die Einzigen. Solche Sätze sind geeignet, den gesellschaftlichen Frieden zu gefährden, denn sie führen vor allem zu einem: der Mobilisierung rechter und rechtsextremistischer Kreise.
IslamiQ: Der Innenminister meint auch, der Islam gehöre nicht zu Deutschland.
Kesici: Man müsste meinen, diese Frage sei inzwischen geklärt. Immerhin leben in Deutschland mehr als fünf Millionen Muslime – und mit ihnen der Islam. Auch historisch gesehen lässt sich der Satz nicht aufrechterhalten. Nicht wenige Muslime sehen Seehofers jüngste Äußerungen als deutlichen Rückschritt. Zurecht hat er dafür parteiübergreifend Kritik erfahren. Politiker haben immer wieder versucht, Seehofers Aussage zu relativieren, indem sie auf den zweiten Teil des Satzes hingewiesen haben, wonach Muslime schon zu Deutschland gehörten, ihre Religion aber nicht. Ein Widerspruch in sich.
IslamiQ: Die gesellschaftlichen Umstände sind nicht gerade gut für die DIK.
Kesici: Sie sind sogar denkbar schlecht. Es gibt eine breit aufgestellte Ablehnung gegenüber Islam und Muslimen. Die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Tolerierbaren hat sich drastisch verschoben. Viele rassistische oder diskriminierende Sätze hätte man noch vor wenigen Jahren nicht sagen können, ohne dafür gesellschaftlich geächtet zu werden. Heute gehören sie leider zum täglichen Standardvokabular, und zwar nicht nur bei Rechtsextremisten und Islamfeinden.
Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Die Ablehnung gegenüber Islam und Muslimen macht sich im alltäglichen Leben deutlicher bemerkbar. Muslime und vor allem Musliminnen finden auf dem Arbeitsmarkt nur schwer eine Stelle, insbesondere dann, wenn sie sich für höhere Positionen bewerben. Selbst als durch die #MeTwo-Debatte das Ausmaß von Diskriminierung und Rassismus mit realen Erfahrungen verdeutlicht wurde, haben einige Kreise aus Politik und Medien versucht, diese zu relativieren und kleinzureden.
IslamiQ: Und dann kam Chemnitz…
Kesici: …In Chemnitz haben wir einen offenen Rassismus erleben müssen. Nach der Tötung eines Chemnitzers sind neben aufgebrachten Bürgern auch Rechtsnationale und Rechtsextremisten auf die Straße gegangen. Letztere haben rassistische Parolen gerufen, den Hitlergruß gezeigt und fremd aussehende Menschen durch Chemnitzer Straßen gejagt. Die gesellschaftliche Atmosphäre ist mehr als nur angespannt. Viele suchen derzeit nach einem Ventil, über das sie den Druck ablassen können. Und in diese Phase fällt nun der Beginn der vierten DIK.
IslamiQ: Könnten in dieser angespannten Atmosphäre neue Impulse aus der DIK nicht auch eine Chance sein?
Kesici: Bedingt. Es wäre nicht richtig, die DIK mit großen Erwartungen zu überfrachten. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass es sich beim Islam und bei Muslimen um eine Projektionsfläche vieler sozialer Probleme handelt. Das erschwert die Arbeit natürlich. Generell muss Muslimen ermöglicht werden, dass sie gerade auch in praktischen Fragen ihren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft beitragen können. Die Wohlfahrtspflege, die in der vergangenen DIK diskutiert wurde, war ein wichtiger Ansatzpunkt. Jedoch vermisse ich hier den politischen Willen. Es ist eine Sisyphos-Arbeit, wenn wir als Islamrat die Inhalte aus DIK an unsere Basis herantragen, Projektanträge in enger Abstimmung mit den Ministerien und unseren Landesverbänden entwickelt und einreichen, am Ende aber nichts daraus wird.
IslamiQ: Wissen Sie schon, wer alles an der nächsten DIK teilnehmen wird und welche Themen behandelt werden sollen?
Kesici: Die Inhalte und Mitglieder der nächsten DIK sind uns bisher nicht bekannt. Wir bekommen Informationen allenfalls über die Medien mit. Die Kommunikation könnte besser sein. Vor der Sommerpause gab es einen Workshop, demnächst wird es ein Gespräch zwischen dem Ministerium und den muslimischen Religionsgemeinschaften, wo wir eventuell Antworten auf diese Frage bekommen werden. Aber auch hierfür mussten wir die Initiative ergreifen. Ich weiß nicht, ob das Innenministerium von sich aus auf uns zugekommen wäre. Das wirkt alles so von oben herab und verheißt nichts Gutes. Allgemein führt das zu Verstimmungen und Unsicherheiten.
IslamiQ: Staatssekretär Kerber ließ wissen, dass es unter anderem um die Fragen gehen soll, ob es einen „deutschen Islam“ geben kann, der mit den rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen Deutschland kompatibel ist.
Kesici: Ja, das habe ich gelesen. Auch die Imamausbildung wird wohl angesprochen werden. Aus früheren Interviews wissen wir, dass Herr Kerber Wertediskussionen präferiert. Da wir noch nicht genau wissen, was alles damit gemeint ist, kann ich nur spekulieren, möchte das aber nicht. Ich möchte einfach nur darauf hinweisen, dass der Boden, auf dem man sich in der DIK bewegt, das Grundgesetz ist. Das schließt einen wie auch immer gearteten Interventionismus von staatlicher Seite aus, ganz gleich, ob es um individuelle oder institutionelle Freiheiten geht, ganz gleich wer an der DIK teilnimmt.
IslamiQ: Was meinen Sie mit ‚Interventionismus’?
Kesici: Herr Staatssekretär Kerber hat in einem Interview angekündigt, dass diesmal auch die ‚muslimische Zivilgesellschaft’ vertreten sein wird. Da fragt man sich, mit wem man sich vorher in der DIK traf? Mit nicht-zivilgesellschaftlichen Muslimen? Gehören muslimische Religionsgemeinschaften etwa nicht zur Zivilgesellschaft? Gerade jetzt, in Zeiten von zunehmender Islamfeindlichkeit und Moscheeangriffen, aber auch sonst, sollten sich staatliche Vertreter von solchen Dichotomien fernhalten. Diese Zuschreibungen können brandgefährlich sein.
IslamiQ: Welche Themen müsste die DIK aus Ihrer Sicht behandeln, damit sie erfolgreich ist?
Kesici: Ziel muss es sein, die Probleme, vor denen Muslime derzeit stehen anzugehen: Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, in Schule und Beruf. Weiter muss endlich auch Hate Speech hematisiert werden. Wir haben in den vergangenen Islamkonferenzen auch über die tendenziöse Berichterstattung und Diskussionen über Islam und Muslime gesprochen. Angeprangert wurde das Zerrbild über Muslime, das entstanden ist und sich in den Gedanken festgesetzt hat, und zwar auch durch die öffentlich-rechtlichen Sender. Nach so vielen Jahren des Darauf-Aufmerksam-Machens, der Kritik und der Gespräche müssen sich die politisch Verantwortlichen die Frage stellen, woran das gelegen hat.
Wir beobachten auch, dass laufende Verhandlungen über Staatverträge zwischen den Bundesländern und islamischen Religionsgemeinschaften eingefroren und bestehende hinterfragt werden. Die Entwicklung der rechtlichen Eingliederung islamsicher Religionsgemeinschaften wurden mit in der DIK angestoßen. In den vergangenen Jahren ist das jedoch beinahe zum Erliegen gekommen. Es wäre nur folgerichtig, diese dort wieder evaluieren.
IslamiQ: Trotz Ihrer Bedenken werden Sie an der DIK teilnehmen?
Kesici: Der Austausch darf nicht stehen bleiben. Von der DIK können wertvolle Signale ausgehen. Daran mitzuwirken, ist unsere Aufgabe als Vertreter islamischer Religionsgemeinschaften. Hierfür muss aber sowohl der inhaltliche Rahmen als auch die Gesprächsatmosphäre stimmen. Ich wünsche mir, dass die Energie, die wir alle in die DIK stecken, zu tragbaren Ergebnissen führt. Momentan bin ich da eher skeptisch.
Das Interview führet Ali Mete.