ARD-Report

Antisemitismus wird lauter – ein Spiegel des allgemeinen Rechtsrucks in der Gesellschaft

Am Montag zeigte das ARD den Antisemitismusreport. In 45 Minuten behandelte die Reportage die Situation deutscher Juden und deren Erfahrungen mit Antisemitismus. Was dabei vor allem deutlich wurde: Antisemitismus ist nicht unbedingt gestiegen, aber er ist lauter und hässlicher geworden.

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2018
Screenshot Antisemitismusreport - ARD © ARD-Mediathek, bearbeitet by iQ.
Screenshot Antisemitismus - ARD © bearbeitet by iQ.

Ein jüdisches Restaurant in Chemnitz wird von Neonazis angegriffen. Einzelfall oder jüdischer Alltag? Die erste Sequenz dieser Reportage zeigt das Restaurant und den jüdischen Besitzer. Das Thema Antisemitismus ist in den letzten Jahren präsenter geworden. Der Einzug der AfD in den deutschen Bundestag,der allgemeine Rechtsruck der Gesellschaft. Aber auch die vermeintliche Gefahr von muslimischem Judenhass und der Antisemitismusvorwurf gegen geflüchtete Muslime haben die Debatte angeheizt.

Zum Einen stellt sich die Frage,woher der spürbarer werdende Antisemitismus kommt. Zum Anderen ist im Zuge des Nahostkonflikts für viele aber auch nicht geklärt wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus anfängt. Diese Fragen sollen in dem ARD-Report anhand von verschiedenen Expertenbeiträgen und Ergebnissen wissenschaftlicher Studien beantwortet werden. Verschiedene Seiten kommen dabei zu Wort.

Der erste Abschnitt widmet sich der Frage, inwiefern Vorfälle von Antisemitismus eine generelle Gefahr darstellen oder nur Einzelfälle sind. Von Seiten der Juden ist klar, dass sie gefährlich leben, sobald sie ihre Religion durch Symbole wie den Davidstern oder die Kippa kenntlich machen. Nicht wenige Juden verstecken ihre religiöse Zugehörigkeit deshalb zum eigenen Schutz. Sie fühlen sich angreifbar, wenn sie ihre Identität preisgeben, auch durch unterschwellige Kommentare. Juden müssen ihren Alltag anpassen, ihn danach ausrichten, wie sie Stigmatisierung und Gefahren aus dem Weg gehen können. Dabei sollte es eigentlich nicht so sein, findet ein Jugendlicher im Bericht. Nur unter Polizeischutz fühlen sich viele junge Menschen sicher, ob in der Schule oder der Synagoge, hier können sie unbeschwert einfach nur Jugendliche sein.

„Die Angst wird größer – die Statistik bleibt gleich“

Deutsche Juden haben das Gefühl, dass der Hass gegen sie in letzter Zeit stärker geworden ist, die Angst ist größer. Dabei bleibt die Statistik gleich. Was sich jedoch verändert hat ist der Ausdruck des Hasses. Was früher nur gedacht wurde, darf heute wieder gesagt werden. Auch die Hemmschwelle für körperliche Angriffe ist gesunken. Übergriffe sind in Deutschland also statistisch tatsächlich mehr geworden, nicht aber die antisemitische Grundeinstellung. Eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren auch im Hass gegen andere Minderheiten beobachten lässt. Gleichzeitig wird die Angst oft nicht ernst genommen: Juden sollten Beschimpfungen nicht so ernst nehmen und nicht so sensibel darauf reagieren. Ihnen wird vorgeworfen, eine Opferhaltung einzunehmen. Das Leiden wird unterschätzt, sagt Julia Bernstein, Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Science.

Dies ist nicht nur ein Problem, das Juden betrifft. Es spiegelt den Umgang mit Minderheiten in diesem Land wieder. Diskriminierung, Anfeindungen und die daraus resultierenden Nachteile werden oft weder wahr noch ernst genommen. Egal um welche Minderheit es sich handelt. Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus, gleich welcher Art, unerwünscht. Spätestens seit Mesut Özil und der darauf folgenden #metwo Debatte ist klar, dass es Abgeordnete, Medien und Bürger gibt, die lieber Ausreden finden als die Betroffenen ernst zu nehmen und sich dem Problem zu stellen.l

Wer ist der Übeltäter?

Doch ist in der Wahrnehmung der Juden gar nicht die deutsche Mehrheitsgesellschaft, nicht einmal die rechtsextreme Bewegung, für wachsenden Antisemitismus verantwortlich. Vielmehr sehen viele Juden die Muslime als Ursache des Antisemitismus. Im Beitrag kommt der Offenbacher Rabbiner zu Wort, der von Muslimen angepöbelt wurde. Die Täter wurden von der Polizei verhaftet, welche um die Ecke an der Synagoge Wache stand. Für den Rabbiner ist generell klar: „Die Täter sind Muslime.“ Aber lässt sich diese Wahrnehmung auch wissenschaftlich belegen?  Antisemitismus sei tatsächlich, vor allem unter arabischen Muslimen, stark verbreitet, führe aber in den seltensten Fällen zu gewalttätigen Übergriffen. So das Fazit. 95 Prozent aller registrierten antisemitischen Straftaten in Deutschland gehen von recht(sextrem)en Deutschen aus.* So eindeutig wird es im Report nicht gesagt. Relativ erfreulich  ist dafür, dass tatsächlich mehrere Muslime selber zu Wort kommen und auch positiv dargestellt werden.

Der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici kritisiert, dass der Rechtfertigungsdruck gegenüber Muslimen sehr groß sei, obwohl die Vorwürfe ungerechtfertigt seien. Anstatt jungen Muslimen, die antisemitische Kommentare von sich geben, werden vier junge Männer, drei von ihnen muslimisch, gezeigt, die sich gegen Antisemitismus einsetzen, für Antisemitismus in ihrer Gemeinschaft sensibilisieren wollen und dafür eine Synagoge besuchen. Dort stellten sie fest, dass es Berührungspunkte braucht, um sensibler mit dem Thema Antisemitismus umzugehen.

Interessant ist auch der Einwand, dass Antisemitismus zwar grade unter geflüchteten Menschen aus arabischen Ländern verbreitet sei, dass dies aber eben auch mit der staatlichen Indoktrination von klein auf zusammenhänge. So reflektiert und erklärt ein Geflüchteter es selber und auch der Experte betont, dass es eine große Lernbereitschaft gebe, wenn zu dem Thema aufgeklärt wird. Offenbar wissen es viele Muslime nicht besser und so scheint es, als gäbe es unter Muslimen Potenzial, Antisemitismus abzubauen.

KZ-Besuche führen zur Verharmlosung

Fast hoffnungslos erscheint es aber bei jenen, die es definitiv besser wissen müssten, weil sie von klein auf für das Thema Antisemitismus sensibilisiert wurden. Im Bericht wird deutlich, dass bei AfD-Mitgliedern auch KZ-Besuche keine Einsicht bringen, sondern nur Verharmlosung, Leugnung, Missachtung und Umdeutung der Geschichte. Ist der Antisemitismus dann ein vorwiegend rechtsextremistisches Problem? Es sind nicht die Neonazis, die den Antisemitismus lauter machen, auch wenn sie es sind, die ihn in eine reale Gefahr für Juden umwandeln. Vielmehr sieht der Präsident des Zentralrat der Juden, Josef Schuster den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft wachsen, weil eine Verschiebung des Sagbaren stattfinde, vorangetrieben von den Äußerungen einiger AfD-Funktionäre. Es gilt auch hier wieder: antisemitische Äußerungen haben ebenso an Scham verloren, wie menschenverachtende Aussagen anderer Couleur.

Israelkritik oder Antisemitismus?

Im letzten Teil wird es dann aber doch noch einmal etwas schwierig-beim Thema Israelkritik. Ist jede Israelkritik auch antisemitisch? Tatsächlich wird diese Frage nicht wirklich beantwortet. Zwar ist an der finalen Aussage, dass es unfair ist, deutsche Juden für die Politik Israels verantwortlich zu machen, nichts auszusetzen aber insgesamt hält man sich eher mit dem Thema Israel als Staat zurück. Und das ist für dieses Format ebenso fair, weil es eben nicht darum geht. Aber die Frage wird eben nicht beantwortet. Geklärt wird im Endeffekt nur, dass Judenhass oft in Israelkritik verpackt wird und innerhalb dieses Deckmantels antisemitische Forderungen gestellt werden. Nicht eindeutig geklärt wird, wo die Trennlinie zwischen Israelkritik und Antisemitismus verläuft. Das würde das Format aufgrund der Komplexität des Themas aber auch sprengen und ist vielleicht auch zu sensibel.

Als Schlusswort wird bemerkt, dass eine Auswanderung seitens der Juden aufgrund der bestehenden Gefahren nicht zur Debatte steht, auch wenn das Thema Sicherheit wieder präsenter ist. Viele Muslime hingegen sind bereits an der Stelle angekommen, über Auswanderung nachzudenken. Vielleicht würden sie sich auch etwas besser fühlen, wenn der Staat ihnen ähnliche Sicherheitsinstrumente zur Verfügung stellen würde wie er es  berechtigterweise gegenüber den Juden tut und das Problem der Islamfeindlichkeit ähnlich ernst nehmen würde wie das des Antisemitismus. Denn das sagt auch viel über deren allgemeine Anerkennung aus. Ein Beauftragter gegen Islamfeindlichkeit, wie es ihn seit diesem Jahr auch gegen Antisemitismus gibt, wäre da vielleicht ein Anfang.

 

*    Anmerkung der Redaktion; wir berichteten darüber: https://www.islamiq.de/2015/06/06/mit-islamfeindlichkeit-gegen-antisemitismus/

Leserkommentare

Tarik sagt:
Wo wir bei Parallelen zwischen Islamisten und Zionisten sind - hier nur ein kurzer Aspekt. Bedeutende religiöse Stimmen des Judentums, die mit dem Zionismus sympathisierten, gaben entsprechende "Fatwas" heraus. Abraham Kook bsp.- nicht irgendwer, sondern der erste aschkenasische Oberrabbiner des britischen Mandats Palästina und einer der geistigen Väter des religiösen Zionismus, rechtfertigte, dass - zitiert vom Autor, dem Rabbi und Philosophen Walter Wurzburger: "dass Personen sich freiwillig für Selbstmordeinsätze melden, wenn sie im kollektiven Interesse der jüdischen Gemeinschaft durchgeführt werden. Mit anderen Worten, eine Tat, die rechtswidrig war, wenn sie zum Wohle des Einzelnen verübt würde, wäre legitim, wenn sie zum Wohle der Gemeinschaft erfolgt." Zitat-Ende. Dies wohlgemerkt ein halbes Dutzend Jahrzehnte, bevor die Hamas und die Al-Aqsa Brigaden anfingen, die tamilischen Selbstmordkommandos aus Sri Lanka 1:1 zu nachzuahmen. Sie sehen, Amnesie, Schnappschussdenken, das Ausblenden von Zusammenhängen, Parallelen, Kontexten, bringt uns nicht weiter, sondern verhärtet eher noch die Gräben und sorgt dafür, dass sie ein jeder nur hinter seinem eigenen Weltbild (das auf dem sandigen Fundament des oberflächlichen Denkens fußt) sich einmauert.
01.12.18
22:47
grege sagt:
Vielen Dank für Ihre wohlmeinenden Aussagen, die ein Paradebeispiel von Engstirnigkeit und Wagenburgmentatlität darstellen. Für den katastrophalen Zustand des Islams im Hier und jetzt machen Sie in Ihren bisherigen Beiträgen ausschließlich externe Faktoren wie die „westliche Moderne“, den Kolonialismus, sowie den Zionismus verantwortlich, von der Auflistung innerislamischer Missstände, wie es beispielsweise Allawi tut, keine Spur!!! Bezüglich der westlichen Moderne hantieren Sie weitern nebulös mit undefinierten Begrifflichkeiten herum, so dass eine klare Aussage überhaupt nicht erkennbar ist. Hierzu habe ich mich bereits in früheren Beiträgen ausgiebig geäußert, so dass weitere Wiederholungen müßig sind. Ebenso haben Sie bisher heharrlich ignoriert, dass vielen Staaten der westlichen Welt in der Geschichte wenig bis überhaupt keine Berührungspunkte mit islamischen Ländern aufwiesen, so dass alleine hier Ihre verallgemeinernde und undifferenzierte Denkweise völlig ins Leere zielt. Auch beim Thema Kolonialismus tritt bei Ihnen die übliche Denkweise zu Tage, die bei diversen Muslimen anzutreffen ist. Hier hat man scheinbar ein perfektes Alibi gefunden, mit der die eigenen Missstände wunderbar outgesourct werden können und seine eigenen Hände hinter dem Rücken zusammenfalten kann. Auch Deutschland musste nach dem ersten und zweiten Weltkrieg sowie zuvor unter Napoleon jahrzehntelange Fremdherrschaft und Fremdbestimmung ertragen gepaart mit einem Ausmaß an Zerstörung und Entwurzelung, die das heutige Syrien wie ein Schlaraffenland erscheinen lassen. Trotz dieser gravierenden Umstände hat dieses Land innerhalb kürzester Zeit einen Lebensstandard erreicht, der hundertausende von Muslimen in dieses Land gelockt hat, wie u.a. auch Ihre Vorfahren. Eine ähnliche Entwicklung unter vergleichbaren Ausgangsbedingungen ist ebenfalls Ländern wie Japan, China oder Südkorea gelungen, die auf den Trümmern kriegerischer Auseinandersetzungen funktionierende Staaten mit einer florierende Volkswirtschaft aufgebaut haben, die man unter 1 Mrd. Muslime mit wohlmeinender Ausnahme des Staates Malaysia in keinster Weise finden. Von der Kolonialisierung oder anderer Formen von Fremdherrschaft waren auch andere Länder betroffen, deren Entwicklung das keinen Abbruch getan hat, so dass dieses Argument für den heutigen Zustand der islamischen Welt wenig treffend ist. In dem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass Muslime ebenso fremde Völker wie den Balkan, Griechenland oder die iberische Halbinsel oder heutige Staaten der südlichen Sahelzone unterworfen haben. Ihrem eigenen Postulat folgend sollten Sie jetzt Ihre persönliche Komfortzone verlassen und Verbrechen sowie Unrecht aufarbeiten, die den vorgenannten Völkern in diesen Epoche angetan worden sind. In dem Zusammenhang sollte auch nicht unterwähnt bleiben, dass im nördlichen Afrika die muslimischen Araber sich Zulieferer von Sklaven für die damaligen Kolonialmächte hervortaten. Wenn Sie sich intensiver mit der islamischen Geschichte befassen, sollten Ihnen nicht entgangen sein, dass schon im 13. Jahrhundert islamische Herrschaftseiche auseinandergefallen sind. Die Tatsache steht im Einklang mit der seriösen Aussage, dass 90 % der Missstände in der islamischen intern selbstverschuldet sind und daher kaum auf die Kolonialisierung zurückzuführen sind. Ebenso bizarr ist Ihre Logik, dass Sie in bestimmten Zionisten die Urheber für die heutigen Selbstmordattentate von islamischen Terroristen und anderen Extremisten sehen. Eine ähnlich konfuse Ursachen-Wirkungsbeziehung könnte zwischen dem Holocoust und dem Hinduisumus konstruiert werden, wie bereits an anderer Stelle erläutert. Mit ähnlichen Ursachen-Wirkungsbeziehungen könnte die Islamfeindlichkeit mit dem aufkommenden Terrorismus und Extremismus innerhalb der muslimischen Community relativiert oder gar gerechtfertigt werden. Spätestens an dieser Stelle sollten Sie merken, dass sich Ihre gebetsmühlenhaft vorgetragene Auslagerung von Schuld und Verantwortung für den desolaten Zustand des Islams nach extern hier zum Bumerang entwickelt. Ihre Kritik über meine Einstellung zur Vergangenheit übersieht, dass diese sehr wohl berücksichtigt, aber nicht, wie In Ihrem Falle, missbraucht werden soll. Aus der Vergangenheit soll man die Lehren ziehen, dass man sich an den positiven Ergebnissen orientiert und die eigenen Schattenseiten selbstkritisch behandelt. Diverse Muslime wie Sie instrumentalisieren die Vergangenheit dahingehend, Fehler und Misstände auschließlich nach außen hin fremdzuvergeben und sich auf die Weise in einer Larmoyanz zu suhlen. Diese Einstellung haben übrigens auch die politischen und militärischen Führer der bosnischen Serben im Krieg an den Tag gelegt. Die Einnahme von Srebrenica und das anschließende Massaker sind von Mladic mit der Unterdrückung der Serbien durch die Türken in den Jahrhunderten zuvor gerechtfertigt. Sie begeben sich mit Ihrer Denkweise in die geistige Nähe von Leuten, die als Kriegsverbrecher wegen Massaker an Ihren Glaubensbrüdern verurteilt worden sind………….
03.12.18
22:37
Tarik sagt:
Der geneigte Leser wird feststellen, dass Sie hier (wie übrigens auch in einem anderen Kommentar) etwas schreiben, das überhaupt nicht zu dem von mir geschriebenen passt. Hier geht es um Antisemitismus bzw. Judenhass und die entsprechenden Parallelen im Denken moderner Islamisten. Sie haben nämlich abendländischen Antisemitismus/Judenhass schlicht importiert. In der Zeit erschien einmal ein wunderbar aufschlussreicher Artikel, der anhand des Beispiels von Sayyid Qutb - einem der prägendsten Köpfe des modernen Islamismus - dies erläutert, woher er nämlich seine Lehren hernahm. https://www.zeit.de/2003/32/A-Carrel Der Rest ihres Textes fällt unter der Rubrik - "lange Rede, kurzer Sinn", ein paar Stichpunkte auf ihr Geschreibsel reichen als Antwort: 1.) Ich wiederhole meinen Satz, über die Gründe für die derzeitige Situation der islamischen Welt: Es ist eine Mischung aus internen und externen Faktoren. Ich unterstreiche dazu nochmals, dass natürlich gilt, je mehr Globalisierung, desto größer die externen Faktoren. Ist ihnen das nicht klar genug? Dann lesen Sie Naomi Klein oder Slavoj Zizek. Das hier ist keine Vorlesungsstunde im Bereich Politikwissenschaft. 2.) Bezüglich der "westlichen Moderne" erscheint ihnen vieles nebulös und undeutlich. Lesen Sie Thomas Bauers jüngstes Essay "Die Vereindeutigung der Welt", für das er zurecht mit einem Philosophie-Preis ausgezeichnet wurde. Oder lesen Sie Zygmunt Baumann, "flüchtige Moderne". Auch der eine oder andere postphilosphische Denker (falls sie denen natürlich folgen können). Bilden Sie sich weiter. Lernen Sie ersteinmal bestimmte Wesenszüge der Moderne, was sie kennzeichnet, was der kleinste gemeinsame Nenner ist. Vielleicht stolpern sie z.B. an Dinge wie "instrumentelle Vernunft" und die Kritik an dieser. Denn dies hier ist ebensowenig eine Vorlesungsstunde im Bereich moderner Philosophie. 3.) Dies hier ist leider auch keine Vorlesungsstunde im Bereich "neue Geschichte des Vordernen Orients". Was so schwammig und leicht dahergesagt mit Kolonialismus bezeichnet wird, umfasst ja sehr viel mehr als die bloße Besetzung von Staat x durch Staat y. Was alles dahinter steckte, füllt ganze Bänder. Ich verweise wie übrigens jeder Historiker und Politikoge und Philosoph mit Verstand, dass man all das, was unter "Kolonialismus" subsumiert werden kann, berücksichtigt werden muss, um zu verstehen, was heute passiert. Alleine, um mal einen einzige kleinen Aspekt zu nennen, die willkürliche neue Grenzziehung in Regionen, hat für zukünftige Konflikte gesorgt. Dazu brauchen Sie ja nicht mal etwas gescheites zu lesen, dazu reicht die Phoenix Dokumentation zum 100 jährigen Jubiläum des 1. WK. 4.) Deutschland verdankt seinen Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg vor allem dem Marshall-Plan und dem Pragmatismus der USA, aus einem einstigen Gegner einen nützlichen Verbündeten im Kampf gegen die Sowjetunion aufzupäppeln. Die einstigen Kolonialherren hatten jedoch überhaupt kein Interesse, das sich die von ihnen ausgebeuteten ehemaligen Kolonien als irgendwelche ernstnunehmenden Wirtschaftsfaktoren aufsteigen. Sie hinterließen vielmehr entwurzelte und vor allem zerrissene Gesellschaften, die es jedoch wirtschaftlich und politisch weiterhin zu kontrollieren galt. Um ein klitzekleines Beispiel, ein einziges Mosaiksteinchen aus der jüngsten Geschichte herauszugreifen. Als im Jahr 2011 sich in Tunesien die Proteste gegen den damaligen Diktator Ben Ali ausweiteten, bot die französische Regierung ihm an, mit eigenen Spezialeinheiten zu unterstützen. Als jedoch Ben Ali gestürzt wurde, verweigerte man ihm auch nur die Landeerlaubnis auf das eigene Territorium. Ansonsten ist mir die islamische Geschichte in all ihren Facetten bestens bekannt. Ebenso ist mir bekannt, dass es nirgendwo auch nur annähernd eine gegenüber Ureinwohnern gleichwelcher Region eine auch nur ähnliche genozidale Politik gegeben hat wie von jeder der Kolonialmächte, egal welche Region der Welt sie besegelten. Wenn man sich die arabischen Seekarten anschaut und die Beschreibungen der Geographen von fremden Völkern, so stellt man ein gewisses Desinteresse fest. Vor allem Desinteresse an irgendeinem Projekt a la "wir zwingen Dir unsere Kultur auf". "In dem Zusammenhang sollte auch nicht unterwähnt bleiben, dass im nördlichen Afrika die muslimischen Araber sich Zulieferer von Sklaven für die damaligen Kolonialmächte hervortaten." (grege) Das ist zutreffend. Oman vor allem spielte hier eine führende Rolle. Die Global Players schufen ein System, und hoben die jahrtausende alte Sklaverei auf ein völlig neues Niveau. Auch heute haben wir zahlreiche Regime in der dritten Welt, die von der wirtschaftliche Weltordnung profitieren. Wie ich schon mehrmals sagte, "it's the economy, stupid". Läuft heute übrigens nicht anders. Man schicke einen führenden Wirtschaftsvertreter in ein afrikanisches Land und biete einem korrupten Politiker - den man mit Waffen versorgt, damit er an der Macht bleibt - Geld für Konzessionen und Land. 4. Meinen Vergleich zwischen Islamismus und Zionismus haben sie komplett missverstanden. Es war keine "Ursachen-Wirkung-Analyse", sondern wie der Name schon sagt, ein Vergleich, das Aufzeigen von Parallelen. Und welche wären das? Die Verschmelzung von im Westen geborener Ideen, wie z.B. dem Nützlichkeitsprinzip, revolutionären Ideen mit Teilen der eigenen Religion. Für einen gläubigen Theisten ist das Ethische eben immer heilig, während der Zweck die Mittel nie heiligt. Was heißt das? Dass religiöse Fanatiker, ob nun Zionisten oder Islamisten in Wahrheit nur pseudeoreligiös sind und im Denken und Handeln eben modern und das auf allen Ebenen. Im Hang zur Vereindeutigung statt traditioneller Mehrdeutigkeit. In der Aufhebung des Ethischen ("der Zweck heiligt die Mittel"). In der unbedarften Übernahme von Ideologien wie Nationalismus und kommunistischer Revolution (samt Begriffe!). Um nur drei von zig Aspekte zu nennen. Die entsprechenden Autoren, die dies detailliert, nachvollziehbar (und übrigens weltweit anerkannt) aufgelistet haben, können gerne ebenfalls von Ihnen gelesen werden. Zwei zitierte ich ja bereits. Der Rest ihrer Ausführungen ist ebenfalls an die falsche Adresse gerichtet und zeigt auf, dass sie, statt genauer zu lesen, ihr Meinungsbild von "den Muslimen" schlicht hier hineinprojezieren.
06.12.18
0:53
Tarik sagt:
Nachtrag zu: "Ebenso ist mir bekannt, dass es nirgendwo auch nur annähernd eine gegenüber Ureinwohnern gleichwelcher Region eine auch nur ähnliche genozidale Politik gegeben hat wie von jeder der Kolonialmächte." Ich spreche freilich von der traditionellen, also vormodernen islamischen Welt. Die Massenmorde an den Armeniern im Osmanischen Reich im 1.WK sind ebenso wie bsp. das brutale Vorgehen der Japaner im 2.WK möglich geworden durch die Übernahme des Nationalismus, dieser französischen Erfindung, in das eigene Denken.
06.12.18
1:06
Tarik sagt:
Ergänzent hierzu, wo Sie schreiben: "Wenn Sie sich intensiver mit der islamischen Geschichte befassen, sollten Ihnen nicht entgangen sein, dass schon im 13. Jahrhundert islamische Herrschaftseiche auseinandergefallen sind. Die Tatsache steht im Einklang mit der seriösen Aussage, dass 90 % der Missstände in der islamischen intern selbstverschuldet sind und daher kaum auf die Kolonialisierung zurückzuführen sind." (grege) Befassen wir uns doch mal eingehender mit der islamischen Geschichte. Das 13. Jahrhundert war sicherlich ein äußerst schwieriges für die islamische Welt: Die Reconquista war in vollem Gange, die Kreuzzügler noch im sogenannten "Heiligen Land" und die Mongolen wüteten dermaßen, dass, wie es Chronisten unterschiedlicher Herkunft notierten, in Zentralasien ganze Landstriche entvölkert wurden. Übrigens ist diese Entvölkerung mit ein Grund, wieso der Iran heute mehrheitlich schiitisch ist, aber das nur am Rande. Doch dies stellte keinen Beginn eines bis heute andauerenden Niedergangs ein, den sie hier indirekt andeuteten. Der Aufstieg des Osmanischen Reiches lag erst noch bevor, das ägyptische Mamelukenreich lag ebenfalls erst noch in der Kinderstube. Oman sollte später für eine Weile unangefochten im Westen des Indischen Ozeans herrschen. Malakka blühte und gedeihte. Das Mogulreich sollte ebenfalls Jahrhunderte später folgen, ebenso wie das Reich um Samarkand, wo astronomische Forschunen auf Weltniveau betrieben wurden, also auch nach dem Verlust einst so wichtiger geistiger Zentren wie Cordoba und Bagdad. Die islamische Welt ging nicht im 13. Jahrhundert unter, sie verlagerte nur ihren Schwerpunkt. Tatsächlich war es lange Zeit in der europäischen Geschichtsforschung gang und gebe, mit dem Tod von Averroes (1198) auch den Untergang der islamischen Philosophie und kreativem Denken und so weiter zu verknüpfen. Doch Geschichte ist ein Fach der Forschung. Die Thesen europäischer Orientalisten wie Ignaz Goldziher oder Ernest Renan - die sich im Mainstream hierzulande immer noch halten - sind tatsächlich in der Forschung längst widerlegt. Dimitri Gutas z.b. beschreibt verlängert die Goldene Ära der Philosophie bis etwa 1350. Aber, er weist darauf hin, dass er dies nur deshalb auf 1350 begrenzt, weil etwa 90 Prozent der Manuskripte NACH dieser Epoche bislang in keine einzige europäische Sprache übersetzt wurden. Wenn man also etwas nicht kennt, heißt dies nicht, dass es nicht existiert(e). Tatsächlich verlagern die meisten modernen Forscher den Beginn des Niedergangs der islamischen Welt weit in das 17. Jahrhundert hinein und verknüfen dies schlüssig mit dem Aufstieg europäischer Seemächte, der Entdeckung neuer Seewege, die die vormalige Schlüsselstellung des Orients letztlich obsolet machten. Es hat also nichts mit "eigen" oder "Fremd" Verschulden zu tun, es war schlicht der Lauf der Geschichte. Thomas Bauer weist in dem Abschnitt über arabische Seefahrt und Kartographie zurecht darauf hin, dass die Araber zu einer Zeit, in der sie bessere Schiffe, bessere nautische Geräte und vor allem bessere Karten hatten und über mehr Kenntnisse von fremden Ländern verfügten, sie letztlich gar kein Interesse hatten, diese fremde Welt zu erobern. Letztlich war man mit dem Handelsgleichgewicht zwischen arabischen Reichen, Indien und China zufrieden. Die "Welt des Islams" war bekannt, man wusste von zahlreichen fremden Völkern in Afrika und Südostasien, es existieren zig Reiseberichte, die recht nüchtern und detailliert sind, aber diese im Namen des Herrn einzunehmen und bewusst zu missionieren? Fehlanzeige. Es ist kein Wunder, dass vor in Ostafrika und Südostasien es Händler waren, die den Islam verbreiteten - nicht durch Mission, sondern durch gelebte islamische Ethik des fairen Handels. Hier muss man natürlich sagen, der EINST gelebten Ethik, denn das heutige Image eines arabischen Händlers ist eher das, eines verschlagenen Händlers, der darauf lauert, sein Gegenüber übers Ohr zu hauen. Zumindest hat uns Karl May dieses Bild des Orients vermittelt....
06.12.18
11:47
grege sagt:
Das Meinungsbild über eine Religion wird insbesondere durch das Verhalten der Glaubensanhänger im Hier und Jetzt mitgeprägt. Anhänger, die die eigenen globalen Missstände ihrer Religion sowie das Fehlen signifikanter Positivbeispiele fast ausschließlich externen anlasten, hinterlassen einen besonderen Eindruck. Dieser prägt sich umso mehr aus, falls die „Geschichte“ der eigenen Religion geradezu mystifiziert und Schattenseiten konsequent ausgeblendet bzw. externalisiert werden. In Bezug auf die deutsche Nachkriegsgeschichte bestehen bei Ihnen gravierende offensichtliche Wissensdefizite. Jedem halbwegs gebildeten Menschen, der lediglich den Erzählungen von Verwandten aus der damaligen Zeit lauscht, weiß Bescheid über die Entwurzelung der deutschen Gesellschaft in der Nachkriegsgeschichte, die nicht nur durch Krieg und Zerstörung hervorgerufen wurde, sondern auch durch die dreifache Zerstückelung dieses Landes in die an Polen und Russland abgetretenen Ostgebiete, die DDR, sowie die BRD. Durch diese Ereignisse hat es einerseits massive Flüchtlingswellen von über 10 Millionen !!! geben, zudem waren durch die anschließende Grenzabriegelungen tausende Familien voneinander getrennt, Waren- und Wirtschaftsströme unterbrochen. Die nahezu komplett zerstörte Industrie und Infrastruktur wurde durch Reparationsleistungen an die Alliierten zusätzlich belastet sowie Zwangsarbeitseinsätze vornehmlich in der damaligen Sowjetunion. Diese Merkmale von Besatzung, die als Folge des selbst verschuldeten Krieges zu betrachten sind, entsprechende sehr wohl den Folgen, die Sie bei der Kolonialisierung anderer Erdregionen festgestellt haben wollen. In Korea traten die vorgenannten Erscheinungsmerkmale durch den Krieg sowie die noch hermetischere Trennung in wesentlich verschärfter Form zutage, da dieses Land als damaliger Agrarstaat über keinerlei industrielle Infrastruktur und Tradition verfügte. Trotz Grenzverschiebungen, Spaltungen der Nation und Gesellschaft sowie wirtschaftlichen Totalschaden haben sich funktionsfähige Staaten mit einer leistungsfähigen Volkswirtschaft (wie auch in China) entwickelt. Ihr Relativierungsversuch mit dem Marschallplan schlägt schon allein deswegen fehl, weil Deutschland bezogen auf die Bevölkerung und den Kriegsschäden die niedrigste Auszahlungsrate erhalten hat. Ebenso stellt monetäre Entwicklungshilfe allenfalls eine Anschubleistung dar, deren Wirksamkeit vielmehr Aufbauwillen der Bevölkerung, rechtsstaatliche Verhältnisse sowie ein funktionierende Wirtschaftssystem erfordert. So ist es kein Wunder, dass in anderen Erdregionen wie Pakistan, Ägypten oder den palästinensischen Autonomiegebieten Unsummen an Entwicklungshilfe bisher nur geringen Nutzen gestiftet haben. Im Vergleich dazu hat China, das ja auch Gegenstand von Kolonialisierung war, als Rivale der USA niemals nennenswerte Aufbauhilfe von den Amerikanern erhalten!!! Diese Beispiele verdeutlichen, dass Kolonialisierung in der Vergangenheit als Ausrede für das Ausbleiben von Frieden und Wohlstand kaum tauglich ist. Ihr schönfärberischer Exkurs in die islamische Geschichte, insbesondere die Story von friedlich umhersegelnden arabischen Seeleuten auf den Weltmeeren, ist angesichts zahlreicher Massaker und Säuberungen bei Eroberungen und Fremdbesatzungen muslimischer Invasoren höchst unglaubwürdig. Ausgerechnet im Mittelhalter, in dem Sie offenbar mit Verweis auf die jüdisch-arabische Symbiose eine Hochphase der islamischen Geschichte sehen, kam es bei den Invasionen und Besetzungen arabisch-muslimischer Heeren im heutigen Indien zwischen dem 1000 und 1500 zu 80 Millionen Toten einhergehend mit Versklavung und Zerstörung nichtmuslimischer Kulturgüter. Allein in dem Zusammenhang ist nicht vermessen diese Fremdherrschaft mit einem Genozid gleichzusetzen. Auch insbesondere bei der Besetzung und Besatzung des Balkans sowie Teilen des heutigen Italiens und anderer Mittelmeeranrainer zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert kam es infolge von Eroberungen osmanischer Heere ebenso zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Zwangsislamisierung oder Sklaverei unter der Zivilbevölkerung. Die Sklaverei ist insbesondere von arabischen Eroberern in den Ländern der südlichen Sahelzone betrieben worden. Während der transatlantische Sklavenhandel in Breite und Gänze richtigerweise thematisiert wird, wird der arabische Sklavenhandel in der Sahelzone auffällig leise getreten, der bereits seine Ursprünge vor Beginn der Kolonialära von den europäischen Mächten hatte. Auch der Genozid an den Armeniern im 1. Weltkrieg war auch religiös motiviert, da aus Sicht der jungtürkischen Herrscher die nationale Identität aus der Zugehörigkeit zum Türkentum sowie zum sunnitischen Islam bestand. Beide Voraussetzungen erfüllten die Armenier nicht, so dass die Männer dem Tod sowie Frauen und Kindern der Zwangskonversion geweiht waren. Ebenso waren armenischstämmige Türken, die vor Ausbruch des Völkermordes zum Islam konvertiert sind, von den Massakern verschont geblieben. Solche Aufrechnungen mit Rückblick in Vergangenheit sind obsolet, sollen allerdings hier verdeutlichen, dass es Kolonialmächte auch außerhalb des klassischen Kreises gab, die ihre Religion / Weltanschauung mit Gewalt und Unterwerfung anderer Völker verbreitet. Ihre Story von umhersegelnden arabischen Entdeckern, die ausnahmslos den Islam verbreitet haben, erscheint daher in dieser Pauschalität wie ein Ammenmärchen. Kaum ein Bürger der typischen Kolonialmächte wie Frankreich, England, Spanien oder Portugal würde derartige Scheuklappen tragen.. Sie stellen also Parallelelen zwischen den Denkweisen und Methoden verschiedener Weltanschauungen her ohne Fokus auf Ursache-Wirkungsbeziehungen. Welche Aussagen haben denn diese Parallelen, wenn nachweisbare Kausalitäten ausbleiben. Man kann auch Parallelen zwischen dem Islam und dem Faschismus feststellen, wie unlängst in einem Buch veröffentlicht, oder zwischen dem Genozid der arabischen Eroberer in Indien sowie den Genozidmethoden der Nazis. Oder Parallelen zwischen der Ideologie der Nazis sowie dem Hinduismus, was sich, wie bereits mehrfach gesagt, in der Ähnlichkeit der Symbole wiederspiegelt. Solche Parallelkonstruktion ohne inhaltlichen Bezug sind ziellos und daher auch m.E. belanglos, was mich zur Frage verleitet, wieso Sie auf diesen penetrant rumreiten.
09.12.18
20:37
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