Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Prof. Thomas Bauer und sein Buch „Warum es kein islamisches Mittelalter gab“.
IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Warum es kein islamisches Mittelalter gab“ gerne schenken und warum?
Prof. Thomas Bauer: Bei meinen Fachkollegen ist der Begriff „islamisches Mittelalter“ schon länger als problematisch erkannt. Bei einigen Europa-Historikern ist das aber noch anders. Vor allem aber in der Öffentlichkeit dominiert das Fortschritts-Paradigma, wonach Europa durch Antike – Renaissance – Aufklärung – Moderne geprägt worden sei, während „der Islam“ im „Mittelalter“ hängengeblieben sei. Ich würde es deshalb am liebsten vielen Journalisten schenken, damit sie mit ihren Begriffen und Geschichtskonzepten sorgfältiger umgehen.
IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?
Bauer: Strömungen wie der Salafismus wollen nicht, wie es immer heißt, „zurück ins Mittelalter“. Ein solches „Mittelalter“ hat es nicht gegeben, und die ambiguitätstolerante Kultur der Jahrhunderte, die man gemeinhin „Mittelalter“ nennt, lehnen sie vehement ab. Ihre Ideologie ist vielmehr nur aus der Moderne und ihren Ideologien heraus verständlich.
IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?
Bauer: Vielleicht wächst die Seele ja, wenn auch nicht empor, so doch ins Weite, wenn man sich die Geschichte der Spätantike als Geschichte eines zusammenhängenden Raums von der iberischen Halbinsel bis zum Hindukusch denkt, in dem sich die Kulturen der Antike (einschließlich der persischen) allmählich wandelten, ehe um das 11. Jahrhundert etwas Neues entstanden ist.
IslamiQ: Ihr Buch „Warum es kein islamisches Mittelalter gab“ in drei Wörtern zusammengefasst?
Bauer: Na ja, sechs Wörter, aber immerhin nur drei Substantive: Europa ist nicht Alleinerbe der Antike.
IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: Wenn es kein islamisches Mittelalter gab, in welchem Zeitalter befindet sich die islamische Welt heute?
Bauer: Epochen wiederholen sich nicht, und im Zeitalter der Globalisierung befindet sich die ganze Welt zwangsläufig in derselben Epoche, nur dass sie überall unterschiedliche Gestalt hat. Aber ein religiöser Fanatiker ist genauso „modern“ wie ein Militärdiktator oder ein liberaler Reformer: Sie arbeiten sich alle an der gleichen Gegenwart ab, nur mit unterschiedlichem (und unterschiedlich begrüßenswertem) Resultat.