Am Montag zeigte das ARD den Antisemitismusreport. In 45 Minuten behandelte die Reportage die Situation deutscher Juden und deren Erfahrungen mit Antisemitismus. Was dabei vor allem deutlich wurde: Antisemitismus ist nicht unbedingt gestiegen, aber er ist lauter und hässlicher geworden.
Ein jüdisches Restaurant in Chemnitz wird von Neonazis angegriffen. Einzelfall oder jüdischer Alltag? Die erste Sequenz dieser Reportage zeigt das Restaurant und den jüdischen Besitzer. Das Thema Antisemitismus ist in den letzten Jahren präsenter geworden. Der Einzug der AfD in den deutschen Bundestag,der allgemeine Rechtsruck der Gesellschaft. Aber auch die vermeintliche Gefahr von muslimischem Judenhass und der Antisemitismusvorwurf gegen geflüchtete Muslime haben die Debatte angeheizt.
Zum Einen stellt sich die Frage,woher der spürbarer werdende Antisemitismus kommt. Zum Anderen ist im Zuge des Nahostkonflikts für viele aber auch nicht geklärt wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus anfängt. Diese Fragen sollen in dem ARD-Report anhand von verschiedenen Expertenbeiträgen und Ergebnissen wissenschaftlicher Studien beantwortet werden. Verschiedene Seiten kommen dabei zu Wort.
Der erste Abschnitt widmet sich der Frage, inwiefern Vorfälle von Antisemitismus eine generelle Gefahr darstellen oder nur Einzelfälle sind. Von Seiten der Juden ist klar, dass sie gefährlich leben, sobald sie ihre Religion durch Symbole wie den Davidstern oder die Kippa kenntlich machen. Nicht wenige Juden verstecken ihre religiöse Zugehörigkeit deshalb zum eigenen Schutz. Sie fühlen sich angreifbar, wenn sie ihre Identität preisgeben, auch durch unterschwellige Kommentare. Juden müssen ihren Alltag anpassen, ihn danach ausrichten, wie sie Stigmatisierung und Gefahren aus dem Weg gehen können. Dabei sollte es eigentlich nicht so sein, findet ein Jugendlicher im Bericht. Nur unter Polizeischutz fühlen sich viele junge Menschen sicher, ob in der Schule oder der Synagoge, hier können sie unbeschwert einfach nur Jugendliche sein.
Deutsche Juden haben das Gefühl, dass der Hass gegen sie in letzter Zeit stärker geworden ist, die Angst ist größer. Dabei bleibt die Statistik gleich. Was sich jedoch verändert hat ist der Ausdruck des Hasses. Was früher nur gedacht wurde, darf heute wieder gesagt werden. Auch die Hemmschwelle für körperliche Angriffe ist gesunken. Übergriffe sind in Deutschland also statistisch tatsächlich mehr geworden, nicht aber die antisemitische Grundeinstellung. Eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren auch im Hass gegen andere Minderheiten beobachten lässt. Gleichzeitig wird die Angst oft nicht ernst genommen: Juden sollten Beschimpfungen nicht so ernst nehmen und nicht so sensibel darauf reagieren. Ihnen wird vorgeworfen, eine Opferhaltung einzunehmen. Das Leiden wird unterschätzt, sagt Julia Bernstein, Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Science.
Dies ist nicht nur ein Problem, das Juden betrifft. Es spiegelt den Umgang mit Minderheiten in diesem Land wieder. Diskriminierung, Anfeindungen und die daraus resultierenden Nachteile werden oft weder wahr noch ernst genommen. Egal um welche Minderheit es sich handelt. Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus, gleich welcher Art, unerwünscht. Spätestens seit Mesut Özil und der darauf folgenden #metwo Debatte ist klar, dass es Abgeordnete, Medien und Bürger gibt, die lieber Ausreden finden als die Betroffenen ernst zu nehmen und sich dem Problem zu stellen.l
Doch ist in der Wahrnehmung der Juden gar nicht die deutsche Mehrheitsgesellschaft, nicht einmal die rechtsextreme Bewegung, für wachsenden Antisemitismus verantwortlich. Vielmehr sehen viele Juden die Muslime als Ursache des Antisemitismus. Im Beitrag kommt der Offenbacher Rabbiner zu Wort, der von Muslimen angepöbelt wurde. Die Täter wurden von der Polizei verhaftet, welche um die Ecke an der Synagoge Wache stand. Für den Rabbiner ist generell klar: „Die Täter sind Muslime.“ Aber lässt sich diese Wahrnehmung auch wissenschaftlich belegen? Antisemitismus sei tatsächlich, vor allem unter arabischen Muslimen, stark verbreitet, führe aber in den seltensten Fällen zu gewalttätigen Übergriffen. So das Fazit. 95 Prozent aller registrierten antisemitischen Straftaten in Deutschland gehen von recht(sextrem)en Deutschen aus.* So eindeutig wird es im Report nicht gesagt. Relativ erfreulich ist dafür, dass tatsächlich mehrere Muslime selber zu Wort kommen und auch positiv dargestellt werden.
Der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici kritisiert, dass der Rechtfertigungsdruck gegenüber Muslimen sehr groß sei, obwohl die Vorwürfe ungerechtfertigt seien. Anstatt jungen Muslimen, die antisemitische Kommentare von sich geben, werden vier junge Männer, drei von ihnen muslimisch, gezeigt, die sich gegen Antisemitismus einsetzen, für Antisemitismus in ihrer Gemeinschaft sensibilisieren wollen und dafür eine Synagoge besuchen. Dort stellten sie fest, dass es Berührungspunkte braucht, um sensibler mit dem Thema Antisemitismus umzugehen.
Interessant ist auch der Einwand, dass Antisemitismus zwar grade unter geflüchteten Menschen aus arabischen Ländern verbreitet sei, dass dies aber eben auch mit der staatlichen Indoktrination von klein auf zusammenhänge. So reflektiert und erklärt ein Geflüchteter es selber und auch der Experte betont, dass es eine große Lernbereitschaft gebe, wenn zu dem Thema aufgeklärt wird. Offenbar wissen es viele Muslime nicht besser und so scheint es, als gäbe es unter Muslimen Potenzial, Antisemitismus abzubauen.
Fast hoffnungslos erscheint es aber bei jenen, die es definitiv besser wissen müssten, weil sie von klein auf für das Thema Antisemitismus sensibilisiert wurden. Im Bericht wird deutlich, dass bei AfD-Mitgliedern auch KZ-Besuche keine Einsicht bringen, sondern nur Verharmlosung, Leugnung, Missachtung und Umdeutung der Geschichte. Ist der Antisemitismus dann ein vorwiegend rechtsextremistisches Problem? Es sind nicht die Neonazis, die den Antisemitismus lauter machen, auch wenn sie es sind, die ihn in eine reale Gefahr für Juden umwandeln. Vielmehr sieht der Präsident des Zentralrat der Juden, Josef Schuster den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft wachsen, weil eine Verschiebung des Sagbaren stattfinde, vorangetrieben von den Äußerungen einiger AfD-Funktionäre. Es gilt auch hier wieder: antisemitische Äußerungen haben ebenso an Scham verloren, wie menschenverachtende Aussagen anderer Couleur.
Im letzten Teil wird es dann aber doch noch einmal etwas schwierig-beim Thema Israelkritik. Ist jede Israelkritik auch antisemitisch? Tatsächlich wird diese Frage nicht wirklich beantwortet. Zwar ist an der finalen Aussage, dass es unfair ist, deutsche Juden für die Politik Israels verantwortlich zu machen, nichts auszusetzen aber insgesamt hält man sich eher mit dem Thema Israel als Staat zurück. Und das ist für dieses Format ebenso fair, weil es eben nicht darum geht. Aber die Frage wird eben nicht beantwortet. Geklärt wird im Endeffekt nur, dass Judenhass oft in Israelkritik verpackt wird und innerhalb dieses Deckmantels antisemitische Forderungen gestellt werden. Nicht eindeutig geklärt wird, wo die Trennlinie zwischen Israelkritik und Antisemitismus verläuft. Das würde das Format aufgrund der Komplexität des Themas aber auch sprengen und ist vielleicht auch zu sensibel.
Als Schlusswort wird bemerkt, dass eine Auswanderung seitens der Juden aufgrund der bestehenden Gefahren nicht zur Debatte steht, auch wenn das Thema Sicherheit wieder präsenter ist. Viele Muslime hingegen sind bereits an der Stelle angekommen, über Auswanderung nachzudenken. Vielleicht würden sie sich auch etwas besser fühlen, wenn der Staat ihnen ähnliche Sicherheitsinstrumente zur Verfügung stellen würde wie er es berechtigterweise gegenüber den Juden tut und das Problem der Islamfeindlichkeit ähnlich ernst nehmen würde wie das des Antisemitismus. Denn das sagt auch viel über deren allgemeine Anerkennung aus. Ein Beauftragter gegen Islamfeindlichkeit, wie es ihn seit diesem Jahr auch gegen Antisemitismus gibt, wäre da vielleicht ein Anfang.
* Anmerkung der Redaktion; wir berichteten darüber: https://www.islamiq.de/2015/06/06/mit-islamfeindlichkeit-gegen-antisemitismus/